„Qualitätsjournalisten“ produzieren niemals Fake-News, das machen nur die anderen!

Ein Gastbeitrag von Axel Stöcker, Sa. 1. Sep 2018

Seit dieser Woche ist die Republik um einen Euphemismus reicher. Es geht um die gute alte „Zeitungsente“. Bekanntlich hat sie seit einiger Zeit schon eine schmuddelige Zwillingsschwester bekommen, die „Fake-News“, die immer dann herhalten muss, wenn die Ente von irgendwelchen nichtlinken Schmierfinken produziert wird. Axel Stöcker mit einem entlarvenden Bericht.

„Eindeutige Verfolgungsjagden“

Nun ist „Fake-News“ natürlich kein Euphemismus, sondern das genaue Gegenteil. „Fake-News“, da schwingen Trump, Verschwörung und üble Absichten mit. Dagegen klingt „Ente“ geradezu putzig. Trotzdem impliziert auch die Ente eine Falschmeldung und damit einen Fleck auf der weißen Weste eines jeden Qualitätsjournalisten.

Jüngstes Beispiel sind die Berichte über „Hetzjagden“ und „pogromartige Situationen“ in Chemnitz, die durch den gesamten deutschen Qualitätsblätterwald rauschten wie ein verfrühter Herbststurm. Zum Glück (aus Sicht der beteiligten Qualitätsjournalisten, muss man vielleicht eher sagen: leider) gibt es aber – Stand heute – keine belastbaren Belege für solche Vorkommnisse.

Der einzige Videonachweis („Hase, du bleibst hier. Du bleibst hier!!“) zeigt nach Ansicht der „Qualitätsmoderatorin“ Sandra Maischberger zwar „eindeutig [!], wie eine Gruppe von Menschen andere Gruppen von Menschen verfolgt haben“ (hier ab 55:40, das Video lief als einziger Nachweis im einem Zusammenschnitt zu Beginn der Sendung). Aber… nun ja, es möge sich jeder sein Bild machen. Wenn es eine Hetzjagd gewesen sein sollte, muss man sie, bei jetzigen Kenntnisstand, wohl eher unter der vielbemühten Vokabel „Einzelfall“ einordnen, der natürlich auch hier einer zu viel wäre.

„Der Feind steht rechts“

Was also tun bei der „Qualitätspresse“? Mit dieser dünnen Datenbasis? Man könnte natürlich zugeben, dass man aus Sensationslust eine gigantische Ente produziert hat, aber das würde irgendwie unprofessionell wirken. Der „Qualitätsjournalist“ Frank Lübberding vom Flaggschiff des deutschen „Qualitätsjournalismus“ FAZ, hat sich für einen anderen Weg entschieden. Er schreibt, Ministerpräsident Michael Kretschmer habe bei seiner Diskussion mit Chemnitzer Bürgern „vor allem eine Erfahrung“ gemacht: „deren tiefsitzendes Misstrauen gegen Politik und Medien“. Und dann kommt es:

„Das hat nicht zuletzt mit einer Berichterstattung zu tun, die manchmal die Einordnung der Fakten auch ohne deren vorherige Klärung praktiziert.“

Das muss man mal kurz sacken lassen. Es gibt im „Qualitätsjournalismus“ Fakten, die noch gar nicht geklärt sind? Sind das die inzwischen allgegenwärtigen Postfakten? Oder plaudert hier ein „Qualitätsjournalist“ sein Berufsprinzip aus: Wir schreiben nach Gefühl, und schauen dann, welche Fakten dazu passen?

Das Ende von Lübberdings Artikel hilft hier vielleicht weiter. Dort heißt es:

„Der Feind steht rechts. Das gilt erst recht, wenn die Polizei in Chemnitz ‚Hetzjagden‘ oder ‚Pogrome‘ am vergangenen Sonntag noch rechtzeitig verhindern konnte.“

„Schatz, ich habe nur die Fakten ohne vorherige Klärung eingeordnet“

Zunächst überraschend, denn Lübberdings Qualitätskollegen berichteten ja übereinstimmend, die Polizei sei hoffnungslos unterbesetzt gewesen. Aber mit solchen logischen Feinheiten sollten wir uns hier nicht aufhalten. Entscheidend ist: Die Unterscheidung zwischen „es gab Hetzjagden“ und „es hätte Hetzjagden geben können“ ist im neuen deutschen „Qualitätsjournalismus“ out. Das „Qualitätsprinzip“ der zeitnahen Einordnung von Fakten, die noch der Klärung bedürfen, ist mit solchen Spitzfindigkeiten nicht vereinbar. Man muss eben auch mal alte Zöpfe abschneiden.

Und Zeitungsenten heißen in Zukunft nicht mehr „Enten“, sondern „eingeordnete Fakten ohne vorherige Klärung“. Ein etwas sperriger Euphemismus, aber man sollte hier auch die Vorteile sehen: Wenn Sie nächstens Ihrem Partner eine Szene machen, weil Sie denken, er habe Ihnen die Hörner aufgesetzt und sich dann herausstellt, dass gar nichts war, brauchen Sie nicht mehr zu Kreuze kriechen und sagen: Es tut mir Leid, dass ich dir unterstellt habe, eine Schwein zu sein. Sie sagen dann einfach: „Schatz, ich habe nur die Fakten ohne vorherige Klärung eingeordnet.“

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Zum Autor: Axel Stöcker, Jg. 1967, hat Mathematik und Chemie studiert und ist Gymnasiallehrer. Auf seinem Blog, die-grossen-fragen.com, arbeitet er sich an den großen Fragen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie ab. Doch auch politische Verwerfungen stacheln ihn gelegentlich zu Kommentaren an.

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Titelbild: ARD-Screenshot

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