Von Jürgen Fritz, Sa. 23. Jan 2021, Titelbild: Handelsblatt-Screenshot
Schon im November 2019 warnten die Gesellschaft für Virologie und die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie in einem dringenden Schreiben Gesundheitsminister Jens Spahn. Doch auch Anfang 2021 sequenziert Deutschland positive Corona-Tests auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Und beim Impfen liegen wir knapp vier Wochen nach Start der Impfkampagne 88,5 Prozent hinter dem Soll zurück.
Jens Spahn wurde schon im November 2019 von der Gesellschaft für Virologie und der Hygiene- und Mikrobiologie-Gesellschaft gewarnt
Bereits am 19. November 2019 – Monate vor Ausbruch der Pandemie im Januar 2020 entwickelte sich die im Dezember 2019 ausgebrochene Krankheit in China zur Epidemie und am 11. März 2020 erklärte die WHO COVID-19 zu einer weltweiten Pandemie – wandte sich die Gesellschaft für Virologie gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie in einem dringenden Schreiben an Gesundheitsminister Jens Spahn, wie sogar die tagesschau berichtet.
In diesem Schreiben hieß es, ein „ministerielles Eingreifen“ von Jens Spahn sei „unausweichlich geworden“. Die Virologen und Mikrobiologen warnten den Gesundheitsminister, dass „ein beträchtlicher Teil der aktuell berufenen Expertenlabore seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann“. Bei einem Ausbruchsgeschehen fehlten deshalb „die Möglichkeiten der molekularen Surveillance“, also der Überwachung mittels eines genetischen Fingerabdrucks.
An vielen Universitäten werde zwar sequenziert, das allerdings nur in bescheidenem Ausmaß. Und weshalb nur in bescheidenem Ausmaß? Weil die Arbeit nicht finanziert werde, heißt es in dem Brief weiter. Die finanzielle Ausstattung vieler Nationaler Referenzzentren und Konsiliarlabore durch das Bundesgesundheitsministerium sei seit vielen Jahren völlig unzureichend, intransparent und erfolgt auf stereotype Weise durch Pauschalbeträge. Notwendige Untersuchungen könnten nicht abgerechnet werden und unterblieben daher in vielen Fällen.
Virologe: „Wir sequenzieren ohne repräsentative Probenerfassung auf dem Niveau eines Entwicklungslandes“
Nach Informationen von NDR, WDR und SZ hat Spahn bis Anfang Januar 2021, also fast 14 Monate später, der Gesellschaft für Virologie noch immer nicht geantwortet. Der Sprecher des Gesundheitsministerium teilte mit, dass man zumindest der Gesellschaft für Hygiene geantwortet habe und ein Treffen mit den beiden Fachgesellschaften sei „weiterhin geplant“, hatte aber bis Anfang Januar 2021 noch nicht stattgefunden, was Prof. Georg Häcker, der Präsident der Gesellschaft für Hygiene, nicht weiter kommentieren wollte.
Hartmut Hengel, der Leiter der Virologie der Universität Freiburg, äußerte sich zu dem Thema wie folgt:
„Wir sind in Deutschland, was die molekulare Überwachung des Coronavirus angeht, wirklich miserabel. Wir sequenzieren ohne repräsentative Probenerfassung auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.“
Wäre die neue Mutation in Deutschland ausgebrochen, hätte seiner Ansicht nach viel Zeit vergehen können, ohne dass sie in Deutschland überhaupt bemerkt worden wäre.
Auch die europäische Seuchenbehörde ECDC riet Ende Dezember 2020 dringend dazu, mehr zu sequenzieren, um die Ausbreitung der neuen Mutation zu kontrollieren und damit verlangsamen zu können.
In Island werden 100 Prozent der SARS-CoV-2 Infektionen sequenziert, in Deutschland nicht mal ein Prozent
In Deutschland werden noch immer nicht mal ein Prozent der SARS-CoV-2-Infektionen auf ihr Erbgut untersucht. In Island sind es 100 Prozent. SPIEGEL Wissenschaft berichtet darüber. Um die Aktivität des Virus im Hinblick auf genetische Veränderungen zu überwachen, müssen Labors regelmäßig Sequenzierungen der positiven Corona-Proben vornehmen. Nun endlich nach einem Jahr soll nachgebessert werden. Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an einer Verordnung. Ziel ist, dass wenigstens bis zu einem Zehntel der Proben künftig durch die Sequenziermaschinen laufen sollen.
Weltmeister im Sequenzieren ist Island. Dort hat man die Mutanten des Erregers so gut im Blick wie in keinem anderen Land der Erde. Schon seit zehn Monaten wird auf Island jeder positive Corona-Test genau analysiert. Die Wissenschaftler haben bislang 463 in Island zirkulierende Varianten identifiziert. 41 Menschen trugen die britische Mutante in sich. Die südafrikanische Variante wurde dagegen noch nicht nachgewiesen.
Entdeckt wurden alle Infektionen bei der Einreise der Betroffenen, denn dabei werden PCR-Tests durchgeführt, um zu verhindern, dass SARS-CoV-2 und Mutanten hiervon eingeschleppt werden. Die Sequenzierung der Proben sei laut der isländischen Gesundheitsministerin der Schlüssel, um den je aktuellen Stand und die Entwicklung der Epidemie zu verfolgen. Die dadurch gewonnenen Informationen dienen den Behörden als Grundlage, um über gezielte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu entscheiden.
Außerdem helfen die Virusanalysen, Ansteckungswege nachzuvollziehen. So stellte sich beispielsweise heraus, dass die zweite Infektionswelle in Island Mitte September hauptsächlich auf einen Gast in einem Pub im Zentrum von Reykjavik zurückzuführen war. Daraufhin wurden Bars und Nachtlokale in Reykjavik geschlossen.
In Köln werden nun auch alle positiven Corona-Tests auf mutierte Viren untersucht
Aber nicht nur in Island, auch in anderen Ländern wie Großbritannien, Dänemark, Australien und Neuseeland wird im Gegensatz zu Deutschland viel sequenziert. In Köln werden nun seit dieser Woche alle positiven Corona-Tests auf mutierte Viren untersucht. Die Uniklinik hatte dies bei der Stadtverwaltung angeregt. Und es seien schon mehr als 400 Proben auf neue Varianten des Coronavirus überprüft worden, teilte ein Sprecher der Uniklinik am Mittwoch mit.
Die Ausbreitung der neu auftretenden Virusvarianten müsse so gut wie möglich verhindert beziehungsweise verlangsamt werden, sagt Florian Klein, der Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik, gegenüber der WELT. „Im Labor können wir die Varianten innerhalb kurzer Zeit erkennen und so die Information zu Verfügung stellen. Die Kollegen vom Gesundheitsamt können dadurch schnell reagieren und Infektionsketten unterbrechen„, so Florian Klein. Auf seine Initiative hin, waren die Tests ausgeweitet worden. Auch anderen großen Labore beteiligen sich nun an der neuen Teststrategie.
Deutschland liegt nach knapp vier Wochen Impfkampagne 88,5 Prozent hinter seinem Soll
Deutschland ist aber nicht nur im Sequenzieren und Aufspüren von Virusmutationen Entwicklungsland, es hängt auch im Impfen weit zurück. Wenn wir es schaffen wollen, bis zum Ende des Sommers am 21. September 80 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft haben zu wollen, so hätten wir nach knapp vier Wochen Impfkampagne bis zum 21. Januar (nach 26 Tagen, Start am 27. Dezember 2020) 15,5 Impfdosen pro 100 Einwohner verimpft haben müssen. Tatsächlich sind es aber nur 1,79.
Wir müssten also acht- bis neunmal so weit sein, wie wir nach knapp vier Wochen sind, liegen mithin 88,5 Prozent hinter dem Soll.
Dazu bemerkt Jürgen Joost, der Parteivorsitzende der LKR (Liberal-Konservative Reformer):
„Die Versuche der Regierung, sich aus der Verantwortung für das Impfstoff-Desaster zu stehlen, sind unerträglich. Wer die nationale Verantwortung für den Schutz seiner Bürger einfach an eine unfähige EU-Bürokratie abschiebt, ist für das Ergebnis und seine Folgen verantwortlich.“
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