Hat sich die EZB in einen Teufelskreis begeben?

Von Jürgen Fritz, So. 24. Okt 2021, Titelbild: YouTube-Screenshot MetallRente GmbH

Im Februar 2011 erklärte Bundesbankpräsident Axel Weber im Zuge der Eurorettungspolitik seinen Rücktritt. Im September 2011 kündigte dann auch der Chef-Volkswirt der Europäischen Zentralbank Jürgen Stark an, „aus persönlichen Gründen“ zurückzutreten. Später nannten Weber und Stark die wahren Gründe ihres Rückzugs. Nun hat auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann den Bundespräsidenten um vorzeitige Entlassung gebeten. Was läuft hier ab?

Einige Länder nutzen die durch den Eurobeitritt niedrigeren Zinsen auf ihre Staatsschulden nicht, um diese abzubauen, sondern um noch mehr Kredite aufzunehmen, weil diese ja so günstig sind

Am 1. Januar 2001 trat Griechenland der Eurozone bei. Damit fiel nun auch für Griechenland die Möglichkeit weg, seine Währung gegenüber den anderen Euro-Ländern abwerten zu können, wenn griechische Produkte auf dem Weltmarkt weniger gefragt, wenn die griechische Volkswirtschaft deutlich weniger konkurrenzfähig war als andere. Bereits ein Jahr vor dem 2001 erfolgten Beitritt zur Eurozone betrug die Staatsverschuldung Griechenlands mehr als 104 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts. Damit erfüllte es eigentlich gar nicht die Konvergenzkriterien, denn die Staatsverschuldung sollte nach diesen Kriterien maximal 60 Prozent des BIP betragen. Doch man vertraute Griechenland, wie auch etlichen anderen Ländern, dass sie ihre Schuldenquote nach dem Eintritt in die Eurozone dann allmählich auf unter 60 Prozent reduzieren würden.

Länder, wie Griechenland und Italien, kamen durch den Beitritt in den aus 19 Staaten bestehenden Euroraum jetzt sehr viel günstiger an Geld, an Kredite. Mit den eingesparten Zinsen könnten die immensen, kaum noch tragbaren Staatsschulden dann ja sukzessive abgebaut oder zumindest deutlich reduziert werden, dachte man in den Ländern, die mit ihren Staatsfinanzen solider umgingen. Tatsächlich aber wurden die jetzt durch den Eurobeitritt bedingten niedrigeren Zinsen auf die eigenen Schulden von einigen südeuropäischen Ländern eher so interpretiert, dass man nun ja noch mehr Schulden machen könne, wenn die Zinsen jetzt so günstig seien. Im Jahr der Einführung der Euroscheine und -münzen 2002 stiegen in Griechenland die Löhne im privaten und öffentlichen Bereich sofort um 12 bis 15 Prozent an. Die billigen Kredite wurden nicht dazu genutzt, um die Schulden abzutragen, sondern sie wurde quasi sofort verkonsumiert und die Staatsschulden fielen auch in den Folgejahren nicht.

Griechenland hatte jahrelang falsche Daten übermittelt und sich in die Eurozone hineingemogelt

Während der weltweiten Finanzkrise ab 2007 und des Bankenrettungsprogramms der Regierung Karamanlis stieg die griechische Staatsschuldenquote sogar noch weiter an von gut 107 Prozent (2007) auf fast 130 Prozent (2009). Im Oktober 2009 gab der neu gewählte Ministerpräsident Giorgos A. Papandreou dann sogar noch nach oben korrigierte Daten zur Verschuldung (von 3,7 auf 12,7 Prozent Neuverschuldung) und weitere schlechte Wirtschaftsdaten bekannt. Methodische Mängel des Statistischen Amts Griechenlands (ESYE) und mögliche politische Einflussnahmen auf die Statistik veranlassten diese Korrektur.

Bereits 2004 hatte Eurostat festgestellt, dass die von Griechenland übermittelten statistischen Daten vor Eintritt in den Euro nicht stimmen könnten. Zurückgeführt wurde dies darauf, dass das Statistische Amt Griechenlands (ESYE) die ihm vorliegenden Daten falsch ausgewertet habe und die Behörden und Ministerien dem Amt verfälschte Daten geliefert hätten. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte Eurostat im November 2004 einen Bericht über die Revision der griechischen Defizit- und Schuldenstandszahlen, demzufolge in den Jahren vor 2004 in elf Einzelfällen falsche Zahlen gemeldet wurden.

Nach Berichten des SPIEGEL sowie der New York Times hatten US-Banken, wie Goldman Sachs und JP Morgan, mehreren Euro-Ländern, insbesondere Italien und Griechenland, zehn Jahre lang dabei geholfen, das Ausmaß ihrer Staatsverschuldung zu verschleiern. Insbesondere Griechenland hatte sich quasi in die Eurozone mit falschen Angaben hineingemogelt. Doch nun war das Land im Euroraum drin und die Verträge sahen keine Möglichkeit vor, ein Land wieder hinauszubekommen, wenn es quasi durch Betrug hineingekommen war. Daran hatte man offensichtlich nicht gedacht oder wollte nicht daran denken.

Finanz- und Eurokrise: Griechenland erhält immer neue „Notbürgschaften“ und seine Staatsverschuldung steigt immer weiter an

Die neuen Daten von 2009 verschärften nun die Krise und führten dazu, dass die Risikoaufschläge für langfristige griechische Staatsanleihen auf neue Rekordwerte anstiegen. Im selben Jahr bat Papandreou den IWF-Chef Strauss-Kahn, für Griechenland ein Hilfsprogramm aufzulegen. Strauss-Kahn lehnte dies jedoch ab und verwies den griechischen Ministerpräsidenten an die EU-Partner. Diese bereiteten nun mit dem IWF ein sehr viel größeres Kreditpaket vor. Dieses wollte Papandreou aber nur nach einer Volksabstimmung annehmen, was wiederum einige der wichtigsten Euro-Partner ablehnten.

Die Regierungen Sarkozy und Merkel verlangten, dass Griechenland, das die anderen Euro-Länder jahrelang an der Nase herum geführt hatte, entweder die Kreditbedingungen ohne Abstimmung akzeptiere oder aber die Eurozone ganz verlasse. Da die griechische Regierung bereits nicht mehr in der Lage war, die fälligen Kredite zu begleichen, gab Papandreou schließlich nach, und Griechenland beantragte am 23. April 2010 das vorbereitete dreijährige Hilfspaket ohne vorherige Volksabstimmung.

Ein IWF-Kredit für Griechenland in Höhe von 30 Milliarden Euro  wurde durch die EU zunächst auf ein Volumen von insgesamt 110 Milliarden Euro aufgestockt und als Maßnahme zur Rettung Griechenlands und des Euro deklariert. In den folgenden Jahren erhöhten die Europäische Union (EU) und die Europäische Zentralbank (EZB) den Anteil zur Euro-Rettung, die sogenannten „Notbürgschaften“, auf 290 Milliarden Euro (= Euro-Rettungsschirm). Der Griechenland insgesamt eingeräumte Finanzrahmen stieg auf über 320 Milliarden Euro (mehr als zehnmal so hoch aus wie das vom IWF ursprünglich aufgelegte Hilfsprogramm).

Dabei stiegen die Staatsschulden Griechenlands immer weiter an und betrugen im ersten Quartal 2021 bereits 209 Prozent des BIP, also dreieinhalb mal so viel wie nach dem Maastrichtvertrag von maximal erlaubt.

Anfang 2011 tritt Bundesbankpräsident Axel Weber zurück

Bereits im Februar 2011 erklärte der deutsche Bundesbankpräsident Axel Weber seinen vorzeitigen Rücktritt zum 30. April 2011. Sein Nachfolger wurde im Mai 2011 Jens Weidmann. Dieser Schritt erfolgte mitten im Poker um die Nachfolge des scheidenden EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet. Bis dahin galt Weber lange Zeit inoffiziell als Kandidat der Bundeskanzlerin Angela Merkel für das Amt des EZB-Präsidenten. Statt Axel Weber wurde dann Mario Draghi, der damalige Gouverneur der Banca d’Italia, im November 2011 EZB-Präsident.

Die Gründe für den plötzlichen Rücktritt Webers Anfang 2011  wurden der Öffentlichkeit nicht bekannt gegeben. Im Dezember 2013 erklärte Weber dann aber in einem Interview mit der ZEIT, er sei deshalb zurückgetreten, weil er mit der neuen Geldpolitik in Europa nicht einverstanden gewesen sei und Beschlüsse vertreten musste, die er nicht für richtig gehalten habe.

Nach den schlechten Erfahrungen bis 1945 wird 1948 das unabhängige Zentralbankensystem und die Deutsche Mark eingeführt

Angesichts der völligen Zerrüttung der deutschen Währung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Währungsreform erforderlich. Im Juni 1948 trat die Deutsche Mark im Westen Deutschlands und in West-Berlin an die Stelle der praktisch wertlosen Reichsmark. Diese neue Währung sollten im nächsten halben Jahrhundert zu einer der härtesten und solidesten Währungen der Welt werden. Zur Vorbereitung errichteten die Westmächte in ihren Besatzungszonen ein neues, zweistufiges Zentralbanksystem, das in seinem streng föderativen Aufbau das Federal Reserve System der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) zum Vorbild hatte. Es bestand aus den rechtlich selbständigen Landeszentralbanken in den einzelnen Ländern der westlichen Besatzungszonen und der am 1. März 1948 gegründeten Bank deutscher Länder in Frankfurt am Main, der späteren Bundesbank.

Nach den schlechten Erfahrungen mit einer an Weisungen der Regierung gebundenen Notenbank setzte sich nun auch in Deutschland das Prinzip einer unabhängigen Zentralbank durch. Die Bank deutscher Länder war von Anfang an unabhängig von deutschen Staatsorganen, auch von der ab September 1949 tätig werdenden Bundesregierung (Kabinett Adenauer I). 1951 erlangte sie auch ihre Autonomie gegenüber den Alliierten.

Durch Art. 88 des am 24. Mai 1949 in Kraft getretenen Grundgesetzes wurde der Bund verpflichtet, eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank zu errichten. Mit dem Gesetz über die Deutsche Bundesbank (BBankG) von 1957 wurde der zweistufige Aufbau des Zentralbanksystems beseitigt. Die Zuständigkeiten wurden der neu gegründeten Deutschen Bundesbank übertragen. Die Landeszentralbanken waren nun rechtlich nicht mehr selbstständige Notenbanken, sondern wurden als Hauptverwaltungen Teil der Bundesbank.

Zu den Aufgaben der Bundesbank gehört u.a. die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit, insbesondere durch Goldreserven, und die Gewährleistung der Preisniveaustabilität

Die Bundesbank ist zum Einen zuständig für die Verwaltung der Währungsreserven, also sämtliche Vermögen, die nicht auf Euro lauten, beispielsweise Goldreserven, Sorten (Devisen), Wertpapiere und Guthaben in ausländischer Währung bei Banken. Die Währungsreserven bilden dabei einen Gegenwert zur eigenen Währung. Sie werden möglichst rentabel angelegt und bilden zudem eine Möglichkeit zur Intervention bei starken Schwankungen des Wechselkurses.

Vor allem durch die Goldreserven stellt ein Land sicher, dass es auch in Krisenzeiten weiterhin zahlungsfähig bleibt. Auch wenn die Währung eines Landes sehr stark an Wert verlieren würde, kann durch die Goldreserven eine komplette Zahlungsunfähigkeit des Landes vermieden werden, denn Gold ist als währungsunabhängiges Zahlungsmittel weltweit akzeptiert. Die Goldreserven der Bundesbank sind weltweit die zweitgrößten nach den Goldreserven der US-Notenbank(Fort Knox). Zum Stand 31.12.2014 verwaltete die Bundesbank von Frankfurt 3.384 Tonnen Gold zu einem Marktwert von rund 140 Milliarden Euro (Marktwert-Stand 4. November 2011).

Aufgabe der Bundesbank ist es insbesondere auch, die Wirtschaft als Notenbank mit Bargeld zu versorgen und die physische Umlauffähigkeit des Bargeldes zu sichern. Die Bundesbank fungiert hierbei als Refinanzierungs- und Clearingstelle für Kreditinstitute. Diese können ihren Bedarf an Zentralbankgeld über die Bundesbank beziehungsweise inzwischen über die EZB durch sogenannte Refinanzierungsinstrumente decken. Die damit zusammenhängende Steuerung der Geldmenge war bis Ende 1998 wesentliche Aufgabe der Bundesbank. Seit dem 1. Januar 1999 ist es das vorrangige Ziel der EZB, mit Hilfe ihrer geldpolitischen Strategie Preisniveaustabilität zu gewährleisten. Kreditinstitute können zum Beispiel nicht benötigte Gelder kurzfristig bei der Bundesbank / EZB anlegen (sogenannte Einlagefazilität). Doch die EZB entfernte sich im Laufe der Jahre mehr und mehr von ihren eigentlichen Aufgaben.

Ende 2011 kündigt auch der Chefvolkswirt der EZB Jürgen Stark seinen Rücktritt an und übt später schwere Kritik an seinen Kollegen

Knapp sieben Monate, nachdem Axel Weber seinen Rücktritt erklärt hatte, kündigte im September 2011 auch Jürgen Stark, der Chefvolkswirt und Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB), „aus persönlichen Gründen“ zurückzutreten, sobald ein Nachfolger gefunden sei. Zwei Monate später, im Dezember 2011, begründet er seinen Rücktritt mit der Unzufriedenheit über die Entwicklung der EU-Währungsunion.

Im Januar 2012 schickte Stark einen Abschiedsbrief an die 1.600 EZB-Beschäftigten. In diesem kritisiere er das Verhalten der Institution in der Euro-Krise heftig. Er werfe seinen Ex-Kollegen im EZB-Rat vor, Entscheidungen getroffen zu haben, „die das Mandat der EZB ins Extreme gedehnt haben“. Stark sah hierin das Risiko, dass die Notenbank wegen ihrer Aufkäufe am Anleihemarkt zunehmend „unter fiskalischer Dominanz operiere“. Es sei eine „Illusion zu glauben, dass die Geldpolitik große strukturelle und fiskalische Probleme in der Euro-Zone lösen“ könne. Dies könnte man wie folgt übersetzen: Die Probleme der Staatshaushalte können nicht über die Geldpolitik der EZB aus der Welt geschafft werden, das ist auch gar nicht ihre Aufgabe. Wenn sie das versucht, so wird sie zweckentfremdend tätig. Die Staaten müssen ihre hausgemachten Probleme schon selbst in den Griff bekommen.

Jürgen Stark: Die EZB habe sich in einen „Teufelskeis“ begeben, unser Geldsystem sei „pure Fiktion“ 

Wann immer in der Geschichte sich eine Notenbank der Haushaltspolitik untergeordnet habe, habe sie Zugeständnisse bei ihrer eigentlichen Aufgabe – den Geldwert stabil zu halten – machen müssen. Die EZB habe sich in einen „Teufelskreis“ begeben. Mit dem Rettungsplan für Griechenland 2010 und der damit verbundenen Haftung der anderen EU-Staaten für die Verbindlichkeiten von Griechenland, dem Aufkauf von Staatspapieren, dem dann geschaffenen EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität), mit dem geplanten dauerhaften Stabilitätsmechanismus ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) „sei das Konzept für die Wirtschafts- und Währungsunion vollends auf den Kopf gestellt worden.“

„Das sei im Maastricht-Vertrag so nicht vorgesehen gewesen.“ Die Einmischung und die Forderungen der Politik gegenüber der EZB wollte er nicht mehr mittragen. 2014 meinte Jürgen Stark: „Unser Geldsystem ist pure Fiktion und ich empfehle den Bürgern, einen Teil ihrer fiktionalen Ersparnisse zu schützen und in Gold und Silber anzulegen.“

Nun tritt auch Webers Nachfolger Bundesbankpräsident Jens Weidmann zurück

Diese Woche hat nun Bundesbankpräsident Jens Weidmann überraschend angekündigt, dass auch er sein Amt „aus persönlichen Gründen“ niederzulegen wolle. Er habe Bundespräsident Steinmeier zum 31.12.2021 um Entlassung gebeten. In einem Brief an seine Mitarbeiter schreibt er: „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als 10 Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich.“ 

Einzelheiten und Hintergründe hierzu siehe hier: Warum Jens Weidmann als Bundesbankpräsident zurücktritt.

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