Von Herwig Schafberg, So. 09. Apr 2023, Titelbild: Tumisu, Pixabay, CC0 Creative Commons
In der biblischen Passionsgeschichte geht es um die Kreuzigung Jesu. Und wie dieser sein Leid ertrug, sollte nach christlichen Lehren jeder Mensch sein Schicksal als gottgewollt annehmen, auch wenn es noch so schwer wäre. Es sollte aber nach dem Verständnis vieler Christen nicht unabänderlich sein, wie Herwig Schafberg hinzufügt.
Christliche Heilserwartungen
Für Christen ist Ostern das Fest der Auferstehung Jesu Christi, ohne die sie keinen Grund zum Glauben an Christus hätten, wie der Apostel Paulus in einem Brief an die Korinther hervorhob (1. Korinther 15,17). Zu diesem Gründungsmythos der christlichen Religion gehört die Kreuzigung Jesu zwei Tage zuvor, die Christen Jahrhunderte lang den Juden zur Last legten und sie bewogen, auch deren Nachkommen als „Gottesmörder“ zu verfolgen. Aber wenn Juden Jesus getötet hätten, wäre er nicht gekreuzigt, sondern gesteinigt worden und die Christen würden statt eines Kreuzes Steine zum Zeichen ihrer Anteilnahme an der Passion Jesu Christi verehren.
Kreuzigung war eine römische Hinrichtungsmethode. Und tatsächlich war es Roms Statthalter Pontius Pilatus, auf dessen Befehl Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Er wollte allerdings – der Legende nach – keine Schuld an der Kreuzigung haben und wurde mit diesem Verhalten beispielhaft für die vielen politischen Amtsinhaber vor und nach ihm, die nicht die Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen mochten. Er gab diesen Befehl allerdings auf Druck aufgehetzter Juden, nach deren Einschätzung Jesus ein „Gotteslästerer“ war, und tat das vermutlich, um die Aufgehetzten zu beruhigen und weiteren Aufruhr zu vermeiden.
Vielleicht hatte Roms Statthalter in Judäa aber auch wie der jüdische Hohe Priester die Befürchtung, dass der Wanderprediger Jesus von Nazareth mit dem Anspruch eines „Königs der Juden“ auftreten und die herrschende Ordnung in Gefahr bringen könnte. Doch wenn man den Evangelien glauben mag, ging es Jesus nicht um eine Veränderung der bestehenden Herrschaftsordnung in Judäa, sondern um die Vorbereitung der Menschen auf das nahende „Reich Gottes“ – also um zukunftsgerichtete Heilserwartungen und nicht etwa um Verbesserung der Bedingungen, unter denen Menschen seinerzeit zu leben hatten.
Vertröstung der Leidenden auf das „Reich Gottes“
Daher legten Verkünder christlicher Lehren auch keinen Wert auf Befreiung von Menschen aus der Sklaverei. „Jeder bleibe in dem Stand, in dem ihn der Ruf Gottes erreicht hat“, schrieb der Apostel Paulus in seinem 1. Korintherbrief (7, 20ff) und wurde im Epheserbrief (6, 5ff) noch deutlicher: „Die Sklaven sollen mit Furcht und Zittern, das heißt mit Ernst und Sorge, den irdischen Herren in lauterer Gesinnung ihren Willen tun, als wäre es Christus, der ihnen befiehlt. Sie sollen gutwillige Sklaven sein, als dienten sie dem Herrn (Gott) und nicht den Menschen.“ Nicht anders dachte anscheinend der Apostel Petrus, der Sklaven dazu aufforderte, sich ihren Herren unterzuordnen und „ihnen den schuldigen Respekt“ zu erweisen – „nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den launischen…“ (1. Petrusbrief 2,18)
Dass die Apostel und diejenigen, die sich auf deren Lehren beriefen, Sklaven sowie anderen Unterdrückten und Ausgebeuteten rieten, ihre Lage guten Willens zu ertragen, war mehr denn je im Interesse der Herrschenden, nachdem das Christentum im 4. Jahrhundert n. Chr. staatstragende Religion in Rom geworden war. Und an ihren Interessen änderte sich nichts, als die Sklavenhaltergesellschaft in den mittelalterlichen Nachfolgestaaten des Römischen Reiches durch eine feudale Gesellschaftsordnung ersetzt wurde und an die Stelle der altertümlichen Sklaverei neuartige Knechtschaftsverhältnisse wie etwa Leibeigenschaft traten.
Glaubte man dem kirchlichen Konzil von Aachen (816), dann entsprach „servitus“ (Dienstbarkeit) dem Willen Gottes; denn „wegen der Sünde des ersten Menschen ist dem Menschengeschlecht durch göttliche Fügung die Strafe der Knechtschaft auferlegt worden“, verkündete rund zweihundert Jahre später ein Wormser Bischof: „Obgleich die Erbsünde durch die Gnade in der Taufe allen Gläubigen genommen ist, hat der gerechte Gott das Leben der Menschen so unterschieden, indem er die einen zu Knechten, die anderen zu Herren einsetzte, damit die Möglichkeit zu freveln durch die Macht der Herren eingeschränkt würde.“
Dissidenten von den Donatisten zu den Hussiten
Soweit es nicht etwa um Christen ging, die von Muslimen versklavt waren, unternahmen die meisten Bischöfe und sonstigen Kirchenvertreter kaum etwas zur Sklavenbefreiung. Doch wie die Donatisten in der Spätantike zum Verdruss des bis heute als Kirchenvater verehrten Augustinus für die Befreiung von Sklaven eingetreten waren, statt sie mit Heilserwartungen zu vertrösten, gab es auch im Mittelalter sowie in der Neuzeit Geistliche, die sich für Geknechtete stark machten und sich insofern anders verhielten als Bischöfe und Äbte, die zumeist aus den Reihen adeliger Herren stammten, mit üppigem Landbesitz ausgestattet waren und die dazugehörigen Bauern für sich arbeiten ließen. Zum geflügelten Wort wurde die Frage: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Die stellte vielleicht als erster der englische Prediger John Ball, der im 14. Jahrhundert – allerdings erfolglos – für die Befreiung der Bauern sowie die Aufhebung der Standesunterschiede eintrat und fragte: „Mit welchem Rechte haben sie, die sich Herren nennen, die Oberhand über uns? Wie haben sie sich dieses verdient? Warum halten sie uns in Knechtschaft? Wenn wir von demselben Vater und derselben Mutter, von Adam und Eva, abstammen, wie können sie behaupten oder beweisen, dass sie mehr Rechte haben als wir?“
Nicht nur John Ball berief sich auf die Bibel, sondern auch der böhmische Prediger Jan Hus, dessen Anhänger versuchten, ein „Reich Gottes“ zu errichten. Hus stellte die Ständeordnung im Grunde nicht in Frage und fand Sympathien bis in die höchsten Kreise der Feudalgesellschaft, wurde jedoch auf dem Konzil von Konstanz wegen „Ketzerei“ zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen hingerichtet (1415). Daraufhin radikalisierten sich viele seiner Anhänger, hetzten gegen den Klerus, aber auch gegen die anderen Stände – Adel sowie Bürger – und riefen zur Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft in ganz Deutschland auf.
Widerstandskämpfer in den Reihen der Protestanten
Martin Luther, der als Urheber der Reformation großen Einfluss auf die öffentliche Meinung ausübte, hatte das bäuerliche Elend ebenso beklagt wie der von ihm beeinflusste Prediger Thomas Münzer, der „die Herren“ in der Verantwortung dafür sah, dass „ihnen der arme Mann feind wird“. Doch während Münzer sich offen auf die Seite der aufständischen Bauern stellte sowie für einen Umsturz der herrschenden Ordnung eintrat und nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes hingerichtet wurde (1525), nahm Luther gegen die Aufständischen Stellung. Den Bauen ginge es allein um weltliche Dinge, monierte Luther, und dabei beriefen sie sich auf die Bibel, „obwohl doch das Evangelium sich um weltliche Sachen gar nicht kümmert und das äußerliche Leben allein in Leiden, Unrecht, Kreuz, Geduld und Verachtung zeitlicher Güter und des zeitlichen Lebens setzt.“
Nicht bloß zu Zeiten von John Ball und Jan Hus waren es Geistliche, die mit ihren Predigten für Unruhe sorgten. Zu ihnen gehörten etwas mehr als hundert Jahre nach Jan Hus neben dem oben genannten Thomas Münzer in Mitteldeutschland die „Wiedertäufer“ in Westfalen und rund zweihundertfünfzig Jahre nach John Ball in England Gerrard Winstanley, der sich ebenso auf die Bibel berief und als Anführer der „True Levellers“ beziehungsweise Diggers nach dem Sieg des protestantisch majorisierten Parlaments über den katholischen König im englischen Bürgerkrieg (1642 – 1648) vergeblich für eine weitreichende Landreform und Gemeineigentum stark machte, damit „ein jeder, der in diesem Lande geboren wurde, sich von der Erde möge ernähren können… und daß kein Teil derselben von den anderen abgetrennt werde“, heißt es im Manifest der Diggers: The True Leveller`s Standard Advanced. „Die große Schöpfervernunft machte die Erde im Anfang zum gemeinsamen Gut der Tiere und der Menschen“, erklärte Winstanley und beklagte, daß die Menschen im Laufe der Zeit in Abhängigkeit von Herren geraten wären, die den Grund und Boden in Besitz genommen hätten.
Christliche Kolonialherren und „heidnische“ Indios
In der Zwischenzeit hatten die Spanier Amerika entdeckt (1492), das von ihnen anfangs für Indien gehalten worden war, so dass sie die Indigenen dort als ´Indios` bezeichneten. Nach den spanischen Konquistadoren kamen Portugiesen, Niederländer, Franzosen sowie Engländer und gründeten dort ebenfalls Kolonien.
Während Christen in den europäischen Herkunftsländern längst nicht mehr als Sklaven gehalten werden durften, scheuten christliche Herren sich weder in Europa noch in Amerika und Afrika, „Heiden“ – wie Nichtchristen genannt wurden – zu versklaven. Die Römische Kirche erklärte zwar die Indios zu „wirklichen Menschen“ (1537), die aber nach Auffassung eines Rates am Hof des spanischen Königs auf einer so tiefen Stufe der menschlichen Entwicklung ständen, dass sie nicht der Gnade des Glaubens teilhaftig werden könnten.
Es gab spanische Geistliche, die über die Kriegszüge gegen die Indios und deren Unterjochung entsetzt waren. Zu ihnen gehörte der Dominikaner Bartolomé de Las Casas und zu seinen Gegnern in Spanien der Hofhistoriker Juan Ginés de Sepúlveda, der die seinerzeit nicht ungewöhnliche These vertrat, dass es für Kriege gegen Indios gute Gründe gäbe, weil die „keine Christen“ wären. Obwohl der spanische König die von Bartolomé de Las Casas verfasste Schrift über die Misshandlung der Indios nicht drucken ließ, erkannte er dessen Forderung nach einer Gesetzgebung zugunsten der Indios teilweise an und erließ eine Reihe von Rechtsvorschriften, mit denen das Los der Indios gemildert werden sollte.
Haltung der Römischen Kirche zur Sklavenfrage
Zum Schutz der Indios hatte Bartolomé de Las Casas den Einsatz von schwarzen Sklaven aus Afrika zur Arbeit für die Kolonialherren in Amerika vorgeschlagen, bereute aber seinen Vorschlag, als er sah, welche Auswüchse der transatlantische Sklavenhandel annahm und wie Schwarze in der Sklaverei zugerichtet wurden. Er war nicht der Einzige, der das beklagte; denn es gab manchen Geistlichen, der Sklavenhaltern in der Beichte die Lossprechung von den Sünden verweigerte. Es wurde zwar immer noch die Position vertreten, dass die Erlösung der Menschen von ihrem Elend letztlich erst im „Reich Gottes“ zu erwarten wäre; so lange wollte aber auch und besonders die Römische Kirche die Versklavung von Menschen nicht einfach hinnehmen.
So veröffentlichte Papst Urban VIII. 1639 ein Rundschreiben, in dem er jeden verdammte, der Menschen – Christen oder „Heiden“ – versklavte, sie kaufte oder verkaufte, tauschte oder verschenkte und von ihren Frauen sowie Kindern trennte. Doch hatte die päpstliche Weisung selbst bei katholischen Regierungen keinen Erfolg. Als der päpstliche Nuntius das Rundschreiben in Lissabon öffentlich bekannt geben wollte, wurde er ausgewiesen.
1687 veröffentlichte Papst Innozenz XI. eine Erklärung, die mancher als Charta der Rechte für Schwarze ansah. Demnach sollte es nicht gestattet sein, Schwarze oder andere Menschen gefangen zu nehmen, zu kaufen und zu verkaufen. Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass sie nicht zusammen mit jenen Sklaven verkauft werden sollten, die „rechtmäßig“ versklavt waren. Als solche galten Menschen, die in einem „rechtmäßig“ geführten Krieg – also auch und besonders gegen „Heiden“ – gefangen genommen oder die von einem Richter zur Sklaverei verurteilt worden waren. Zu Letzteren gehörten gewöhnliche Verbrecher ebenso wie „Ketzer“, wie die genannt wurden, die nach dem Verständnis der Kirche vom „rechten Weg“ des Glaubens abgekommen waren und sogar im Bunde mit Satan ständen – also auch „Hexen“. Die wurden allerdings nicht versklavt, sondern verbrannt.
Haltung der Anglikanischen Kirche zur Sklavenfrage
Während Geistliche der Römischen Kirche sich schon bald nach Beginn der Kolonisierung Amerikas dafür stark gemacht hatten, die Lebensverhältnisse der einheimischen Indios sowie der Sklaven aus Afrika zu verbessern, und zur Linderung von deren Not in den spanischen, portugiesischen sowie französischen Kolonien ein wenig beitrugen, dauerte es im protestantischen England und dessen überseeischen Kolonien etwas länger, bis sich Widerstand gegen Sklavenhandel und -haltung formierte.
Beteiligt waren auch dort nicht so sehr religionskritische Vertreter der Aufklärung wie John Locke, der zwar die Sklaverei beklagte, am Sklavenhandel jedoch ebenso finanziell beteiligt war wie Voltaire, sondern es waren wie in Spanien und dessen Überseereich viel mehr Vertreter der Kirche. Zu ihnen gehörte der anglikanische Bischof Warburton, der zumindest den „schandvollen Sklavenhandel, der direkt gegen das göttliche und menschliche Gesetz verstößt“, kritisierte und das Schicksal der „vielen Tausend“ beklagte, „die jährlich von einem Erdteil verschleppt werden und …Opfer der Kolonisten sind, die es ihrem Götzen, dem Mammon, darbringen“ (1760).
Quäker und andere Abolitionisten in England und Amerika
In den englischen Kolonien hatten Baptisten in Rhode Island und Quäker in Pennsylvania den Anfang gemacht. Fast zur gleichen Zeit, als der französische König Ludwig XIV. den „Code Noir“ erließ (1685), der Sklavenhalter verpflichtete, für ihre Sklaven zu sorgen, und ihnen deren Tötung verbot, befanden Quäker (1688) „dass man alle Menschen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden möchte, ohne Unterschied von Herkunft, Abstammung oder Hautfarbe der Menschen. Und jene, die Menschen stehlen oder rauben, und solche, die sie kaufen und verkaufen, sind sie nicht einer wie der andere? Hier herrscht Gewissensfreiheit. Das ist richtig und vernünftig; gleichsam sollte hier auch der Leib frei sein mit Ausnahme der Übeltäter.“
Die Quäker schlossen ab 1774 jeden aus ihrer „Gesellschaft der Freunde“ aus, der am Sklavenhandel beteiligt war, und gründeten 1783 die erste Anti-Sklaverei-Gesellschaft, um die öffentliche Meinung gegen die Sklaverei zu mobilisieren. Sie trug erheblich zur Stärkung der abolitionistischen Bewegung bei, die sich die Abschaffung der Sklaverei zum Ziel gesetzt hatte. Mit dem Verbot des Sklavenhandels durch das britische Parlament und den US-amerikanischen Kongress (1807) erreichte sie einen wichtigen Etappensieg auf dem Weg zum Verbot der Sklavenhaltung, die im britischen Kolonialreich 1833 und in den USA 1865 verboten wurde. In anderen Staaten und deren Kolonien war es früher oder später auch so weit.
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Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.
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