Du musst dein Leben ändern – Archaischer Torso Apollos

Von Jürgen Fritz

„Du musst dein Lebern ändern“ ist der ethische Ur-Appell, der ethische Ur-Imperativ. Dieser Imperativ verheißt ein besseres Leben, eine bessere Welt, verlangt dem Einzelnen jedoch enormes ab: stete Arbeit an sich selbst. Das Geschöpf soll Schöpfer seiner selbst werden. Dazu bedarf es diesen Appells. Doch von wo aus kann dieser Appell kommen? Sicherlich nur von einem Oben, nicht von einem Unten und nicht von einem Neben. Welchem Oben? Hier wird zumeist recht wenig Phantasie an den Tag gelegt. Kein solch Phantasieloser war Rainer Maria Rilke, der zugleich ein Gespür und ein Ohr hatte für diesen Ur-Appell, der immer schon zu uns spricht. Wir müssen nur genau hinhören und hinschauen.

Rilke: Archaischer Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Aus: Rainer Maria Rilke, Der neuen Gedichte anderer Teil (1908)

*

Literaturempfehlung: Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern

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5 Antworten auf „Du musst dein Leben ändern – Archaischer Torso Apollos

  1. Öko-Theosoph

    Es ist interessant, dass Rilke im Jahr 1875 geboren wurde. In diesem Jahr wurden auch Albert Schweitzer, C. G. Jung, Aleister Crowley und Oskar Bernhardt (Gralsbewegung) geboren. Außerdem wurde im Jahr 1875 die Theosophische Gesellschaft gegründet. Das Jahr 1875 war auch bedeutsam für Christian Science.
    Es ist unsinnig, zu beten. Ein Mensch sollte u. a. seine Willenskraft und Liebe vergrößern. Und dann kann man durch Traumsteuerung zu mystischen Erfahrungen gelangen.

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  2. trumpelman

    Kürzlich hatte ich hier einen „Hinterbänkler“ aus Berlin zu Gast.
    Er ist ein politischer Zwerg, doch er hätte sogar das Zeug, ein hervorragender Kanzler zu sein.
    Bloß das nicht! Nein, diese Art von Parteienlandschaft, diese Art von Demokratie, diese Art von mündigen Bürgern ist es ihm nicht wert, sich in einer Führungsrolle zu verschleißen.
           Warum dann in die Politik?
    Aus Jux und Dollerei, um auszuprobieren, ob er nicht nur in der Wirtschaft, die ihn stinkreich gemacht hat, sondern „auch auf einem anderen Feld“ Erfolg haben könnte.

    Dieser Mann ist für mich so etwas wie eingeordnet zwischen „sehr guter Bekannter“ und „ziemlich bester Freund”. Ich bin für ihn ein „Seher“, wie er es ausdrückte. Er dichtet mir an, ich könne aus einem Berg vager Informationen und Scheinbarkeiten mit meinem Bauch herausfühlen, was kommen werde, und es in Worte fassen.
         Dieser Mann hat mit Rilke und auch mit Sloterdijk nichts am Hut. Er mag Stefan Zweig und Kafka. Er war gut befreundet mit Joseph Weizenbaum und hatte Zugang zu Bill Gates. Als Steve Jobs sich in seiner Versenkung mit NEXT herumquälte, hat er sich öfter mit dem getroffen und einmal mich auf eine Reise zu ihm mitgenommen… – einfach so. (Ich war wie in einem Nebelschwaden, weil ich damals Amerikanisch noch nich so gut beherrschte.)
         Dieser Mann war und ist MdB und in einem sehr wichtigen Ausschuss, in dem er sich vor allem durch sein Schweigen äußert. Doch er führt Einzelgespräche, die oft erkennbare Wirkung haben müssen.
         Dieser Man ist ein „Spieler“ nach der sogenannten Spieltheorie. Einmal bat er mich um die Vorstellung eines Panzers in meiner Phantasie, der über eine Mine fährt und zerstört wird. Ihm mache es Spaß, eine Mine zu sein. Und vor allem, die Privilegien eines MdB auszukosten. Seine MdB-Einkünfte betrachtet er als „schmutziges Taschengeld“ und spendet sie fast völlig an Behinderteneinrichtungen. Er hat noch nie eine Rede im Bundestag gehalten, wurde schon mehrfach angeschubst, weitere Posten zu übernehmen und weiter vorn in den Reihen der Abgeordneten zu sitzen. Er wollte nicht und lehnte ab. Trotzdem weilt er unangefochten und wenig durchschaut unter seinen „Kollegen“, die er überwiegend verachtet.

    An diesem Mann musste ich denken, als ich das Bild vom Torso Apollos zu diesem Beitrag betrachtete. Was erwartet man schon von einem arm-, bein- und kopflosen Körper? – Nur: Dieser Körper kann ja nicht immer arm-, bein- und kopflos gewesen sein, denn sonst gäbe es den Torso nicht. Mein Besucher ist nach außen hin so ein Torso, bei dem man die Gliedmaßen und den Kopf nur dann sieht, wenn man ihm nahe genug kommen darf.

    Und Merkel? – Ach Gott, diese „Dame mit dem abgefressenen Fingernägeln“, was soll man von der halten? „Weisst du, warum ich alle meine Werte in Schweizer Assets und Franken umgeschichtet habe?“ – Nein, ich weiss es nicht, kann es mir aber denken. Vielleicht habe ich selbst schon „meine“ EUROs in sfr verwandelt und im Kanton Uri nahe dem Urner See geparkt? Wer weiß?

    Mein Besucher, mit dem zusammen ich erst einmal eine Weile in der Küche zubrachte, um für uns „und die anderen beiden“ ein herrliches Mahl zuzubereiten, philosophierte beim Kochen über KI und deren Absichten als „vernünftiges Wesen, das den Menschen verachten muss“. Dann – begleitet von einem wunderbaren Wein von einem Achkarrer Berg – erzählte er uns beim Essen ein „wunderbares Märchen von einer Mutti, die ihre Kinder Todesengeln anvertraute“. – Wären unsere Hände nicht mit Messern und Gabeln beschäftigt gewesen, hätten wir uns auf die Schenkel geklopft.

    Ich denke mal, Rilke und Sloterdijk hätten auch ihren Spass gehabt.
    – mlskbh –

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