Was, wenn die vermeintlichen „Verfassungsschützer“ verfassungsfeindlich sind?

Von Michael Klonovsky, Mo. 21. Jan 2018

Zu sagen, man habe kein Interesse daran, „Menschheit“ zu werden, man wolle Deutscher bleiben, mithin deutscher Staatsbürger, also Teil des Souveräns unserer freiheitlichen Demokratie, das sei verfassungsfeindlich, meinen einige, bei denen sich der geneigte Bürger fragt, welches Unverständnis unserer Verfassung derjenige in sich trägt, der solch abstruse Rubrizierungen von sich gibt. Was aber, wenn die solches von sich Gebenden es in höchste Ämter des Staates bringen und dann die ihren zu obersten Wächtern der Verfassung bestellen, welche sie gemeinsam gerade abzubauen und zu zerstören sich zum Ziel gesetzt haben? Michael Klonovsky geht der Sache nach.

Wir haben kein Interesse daran, Menschheit zu werden; wir wollen Deutsche bleiben

Ein wesentliches Charakteristikum des besten Deutschlands, das es je gab, besteht darin, dass dieses beste Deutschland unglaublich viel besser ist – und sein wird! – als alle Deutschlands zuvor, und es sich theoretisch leisten könnte, von der dümmsten Politikergeneration, die unser Land je hervorbrachte, regiert zu werden, von der dümmsten Publizistengeneration, die unser Land je hervorbrachte, desinformiert, der dümmsten Pfaffengeneration, die unser Land je hervorbrachte, betrogen etc. pp., und seit Neuestem wissen wir auch, dass dem besten Deutschland, das es je gab, auch kein Schaden daraus entstünde, wenn es von der dümmsten Verfassungsschützergeneration behütet resp. bespitzelt würde, die dieses beste Deutschland jemals, also auch als es noch nicht das beste Deutschland ever, sondern nur das jeweils beste Deutschland seiner Zeit und insgesamt viel schlechter war, in seinen Dienst stellte.

Dieser Verdacht stieg in mir auf, als ich im Tagesspiegel Zitate aus einem Gutachten las, mit welchem das Bundesamt für Verfassungsschutz „Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ in den mit ruhigem, festen Tritt flanierenden Reihen der AfD nachzuweisen sich anheischig macht. So soll, sofern der Tagesspiegel korrekt zitiert, folgender Abschnitt aus einer Rede von Alexander Gauland auf dergleichen Bestrebungen hindeuten, nämlich:

„Wir befinden uns in einem Kampf gegen Kräfte, die ihr globalistisches Programm der Nationenauflösung, der ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung und der Traditionsvernichtung als die Menschlichkeit und Güte selbst verkaufen. Wir sollen uns im Dienst des Menschheitsfortschritts verdrängen lassen. Wir sollen uns als Volk und Nation in einem großen Ganzen auflösen. Wir haben aber kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben.

Die Diffamierung des Wunsches, Deutscher bleiben zu wollen

Dem Tagesspiegel zufolge lautet die Bewertung durch den oder die Verfassungsschützer, in dem zitierten Passus fänden sich – genaugenommen: fänden sie –  „erste tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass Gauland, wie sein Name schon sagt, „ein ethnisch-biologisch bzw. ethnisch-kulturell begründetes Volksverständnis propagiere, „das gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verstößt“ – also, wie der Genosse Journalist sofort Bescheid weiß, „gegen die erste, zentrale Aussage des Grundgesetzes: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.'“

Das konstatiert, wie gesagt, ein Verfassungschützer, also ein echter, hauptamtlicher, kein taz-Redakteur – aber wie wir von Günter Maschke wissen, kann in der BRD jeder zum Verfassungsfeind des anderen werden, und gewisse Grundgesetzformeln sind daran nicht ganz unschuldig. Damit bringt der Beamte, theoretisch, die Sichtweise des Staates zum Ausdruck, praktisch aber nur sein mutmaßliches taz-Abo (wenn nicht -Pedigree!), denn selbst der linkeste Staatsanwalt würde zögern, aus jemandes Wunsch, Deutscher bleiben zu wollen, eine Verletzung der Menschenwürde Nichtdeutscher herzuleiten.

Beiseite gesprochen: Die anderen, Türken, Nordkoreaner, Usbeken, Senegalesen etwa, haben Glück, sie dürfen Türken, Nordkoreaner, Usbeken, Senegalesen bleiben und unbeirrt Nichttürken, Nichtnordkoreanern, Nichtusbeken und Nichtsenegalesen ihr Nichttürke-, Nichtnordkoreaner-, Nichtusbeke- und Nichtsenegalesesein unter die nichttürkischen, nichtnordkoreanischen, nichtusbekischen und nichtsenegalesischen Nasen reiben, weil in ihren Verfassungen – der Einfachheit halbe wähle ich diesen Sammelbegriff – kein so hochherziger erster Satz steht, dessen teils göttlich-kippingneske, ja claudiarothige, teils wiederum bisweilen an die satanischen Verse im Koran erinnernde Großartigkeit heute nicht erörtert werden soll.

Was, wenn die obersten Verfassungsschützer in Wahrheit verfassungsfeindlich sind?

Als Symptom ist dieser übergeschnappte Befund freilich hochinteressant und wahrscheinlich typisch, denn was der vermeintliche Verfassungschützer da vorträgt, ist nicht nur schwachsinnig – wenn ich auf meine Identität bestehe, wenn ich beispielsweise gern männlich, schwarz, homosexuell und deutsch bin, verletze ich keineswegs die Würde einer weißen belgischen Hete, ich verletze damit überhaupt niemandes Würde, wobei hier noch anzumerken ist, dass sogar unser in korannaher Heiligkeit im moralischen Orbit kreisendes Grundgesetz einzig und allein die Würde des Menschen in Deutschland schützen kann –, davon abgesehen, um den Faden wieder aufzunehmen, ist diese Aussage verfassungsfeindlich, denn sie behauptet, es sei verfassungsfeindlich, Deutscher bleiben, also zum Souverän des Grundgesetzes gehören zu wollen.

Es kann aber auch sein, dass der Verfasser bloß sein Abi in Berlin gemacht hat, womit sich der Kreis zu meiner eingangs geäußerten Idee schlösse, auch deutsche Verfassungsschützer könnten die dümmsten aller Zeiten sein, ohne dass das Bessersein des heutigen Deutschlands gegenüber all den früheren davon tangiert würde, hélas und ahimè!

Für den sensiblen Tagesspiegel-Leserbriefschreiber, der den Hinweis auf die extremistische Inschrift über dem Reichstagsportal – „Dem deutschen Volke“ steht dort (noch!) – mit der Replik konterte, mit diesem Begriff sei damals etwas anderes gemeint als heute, gestatte ich mir noch den Hinweis, dass das staats- und völkerrechtlich nicht ganz stimmt, ansonsten aber zum Teil durchaus. Dass es keine deutsch-arische Rasse gibt, mussten freilich bereits die Nationalsozialisten und musste speziell deren Führungspersonal zerknirscht und selbstkritisch anerkennen. Zu allen Zeiten fanden europäische Binnenwanderungen statt, es gibt kein ethnisch homogenes deutsches Volk. Deutscher heißt heute: deutscher Staatsbürger. Die Staatsbürgerschaft sollte genau deshalb nicht verschenkt, sondern von Einwanderern durch Bildung, Edelmut und große Taten erworben werden. Ist so ungefähr übrigens AfD-Position.

Das war bestimmt Gauland

Wie steht es aber aus Schlapphutsicht mit dieser, im Tagesspiegel nicht zitierten Passage:

„Deutschland muss Zuwanderung stärker steuern und begrenzen als bisher. Zuwan­derung kann kein Ausweg aus den demografischen Veränderungen in Deutschland sein. Wir erteilen einer Ausweitung der Zuwanderung  aus Drittstaaten eine klare Absage, denn sie würde die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft überfordern. Verstärkte Zuwanderung würden den inneren Frieden gefährden und radikalen Kräften Vorschub leisten. Man schafft mit der angeblichen ‚Härtefallregelung‘ und der Auswei­tung der Aufenthaltsrechte über die Genfer Flüchtlingskonvention hinaus massive Anreize für Armutsflüchtlinge aus aller Welt. Dies würde in kurzer Zeit zu einer erheblich höheren Zuwanderung nach Deutschland führen, die nicht im Interesse unseres Landes ist. (…)

Deutschland soll seine Identität bewahren. Die Umgestaltung in eine multikulturelle Einwanderergesellschaft lehnen wir ab.“

Der Text stammt aus dem Regierungsprogramm von CDU/CSU 2002-2006 (hier S. 59 ff.) Das Oberhaupt der identitären Zündlertruppe hieß damals Angela Merkel, der Verfassungschutzchef allerdings noch lange nicht Maaßen, sondern Heinz Fromm (SPD). Gauland war damals noch in der CDU. Womöglich war der’s.

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Dieser Text erschien zuerst auf dem sehr empfehlenswerten Blog von Michael Klonovsky. Er erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des geschätzten Autors und Blogbetreibers.

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Zum Autor: Michael Klonovsky, 1962 im Erzgebirge geboren, ist Romanautor und Publizist. Aufgewachsen in Ostberlin. Maurerlehre. Abitur. Seit 1990 Journalist. “Wächterpreis der Tagespresse” für die „Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen durch die DDR-Justiz und den Staatssicherheitsdienst“. 1992: Wechsel zum Focus, zunächst als Redakteur, später als Chef vom Dienst bzw. Textchef, Leiter des Debattenressorts, sodann als Autor. Am 31. Mai 2016 endete die Ehe mit Focus, die Partner hatten sich auseinandergelebt. Von Juni 2016 bis Anfang 2017 war er parteiloser Berater von Frauke Petry, von Juni bis November 2017 Sprecher der von Jörg Meuthen geführten Landtagsfraktion der AfD Baden-Württemberg. Michael Klonovsky ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt: Bunt wie ein Niqab – Reaktionäres vom Tage, Acta diurna 2017, Manuscriptum, 2018, EUR 26,80

Bunt wie ein Niqab

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Titelbild: YouTube-Screenshot von Thomas Haldenwang, dem Nachfolger von Hans-Georg Maaßen als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

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