Von Jürgen Fritz, Update So. 22. Nov 2020, Titelbild: ATP Tennis TV-Screenshot
Das Tennisjahr 2020 war das schwierigste seit einem dreiviertel Jahrhundert. Wegen Corona musste von Anfang März bis Ende August eine fast 25-wöchige Spielpause eingelegt werden. Gleichwohl können mehr als die Hälfte der A-, B- und C-Turniere und sogar drei der vier Grand Slam-Veranstaltungen (A) plus die ATP Finals (B+) ausgetragen werden. Doch wer sind die besten Spieler der Saison 2020?
Über die Hälfte der A-, B- und C-Turniere kann trotz Corona gespielt werden
Fast 25 Wochen kein Profi-Turnier im Herrentennis, das gab es seit dem Zweiten Weltkrieg, also seit 75 Jahren nicht. Gleichwohl konnten auch dieses Jahr drei der vier Grand Slam-Veranstaltungen (A), alle außer Wimbledon, und bisher zwei der neun Masters 1000-Tournaments (B) gespielt werden. Ab dem 2. November wird dann in Paris-Bercy das dritte B-Turnier dieses Jahr gespielt und ab dem 15. November die ATP Finals (B+), so dass trotz der COVID-19-Pandemie sieben der 14 größten Einzelturniere stattfinden konnten.
Außerdem wurden bisher sieben C-Turniere (500er Serie) gespielt. Normalerweise werden 13 C-Turniere pro Saison gespielt. Insgesamt konnten dann also mehr als die Hälfte der A-, B- und C-Turniere trotz der Pandemie ausgetragen werden, insbesondere vier der fünf wichtigsten Turniere: drei Grand Slam-Tournaments (A) und die ATP Finals (B+). Die Olympischen Spiele (B+) wurden auf 2021 verschoben, der Davis Cup entfiel dagegen.
Die 20 besten Spieler der Saison 2020
Das ATP Ranking listet die Spieler wegen der COVID-19-Pandemie und der dadurch bedingten langen Spielpause nicht wie sonst nach ihren Ergebnissen der letzten 52 Wochen, sondern zieht bis Dezember 2020 auch ältere Ergebnisse heran. Und zwar werden bis dahin auch Punkte seit Anfang März 2019, also fast die ganze 2019er-Saison mit eingerechnet.
Ebenso werden beim ATP Race to London diese 2019er-Ergebnisse mit einbezogen. Das heißt, im Ranking von Dezember 2020 werden Turniere enthalten sein, die schon fast 22 Monate zurückliegen. Seit Wiederaufnahme des Spielbetriebs am 22. August werden die Vorjahresergebnisse von März bis Dezember 2019 nur dann gestrichen, wenn das 2020er Ergebnis des entsprechenden Spielers bei einem Turnier besser ist als sein 2019er Ergebnis. Dadurch wird das Ranking bis Ende 2020 deutlich verzerrt. Das mag für das ATP Ranking, welches für die Setzlisten ausschlaggebend ist, noch halbwegs nachvollziehbar sein, für das ATP Race aber kaum, denn bei den ATP Finals sollen ja die besten Spieler der aktuellen Saison und nicht die Besten des Vorjahres spielen.
Ab dem 1. Januar 2021 soll dann wieder auf den regulären Modus umgestellt werden. Dann wird das hier aufgeführte Ranking entscheidend sein. Spätestens ab dem 1. Januar 2021, aber eigentlich schon jetzt, stellt sich also die Frage: Wie waren die Ergebnisse in der – natürlich verkürzten – Saison 2020, was dann auch für die Setzlisten allmählich wieder maßgeblich sein wird?
Und dies sind die besten Spieler der Saison 2020 zum Stand 22.11.2020, 22:30 Uhr. Das Ranking wird jede Woche aktualisiert und gibt – anders als das offizielle ATP-Ranking – ein wahres Abbild der Stärke der Spieler im laufenden Jahr. Die Spieler bis Jahrgang 1988 (die Oldies: Ü32) sind rot markiert, die Jahrgänge 1989 bis 1995 (mittlere Generation: 25 bis 31 Jahre) in gelb und die Spieler der Jahrgänge ab 1996 (Young Guys: U25) sind grün markiert:
- Novak Djokovic: 5 Turniersiege* (C*ACBB), Matchbilanz: 41-5, 6.855 Punkte (ATP: 1)
- Dominic Thiem: 1 Turniersieg (A), Matchbilanz: 25-9, 4.615 Punkte (ATP: 3)
- Rafael Nadal: 2 Turniersiege (CA), Matchbilanz: 27-7, 4.050 Punkte (ATP: 2)
- Daniil Medvedev: 2 Turniersiege (BB+), Matchbilanz: 28-10, 4.025 Punkte (ATP: 4)
- Alexander Zverev: 2 Turniersiege (DD), Matchbilanz: 28-11 3.455 Punkte (ATP: 6)
- Andrey Rublev: 5 Turniersiege (DDCCC), Matchbilanz: 41-10, 3.425 Punkte (ATP: 8)
- Stefanos Tsitsipas: 1 Turniersieg (D), Matchbilanz: 29-14, 2.495 Punkte (ATP: 7)
- Diego Schwartzman: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 25-15, 2.220 Punkte (ATP: 9)
- Milos Raonic: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 23-9, 1.725 Punkte (ATP: 14)
- Pablo Carreño Busta: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 20-12, 1.675 Punkte (ATP: 16)
- Casper Ruud: 1 Turniersieg (D), Matchbilanz: 22-13, 1.280 Punkte (ATP: 27)
- Denis Shapovalov: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 17-15, 1.240 Punkte (ATP: 12)
- Christian Garin: 2 Turniersiege (DC), Matchbilanz: 18-12, 1.220 Punkte (ATP: 22)
- Ugo Humbert: 2 Turniersiege (DD), Matchbilanz: 24-12, 1.170 Punkte (ATP: 30)
- Gaël Monfils: 2 Turniersiege (DC), Matchbilanz: 16-7, 1.165 Punkte (ATP: 11)
- Felix Auger-Aliassime: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 23-19, 1.165 Punkte (ATP: 21)
- Roberto Bautista Agut: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 20-8, 1.150 Punkte (ATP: 13)
- Borna Coric: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 16-12, 1.115 Punkte (ATP: 23)
- Stan Wawrinka: 0 Turniersiege, Matchbilanz: 15-8, 1.060 Punkte (ATP: 18)
- Jannik Sinner: 1 Turniersieg (D), Matchbilanz: 19-11, 1.030 Punkte (ATP: 37)
*Bei Djokovic wurde der Sieg mit dem serbischen Team beim ATP Cup Anfang Januar als Turniersieg (C) mitgezählt, wenngleich dies kein Einzelturnier, sondern ein Mannschaftswettbewerb war. Der Djoker gewann dort jedoch alle seine sechs Einzel, unter anderem gegen Monfils, Garin, Shapovalov, Medvedev und Nadal. Für seine sechs Siege erhielt Nole 665 Punkte, also mehr als bei einem C-Turniergewinn (500), so dass der ATP Cup mindestens mit einem Turnier der 500er Serie vergleichbar ist.
Djokovic gewinnt die meisten Matches und Turniere und verliert die wenigsten Partien
Dabei hat der 34-jährige Nadal, der den Trip nach Nordamerika dieses Jahr wegen der Pandemie (Spanien war besonders hart betroffen) und um sich besser auf die French Open vorbereiten zu können, ausließ und seinen US Open-Titel nicht verteidigte, die wenigsten Turniere gespielt von den Top-20. Er brauchte nur sieben Tournaments, um seine 4.050 Punkte zu erspielen. Der 20-jährige Auger-Aliassime spielte dieses Jahr dagegen 17 Turniere.
Die meisten Matches gewonnen haben:
- Djokovic: 41
- Rublev: 41
- Tsitsiaps: 29
Wie wenigstens Matches verloren haben:
- Djokovic: 5
- Nadal, Monfils: 7
Das beste Verhältnis aus Siegen zu Niederlagen haben:
- Djokovic: 8,2 – 1
- Rublev: 4,1 – 1
- Nadal: 3,9 – 1
Die meisten Turniersiege errungen haben diese acht Spieler:
- Rublev: 5
- Djokovic: 4 + 1 (Mannschaftswettbewerb ATP Cup)
- Nadal, Medvedev, Garin, Monfils, Zverev und Humbert: 2
Man sieht hier überdeutlich, welch überragende Saison Novak Djokovic spielt, der ganz klar die Nr. 1 des Jahres ist und das bereits zum sechsten Mal. Federer und Nadal gelang dies je fünfmal. Insofern ist „nur“ ein Major-Titel (A) für Djokovic in diesem Jahr, für seine Verhältnisse und seine derzeitige Spielstärke, im Grunde wenig. Das könnte ihn anspornen, hier im nächsten Jahr nachzulegen, zumal Nadal mit seinem Sieg bei den French Open nun mit Federer gleich zog, was die Anzahl der Grand Slam-Siege anbelangt. Beide haben jetzt 20. Djokovic, der mit diesen beiden mindestens auf einer Ebene sein will, hat „nur“ 17. Das wird er nächstes Jahr ändern wollen.
Außerdem will Djokovic unbedingt den Rekord von Federer, 310 Wochen (mehr als 5,9 Jahre) auf Position 1 des ATP Rankings, überbieten. Hier deutet derzeit alles darauf hin, dass ihm dies schon Ende März 2021 gelingen wird. Djokovic dürfte der erste Spieler in der Geschichte werden, der die 52-Wochen-Weltrangliste insgesamt mehr als sechs Jahre anführen wird.
Nicht mehr in den Top 20 sind
Dieses Jahr nicht mehr in den Top 20 sind:
- Roger Federer (Jg. 1981), der 2020 nur ein einziges Turnier spielte, nämlich im Januar die Australian Open, und dort fast so viele Punkte holte (720), wie der zehn Jahre jüngere Dimitrov auf Rang 20 im ganzen Jahr bisher (790 Punkte) in neun Turnieren.
- Matteo Berrittini (Jg. 1996), der es letztes Jahr erstmals schaffte, sich für die ATP Finals zu qualifizieren und die Saison als Nr. 8 abschloss.
- David Goffin (Jg. 1990), der 2019 noch die Nr. 11 war und dieses Jahr eine recht schwache Saison spielt.
- Fabio Fognini (Jg. 1987), letztes Jahr noch die Nr. 12, der eine ganz schwache Saison spielt. Matchbilanz 2020: 6-10.
- Kei Nishikori (Jg. 1989), der über etliche Jahre zu den Top-Ten gehörte und 2019 als Nr. 13 abschloss. Der Japaner ist inzwischen aber derart von Verletzungen geplagt und konnte 2020 nicht annähernd an frühere Leistungen anknüpfen, so dass er weit zurückfiel.
Bei den Ü32ern ragen nur noch Djokovic und Nadal heraus, bei den 25- bis 31-Jährigen nur Thiem
Schaut man sich die Lister der 20 besten Spieler 2020 an, sieht man sehr schön, wie die jungen Spieler inzwischen massiv nachdrängen, die mit 11 Spielern bereits mehr als die Hälfte der Top-20 stellen. Die Ü32-Spieler dominieren die Tennisszene inzwischen nur noch an der absoluten Spitze mit Djokovic und Nadal, denen aber Thiem, Medvedev, Zverev und Rublev immer näher rücken. Auch Tsitsipas könnte hier die nächsten Monate angreifen.
Federer, der seit Ende Januar kein Match mehr bestritt, da er sich zwei Knie-Operationen unterziehen musste, kann ab 2021 sicherlich wieder in die Top-Ten vorstoßen. Aber auch andere Ü32er fielen raus, bei denen fraglich ist, ob sie es nochmals in die Weltspitze schaffen, insbesondere die ehemalige Nr. 1 Andy Murray (Jg. 1987), der sich seit 2017 mit schweren Verletzungen, insbesondere seiner Hüfte herumplagt und schon lange nicht mehr an die Leistungen bis 2016 anknüpfen kann. Stan Wawrinka (Jg. 1985), der von Anfang 2014 bis Mitte 2017 über dreieinhalb Jahre zu den vier, fünf besten der Welt gehörte, schafft es diese Saison gerade noch so in die Top-20. Ganz rausgefallen sind: der US Open Champion 2014 Marin Cilic (Jg. 1988), Fabio Fognini (Jg. 1987) und John Isner (Jg. 1985), die deutlich nachgelassen haben.
Auch die mittlere Generation der 25- bis 31-Jährigen überzeugt nur sehr bedingt, abgesehen von Dominic Thiem, der beste Spieler seiner Generation, der hier weit herausragt. Nishikori (Jg. 1989) und Kyrgios (Jg. 1995) schaffen es derzeit nicht mehr in die Weltspitze. Dimitrov, der ATP Finals-Champion von 2017, ist von den Top-Acht inzwischen weit entfernt und kommt nicht mal in die Nähe, sich zu den ATP Finals der acht Saisonbesten zu qualifizieren. Insgesamt sehen wir nur vier Spieler dieser Altersklasse unter den 20 Besten und nur Thiem unter den herausragenden Top-Acht, die die ganz großen Turniere weitgehend unter sich ausmachen.
Selbst hier stellen die jüngeren Spieler mit Medvedev, Zverev, Rublev und Tsitsipas bereits die Hälfte: vier von acht. Auch insgesamt stellen die Jungen, die U25er, inzwischen gut die halbe Weltspitze: elf von zwanzig, also mehr als die beiden anderen Altersgruppen zusammen.
Die Jahrgänge ab 1996 werden immer stärker und rücken immer näher an die absolute Weltspitze heran
Die Tendenz ist also ganz klar: Die Jahrgänge ab 1996, die U25er sind deutlich im Kommen. Abgesehen von Medvedev haben sie vielleicht noch nicht ganz das Niveau von Djokovic, Nadal und Thiem, vielleicht kann auch Federer bald wieder in die absolute Spitze mit vordringen. Alle anderen aber, abgesehen von diesen Vieren, werden von den U25-Spielern inzwischen immer mehr überflügelt. Hier wächst nach der doch schwachen Generation der Jahrgänge von 1989 bis 1995, mit der großen Ausnahme Thiem, eine neue, offensichtlich deutlich stärkere Next Generation heran, von denen sich einige, insbesondere Medvedev, Zverev, Tsitsipas und nun auch Rublev, schon ganz klar in der Weltspitze etabliert haben und ohne Zweifel dauerhaft zu den Top-Ten gehören dürften.
Und die noch jüngeren Spieler, die U22er, insbesondere Shapovalov (Jg. 1999), Auger-Aliassime (Jg. 2000) und für mich das vielleicht größte Jungtalent von allen Jannik Sinner (Jg. 2001), der sich dieses Jahr erstmals in die Top-20 spielte, werden ebenfalls immer stärker. Insofern könnte das Tennisjahr 2021 hoch interessant werden, wie lange die drei Oldies (Federer, Nadal, Djokovic) und Thiem die Jungen noch in Schach halten können.
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