Deutschland im Herbst 2019: zwischen rechts und links zermürbt, nicht zerbrochen

Von Herwig Schafberg, Mi. 06. Nov 2019, Titelbild: Pixabay, CC0 Public Domain

Ich habe dieser Tage Abschied von einem Freund genommen. Nein, gestorben ist er nicht. Er geht aber gewissermaßen ins Exil. Zu den Gründen, aus denen er Berlin verlässt, gehört, dass er nicht mehr in einer Umgebung leben mag, in der er beim Verlassen des Hauses besorgt sein muss, draußen überfallen zu werden, nachdem im Netz Mordaufrufe mit Bildern von seinem hiesigen Wohnhaus aufgetaucht sind. Und dass er lieber an einem Ort wohnen möchte, an dem hoffentlich nicht immer wieder Menschen ungebeten an seiner Tür klingeln. Herwig Schafberg mit persönlichen Worten und einem Appell: Wir dürfen die Debatten nicht den Intoleranten von rechts bis links überlassen!

Zuerst als Kirchenkritiker gefeiert, dann als Islamkritiker geächtet

Bisher wollte keiner dieser ungebetenen Gästen ihn ermorden, sondern lediglich mit ihm streiten. Teilweise sind es Menschen aus einem Milieu, das ihn vor Jahren feierte, nachdem er sich als homosexuell geoutet, daraufhin seine Lehrbefugnis in der Katholischen Kirche verloren und sich in einem seiner Bücher kritisch mit der Heuchelei der Kirche auseinandergesetzt hatte (David Berger: Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche).

Doch mit dem Feiern war es vorbei, als er sich nicht mit Kritik an seiner Kirche begnügen mochte, sondern auch den Islam ins Visier nahm und damit eine Grenze überschritt, an der für „rechtgläubige“ Muslime, aber auch für religionskritische Linke das beginnt, was für sie – getreu den Worten des Ajatollah Chomeini – Islamophobie ist.

Meine Religionskritik richtet sich gegen alle abrahamitischen Religionen

Für solche Einfaltspinsel bin ich vermutlich ebenfalls islamophob, obwohl meine Religionskritik – in alter liberaler Tradition – sich nicht bloß gegen den Islam richtet, sondern gegen sämtliche abrahamitischen Religionen; denn ich halte sie alle drei tendenziell 1. für totalitär mit ihrem jeweiligen Anspruch auf Besitz der absoluten Wahrheit, 2. für sexistisch im allgemeinen und homophob im besonderen, 3. für (kultur-) rassistisch mit ihren Unterscheidungen zwischen Jude und Goj, Christ und Heide, „rechtgläubigem“ Moslem und Ungläubigem.

In Hinsicht auf die Beurteilung der Religionen habe ich zweifellos genauso Diskrepanzen mit David Berger wie in der Einschätzung der „Achtundsechziger“-Bewegung, deren Errungenschaften er großenteils ablehnt, während ich sie in großen Zügen bewahrt wissen möchte und mich mit Ablehnenden gleich welcher Herkunft, Religion oder Weltanschauung kritisch, aber nicht feindlich anlege. Unsere Diskrepanzen haben David Berger allerdings fast nie daran gehindert, auf seinem Blog Philosophia perennis auch Beiträge von mir zu veröffentlichen, mit deren Inhalten er nicht übereinstimmte; denn er weiß Andersdenkende zu respektieren und hat über ideologische Gräben hinweg stets den Mitmenschen im Blick.

Von Linken Prügel angedroht, Morddrohungen von rechts

Ich mag mich zwar ebenso wenig wie er für die gleichgeschlechtliche Ehe erwärmen, aber aus anderen Motiven als er, für den die Ehe wohl ein Sakrament ist, das ausschließlich für Mann und Frau in Frage kommt. Das war wohl auch der Grund, aus dem er von Gegnern im homosexuellen Milieu von Berlin zum „Mister Homophobia“ gewählt und demgemäß denunziert wurde.

Er ist nun mal ein gläubiger Katholik und verleugnet es auch dann nicht, wenn er sich mit seiner Kirche sowie etlichen seiner „Brüder in Christo“ kritisch auseinandersetzt. Und zu seinen Verdiensten gehört, dass er entscheidend dazu beitrug, das katholische kreuz.net als rechtsradikal zu entlarven.

Schon das führte dazu, dass er von extrem rechter Seite Morddrohungen erhielt und zeitweilig unter Polizeischutz stand, während er von Linken damals noch bejubelt wurde. Mit dem Jubel war es zwar aus den oben genannten Gründen bald vorbei; doch von links drohte man ihm lediglich Prügel an. Und das ist leichter zu ertragen als die Morddrohungen, die er neuerdings wieder erhält, seitdem er auf seinem Blog Front gegen den Flügel der AfD sowie gegen Identitäre und deren Zusammengehen mit Islamofaschisten bei der Bekämpfung des Judentums macht.

Wir dürfen die Debatten nicht den Intoleranten von rechts bis links überlassen

In jenen Kreisen hält man ihn seitdem anscheinend für einen Verräter, obwohl er nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er nicht rechtsradikal, sondern allenfalls rechtsliberal ist. Und seitdem er in einem Streitgespräch mit einer Rechtsextremistin gesagt hat, dass er als Christ auch in der jüdischen Tradition und insofern dem Judentum nahe stehe, wird er dort als „Jude“ geschmäht und sogar verdächtigt, ein Agent des Zionismus zu sein.

Nicht nur, aber auch deswegen werde ich weiter solidarisch an seiner Seite stehen, trotz mancher Diskrepanzen zwischen meinen Positionen und denen, die dort teilweise vertreten werden, werde weiter Beiträge auf seinem Blog veröffentlichen und Debatten nicht den Intoleranten von rechts bis links überlassen.

Dazu könnte ich noch eine Menge sagen, verzichte aber an dieser Stelle darauf und übergebe das Wort Matthias Iken, der im folgenden Essay schon alles gesagt hat, was ich dazu sagen könnte: Wer Intoleranten die Debatte überlässt, verliert alles.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Philosophia perennis. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Blogbetreibers und des Autors.

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Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.

Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern

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