Von Jürgen Fritz, Mo. 08. Nov 2021, Titelbild: phoenix-Screenshot
Hat die CDU noch die Kraft für einen Neuanfang? Und liefert sie noch genug gute Gründe, sie zu wählen?
Alexander von Sobeck, Jahrgang 1955, war einer der profiliertesten deutschen Fernseh-Korrespondenten. Er leitete von 1992 bis 1995 das ZDF-Studio in Johannesburg und begleitete dort das Ende der Apartheid. Von Anfang 2001 bis Ende 2003 war er als Leiter des ZDF-Studios in Tel Aviv und erlebte in Israel und den Palästinensergebieten die zweite Intifada. Von 2003 bis Juni 2014 war er Chef des ZDF-Studios Südwesteuropa in Paris, zuständig für die Berichterstattung aus Frankreich, Monaco, Spanien, Portugal, dem Maghreb, aus den Ländern des französischsprachigen Afrikas, sowie den sogenannten DOM-TOMS, den französischen Überseegebieten. Er gilt als ausgezeichneter Kenner der Grande Nation. Von 2014 bis 2019 berichtet er als Leiter des ZDF Studios Rom aus Italien, Griechenland, Malta und dem Vatikan. Ab Juli 2019 bis Oktober 2021 war er als Senior Correspondent des ZDF weltweit im Einsatz. Mittlerweile lebt er in Hamburg und arbeitet als Rechtsanwalt, Coach, Dozent, Lehrbeauftragter, Autor, Publizist und Vortragsredner. In The European – Das Debattenmagazin veröffentlichte er nun eine bemerkenswerte Analyse der Situation, in welcher sich die CDU befindet.
Die CDU suche eine neue Führung, stellt von Sobeck zunächst fest. Nach dem Wahldebakel (von ohnehin schon sehr niedrigen 32,9 Prozent für die Union nochmals runter auf 24,1 Prozent) und dem Rückzug von Armin Laschet würden sich Partei und Anhänger nach Figuren sehnen, die sie aus der Krise führen sollen. Köpfe, die den Weg weisen, raus aus der Abwärtsspirale, zurück zur alten Stärke einer großen Volkspartei.
Und er stellt die Frage: „… ist die Union noch in der Lage eine Mehrheit der Wähler um sich zu versammeln, nachdem sie, zumindest in Umfragen, die 20 Prozent-Marke bereits von unten gesehen hat? Hat die CDU noch die Kraft für einen Neuanfang? Und liefert sie noch genug gute Gründe, sie zu wählen? Oder ist ihr Erosionsprozess bereits soweit fortgeschritten, dass ihr Weg zwangsläufig in ihrer Marginalisierung und Bedeutungslosigkeit endet?“
Der Aufstieg Merkels und der zunächst innere, dann auch äußere Niedergang der Union gingen einher
Sodann blickt von Sobeck über die Grenzen hinweg und liefert „Beispiele, wo selbst große, einst staatstragende Parteien ganz schnell von der Bildfläche verschwunden sind, weil sie aus ihren Fehlern nichts oder nicht schnell genug gelernt haben“, so geschehen in Italien, Spanien, Frankreich, was von Sobeck für jedes Land erläutert. „Diese Beispiele sollten sich die Mitglieder der Union genau anschauen, wenn sie tatsächlich in einer Befragung der Basis darüber entscheiden dürfen wer sie aus dem Tal der Tränen führen soll.“
Bei aller Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen und Ursachen der Parteiensysteme ziehe sich aber doch eines wie ein roter Faden durch den gemeinsamen Niedergang dieser Volksparteien: „die Hybris der Macht“. Denn politische Macht sei immer nur geborgte Zeit.
Wie keine zuvor habe Merkel das System des Machterhalts verinnerlicht, Rivalen beseitigt, Talente vertrieben, Kritik ausgesessen oder plattgemacht. Kaum ein deutscher Regierungschef nach dem Krieg habe die Republik so nachhaltig verändert wie sie. Grund dafür sei ihr Griff nach der politischen Mitte gewesen, den sie von ihrem einstigen Rivalen Gerhard Schröder gelernt habe. Dabei sei die Partei, in der sie nie heimisch geworden sei, auf der Strecke geblieben – und mit ihr ihre Werte, ihre Visionen, ihre Vorstellung einer Gesellschaft.
Ein neues urbanes, vermeintlich modernes, halbwegs gebildetes Milieu, das bürgerliche Werte durch andere Ziele ersetzt hat
Tonangebend seien in der CDU längst nicht mehr die Ideale eines wertkonservativen, bürgerlich-liberalen, christlichen und der sozialen Marktwirtschaft verpflichteten Menschenbildes. Beim Kampf um die politische Mitte habe sie diese Bastionen geschleift und einer rivalisierenden Partei nach der anderen die Themen weggenommen. Damit aber habe sie das politische Spektrum um ein großes Stück nach links verschoben. Am rechten Rand habe sich ein Abgrund aufgetan in den sich die AfD womöglich sogar bereits dauerhaft einnisten können. Als ehemalige DDR-Bürgerin, konditioniert im real existierenden Sozialismus, sei Merkel das Franz-Joseph Strauß-Mantra, „dass es rechts von der Union nur den Kohlenkeller oder einen schwarzen Abgrund geben dürfe, wohl fremd“. Aus diesem politischen Abgrund würden nun Figuren krabbeln, „die keiner mehr in Deutschland gebraucht hätte“, schon gar nicht in Parlamenten, Figuren, „die tagtäglich an den Kardinalfehler der CDU unter Angela Merkel erinnern“.
Tonangebend sei heute ein neues urbanes, vermeintlich modernes und halbwegs gebildetes Milieu, das bürgerliche Werte durch andere Zielvorstellungen ersetzt habe: Diversität, Inklusion, Migrationsförderung, Gendersprache, oft falsch verstandene political correctness bis hin zur Bevormundung und Patronisierung (Begünstigung), alle Arten von Einsatz für den Klimaschutz, „natürlich ohne auf die eigene Bequemlichkeit verzichten zu wollen“.
Dabei werde natürlich die wichtigste Ursache nicht beim Namen genannt: das rasante Bevölkerungswachstum auf unserem Planeten, das die Ressourcen aufzehrt und mit ihrem Verbrauch massiv zur Erderwärmung beiträgt. „Denn dann müsste man ja auch die Frage stellen, wie man dieses exponentielle Wachstum der Menschheit einzudämmen gedenkt“ und mit welchen Mitteln. „Aber allein diese Frage zu formulieren wäre inhuman, unemphatisch, ja grausam und damit natürlich völlig unkorrekt“.
Sprachregelungen die man bislang nur aus totalitären Regimen kannte, unter Hitler, Stalin, Mao oder der DDR
Dieses neue juste milieu reklamiere für sich den Anspruch, immer auf der richtigen Seite zu stehen. Und diesen Anspruch benutze es gerne für die Ausgrenzung Anderer, die seine Vorstellungen nicht teilen. Denn seit dem Satz „die Freiheit des Einzelnen hört dort auf wo die Freiheit des Anderen beginnt“ sollten wir spätestens mit dem Fall der Berliner Mauer gelernt haben, wie wertvoll die Verteidigung individueller Freiheit sei, so von Sobeck weiter. „Dabei verwenden Menschen die so sicher sind auf der Seite der Guten zu stehen, Sprachregelungen die man bislang nur aus totalitären Regimen kannte, unter Hitler, Stalin, Mao oder eben in der alten DDR.“ Herausgebildet habe sich aus dieser Haltung „die richtige Seite zu vertreten“ ein mainstream dem sich weite Teile der Politik, der Medien und ihrer Berichterstattung, der Kulturszene und einer jüngeren, trendigen Großstadtbevölkerung unterworfen hätten.
Abgehängt würden dadurch Menschen in der Fläche der Republik, solche mit einem konservativen oder humanistischen und liberalen Weltbild, viele in den neuen Bundesländern, die sich noch immer missverstanden und betrogen fühlten und auch solche, die politisch heimatlos geworden seien und nun aus Protest ganz rechts wählten. Menschen also, die sich aus der alten „res publica“, dem Gemeinwesen, das einen gesunden Staat ausmache, vollkommen zurückgezogen hätten. „All diese Menschen bilden noch immer die Mehrheit in Deutschland“, so von Sobeck. „Sie muss die CDU zurückgewinnen und wieder einbinden.“
Friedrich Merz wäre eine Chance für die CDU, womöglich ihre letzte
Offen bleibe, ob sie dafür überhaupt noch die Kraft und die richtigen Leute habe. Einer wie Friedrich Merz könnte das, weil er die alte CDU noch kenne, seine eigenen leidvollen politischen Erfahrungen mit ihr gemacht habe und weil er wisse, was die künftige CDU brauche, sei es nur um den Übergang zu organisieren und die Weichen für einen Neuanfang richtig zu stellen. Und weil Merz kaum Merkels Fehler wiederholen werde, alles wegzubeißen was Kritik übt oder sich als politisches Talent und Zukunftshoffnung zu erkennen gebe. Die Zeit in der Opposition sei eine Chance für die Union, aber wahrscheinlich auch die Letzte. Ansonsten drohe ihr das, was den Volksparteien in vielen anderen europäischen Ländern längst widerfahren ist.
Lesen Sie von Sobecks kompletten glänzend geschriebenen und durchdachten Artikel auf The European – Das Debattenmagazin.
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