Deutscher Historikerverband verkündet seine Gleichschaltung

Ein Gastbeitrag von Martin Lichtmesz, Do. 4. Okt 2018

Der deutsche Historikerverband hat dieser Tage seine freiwilllige Gleichschaltung verkündet, was auf unerwarteten Widerspruch stieß. Die „Historiker und Historikerinnen Deutschlands“ bezogen in einer Resolution Stellung in dem laufenden Grabenkrieg, in dem jede Seite für sich beansprucht, „für die Demokratie“ zu kämpfen. Martin Lichtmesz berichtet und kommentiert.

Deutschlands Historiker beziehen Stellung

„In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern bedrohen derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung. Als Historikerinnen und Historiker halten wir es für unsere Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll.“

Und diese „bestimmten Regeln“ sind überraschenderweise so formuliert, daß sie den Feldvorteil der Seite, der sie sich andienen, zementieren und verstärken, und den Spielraum, in dem „Streit“ möglich ist, erheblich einschränken. Da wären:

1. „Für eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe“

Das ist am einfachsten zu durchschauen. Es handelt sich dabei um nichts anderes als die gute, alte „politisch korrekte“ Sprachregelung, der gerade die Zähne ausfallen. Nach dem Wunsch des Historikerverbandes soll man Politiker nicht als „Volksverräter“ und die Medien nicht als „Lügenpresse“ bezeichnen dürfen, weil das „die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit“ wieder aufnehme. Mithin ein (pseudo-)“historisches“ Argument, das völlig die Frage ignoriert, ob manche Politiker nicht tatsächlich ihr Volk verraten und manche Medien nicht tatsächlich lügen.

Gegen die Sprache des politisch-medialen Establishments, seine Herauforderer und Kritiker als „Pack“, „Verfassungsfeinde“, „Antidemokraten“, „Rassisten“, „Mob“, „Fremdenfeinde“, „Nazis“, und ähnliches abzustempeln, haben die Herren und Damen offenbar nichts einzuwenden.

2. Für parlamentarische Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus

Das ist der zentrale Punkt. Der Historikerverband begründet das so:

„Politische Willensbildung in pluralistischen Demokratien vollzieht sich in öffentlichen Debatten, in denen die Vielfalt politischer Meinungen und sozialer Interessen zum Ausdruck kommt.“

Ganz so doll vielfältig darf diese „Vielfalt“ und so „pluralistisch“ die „Streitkultur“ allerdings auch nicht sein, wie die Forderungen und dogmatischen Setzungen der Resolution selbst zeigen. Insbesondere eine Gruppe muß von dieser vermeintlichen „Vielfalt“ ausgeschlossen werden, nämlich die einzige, die wirklich etwas anderes als alle anderen zu sagen hat: Die bösen „Populisten“, also die AfD (und alle, die in ihre Nähe gerückt werden können):

„Ein einheitlicher Volkswille, den dazu Berufene erfassen können, ist dagegen eine Fiktion, die vor allem dem Zweck dient, sich im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen.“

Und das wird erneut durch die reflexartig-automatisch gezogene historische Parallele begründet:

„In der Weimarer Republik ebnete die Idee des „Volkswillens“ einer Bewegung den Weg zur Macht, deren „Führer“ sich als dessen Verkörperung verstand.“

Hier wird die in dieser Debatte seitens der Eliten übliche – und wohl absichtliche – semantische Vertauschung zwischen Demokratie und Liberalismus betrieben. Die „Idee des Volkswillens“ oder eines volonté générale nach Rousseau, eines absoluten, „heiligen“, vernünftigen Gemeinwillens des Volkes, ist vielmehr das ideelle Fundament der Demokratie, denn ohne einen (postulierten) Volkswillen kann es weder Volksherrschaft noch Volkssouveränität noch die Identität von Herrschern und Herrschenden geben.

In der Praxis wird über die Stimmenmehrheit „erfaßt“,  was der überwiegende Teil des besagten Volkes will und wer diesen Willen repräsentieren und umsetzen soll. Volkswille ist einfach, was die Mehrheit empirisch will, und das ist nicht das, was Rousseau gemeint hat. Tatsächlich ist in der liberalen Demokratie vom volonté générale nur mehr der volonté de tous übriggeblieben, die Summe der Einzelinteressen, die es auszubalancieren gilt.

Damit verliert die Frage nach der Identität, nach dem „Wir“ des Staatsvolkes zunehmend an Bedeutung, auch auf der repräsentativen Ebene. Das bedeutet jedoch nicht, daß reale, gewachsene oder importierte „Wirs“, also Gruppenidentitäten und -interessen über Nacht verschwinden. Das „Wir“ und die Frage nach der Homogenität und Einheit des größeren Ganzen, das mehr ist, als die Summe seiner Teile, kommen über die Hintertür wieder hinein.

Der „einheitliche Volkswille“ (der ein in wesentlich-gemeinschaftlichen Dingen homogenes Volk voraussetzt) mag in der Tat immer schon eine „Fiktion“ gewesen sein, aber er ist nicht weniger ein Mythos als die liberale Grundidee eines „Government by discussion“ (wohl eine noch größere Fiktion und Illusion als der „Volkswille“). Wenn unsere Eliten heute von „Demokratie“ reden, meinen sie in erster Linie letzteres, weshalb sie auch die „direkte Demokratie“ geradezu verteufeln.

Daß es innerhalb eines konkreten Volkes immer einen gewissen „Pluralismus“ der (Klassen-)Interessen oder Weltanschauungen gibt, sollte nicht über das Problem hinwegtäuschen, daß „das Funktionieren der Demokratie“ stets ein ausreichendes Maß an Homogenität voraussetzt, „möglicherweise viel stärker, als gemeinhin eingestanden wird“ (so niemand anderer als unser Freund Yascha Mounk in seinem neuen, als Gegner-Literatur lesenwerten Buch „Der Zerfall der Demokratie“). 

Deutschland ist an einem Punkt angelangt, an dem dieser Pluralismus einerseits überspannt wurde – der Staat wird zum „Beutewert“ der Parteien und Einzelinteressen, die relative ethnokulturelle Homogenität oder Einheit (und Einigkeit) des Volkes wird durch Masseneinwanderung und Multikulturalismus aufgelöst, was die Hauptursache der „Spaltung“ und „Polarisierung“ ist -, während er auf anderen Ebenen stark reduziert wurde, was man etwa daran sehen kann, daß fast nur mehr in „Filterblasen“ diskutiert wird und es praktisch nur noch eine einzige Oppositionspartei gibt, die AfD.

Ähnlich spalten sich heute die Medien in establishmenttreue „Mainstream“-Organe (öffentlich-rechtliche Sender, Die Zeit, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Spiegel…) und kleinere „alternative“ Organe und Blogs (Junge Freiheit, Sezession, Acta Diurna, eigentümlich frei, Cato, Tichys Einblick, Achse des Guten, Vera Lengsfeld, David Berger, Jürgen Fritz, Dushan Wegner…).

Gegen diese grundsätzliche Skizze spricht nicht, daß es immer wieder etliche Überschneidungen und Grenzfälle gibt und die Trennlinien unscharf sind. Innerhalb des Systems der etablierten Parteien gibt es einzelne Teil-Oppositionelle wie Sahra Wagenknecht, Boris Palmer, Heinz Buschkowsky oder Thilo Sarrazin; innerhalb der Mainstreampresse gibt es gelegentliche Abweichungen, „Alibi“-Konservative (Jan Fleischhauer, „Don Alphonso“, Birgit Kelle), die allerdings eine Art „Torhüter“-Funktion haben, sowie einige mal nach links, mal nach rechts schwenkende Opportunisten (Ulf Poschardt).

Die Grundaussage der Resolution läßt sich jedenfalls trefflich spiegeln:

Eine alleinseligmachende Auffassung von Demokratie, die nur ausreichend Aufgeklärte repräsentieren und verwalten können (mitunter ohne gewählt worden zu sein), ist eine Fiktion, die vor allem dem Zweck dient, sich im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen.

Die Eliten sagen stets: „Wir – und nur wir – sind die Demokratie“, woraus folgt, daß jeder, der sie kritisiert, zur Rede stellen oder abwählen will, zum „Demokratiefeind“ erklärt werden kann. Das ist eine reichlich paradoxe Situation, die darauf beruht, daß die Gralshüter der liberalen Demokratie (also eigentlich: des Liberalismus) dem „Volkswillen“ nicht über den Weg trauen (vide 1933), an ihre erzieherische Aufgabe glauben und an einem „demokratischen“ Alleinvertretungsanspruch festhalten. Nicht umsonst heißt das erwähnte neue Buch Mounks im englischen Original: „The People vs. Democracy“, also: „Das Volk gegen die Demokratie“.

Nun ist es Tatsache, daß im Westen jene, die „Wir sind das Volk“ sagen, in den vom „Populismus“ heimgesuchten Ländern in der Minderheit sind. Eine Minderheit, deren Zahl allerdings ausreicht, um das bisherige Machtgefüge empfindlich zu erschüttern und zu verunsichern – so in Großbritannien, wo der Brexit eine knappe Mehrheit gewann, in den USA, in Italien, in Deutschland, auch in Österreich, wo gerade eine Art Schadensbegrenzungs-, Appeasements- und Placebopolitik betrieben wird. Kernfrage ist in der Regel das Migrationsproblem und der Widerstand gegen die (maßlose) Multikulturalisierung.

Diejenigen, die rufen „Wir sind das Volk“ sind natürlich nicht blöd, und wissen nur zu gut, daß sie nicht das ganze Volk sind. Was sie in der Regel damit meinen, ist:

  1. Wir sind auch das Volk, wir sind laut Verfassung der Souverän, wir verdienen deshalb auch Gehör und Repräsentation“ – und nicht Diffamierung, Verächtlichmachung, Ausgrenzung, Bevormundung, Entmachtung, Enteignung durch Medien und herrschende Eliten.
  2. Wir wollen wieder, wie 1989, ein Volk sein und keine Bevölkerung. Wir wollen wieder die Frage stellen, wer wir sind, wer in unserem Land leben soll, wer dazu gehören soll und wer nicht.“ Anders, als die Historiker und Historikerinnen wähnen, machen sie sich keineswegs „unangreifbar“, wenn sie im Namen des Volkes sprechen oder auch nur das böse Wort in den Mund nehmen, sondern werden als „völkisch“ beschimpft und vom Staat zu Feinden erklärt. „Volksfeinde“ stehen gegen „Verfassungsfeinde“.

Man könnte vielleicht – frei nach Rousseau – sagen, daß der volonté générale oder auch Volkswille für den notwendigen Konsens einer Demokratie steht, was das von allen akzeptierte und als vernünftig erkannte Gemeinwohl betrifft (ich nannte es an anderer Stelle das Schiff, das alle beherbergt und über das Meer trägt).

Wenn die Vorstellung, wie dieses Gemeinwohl beschaffen sein soll (ist es bereichernd, die Passagierzahl zu erhöhen, das Schiff zu versenken, seine Existenz zu dekonstruieren, oder eine Willkommenskultur gegenüber dem Wasser zu pflegen?) allzu stark auseinanderdriftet, stehen Zerfall und Spaltung des politischen Körpers bevor. Genau dies passiert gerade in den westlichen Demokratien.

Denn es gibt etliche deutsche Staatsbürger, die aus verschiedenen Gründen (z.B. ideologische Überzeugungen, Unwissenheit, ethnische Interessen, Gleichgültigkeit durch mangelnde Identifikation, Entfremdung gegenüber der eigenen Herkunft, „Nationalmasochismus“…) lieber eine „Bevölkerung“ oder eine Art „multikulturelles Volk“ sein wollen (welches Märchen auch immer sie sich darunter vorstellen). Auch sie stellen die Frage, wer dazu gehören soll und wer nicht. Auch sie sagen ihren Gegnern: „Geh doch, wenn es dir nicht paßt.“ Und auch sie würden lieber ohne „Dunkeldeutsche“, Ostdeutsche, Sachsen, „Nazis“, „Rechtspopulisten“, „Weißdeutsche“ usw. leben.

Die Aussage, daß „Populisten“ sich als „Berufene“ sehen, die einen „einheitlichen Volkswillen erfassen können“, ist also Quatsch, eine „einfache Antwort auf komplexe Fragen“. Alice Weidel, Alexander Gauland, Jörg Meuthen, Björn Höcke vertreten die Interessen eines Volksteiles, der nur allzu gut weiß, daß es keine Einheit und Einigkeit des Volkes mehr gibt, was schon beim Volksbegriff selbst beginnt. Auch der nächste Punkt im Katalog war zu erwarten:

3. „Für ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge“

Zwar stehe „die Legitimität unterschiedlicher nationaler Interessen außer Frage“,  jedoch „gefährden nationalistische Alleingänge“ die „historische Leistung“ der „europäischen Einigung“Ausschließlich „nationale Problemlösungsstrategien können den politischen, humanitären, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen einer globalisierten Gegenwart nicht angemessen begegnen.“

Tja, und hier herrscht eben kein Konsens mehr, worin diese Probleme eigentlich bestehen und wie man sie löst. Wenn Brüssel und die UNO Europa mit Einwanderern aus Nord- und Schwarzafrika und dem Nahen Osten überschwemmen wollen und die Völker Europas diese Entscheidungen weder beeinflußen können noch ausreichend über ihre Folgen informiert werden, dann stehen die angeblich so legitimen „nationalen Interessen“ tatsächlich auf dem Spiel.

Das „historische Argument“, das diese Historiker ins Feld führen, ist ein weiterer (definitiv linksdrehender) Schuldtrip, der ein breiteres Feld als den Nationalsozialismus umfaßt (es soll ja ganz Europa erpreßt werden):

„Nicht zuletzt im Lichte der kolonialen Gewalt, die Europäer in anderen Teilen der Welt ausgeübt haben, gilt es, der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden.“

4. „Für Humanität und Recht, gegen die Diskriminierung von Migranten“

Hier soll dem Dogma, daß Masseneinwanderung auf Bevölkerungsaustauschebene „bereichere“ und historisch gesehen „normal“ sei, „wissenschaftliche“ Glaubwürdigkeit erteilt werden:

„Migration ist eine historische Konstante. Ungeachtet aller mit ihr verbundenen Probleme hat sie die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert – auch die deutsche.“

Die Herren Historiker haben also fleißig geforscht, und sind zu dem Schluß gekommen, daß Migration schlechthin „Gesellschaften“ (von Nationen, Staaten oder Völkern reden wir lieber nicht) „insgesamt“ (ein paar Kollateralschäden gibt es immer) „bereichert“ (ein Groschen ins Phrasenschweinchen; worin genau besteht diese „Bereicherung“? „Bereicherung“, für wen, wie, warum?).

Übrigens kamen die Menschheitswohltäter der UNO, die den ab Dezember gültigen  „Global Compact for Migration“ ersonnen haben, zum selben Ergebnis. Nach langem, langem Nachdenken und ergebnisoffenen, akribischen wissenschaftlichen Untersuchungen haben sie zweifelsfrei erkannt, daß Migration für uns alle gut und unvermeidlich ist:

„Der Globale Pakt ist das Produkt einer beispiellosen Sichtung von Fakten und Daten im Zuge eines offenen, transparenten und inklusiven Prozesses. Wir teilten unsere Realitäten und hörten verschiedene Stimmen, die unser allgemeines Verständnis dieses komplexen Phänomens bereicherten und formten. Wir haben gelernt, daß Migration ein entscheidendes Kennzeichen unserer globalisierten Welt ist, das überregional Gesellschaften mit- und untereinander verbindet, wodurch wir alle zu Herkunfts-, Durchgangs- und Zielländern werden.“ (Quelle)

Alsdann folgen ein paar wohlklingende Leerformeln:

„Deshalb ist auf eine aktive, von Pragmatismus getragene Migrations- und Integrationspolitik hinzuarbeiten, die sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht respektiert.“

Was ist „Pragmatismus“ in diesem Kontext? Wahrscheinlich, wie üblich, das, was ein Kolumnist des Economist (der sich ausgerechnet „Charlemagne“ nennt) neulich anmahnte: Widerstand ist zwecklos.

„Die beiden Optionen, Festung Europa vs. Eurafrika, könnten sich eines Tages als die Wahl zwischen Verleugnung und Wirklichkeit herausstellen. Europa kann sich nicht von den dramatischen, langfristigen Verschiebungen seines kontinentalen Nachbarn abkapseln. Ob es einem gefällt oder nicht, Eurafrika ist Europas demographisches und kulturelles Schicksal. Statt es zu ignorieren oder abzulehnen, ist es gewiß besser, daran zu arbeiten, es zu einem Erfolg zu machen.“

Was ist Respekt vor dem Völkerrecht in diesem Kontext? Daß man Völker durch gesteuerte und zugelassene Massenmigration auslöscht, wie etwa Tibet?

Diese Maßnahmen auf dem Gebiet der Kultur, Religion und Erziehung, verbunden mit dem ungebremsten Zustrom chinesischer Einwanderer nach Tibet, haben den Effekt, Tibets kulturelle und religiöse Identität zu erdrücken und die Tibeter zu einer bedeutungslosen Minderheit in ihrem eigenen Land zu machen. Sie summieren sich zu einer Politik des kulturellen Genozids. In den meisten Städten und Großstädten sind die Tibeter bereits marginalisiert. Wenn dieser Bevölkerungsaustausch anhält, dann wird die tibetische Zivilisation in wenigen Jahrzehnten aufhören, zu existieren. (Dalai Lama, 10. 3. 1997)

Es gälte nun, so der Historikerverband,

„das durch die Verfassung garantierte Recht auf politisches Asyl sowie die Pflicht zur Hilfeleistung in humanitären Krisensituationen anzuwenden.“

Warum eigentlich kann das veraltete Asylrecht nicht aufgrund veränderter Sachlagen und legitimer nationaler Interessen geändert werden? Warum muß man sich bis in alle Ewigkeit sklavisch daran halten? Wurde das Grundgesetz von 1949 auf dem Berg Sinai vom Himmel herabgereicht? Wie wird die „Pflicht“ einer Nation begründet, „in humanitären Krisensituationen“ zu helfen, auch wenn sie am anderen Ende des Erdballs stattfinden? Ist diese „Pflicht“ gleichbedeutend mit dem Import von Millionen Flüchtlingen über zig Drittländer?

Na, so natürlich: Diese Hilfeleistung müsse angewendet werden,

wie es Deutschland nicht nur aufgrund seiner ökonomischen Potenz, sondern auch aus historischen Gründen zukommt.“

Mit anderen Worten, weil Deutschland erstens die nötige Kohle hat und zweitens, weil es sich vor 70 Jahren unermeßlicher Verbrechen schuldig gemacht hat, weshalb es heute in der Tat Millionen von Flüchtlingen, die über zig Drittländer anreisen, aufnehmen muß. Das haben die Herren Historiker wissenschaftlich einwandfrei herausgefunden, wie es ihre von jeglicher Politik strikt getrennte Aufgabe ist.

Was uns zum letzten Punkt führt – ein amüsantes Beispiel für das Lichtmesz-Sommerfeld-Gesetz:

5. „Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte“

Jetzt darf man wirklich schallend lachen. Aber es kommt noch besser:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist heute eine stabile Demokratie. Dazu beigetragen hat auch, dass die Deutschen nach anfangs erheblichen Widerständen inzwischen mehrheitlich selbstkritisch und reflektiert mit der Geschichte des Nationalsozialismus umgehen. Diesem Prozess hat sich auch unser eigenes Fach erst spät geöffnet.“

Welcher Zeitpunkt mit „spät“ gemeint ist, ist nicht ganz klar, aber wer nicht ein allzu kurzes historisches Gedächtnis hat, sollte wissen, daß die Historiographie (wie auch die Politologie) in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten, seit ihrer Gründung unter dogmatisch-ideologischen Vorzeichen und politischem Druck steht. Die bundesdeutsche Geschichtsschreibung hat sei eh und je eine bestimmte Deutung des Nationalsozialismus in das Zentrum ihres nationalen Selbstverständnisses gestellt, und damit allerlei politische Forderungen begründet, wofür unsere engagierten Historiker und Historikerinnen ein beredtes und typisches Beispiel sind.

Patrick Bahnersder diese Resolution kritisiert hat, obwohl er alles andere als ein Freund der Populisten ist und die politischen Überzeugungen des Historikerverbands im wesentlichen teilen dürfte, machte auf eine interessante Begebenheit im wilhelminischen Kaiserreich aufmerksam:

„‚Inwieweit hat der Geschichtsunterricht zu dienen als Vorbereitung zur Teilnahme an den Aufgaben, welche das öffentliche Leben der Gegenwart an jeden Gebildeten stellt?‘ Mit dieser Frage befasste sich die erste ‚Versammlung deutscher Historiker‘ 1893 in München.  [Mit dem Referatzu dieser Frage [war] ein Gymnasialdirektor beauftragt worden, der in Übereinstimmung mit Kaiser Wilhelm II. die These vertrat, dass der Geschichtsunterricht ‚das Staatsbewusstsein als die allbeherrschende verantwortungsvolle Pflicht gegen den Staat zu lehren‘ habe. Diese Auffassung fand keine Mehrheit. Die Versammlung verabschiedete einen Antrag, wonach der Unterricht nicht ‚in systematischer oder auf eine bestimmte Gesinnung hinzielender Weise‘ auf die Teilnahme am öffentlichen Leben vorbereiten könne und solle; er habe ‚vielmehr lediglich diejenigen geschichtlichen Kenntnisse zu übermitteln‘, die zur späteren Teilnahme befähigten.

Auf Initiative von Ludwig Quidde stimmte die Versammlung gesondert über einen Satz des Antrags ab, der als Zeichen des guten Willens gegenüber der Staatsmacht gedacht war. Die Formulierung, dass das Schulfach Geschichte ‚insbesondere auch die Liebe zum Vaterland und ein strenges Pflichtbewusstsein gegen den Staat erwecken‘ solle, wurde mit 38 gegen 29 Stimmen abgelehnt.“

Dies ehrt die Historiker des Kaiserreiches, in dem Patriotismus, Nationalstolz und Vaterlandsliebe bekanntlich einen hohen Stellenwert hatten, was auch unerfreuliche Blüten wie den berühmten „Untertanen“ Heinrich Manns hervorbrachte. Jedenfalls wurde deutsche Geschichte damals noch nicht unter miserabilistischen, prosekutorischen oder fremdperspektivischen Gesichtspunkten geschrieben, wie es bis heute üblich ist (Hans-Dietrich Sander hätte dies als „Tribunalstruktur“ bzeichnet). 

Freilich wäre es naiv zu glauben, daß es eine Geschichtsschreibung gänzlich ohne politische Voreingenommenheit oder Absicht geben könne. Sie ist eben eine hermeneutische, erzählende und deutende, keine exakte Wissenschaft und untersteht nicht umsonst einer Muse, Klio, die „Rühmerin“ (die heute nicht selten durch Thersites ersetzt wird).

Mit der Geschichte will immer jemand irgendetwas, und gerade in der Bundesrepublik wurden die „Lehren aus der Geschichte“ (also aus dem Dritten Reich und unheilvollen Linie, die von Arminius zu Hitler führte) zum Dogma erhoben, aus dem man allerlei politische und moralische Imperative abzuleiten glaubte (ein wenig anders war es in DDR, wo vor allem ein marxistischer Geschichtsdeterminismus die Geschichtsschreibung überschattete und einengte).

Sie wurde auch immer gerne als eine Art Bürgerkriegsinstrument benutzt, und betrachtete die Deutschen und ihre Geschichte in der Regel aus der Perspektive der Sieger beider Weltkriege. Geschichte stand auch in der Bundesrepublik, nicht anders als in den Epochen davor, im Zeichen der nationalen Sinnstiftung, im Dienste der von den amerikanischen Befreiern gestifteten „Demokratie“, des Antifaschismus oder der Westbindung. Aus keinem anderen Grund löste Jürgen Habermas den berühmten „Historikerstreit“ aus.

Abweichler und Ketzer der bundesdeutschen (und nicht zu vergessen, gesamtwestlichen) Geschichtstheologie gerieten und geraten rasch unter Beschuß: man denke an Hellmut Diwald, Ernst Nolte, Werner Maser, Joachim Hoffmann, Karlheinz Weißmann, Walter Post, Heinz Magenheimer, Werner Maser oder Stefan Scheil, um nur ein paar Namen zu nennen. Wie irrational vermint und tabubeladen dieses Gelände noch heute ist, kann man unter anderem studieren, wenn man sich die von Wachhunden eisern belagerten, zum Teil haarsträubend dummen und parteiischen Wikipedia-Artikel über die genannten Autoren ansieht (nur ein Beispiel: die „Präventivkriegsthese“ ist mitnichten „wissenschaftlich widerlegt“).

Hans-Joachim Arndt schrieb 1978 in seinem Buch „Die Besiegten von 1945“:

»Deutschland« – was immer das jetzt sein mag – wird heute, 1977, nach wie vor vom 8. Mai 1945 zentral bestimmt, vom Tag der bedingungslosen Kapitulation, der totalen Niederlage nach einem totalen Krieg. Dies Kern-Ereignis bestimmt darüber hinaus auch die heutige Lage, mindestens in Mitteleuropa, dafür haben die anderen Völker und deren Staatsmänner offenbar ein sichereres Gespür als die Deutschen und manche ihrer Staatsmänner.“

Das gilt heute immer noch, und wirkt subkutan weiter, auch wenn viele es bewußt schon vergessen haben. Darum nannte Thorsten Hinz seine grandiose Studie über die deutsche Mentalität Die Psychologie der Niederlage, und ich selbst habe mit Michael Ley im Frühjahr mit Blick auf diese Störung den Sammelband Nationalmasochismus  herausgegeben.

Die Lachnummer geht noch weiter, ich entschuldige mich bei allen, die nun aufgrund induzierter kognitiver Dissonanz Hirnkrebs bekommen:

„In jedem Fall setzt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit die Befunde einer auch zur Selbstkritik bereiten Geschichtswissenschaft voraus, die von politischer Einflussnahme prinzipiell unabhängig ist. Ihre Erkenntnisse beruhen auf quellenbasierter Forschung und stellen sich der kritischen Diskussion. Nur so ist es möglich, die historischen Bedingungen unserer Demokratie auch zukünftig im Bewusstsein zu halten und gegen ‚alternative Fakten‘ zu verteidigen.“

Für sich genommen, sind diese frommen Absichtserklärungen völlig in Ordnung, ja sollten für einen sauber arbeitenden Historiker selbstverständlich sein. Im Kontext der Resolution sind sie geradezu grotesk. Dies einen „performativen Widerspruch zu nennen“, wäre noch untertrieben.

Nachdem sich der Historikerverband deutlich auf eine politische Seite gestellt hat, und mit deren billigsten Schlagworten hantiert, beteuert er „von politischer Einflussnahme prinzipiell unabhängig“ sein zu wollen. Nachdem er vor dem „Mißbrauch der Geschichte“ gewarnt hat, benutzt er den Nationalsozialismus und den europäischen Kolonialismus zur moralischen Erpressung, um eine globalistische Agenda alternativlos erscheinen zu lassen. Er spricht von einer zur „Selbstkritik bereiten Geschichtswissenschaft“ und tritt als betriebsblinder Schiedsrichter auf.

Und wollen uns die Autoren der Resolution weismachen, ihre zentrale Aussage, Migration (Wann? Wo? In welchem Ausmaß?) sei eine „historische Konstante“ und habe „Gesellschaften“ (immer und überall?) „bereichert“ (inwiefern und warum?), sei das Ergebnis strengster „quellenbasierter Forschung“ und bedürfe keiner „kritischen Diskussion“ mehr? Ebenso ihre permanente, alarmistische Insinuation, daß sich in Deutschland gerade die Weimarer Geschichte zu wiederholen drohe?

Es ist ein Zeichen des zerfallenden Konsens, daß dieser Exzeß an „virtue signalling“  und zur Schau gestellter Gesinnungstreue (bei gleichzeitiger Betonung, daß man doch nur ganz streng wissenschaftlich argumentiere und politisch unabhängig sei) wenig Beifall fand. „Brav wuff machen“, spottete die Achse des Guten. Kritik gab es, wie gesagt, auch von Patrick Bahners. Auch er hat den offensichtlichen Widerspruch zwischen den Absichtserklärungen und dem Auftreten des Historikerverbandes bemerkt:

„Im Historikermilieu scheint die Hegemonie des sogenannten linksliberalen Common Sense ungebrochen. Warum begnügen sich die tonangebenden Leute im Fach nicht damit, die soziale Macht, die ein solcher Konsens bedeutet, in den Formen wissenschaftlicher Kommunikation auszuspielen, durch Tagungen, Bücher, Zeitungsartikel und vielleicht auch Unterschriftslisten? Warum muss ein Fachverband Parteitag spielen mit Kompromissformelsuche in der Flüchtlingspolitik? Als hätten die Historiker den Grundgedanken Reinhart Kosellecks vergessen, dass politische Begriffe zwangsläufig umstritten sind, will ihr Beschluss zu viel unstreitig stellen, was streitig ist, de facto und aus guten Gründen. Im Vertrauen auf die Textsorte ‚Resolution‘ zeigt sich eine paternalistische Einstellung gegenüber der Öffentlichkeit. Als Kollektiv der Aufgeklärten bringen die Historiker ein Expertenwissen in Anschlag, dessen ideologischer Charakter derzeit kurioserweise ein Lieblingsthema der zeithistorischen Forschung ist.“

Aus ähnlichen Gründen lehnt auch Michael Wolffsohn die Resolution ab – als „in Israel geborener deutscher Jude jeder Sympathie für die rechtsextremen Teile der AfD unverdächtig“ – so der typisch bundesdeutsche Hofhistoriker Sven Felix Kellerhof, der einiges an Wolffsohns Kritik auszusetzen hatte, die in diesem Artikel auszugsweise wiedergegeben wird (eine Originalquelle zu Wolffsohns Äußerungen konnte ich nicht finden.) Kellerhof:

„Richtig liegt er grundsätzlich mit der Feststellung, dass ‚der Historikerverband kein allgemeinpolitisches Mandat‘ hat. Allerdings sind alle Mitglieder zugleich Bürger, und als solche dürfen sie selbstverständlich verabschieden, was immer sie wollen.

Zweitens mische sich der Verband ‚unter dem Vorwand der AfD-Kritik in die Parteipolitik ein‘. Das mag man so sehen, jedoch gilt ebenfalls der Grundsatz, dass die Meinungs- (und damit: Resolutions-) Freiheit auch für jede Gruppe von Menschen gilt.“

Diese Einwände sind seltsam, denn in ihrer Funktion als Vertreter des Historikerverbands sind die Unterzeichner mitnichten bloß individuelle Bürger, die unverbindlich ihre Meinung kundtun, sondern Vertreter einer Institution, Mitglieder einer sinnstiftenden Quasi-Priesterkaste des Landes, Menschen, die mit einem politischen und wissenschaftlichen Geltunganspruch auftreten und die Konsensbildung kontrollieren möchten. Sie sind Träger einer „sozialen Macht“ (Bahners), die sie begreiflicherweise nicht verlieren wollen.

Beim dritten Kritikpunkt Kellerhofs stellt sich wieder kognitiver Hirnkrebs ein:

„Weit übers Ziel hinaus schießt Wolffsohn freilich mit der Unterstellung, der Historikerverband maße sich ‚die Verkörperung der Volontée Générale an‘ – zumal er hinzufügt: ‚Dieses Verständnis von ,Aufklärung’ hat, historisch betrachtet, zum Mord an Millionen Menschen geführt.‘ Kein Zweifel: Rousseau lag falsch mit seiner Theorie vom ‚allgemeingültigen Willen‘. Aber von hier aus eine direkte Linie zum Holocaust zu ziehen, ist ahistorisch.“

Ich habe das Original nicht vor mir, aber so, wie es hier steht, scheint Wolffsohn (wie ich) den Spieß umgedreht und den Historikern und Historikerinnen ihrerseits vorgeworfen zu haben, den „Volkswillen“ verkörpern zu wollen, um sich „im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen“. Und er zieht dieselbe Schlußfolgerung wie die Verfasser der Resolution, daß diese Anmaßung den Vektor Richtung Hitler weist, der offenbar auch für Wolffsohn eine Art Zentralgestirn ist.

Nun: Wenn Rousseau mit seiner Theorie vom „allgemeingültigen Willen“ (und der „Volkswille“ ist letztlich nichts anderes) falsch lag, was bleibt der oder dieser Demokratie dann noch für eine Legitimation? Vom Mythos oder der Mystik des „volonté générale“ zehren auch die Kombattanten, die vorgeben, „die Demokratie“ gegen den „Populismus“ zu verteidigen. Zumindest für Deutschland ist die Antwort klar: Die Legitimation dieser „Demokratie“ ist nicht der Volkswille oder die Volkssouveränität, sondern daß sie nicht das Dritte Reich, daß sie in (vermeintlich) allem sein (vermeintliches) Gegenteil ist.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Sezession. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Zum Autor: Martin Lichtmesz wurde 1976 in Wien geboren. Nach Jahren in Berlin lebt er inzwischen wieder in seiner Heimat und arbeitet als freier Publizist. Er ist Journalist, Buchautor und Übersetzer, schreibt unter anderem für die Zeitschriften  Sezession, eigentümlich frei, Neue Ordnung, Junge Freiheit, Zwielicht-Magazin und das Netzmagazin unzensuriert.at. BuchpublikationenBesetztes Gelände. Deutschland im Film nach 1945 (2010), Die Verteidigung des Eigenen. Fünf Traktate (2011), Kann nur ein Gott uns retten?  glauben, hoffen, standhalten(2014), Ich bin nicht Charlie: Meinungsfreiheit nach dem Terror, (2015), Die Hierarchie der Opfer (2017), zusammen mit Caroline Sommerfeld: Mit Linken leben (2017), Rassismus – Ein amerikanischer Alptraum (2018).

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Titelbild: YouTube-Screenshot

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