Boris Palmer: Wir brauchen eine nächtliche Ausgangssperre

Von Jürgen Fritz, Mi. 22. Jul 2020, Titelbild: RTF.1-Screenshot

Boris Palmer mag nicht immer mit allem richtig liegen, was er sagt und schreibt, wer tut das schon?, aber er gehört auf jeden Fall zu den Politikern, die oftmals unideologisch, ja rational und mit ungewöhnlicher Ehrlichkeit an die Dinge herangehen. So schreibt er aktuell: „Die Probleme nach Corona verlaufen nicht entlang der üblichen Kampflinien. Es wäre daher Zeit, dass zumindest die Vernünftigen sie verlassen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ich neige übrigens zu der Auffassung, dass wir eine nächtliche Ausgangssperre brauchen. Wenn die Clubs zu sind, verkraften die Städte die Dauerparty auf Plätzen und Grünflächen nicht.“ JFB dokumentiert hier seinen gesamten Text.

Die weltweite Corona-Lage

Weltweit wurden inzwischen über 15,2 Millionen Menschen registriert, die sich mit SARS-CoV-2 angesteckt haben. Zwar sind fast 9,2 Millionen von diesen bereits genesen, aber auch über 620.000 gestorben und ca. 5,4 Millionen sind noch aktive Fälle. Dabei zeigt die Kurve der täglichen Neuinfektionen, nachdem sie im April zumindest nicht weiter anstieg, seit Mai wieder eine klare Aufwärtsbewegung. Das heißt, jede Woche infizieren sich mehr Menschen mit dem neuartigen Coronavirus als die Woche zuvor. Die letzten acht Tage waren es jeden Tag mehr als 200.000 neue Fälle:

Es könnte sein, dass sich in vielen Ländern derzeit eher junge Menschen infizieren, bei denen das Risiko eines schweren Verlaufs und das Todesfallrisiko sehr viel geringer ist als bei älteren Menschen, aber auch die täglichen Todesfallzahlen, die seit Mitte April von ca. 7.000 pro Tag im Sieben-Tages-Mittel bis Ende Mai auf ca. 4.100 bis 4.200 pro tag gefallen waren, sind seither langsam aber stetig angestiegen auf über 5.000, inzwischen sogar fast 5.200 pro Tag:

weltweite tägliche Todesfälle

Viele Länder hat es X-mal so schlimm erwischt wie Deutschland

Kurzum SARS-CoV-2 ist weltweit weiterhin hoch aktiv, was die Zahl der detektierten Neuinfektionen anbelangt aktiver als je zuvor. Besonders betroffen sind derzeit die Länder: USA, Brasilien, Indien, Mexiko, Iran, Kolumbien und Südafrika. Innerhalb der USA sind im Moment vor allem die Bundesstaaten Kalifornien, Florida, Texas und Arizona betroffen.

Deutschland ist bislang mit nicht einmal 9.200 COVID-19-Todesfällen auf über 83 Millionen Menschen, 110 pro eine Million Einwohner sehr glimpflich davon gekommen, was offensichtlich dazu führte, dass viele das Risiko überhaupt nicht adäquat einschätzen können. Hier ein Vergleich zu anderen Ländern, die wesentlich mehr als 110 COVID-19-Todesfälle pro eine Million Einwohner zu verzeichnen haben (es sind nur Staaten berücksichtigt, die auch mindestens eine Million Einwohner haben):

  1. Belgien: 846
  2. Großbritannien: 669
  3. Spanien: 608
  4. Italien: 580
  5. Schweden: 560
  6. Frankreich: 462
  7. Chile: 454
  8. USA: 438
  9. Peru: 412
  10. Brasilien: 384

Brasilien, das ganz anders als Deutschland noch mitten in der ersten Wellt steckt, hat schon jetzt 3,5 mal so viele COVID-19-Tote zu beklagen wie Deutschland. Die USA, wo die Neuinfektionszahlen weiter steigen und steigen, hat sogar schon jetzt 4 mal so viele Tote pro Einwohner, ebenso Chile. Schweden zählt 5,1 mal so viele Tote, Großbritannien mehr als 6 mal so viele und Belgien 7,7 mal so viele.

Viele Länder, wie Australien, Israel und der Iran stecken bereits in einer zweiten Welle. Eine solche wird wohl auch Deutschland früher oder später heimsuchen, die Frage ist nur wann und in welchem Ausmaß. Dazu nun einige Bemerkungen von Boris Palmer:

Die zwei Gruppen der Maskengegner: Staatsverdrossene und Normverweigerer

Boris Palmer schreibt auf seiner Facebookseite»Die Debatte über Masken im Regionalzug zeigt, dass es zwei ganz verschiedene Gruppen gibt, die es ablehnen, Masken zu tragen. Die einen würde ich als Staatsverdrossene bezeichnen. Sie finden sowieso, dass unsere Politiker überbezahlte Trottel sind, entsprechend leicht fallen Sie auf Verschwörungstheorien herein (Der Staat wird von Bill Gates gekauft oder von der Massenindustrie, Es geht darum, uns zu unterjochen etc). Mit Fakten haben sie es nicht so, zumindest wenn sie stören. Dass vor allem die Länder ohne Maskenpflicht eine zweite Welle erleben, in den USA auch zwischen Staaten sichtbar, interessiert sie nicht. Sie erklären die Masken einfach für nutzlos. Diese Gruppe besteht überwiegend aus weißer Mittelschicht. People of Colour sind dort sehr selten. Entsprechend oft besteht eine Nähe zur AfD.

Die zweite sehe ich als Normverweigerer. Maske oder nicht Maske, das ist denen eigentlich scheiß egal. Aber die Regeln der Kartoffeln sind sowieso kacke, die Kartoffeln lassen uns eh nicht dazu gehören, in der Schule und im Beruf sind wir diskriminiert, warum also Maske, Alter? In dieser Gruppe sind junge Leute und People of Colour stark dominant. Weil das so ist, können sie sicher sein, vor Kritik und Bußgeldern weitgehend verschont zu bleiben, weil sie wissen, dass dann sofort die Rassismusdebatte beginnt („Stammbaumrecherche“).«

Für die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen – Normen gelten für alle

»Den Staatsverdrossenen sage ich: Masken sind einer der wenigen Schutzmaßnahmen vor einer Pandemie durch Viren in der Atemluft, die kaum Kosten verursachen. Sie sind nur lästig. Gerade weil ich generell sage, die Gegenmaßnahmen dürfen nicht mehr Schaden anrichten als die Krankheit, bin ich für die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen wie im Zug.

Den Normverweigerern sage ich: Es geht hier um die Gesundheit der Mitmenschen. Wer um einen Platz in unserer Gesellschaft kämpft und sich dabei ungerecht behandelt fühlt, sollte nicht die Gesundheit anderer riskieren, sondern einen besseren Platz suchen, um solche Konflikte auszutragen. Normen gelten für alle.«

Den Rassismus-Rufern sage ich: Das Ziel unterscheidet Analyse von Hetze

»Und den Rassismus-Rufern sage ich: Es macht die Probleme immer nur schlimmer, wenn man die Phänomene nicht mehr sachlich korrekt beschreibt. Dann kann man nämlich den Ursachen nicht auf Spur kommen und folglich bleiben alle Gegenmaßnahmen bestenfalls erratisch oder haben hohe Streuverluste (Alkoholverbote für alle etc).

Es ist nicht rassistisch, den Überhang weißer Männer bei Hygienedemos zu erkennen und ebensowenig ist es rassistisch, den Überhang von people of Colour bei Randalen in Stuttgart und Frankfurt und in vielen anderen Städten zu beschreiben, um die dahinter stehenden Konflikte in unserer Gesellschaft zu verstehen und aufzulösen. Das Ziel unterscheidet Analyse von Hetze.«

Für nächtliche Ausgangssperren

»Die Probleme nach Corona verlaufen nicht entlang der üblichen Kampflinien. Es wäre daher Zeit, dass zumindest die Vernünftigen sie verlassen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ich neige übrigens zu der Auffassung, dass wir eine nächtliche Ausgangssperre brauchen. Wenn die Clubs zu sind, verkraften die Städte die Dauerparty auf Plätzen und Grünflächen nicht.«

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