Von Jürgen Fritz, 14. Aug 2017, Titelbild: Youtube-Screenshot aus Gladiator
In welchem Verhältnis stehen Gewalt und Vernunft zueinander? Wer muss die Herrin sein, wer die Dienerin? Bedarf die Vernunft der Gewalt, um zu verhindern, dass die Gewalt über die Vernunft gestellt wird? Ein Versuch, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Legitimiert der gerechte Krieg die gewaltsame Unterwerfung fremder Kulturen?
„Aber plötzlich fuhr der Teufel in die Christen, so, daß sie in meinem Beisein, ohne die mindeste Veranlassung oder Ursache, mehr als dreitausend Menschen, Weiber und Kinder darnieder hieben, die rings um uns her auf der Erde saßen. Hier nahm ich so unbeschreibliche Grausamkeiten wahr, daß andere Sterbliche dergleichen wohl schwerlich gesehen haben, oder sie für möglich halten möchten.“ (Bartolomé de Las Casas, 1485 – 1566)
Bartolomé de Las Casas wurde 1485 in Sevilla geboren. Als Feldkaplan der Konquistadoren erlebte er bei der Eroberung Kubas die oben beschriebenen Gräueltaten und Massaker an den Ureinwohnern mit, was einen tiefen Sinneswandel in ihm bewirkte. Offenbar gab es eine Instanz in ihm, welche ihm unmissverständlich sagte, dass hier tiefes Unrecht, ja Unmenschliches geschah.
Die späteren Auseinandersetzungen, die Las Casas mit seinem Gegenspieler Sepúlveda führte, sind Meilensteine in der Debatte um das Recht kriegerischer Intervention in fremde Kulturen. Sepúlveda berief sich auf die Tradition des gerechten Krieges und meinte, dass die dafür erforderlichen Gründe gegeben seien.
Er argumentierte theologisch. Aufgrund ihres sündhaften Wesens käme den Indios von Haus aus eine inferiore Natur zu. Zudem müssten unschuldige Opfer vor ihren gräulichen Religionspraktiken errettet werden. Und schließlich würde die Unterwerfung eine schnellere Ausbreitung des Christentums sicherstellen.
Der Gedanke der Gleichberechtigung der Menschen und Kulturen
Las Casas versuchte vor allem vom Naturrecht her die Unterlegenheit der Indios zu widerlegen und das Argument zu entkräften, dass das Gebot einer schnelleren Ausbreitung des Christentums notwendigerweise auch die Anwendung von Gewalt legitimiere. Hier scheint mir aus moralphilosophischer Sicht ein Schlüssel zu liegen.
Selbst wenn es eine kulturelle, geistig-sittliche Überlegenheit gibt, berechtigt dies kaum, diese dem Inferioren mit Gewalt aufzuzwingen, zumal dieser auf Grund seines Entwicklungsstandes oftmals gar nicht in der Lage ist, jenes, zu deren Entwicklung andere Jahrhunderte brauchten, einfach so zu übernehmen.
Im Falle, dass eine solche Überlegenheit, z.B. aus theologischen Erwägungen nur behauptet wird, tatsächlich aber gar nicht gegeben ist, liegt eine solche Legitimation gleich doppelt nicht vor. Und wenn die Kultur, die von sich behauptet, die überlegene zu sein, in Wahrheit sogar die inferiore ist, dann liegt eine Legitimation noch viel weniger vor, ganz im Gegenteil. Dann muss die gewaltsame Ausbreitung des Inferioren natürlich verhindert werden, notfalls mit Gewalt.
Die Grundlage des modernen Rechtsstaates
Mit diesen Überlegungen zur Gleichheit, genauer: Gleichberechtigung der Menschen und dem strikten Gebot der friedlichen Religionsverbreitung wies Las Casas weit in die Zukunft.
Dennoch ist die Kolonialisierung der von Spanien eroberten Territorien in Lateinamerika ein Indiz für die düstere Seite der conditio humana, der Bedingung des Mensch-seins, der Natur des Menschen (Thomas Hobbes: homo homini lupus = der Mensch ist dem Menschen ein Wolf).
Die Konquistadoren praktizierten kompromisslos das archaische Recht des Stärkeren. Die Gewalt ließ sich nicht mit Argumenten der Vernunft im Zaum halten. Daran wird folgende essenzielle Erkenntnis deutlich:
Auch die Vernunft bedarf exekutiver Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele. Zu dieser Einsicht, die die Grundlage des modernen Rechtsstaates bildet – Stichwort: Gewaltenmonopol des Staates, Zerschlagung von Clan- und Stammesgewalt – sollte es aber noch ein langer Weg sein.
Das Verhältnis von Vernunft und Gewalt
Die Vernunft bedarf der Gewalt, um zu verhindern, dass die Gewalt über die Vernunft gestellt wird, um das Recht vor seinen Feinden zu schützen, um die Ungerechtigkeit nicht über die Gerechtigkeit triumphieren zu lassen. Eine Einsicht, die allzu viele vergessen haben (pazifistische Naivlinge). Daher ist es stets die erste und originäre Aufgabe des Staates, nach außen wehrhaft und verteidigungsfähig zu sein und nach innen, das Recht mit Gewalt durchsetzen zu können (äußere und innere Sicherheit). Das ist die Grundlage des Rechtsstaates.
Ist das nicht gegeben, ist alles andere obsolet, denn was nutzt es Ihnen, wenn Sie alles Mögliche haben, Sie oder Ihre Liebsten aber ständig überfallen, ausgeraubt, zusammengeschlagen oder vergewaltigt werden und Sie sich nicht mehr sicher fühlen können? Ein Staat, der diese beiden primären Aufgaben nicht erfüllt, ist es nicht wert, ein solcher genannt zu werden.
Die Gewalt muss hierbei aber Dienerin der Vernunft sein, der theoretischen wie der praktischen Vernunft, der Wahrheit bzw. Erkenntnis (theoretische Vernunft) und der Ethik (praktische Vernunft). Sie darf niemals über der Vernunft stehen.
Das archaische Recht des Stärkeren, die brutale, rücksichtslose Gewalt bis hin zur Grausamkeit muss überwunden werden und überwunden bleiben! Diese dürfen nicht zurückkehren, auch nicht im Gewand einer religiösen Weltanschauung. Die Rückkehr und die Herrschaft der Gewalt muss mit Gewalt verhindert werden. Diese Dialektik verstehen die weniger Vernunftbegabten viel zu selten, denen es bisweilen an Realitätssinn mangelt, gerade was die menschliche Natur (homo homini lupus) anbelangt.
Denn Vernunft ohne Gewalt ist in der Welt, wie sie nun einmal auf Grund der conditio humana de facto ist, nicht überlebensfähig, wird unweigerlich untergehen. Doch die Gewalt muss hierbei die Dienerin sein, darf niemals zur Herrin werden, die sich der Vernunft bedient, um sie zur rein instrumentellen Vernunft zu degradieren. Die Vernunft muss stets über der Gewalt stehen. Sie muss die Herrin sein. Siehe dazu auch das platonische Seelenmodell. Die Vernunft bedarf aber der Gewalt, um zu verhindern, dass die Gewalt über die Vernunft gestellt wird.
Literaturempfehlung
Jörg Lauster, Die Verzauberung der Welt – Eine Kulturgeschichte des Christentums, C.H.Beck, 5. Aufl. 2017, EUR 34,00 oder als Taschenbuch, erscheint am 27.08.2020, EUR 18,00
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Daniela Schießl ( Gisela Jäger)
Mir ist JEDWEDE Religion zuwider, die vergeben sich alle nix.
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MoshPit
Mir ist nicht nur jedwede Religion, sondern auch jedwede Form von Gewalt zuwider.
Gute Antwort – zumindest aus meiner Sicht – von Dir.
Grüße
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Jürgen Fritz
Also auch die Gewalt der Polizei, die einen Schwerverbrecher oder Terroristen fängt, einsperrt (mit Gewalt seiner Freiheit beraubt) oder im Notfall erschießt.
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pip
Ja, genau so. Guter Beitrag!
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