Von Jürgen Fritz, Sa. 30. Nov 2024, Titelbild: YouTube-Screenshot
Scharfe Kritik in der Habeck-Schwachkopf-Affäre übt Dr. Clivia von Dewitz: Wozu in diesem Fall eine Hausdurchsuchung? Welche Beweismittel sollten hier denn gesichert werden? Es sei sehr fragwürdig, ob überhaupt ein Straftatbestand erfüllt sei. Und selbst wenn, sei eine Hausdurchsuchung bei so einem Bagatelldelikt keinesfalls verhältnismäßig. Die Justiz werde in solchen Fällen politisch missbraucht, wie es einer Demokratie unwürdig sei.
„Und wieder beantragt ein Staatsanwalt eine Hausdurchsuchung bei einem Bürger, der einfach von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat“
Der Fall ging zunächst über X und NIUS durch ganz Deutschland, auch JFB hatte mehrfach über den Fall berichtet. Irgendwann, als es nicht mehr anders ging, berichteten schließlich auch die M-Medien darüber. Bei dem 64-jährigen Rentner Stefan Niehoff und seiner Familie wurde morgens um 06:15 doch tatsächlich eine Hausdurchsuchung durchgeführt, weil er Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck im Internet angeblich „beleidigt“ haben soll. Der Mann hatte ein Meme retweetet, auf dem man Habeck sah und darunter war in Anlehnung an die Schwarzkopf-Werbung der Schriftzug „Schwachkopf PROFESSIONAL“ zu lesen.
Nun hat in der Berliner Zeitung die Richterin Dr. Clivia von Dewitz dezidiert zu diesem Fall Stellung bezogen und heftige Kritik sowohl an dem Staatsanwalt und der Richterin geübt, die die Hausdurchsuchung beantragten beziehungsweise genehmigten, als auch an anzeigewütigen Politikern, die solche Bagatelldelikte per Strafantrag verfolgen lassen.
„Und wieder beantragt ein Staatsanwalt – dieses Mal in Bayern – eine Hausdurchsuchung bei einem Bürger“ schreibt Clivia von Dewitz, „der einfach von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Und wieder wird ein Hausdurchsuchungsbeschluss von einer Richterin erlassen mit der Folge, dass morgens um 6.15 Uhr mehrere Polizeibeamte vor der Tür eines unbescholtenen Bürgers stehen, um seine Wohnung zu durchsuchen.“
Der Zweck einer Hausdurchsuchung ist entweder die Ergreifung des Beschuldigten oder die Sicherung von Beweismitteln: Welche Beweismittel sollen das hier sein?
Sodann erläutert die promovierte Juristin und Richterin Sinn und Zweck sowie rechtliche Bestimmungen bezüglich Hausdurchsuchungen. „Diese finden in einem Verfahrensstadium statt, in dem die Aufklärung einer potenziellen Straftat im Vordergrund steht, richten sich mithin gegen potenzielle Straftäter und beschränken daher den Schutz der Unschuldsvermutung.“ Deswegen seien sie nur unter engen Voraussetzungen (vgl. § 102 StPO und Art. 13 GG) zulässig und verhältnismäßig. So müsse nicht nur ein konkreter Anfangsverdacht auf eine Straftat vorliegen, sondern es müsse gemäß § 102 Strafprozessordnung (StPO) hinzu kommen, dass eine Hausdurchsuchung zum „Zwecke der Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde“.
Der Zweck der Ergreifung scheide ja bereits dadurch aus, verdeutlicht die Juristin, dass der Beschuldigte gar nicht verhaftet wurde. Darum kann es also nicht gegangen sein. Bleibe der Zweck, Beweismittel zu sichern. Aber: „Was sollen das für Beweismittel sein in einem Fall, in dem ein Bürger auf dem Kurznachrichtendienst X einen Tweet lediglich retweetet (und nicht einmal selbst erstellt) hat, auf dem der amtierende Wirtschaftsminister Robert Habeck in Anlehnung an eine Werbung für die Haarpflegemarke Schwarzkopf als „Schwachkopf PROFESSIONAL“ bezeichnet wird?“, fragt Dr. von Dewitz.
Um die Frage zu klären, ob dieser Retweet den Tatbestand einer Beleidigung erfüllt, braucht es überhaupt keine Beweismittel
Hausdurchsuchungen dienten der Verhinderung zukünftiger und der Aufklärung bereits begangener Straftaten. Für die Klärung der Frage, ob dieser Tweet den Tatbestand der Beleidigung gegen Normalsterbliche nach § 185 StGB beziehungsweise gegen Personen des politischen Lebens nach § 188 StGB erfülle, brauchte es aber keinerlei Beweismittel. Für die Beantwortung der Frage, ob der Beschuldigte den Tweet selbst abgesetzt habe, müsste „in derartigen Bagatellfällen“ wohl abgewartet werden können, ob ein Geständnis erfolgt, so die Richterin weiter. Die Beschlagnahme des Tatmittels, die in Zweifelsfällen der einzige Weg zu einer sicheren Täterfeststellung sein möge, müsse auf schwerwiegende Straftaten beschränkt bleiben.
Weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Adressaten dieser Hausdurchsuchung „wegen Volksverhetzung werden in dem Beschluss des Amtsgerichts Bamberg, das die Hausdurchsuchung angeordnet hat, nicht erwähnt“. Dass es möglicherweise auch noch eine Ermittlung wegen Volksverhetzung gegeben habe, müsse daher für diesen Fall unbeachtet bleiben, auch wenn es in dem Beschluss wohl versehentlich geheißen habe: „in dem Ermittlungsverfahren gegen … wegen Volksverhetzung“.
Der Tatbestand des § 188 StGB Beleidigung gegen eine Person des politischen Lebens ist wahrscheinlich überhaupt nicht erfüllt
Und selbst eine Beleidigung von Politikern gemäß § 188 StGB liege nach Auffassung von Dr. von Dewitz fern, da die weitere, den Tatbestand einschränkende Voraussetzung, dass nämlich die Tat geeignet sein müsse, das öffentliche Leben der Person des politischen Lebens „erheblich zu erschweren“, hier sicher nicht vorliege. Eine Begründung diesbezüglich lasse der Hausdurchsuchungsbeschluss auch vermissen.
Wäre nicht ein Politiker mit „Schwachkopf PROFESSIONAL“ bezeichnet worden, sondern ein normaler Bürger, sei fraglich, ob hier ein Strafverfahren überhaupt eingeleitet worden wäre. Sicherlich: Keiner möchte als Schwachkopf bezeichnet werden, so viel sei klar. Die Frage sei aber, ob durch eine solche Bezeichnung schon die Schwelle zu einem strafbaren Verhalten überschritten sei. Eine beleidigende Äußerung sei nach § 185 StGB nur dann strafbar, wenn durch die Äußerung Missachtung oder Geringschätzung zum Ausdruck gebracht werde. Dabei sei eine Äußerung stets am Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG, der Meinungsfreiheit, eines für die liberale Demokratie schlechthin konstituierenden Grundrechts, zu messen.
Ging es in Wahrheit um Einschüchterung von Bürgern durch die Staatsgewalt (Machtmissbrauch)?
Im April 2024 erst habe das Bundesverfassungsgericht der Meinungsfreiheit gegenüber Äußerungen, die den Staat kritisierten, den Vorrang eingeräumt und klargestellt, dass der Staat keinen Ehrschutz genieße und auch scharfe und polemische Kritik aushalten müsse. „Diese Grundsätze sollten auf die amtierenden Politiker übertragbar sein“, schreibt die Juristin. Es bleibe zu hoffen, dass dem Bundesverfassungsgericht bald auch ein Fall vorgelegt werde, in dem eine Verurteilung nach § 185 StGB oder § 188 StGB erfolgt ist, weil ein Minister kritisiert worden ist, um dies klarstellen zu können.
Wenn schon die Äußerung selbst nicht ohne weiteres als strafbare Beleidigung eingestuft werden könne, so von Dewitz weiter, „warum wurde sogar eine Hausdurchsuchung durchgeführt, eine mithin viel einschneidendere Maßnahme, die neben Art. 5 Abs. 1 GG auch noch Art. 13 GG, die Unverletzlichkeit der Wohnung, berührt? Sollte dies zur Vermeidung zukünftiger Straftaten dieser Art beitragen?, fragt die Richterin.
Und sie führt weiter aus: „Sicherlich führen solche Maßnahmen dazu, dass sich immer weniger Bürger trauen, ihre Meinung, sofern sie von ‚der herrschenden Meinung‘ abweicht und/oder darüber hinaus amtierende Politiker kritisiert, öffentlich zu äußern“ (Stichwort: Einschüchterung). Dies dürfe in einer liberalen Demokratie nicht geschehen und zeige eine sehr bedenkliche Entwicklung hin zu Regierungsformen, die man in Deutschland überwunden zu haben glaubte.
Die Verhältnismäßigkeit einer Hausdurchsuchung muss immer gegeben sein und im Vorhinein geprüft werden
Eine Hausdurchsuchung dürfe nur dann angeordnet werden, wenn eine solche Maßnahme auch verhältnismäßig sei, worauf das Landgericht Hamburg in der sogenannten Pimmelgate-Affäre 2022 hingewiesen habe. „Das sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft selbstverständlich sein.“ Denn dem Schutzinteresse der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) müsse gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates der Vorrang eingeräumt werden, wenn nur eine geringe Sanktion in Betracht komme. So habe das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 6. Mai 2008 verlangt, dass der Richter die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme geprüft haben müsse, bevor er eine Hausdurchsuchung anordne. „Eine Hausdurchsuchung sei nur dann zulässig, wenn nach dem Stand der Ermittlungen auch im konkreten Fall die Verurteilung zu einer mehr als geringfügigen Sanktion in Betracht komme.“
Und dann wird Dr. Clivia von Dewitz noch deutlicher: „Seit 2020 scheinen Hausdurchsuchungen gegen unbescholtene Bürger, die Politiker kritisieren, keine Seltenheit mehr zu sein.“ Sie zitiert anschließend mehrere Verfahren, in denen erfolgte Hausdurchsuchungen als rechtswidrig eingestuft wurden und stellt klar: „Aber solche zutreffenden Entscheidungen der Landgerichte können die einschneidenden Folgen einer solchen Hausdurchsuchung für die Betroffenen nicht wiedergutmachen.“ Die Richterin fragt weiter: „Verfallen einige Staatsanwälte und Richter in einen in diesem Land schon einmal dagewesenen Modus des ‚vorauseilenden Gehorsams‘ und meinen, Minister forderten bei Beleidigungen gegen sie ein möglichst hartes und die Grundrechte negierendes Vorgehen? Dann hätten sie den Beruf verfehlt und sollten ihr Amt umgehend niederlegen“, so von Dewitz wörtlich.
Wie kommt Habeck überhaupt dazu, wegen so etwas einen Strafantrag zu stellen?
Und weiter frage sie: „Was bewegt Staatsanwaltschaften dazu, Ermittlungen in Bagatellfällen aufzunehmen und Polizeibeamte anzuweisen, Ministern ein Formular zwecks Stellung eines Strafantrags zu schicken? Und wie kommen Minister überhaupt dazu, einen Strafantrag zu stellen, wenn unbescholtene Bürger öffentliche Tweets posten, um ihren Unmut über das politische Wirken einzelner Politiker auszudrücken?“
Frau von Dewitz führt weiter aus: „Aus dem Bundestagsbüro von Habeck heißt es, der Vorgang sei ihm im Rahmen weiterer Vorgänge, bei denen es sich um schwere Beleidigungen gehandelt haben soll, vorgelegt und Strafantrag gestellt worden. Hat er den Strafantrag nur ‚versehentlich‘ gestellt, weil er übersehen hat, dass hier gar kein Fall einer schweren Beleidigung vorgelegen hat?“ Der Strafantrag sei jedenfalls von ihm nicht zurückgenommen worden, nachdem die Durchführung einer Hausdurchsuchung wegen einer Äußerung, die nicht offensichtlich als Beleidigung eingeordnet werden könne, bekannt geworden sei. „Auch hätte der Minister nach § 194 Abs. 1 StGB einer Strafverfolgung widersprechen können, was ebenfalls nicht erfolgt ist.“ Das zeige, dass Habeck noch immer an einer Verfolgung dieses Posts beziehungsweise von dessen Weiterleitung wegen Beleidigung gelegen sei.
Politischer Missbrauch von § 188 StGB auch und gerade durch anzeigenwütige Politiker
Im Zuge der Böhmermann-Affäre 2017 sei § 188 StGB fast mit § 103 StGB (ehemals mit „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ überschrieben) aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden. „Das wäre sehr gut gewesen“, so die Juristin wörtlich weiter, „wenn man bedenkt, wie sehr § 188 StGB dieser Tage politisch missbraucht wird“.
Es sei ihrer Auffassung nach an der Zeit, dass der Gesetzgeber tätig wird, um Bagatellfälle vom Tatbestand der Beleidigung und insbesondere auch unsachliche und/oder polemische Kritik an amtierenden Politikern vom Beleidigungstatbestand auszunehmen. Auch eine Streichung von § 188 StGB (neben anderen Normen) wäre im Sinne einer Entrümpelung des Strafgesetzbuches aus ihrer Sicht sehr zu begrüßen.
Und Dr. von Dewitz adressiert am Ende ihres Artikels auch ganz klar, bei wem sie einen Missbrauch der Justiz sieht. Sie schreibt wörtlich: „Und vielleicht sollten Minister und sonstige Politiker, die Strafanträge stellen in Fällen, die am Ende von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, für die Kosten der Verfahren selbst aufkommen müssen. Die in jüngster Zeit zunehmende Flut von Strafanträgen von Politikern wegen Bagatellfällen, denen die Justiz nachgehen zu müssen meint, als handele es sich hierbei um schwerwiegende Verbrechen, bedeutet einen Missbrauch der Justiz, der einer Demokratie unwürdig ist und dem entgegengewirkt werden muss.“
Quellenangabe
Hier können Sie den Original-Artikel von Dr. Clivia von Dewitz Versagt die Justiz, wenn ein ranghoher Politiker wie Robert Habeck Strafantrag stellt? in der Berliner-Zeitung nachlesen.
P.S.: Von Volksverhetzung ist nun gar nicht mehr die Rede
Das noch fragwürdigere Verfahren wegen „Volksverhetzung“ nach § 130 StGB wurde inzwischen wohl sogar völlig eingestellt. Der Rechtsanwalt Marcus Pretzell teilte gestern mit: „Ich wollte die Akte zur Volksverhetzung haben. Geantwortet hat man mir zum § 188 StGB. Ich interpretiere also, dass es da nix gibt (zu § 130 StGB). – Die Staatsanwaltschaft im Fall Niehoff Schwachkopf/Habeck hat sich Zeit gelassen. Mit etwas Beharrlichkeit habe ich nun eine erste schriftliche Reaktion vorliegen. Von Volksverhetzung ist nicht mehr die Rede. Der Vorwurf beschränkt sich auf § 188 StGB. Ich bin gespannt, wie die Staatsanwaltschaft ihre Pressemitteilungen dazu erklären wird.“
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