Von Jürgen Fritz, Mo. 07 Mrz 2022, Update: Do. 10 Mrz 2022, Titelbild: ZDF-Screenshot
„Wir haben über 280 russische Panzer vernichtet. Das sind mehr als die Bundeswehr heute hat, viel mehr“, sagte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk gestern Abend bei Anne Will unter Zustimmung von General a. D. Egon Ramms. Melnyk zeigte sich etwas enttäuscht, wie wenig man den Ukrainern zutraue, würde sich vom politischen Berlin etwas mehr Zuversicht wünschen.
Putin hat 11.000 Soldaten verloren in zehn Tagen – er kann diesen Krieg am Boden gar nicht gewinnen
„Wir haben über 40 Flugzeuge, Kampfjets abschießen können. Und zwar mit den Raketenwerfern, die wir haben, also mit kleinem Gerät“, so Melnyk weiter. „Das ist ungefähr das, worüber die Bundeswehr, die deutsche Luftwaffe verfügt. Und das innerhalb von zehn Tagen!“
Vom politischen Berlin zeige er sich ein wenig enttäuscht. „Ich wünsche mir, dass das, was der General (Egon Ramms) hier sagt, dass auch die Ampelregierung ein bisschen mehr Zuversicht und Zutrauen hätte uns gegenüber, dass wir diesen Krieg in der Tat gewinnen können, weil wir ihn nicht verlieren dürfen.“
Dabei habe die Ukraine noch fast gar keine Waffen aus dem Ausland tatsächlich erhalten. „Wir haben noch fast gar nichts bekommen“, sagt Melnyk. „Nur Antipanzer-Raketen – Danke für diese Entscheidung! -, tausend Stück und 500 Stinger (Flugabwehrraketen), aber wir brauchen viel mehr. Und zwar jeden Tag.“
„Und dann könnten wir tatsächlich – vielleicht schon in den nächsten Tagen oder Wochen – Putin zeigen, dass dieser Krieg am Boden gar nicht zu gewinnen ist. Er hat die Lufthoheit, leider!“ Das sei die Schwachstelle. Aber Putin verzweifle langsam angesichts der Verluste, die ihm die Ukraine zufüge. „Er hat 11.000 Soldaten verloren in zehn Tagen“, so der Botschafter, der bei uns ähnlich engagiert für sein überfallenes Land kämpft, wie Millionen Menschen in seiner Heimat.
In Afghanistan verlor die 280 Millionen-Sowjetunion den Krieg gegen ein 13 Millionen-Volk
Zum Vergleich: In Afghanistan hat die Sowjetunion tatsächlich fast zehn Jahre Krieg geführt (von Dezember 1979 bis Februar 1989). Dort seien ca. 15.000 sowjetische Soldaten gefallen meinte Melnyk – in zehn Jahren! Und nun 11.000 Soldaten in zehn Tagen, das sei der Unterschied, sagte der Botschafter. Sprich so viel verlustreicher sei der Ukrainekrieg für Russland.
Die Sowjets gaben ursprünglich wohl an, es wären ca. 13.000 ihrer Soldaten gefallen, später gab der russische Generalstab zu, dass es auf sowjetischer Seite 26.000 tote Soldaten gegeben habe. Und den Krieg gegen Afghanistan hat die Sowjetunion verloren. Bis Februar 1989 zog sie alle ihre Truppen aus Afghanistan ab und die von ihr installierte Regierung in Kabul konnte sich nicht halten. Die Sowjetunion mit ca. 280 bis 290 Millionen Einwohnern (fast doppelt so viele wie Russland heute) hatte den Krieg gegen ein 13,4 Millionenvolk, welches auf 11,9 Millionen reduziert wurde, verloren.
Und nun hat Russland die Ukraine mit 44 Millionen Menschen überfallen. Um das Land dauerhaft zu besetzen, bräuchte die Russen etliche hunderttausende Soldaten. Die etwa 200.000, die Russland rund um die Ukraine zusammengezogen hatte, dürfte kaum ausreichen, Europas zweitgrößten Flächenstaat dauerhaft zu besetzen, sagt der Politikwissenschaftler Masala. Militärexperten schätzen, dass eher 500.000 Soldaten notwendig wären, die Ukraine zu besetzen. Das wäre die Hälfte aller russischen Soldaten, die dann auf Jahre in der Ukraine gebunden wären.
Hinzu kommen laut NATO-Experten Motivationsprobleme bei russischen Soldaten, insbesondere auch weil sie über das Ziel ihres Einsatzes gar nicht informiert, sondern nach Strich und Faden belogen worden seien.
Russland droht ein Afghanistan 2.0
Viele Ukrainer meldeten sich in den vergangenen Tagen freiwillig zum Kampf, die Armee gab in Kiew Waffen für den Widerstandskampf aus. In den Straßen der Hauptstadt machten sich Bürger daran, Brandsätze vorzubereiten.
Das aber ist ein Szenario, dass die russische Armee fürchten müsste. „Straßen- und Häuserkampf in Städten gegen zu allem entschlossene Verteidiger ist für mechanisierte Kräfte eine nahezu unlösbare Aufgabe“, sagt der frühere Generalleutnant der Bundeswehr Heinrich Brauß gegenüber tagesschau.de.
Brauß wundert sich auch deshalb über den fortgesetzten Angriff der russischen Streitkräfte auf Charkiw, statt auf raumgreifende Operationen zu setzen. Dies könne aber eben auch an der Verteidigungsfähigkeit der ukrainischen Armee liegen. Im Süden dagegen kommt die russische Armee offensichtlich voran, um die Landverbindung zwischen dem Donbass und der Krim herzustellen.
Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung kommt Ex-General Hans-Lothar Domröse. „Städte sind wie Berge“, konstatiert Domröse in Anspielung auf die Niederlage der sowjetischen Armee im Afghanistan-Krieg. Wer dort „ohne Überlegenheit“ mit Einheiten einrücke, müsse damit rechnen, „aus den Kellern, und U-Bahn-Schächten und aus den Bunkern heraus abgeschossen“ zu werden.
Französischer Außenminister und britischer Verteidigungsminister glauben an den Sieg der Ukraine
Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian glaubt inzwischen sogar trotz heftiger Verluste an einen Sieg der Ukraine über die völkerrechtswidrig angreifenden russischen Streitkräfte. „Ich glaube, dass die Ukraine gewinnen wird“, sagt Le Drian dem Sender France 5. „Was seit zehn Tagen am meisten auffällt, ist die starke Widerstandsfähigkeit der Ukraine, in einem Ausmaß, das sich die Experten nicht vorstellen konnten.“
Zu einer ähnlichen Einschätzung kam dann am Dienstag auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace: „Das ukrainische Volk kann die russischen Streitkräfte so weit zermürben, dass es für einen Sieg oder zumindest ein Patt ausreicht“
Und ein Geheimdienstler des russischen FSB kam zu der Einschätzung: „Der Blitzkrieg ist gescheitert“. Er spricht von einem „Totalversagen“. Es gebe für Russland „keinen Ausweg mehr, keine Option für einen Sieg„, denn die Ukraine könne unmöglich dauerhaft besetzt werden. Der wirtschaftlichen Zusammenbruch Russlands sei kaum noch vermeidbar. Die Lage Russlands sei „wie die Deutschlands zwischen 1943 und 1944 – nur, dass es unser Startpunkt ist.“
Update: 10.03.2022
Laut ukrainischen Angaben vom Donnerstagmorgen (10.03.2022) sind seit Kriegsbeginn (in 14 Tagen) mehr als 12.000 russische Soldaten gefallen. Zudem habe die Ukraine 49 russische Flugzeuge und 335 Panzer zerstört.
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