60 Prozent der Deutschen gegen sofortigen Atomausstieg

Von Jürgen Fritz, Mo. 03. Jan 2022, Titelbild: Faktencheck-Screenshot

Die EU-Kommission will die Kernkraft als klima- und umweltfreundlich adeln. Frankreich setzt weiter voll auf Atomstrom. Belgien will den für Ende 2025 geplanten Ausstieg verschieben und in Italien beginnt man, neu nachzudenken. Deutschland aber will noch dieses Jahr alle Kernkraftwerke abschalten. Wie stehen die Bürger zu diesem Vorhaben?

Die EU will Kernkraft unter bestimmten Bedingungen fördern

Die EU-Kommission will Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter Auflagen als klimafreundlich einstufen. Das geht aus dem Entwurf für einen Rechtsakt der Brüsseler Behörde hervor, der am Neujahrstag öffentlich wurde. Konkret sieht der Vorschlag vor, dass vor allem in Frankreich geplante Investitionen in neue AKW als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird.

Die Befürworter sind zahlreich, an der Spitze Frankreich. Die Atomenergieanhänger führen ins Feld, dass bei dieser Form der Energieerzeugung bzw. genauer: -umwandlung sehr viel weniger CO₂ ausgestoßen werde als bei der Energiegewinnung aus Erdgas, Steinkohle und Braunkohle. Hinzu kommt, dass Kernenergie anders als manche Erneuerbaren verlässlich Energie liefert, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

Forscher der Initiative „Global Carbon Project“ prognostizierten schon in einer im November 2021 veröffentlichten Studie, dass der globale CO₂-Ausstoß 2021 um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen wird. Natürlich muss diese Zahl ins Verhältnis zu den Vorjahren gesetzt werden. 2020 waren die Emissionen pandemiebedingt um 5,4 Prozent gefallen und ein Rebound-Effekt war erwartet worden. Dass er so stark ausfallen würde, hatte man aber nicht erwartet.

Durch Atomstrom könnte unsere Energiegewinnung zumindest vorübergehend klimafreundlicher werden und die Versorgung wäre eher gesichert

Wenn es also stimmt, dass wir einen Klimawandel erleben, der in sehr ungewöhnlicher Geschwindigkeit abläuft, und wenn es ferner stimmt, dass der Einfluss des Menschen hierauf, insbesondere seine CO₂-Emissionen, ein wesentlicher Faktor ist für die Erderwärmung und wenn der Energiesektor mit einem Anteil von 40 Prozent weiter der größte Treibhausgasemittent ist (Tendenz steigend), dass ist es nur verständlich, wenn sich das Augenmerk bei der Weltklimakonferenz COP26 zuallererst darauf richtet. Es stellt sich also die Frage: Wie kann unsere Energiegewinnung (genauer: -umwandlung) klimafreundlicher werden?

Wer gegen Kernenergie ist, sei gegen Klimaschutz, sagen daher einige. Andere formulieren noch härter: Wer von Kernenergie nicht reden wolle, der soll vom Klimawandel schweigen. Nun ist auch diese Form der Energiegewinnung nicht völlig CO₂-frei und reicht nicht an die Werte von Wasserkraft (laut Deutscher Welle ca. 4 Gramm CO₂-Emmissionen pro khW), Windkraft (ca. 7 bis 9) und Photovoltaik (ca. 33) heran, aber selbst Studien, die den gesamten Lebenszyklus von Atomkraftwerken sowie die Energiegewinnung von Uran-Gewinnung bis Atommüllagerung betrachten, kommen auf Werte von ca. 117 Gramm CO₂-Emmissionen pro khW. Und das ist sehr viel weniger als bei der Energiegewinnung aus Erdgas (442), Steinkohle (864) und Braunkohle (1.034).

Laut Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) sind die CO₂-Emmissionen pro kWh bei Kernenergie sogar noch viel weniger, ja sogar die geringsten von allen Formen der Energiegewinnung: nur 12 Gramm pro kWh.

Frankreich setzt weiter voll auf Kernkraft, Belgien will den geplanten Ausstieg bis 2025 verschieben und in Italien beginnt man, neu nachzudenken

Selbst die Klimarettungs-Ikone Greta Thunberg hatte bereits 2019 klargestellt, dass sie persönlich zwar gegen Kernkraft sei, dass diese jedoch nicht zu verdammen sei: „Ich persönlich bin gegen Atomkraft, aber nach dem IPCC (Weltklimarat, JFB) könne sie tatsächlich ein kleiner Teil einer großen, neuen CO₂-freien Energielösung sein.“ Dann nämlich, wenn Länder keinen Zugang zu erneuerbaren Energien hätten.

In Frankreich setzt man bei der Stromversorgung weiter voll auf die Atomenergie. Über 70 Prozent des französischen Stroms stammen aus der Kernkraft. Diese spielt bei unserem Nachbarn im Westen eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft und der Herstellung von klimaneutralem Wasserstoff.

Italien dagegen war bereits nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl Ende der 1980er Jahre aus der Kernenergie ausgestiegen. Das Land ist aber nicht mehr fähig, sich selbst mit Energie zu versorgen. Es bezieht einen Teil seines Stroms aus dem Ausland und da ist Atomstrom mit dabei. Inzwischen hat man in Italien sogar begonnen, über eine Rückkehr zur Kernkraft zu debattieren.

Und Belgien will von dem für 2025 geplanten Ausstieg abweichen. Grund ist die Sorge vor Engpässen bei der Energieversorgung. Wie sehen es nun die Deutschen?

60 Prozent der Deutschen sind gegen einen sofortigen Atomausstieg

Geplant ist in Deutschland, auch noch die letzten sechs verbliebenen Kernkraftwerke noch dieses Jahr abzuschalten. Deutschland würde dann bis zum Jahresende keinerlei Atomstrom mehr produzieren und wäre dann vollkommen a) auf erneuerbare, b) auf sehr stark CO₂ ausstoßende fossile Energieformen (Kohle, Mineralöl, Erdgas) angewiesen oder aber c) auf das Ausland.

Sechs letzten Kernkraftwerke in Dt

Die letzten aktiven Kernkraftwerke in Deutschland, Faktencheck-Screenshot

Laut Civey sind inzwischen aber rund 60 Prozent der Deutschen dagegen, am geplanten Atomausstieg bis Ende 2022 festzuhalten. Ca. 5 Prozent sind in dieser Frage unentschieden und nur 35 Prozent der Bürger wollen an diesem Datum strikt festhalten.

Nur die Wähler von DIE LINKE und der Grünen wollen unbedingt am sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie festhalten

Das sofortige Abschalten aller verbliebenen Kernkraftwerke bis Ende 2022 wird sehr kritisch gesehen von der Wählerschaft

  • der AfD (92%)
  • der FDP (85%) und
  • der CDU/CSU (83%).

Die Anhänger der SPD sind in dieser Frage gespalten. Ca. 47 Prozent sehen dies ebenfalls kritisch und würden gegen ein sofortiges Abschalten stimmen, 48 Prozent wären laut Civey dafür.

Unbedingt am sofortigen Ende jeglicher Kernenergie noch dieses Jahr wollen festhalten:

  • eine Mehrheit der Anhänger von DIE LINKE (57%)
  • und eine klare Mehrheit der Anhänger von Bündnis 90/Die Grünen (76%).

Dazu muss man freilich wissen, dass die im Januar 1980 in Karlsruhe gegründete Partei Die Grünen aus der Anti-Atomkraft-, der Umwelt-, der Friedensbewegung und aus Neuen Linken (Neomarxisten) entstanden ist, so dass die extreme Aversion gegen Atomkraft quasi zur DNA dieser Partei gehört.

Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung im Jahr 2020

  • Frankreich: 70,6 %
  • Slowakei: 53,1 %
  • Ungarn: 48 %
  • Bulgarien: 40,8 %
  • Belgien: 39,1 %
  • Slowenien: 37,8 %
  • Tschechien: 37,3 %
  • Finnland: 33,9 %
  • Schweden: 29,8 %
  • Spanien: 22,2 %
  • Rumänien: 19,9 %
  • Deutschland: 11,2 bis 11,3 %

Und diese 11,2 bis 11,3 Prozent will die Ampelkoalition aus SPD, Grüne und FDP in Deutschland noch dieses Jahr auf 0 herunterfahren.

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB und ggf. welcher Artikel Sie besonders überzeugte. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR