Von Jürgen Fritz, Fr. 09. Apr 2021, Titelbild: Deutsch: Briefmarkengestaltung: Prof. Ernst und Lorli Jünger, München, Public domain, via Wikimedia Commons
Am 8. November 1939 hatte Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller mit einer selbstgebauten Zeitbombe ein Attentat auf Adolf Hitler und nahezu die gesamte NS-Führungsspitze durchgeführt, welches nur knapp scheiterte. Am 9. April 1945, ein Monat vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, zwanzig Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau durch US-Truppen, wurde Georg Elser ohne Gerichtsverhandlung per Genickschuss getötet.
Das Attentat
Dass das Attentat auf Hitler misslang, war aus Hitlers Sicht wohl reines Glück, aus Elsers Sicht aber mehr als tragisch. Da Hitlers geplanter Rückflug nach Berlin wegen Nebels ausfiel, musste er stattdessen auf einen Sonderzug ausweichen. Daher beendete er seinen Aufenthalt im Bürgerbräukeller früher als erwartet. Hitler verließ mitsamt seinem Führungsstab das Gebäude bereits dreizehn Minuten vor der Explosion der Zeitbombe. Diese explodierte exakt zu der von Elser vorgesehenen Zeit um 21:20 Uhr. Die Explosion des Sprengsatzes verwüstete den Saal, in dem sich zu diesem Zeitpunkt bloß noch 120 bis 150 Personen aufhielten.
Kurz zuvor waren es noch mehr als zehnmal so viele gewesen, etwa 1.500 bis 2.000 Zuhörer, eventuell sogar bis zu 3.000 Zuhörer. Darunter war ein großer Teil der NS-Führungsspitze gewesen, die sich wie jedes Jahr zum Gedenken an den Hitlerputsch von 1923 versammelt hatte. Die Parteiprominenz hatte dicht gedrängt vor dem Rednerpult Hitlers gesessen. Gleichwohl wurden noch immer acht Menschen getötet, 57 verletzt, davon fünfzehn schwer. Das Explosionsgeräusch war so heftig, dass es für die Radiohörer, die die Berichterstattung über die Veranstaltung verfolgten, deutlich zu hören war. Als Vergeltungsmaßnahme für das Attentat ließ der Kommandant des KZ Buchenwald Karl Otto Koch bereits am Tag nach dem Attentat, am 9. November 1939, 21 jüdische Häftlinge erschießen.
Bau der Bombe und deren Installierung im Bürgerbräukeller
Die Bombe hatte der Kunstschreiner Georg Elser ganz alleine gebaut. In monatelanger Arbeit versteckte er sie im Bürgerbräukeller. Ab Ende August 1939 suchte Elser den Bürgerbräukeller jeden Abend auf, nahm dort zunächst eine einfache Arbeitermahlzeit für 60 Pfennig zu sich und wartete eine günstige Gelegenheit ab, um sich unbemerkt in der Besenkammer zu verstecken. Dort verharrte er mehrere Stunden möglichst ruhig, bis das Gasthaus abgeschlossen wurde.
In mehr als 30 Nächten gelang es ihm so in mühevoller, riskanter Arbeit, eine Säule auszuhöhlen, um darin die Bombe mit Zeitzünder zu deponieren. Den anfallenden Schutt versteckte er in einem selbstgefertigten Sack, den er anfangs in einem Karton, später in einem Koffer unter den Augen der Kellnerinnen tagsüber hinaustrug und in der Isar entleerte. Aber wie kam Elser überhaupt auf die Idee, dass ausgerechneter er, der kleine Handwerker, diesem NS-Schrecken ein Ende setzen müsse?
Was trieb Georg Elser an?
Georg Elser war schon früh ein Gegner des Nationalsozialismus. Schon 1933 verweigerte er den Hitlergruß. Es gab Augenzeugenberichte, dass er den Raum verließ, wenn Hitler-Reden im Rundfunk übertragen wurden. In einem späteren Gestapo-Verhör gab er an, in der frühen Phase der NS-Herrschaft war der Hauptgrund seiner Abneigung die Verschlechterung der Lebensbedingungen nach 1933. In der Vernehmung sagte er:
„So zum Beispiel habe ich festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. […] Der Stundenlohn eines Schreiners hat im Jahr 1929 eine Reichsmark betragen, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfennigen bezahlt. […] Der Arbeiter kann zum Beispiel seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will; er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder, und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen.“
Etwa ab 1938 prägte ein anderes Motiv seine Abneigung. Elser erkannte die Kriegsvorbereitungen und das Nachgeben der Westmächte bezüglich territorialer Forderungen des Deutschen Reichs:
„Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die ‚Obersten‘, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser drei Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.“
Elsers Ziel war es also, die führenden Personen des NS-Staates auszuschalten und so den etwa zwei Monate zuvor von Deutschland ausgelösten Krieg gegen Polen, der sich bereits zum Zweiten Weltkrieg ausgeweitet hatte, im Alleingang zu stoppen. Und um ein Haar wäre es ihm tatsächlich gelungen. Ein kleiner Schreiner hätte ein gewaltiges Reich zum Einsturz gebracht und den Zweiten Weltkrieg wohl beendet, bevor er überhaupt voll in Fahrt gekommen wäre.
Wer war dieser Mann?
Georg Elser wurde am 4. Januar 1903 als nichteheliches Kind einer Tochter eines Wagners und Landwirts geboren. Ein Jahr nach seiner Geburt heiratete seine Mutter einen Holzhändler und Landwirt aus Königsbronn. Dadurch wurde Georg als dessen Sohn legitimiert. Der Stiefvater betrieb einen Holzhandelsbetrieb in Königsbronn bei Heidenheim in Württemberg. Dort wuchs Georg mit seinen fünf jüngeren Geschwistern auf. Seine Kindheit war geprägt durch frühes Arbeiten am elterlichen Hofe und die Alkoholkrankheit des Stiefvaters.
Nachdem Georg sieben Jahre die Volksschule besucht hatte, begann er mit 14 Jahren eine Lehre als Eisendreher in den ehemaligen Königlichen Hüttenwerken Königsbronn. Mit 16 musste er diese aber aus gesundheitlichen Gründen abbrechen und begann nun eine Lehre als Schreiner. Die Gesellenprüfung bestand er mit 19 als Jahrgangsbester. Die nächsten Jahre arbeitete er in verschiedenen Schreinereien in Königsbronn, Aalen und Heidenheim als Bau- und Möbeltischler. Georg Elser erlebte die Konjunkturschwankungen der deutschen Wirtschaft (Hyperinflation 1923, Weltwirtschaftskrise ab 1930) immer wieder am eigenen Leib und dann schließlich ab 1933 die Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Erstes politisches Interesse zeigte er durch seine Mitgliedschaft im Holzarbeiterverband;. Dort übernahm er aber nie eine Führungsrolle. Im Berliner Verhörprotokoll erklärte er, er sei 1928 oder 1929 in Konstanz dem Roten Frontkämpferbund beigetreten, dem paramilitärischen Kampfverband der KPD. Dort sei er aber nur zahlendes Mitglied gewesen, habe keine Uniform besessen und keinerlei Funktionärsposten innegehabt. Wie stark seine kommunistische Orientierung und sein Engagement innerhalb der KPD und ihrer Organisationen tatsächlich war, lässt sich nicht mehr klar rekonstruieren.
Ende der 1920er Jahre lernte Elser eine Konstanzer Kellnerin kennen und wurde 1930 Vater eines nichtehelichen Sohnes. Der spätere Ehemann der Frau adoptierte Elsers Sohn. 1933 lernte Georg Elser die verheiratete Elsa Härlen (1911–1994) kennen. Mit ihr hatte er eine längere Liebesbeziehung, möglicherweise auch ein oder zwei Kinder. Elsa Härlen ließ sich nach der Geburt der Kinder 1936 von ihrem Ehemann scheiden. Es war wohl auch von Heirat mit Elser die Rede, doch dann haben sie sich „auseinander gelebt“ und im Januar 1939 zum letzten Mal getroffen. Der tatsächliche Grund für Elsers Distanzierung von Familie und Freunden, auch von Elsa Härlen, war aber wohl ein anderer: Er wollte, da er bereits das Attentat plante, alle schützen, damit sie später nicht als Mitwisser verdächtigt würden.
Die Verhöre
Am 5. August 1939 zog Elser dann nach München um, um dort seinen Anschlag auf Hitler vorzubereiten, den er am 8. November 1939 durchführte. Noch bevor die Zeitbombe um 21.20 Uhr explodierte, versuchte er um 20:40 Uhr in die Schweiz zu fliegen, wurde dabei aber festgenommen. Am Tag nach dem Anschlag wurde direkt eine Sonderkommission Bürgerbräukeller gegründet. Elser wurde in München und Berlin von der Gestapo verhört. Dabei stellte sich bald seine Täterschaft zum Anschlag in München heraus, zu der er sich schließlich auch bekannte. Er verriet sich unter anderem durch seine geschwollenen Knie, die aus seinen Arbeiten im Bürgerbräukeller für die Vorbereitung des Attentats resultierten, bei denen er nächtelang auf den Knien hatte herumrutschen müssen.
Das Protokoll dieses Verhörs (Berliner Verhörprotokoll) wurde 1964 per Zufall entdeckt und ist die wichtigste Quelle über Georg Elser. Die Nazis wollten unbedingt wissen, wer dieser Mann war und vermuteten Hintermänner, da man diesem kleinen Handwerker unmöglich zutraute, so ein Attentat ganz alleine geplant und durchgeführt zu haben. Man ließ ihn sogar von einem Psychiater begutachten, der Elsers Motivation herausfinden sollte. Elsers Aussagen wurden streng geheim gehalten. Goebbels hatte vor, die Tat als gemeinsame Aktion des britischen Geheimdienstes und des damals in der Schweiz lebenden Otto Strasser auszugeben. Diese Verbindungen sollte ein späterer Schauprozess „beweisen“.
Die Zweifel an Elsers Alleintäterschaft gründeten sich auch darauf, dass man ihm die Kenntnisse und Fähigkeiten zum Bau einer zeitgesteuerten Bombe einfach unmöglich zutraute. Aber Elser beharrte auch unter Folter darauf, die Bombe in allen Details allein konstruiert und angefertigt zu haben. Schließlich wurde er aufgefordert, die Bombe unter Aufsicht ein zweites Mal zu bauen. Elser erstellte dafür eine genaue Liste der benötigten Einzelteile und fertigte die Zeitbombe ein weiteres Mal an.
Ab 1941 wurde Georg Elser als „Sonderhäftling des Führers“ ohne Gerichtsverfahren im KZ Sachsenhausen, später im KZ Dachau gefangen gehalten. Wahrscheinlich plante man, ihn nach dem „Endsieg“ in einem Schauprozess als Zeuge gegen die britische Regierung auftreten zu lassen, wo er dann abgeurteilt werden sollte.
Elsers Ermordung
Am 5. April 1945 erschien SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, im Führerbunker und berichtete Hitler über die polizeiliche Sicherheitslage. Daraufhin ordnete Hitler die Hinrichtung unter anderem seines „besonderen Schutzhäftlings“ Georg Elser an.
Am 9. April 1945, ein Monat vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, zwanzig Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau durch US-Truppen, wurde Georg Elser nach mehr als fünf Jahren Haft als „Sonderhäftling des Führers“, Vernehmung und Folter, durch den SS-Oberscharführer Theodor Bongartz gegen 23:00 Uhr am Hinrichtungsplatz beim Krematorium ohne Gerichtsverhandlung mit einem Genickschuss getötet. Elsers Leiche wurde anschließend im Krematorium verbrannt.
Georg Elser und das Attentat auf Hitler: Eine Spurensuche
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