Das naive Bewusstsein und das Null-Eins-Denken

Von Jürgen Fritz, 24. Nov 2017, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons

Kennen Sie das: jemand hat etwas für sich innerlich als gut oder schlecht bewertet und möchte nun überhaupt nichts sehen oder hören, was sein einmal gefasstes Urteil in Frage stellen könnte? Oder jemand verdammt völlig undifferenziert alle Politiker, Männer, Frauen etc. gleichermaßen. Was für ein Denken liegt dem zu Grunde und wie können solche inadäquaten Muster überwunden werden?

Null oder Eins

Das naive Bewusstsein tickt wie folgt: Wenn es A als gut bewertet hat und B als schlecht, dann versucht es, alle Fakten, Aspekte und Argumente, die gegen A oder für B sprechen könnten, krampfhaft abzuwehren oder zu verdrängen. Warum tut es dies? Weil dies das innerlich bereits gefällte Urteil in Frage stellen würde. Weil dies ein Gefühl der Verunsicherung erzeugen, mithin den inneren sicheren Halt gefährden könnte. Was ist aber der tiefere Grund für ein derartiges Agieren? Die eigentliche Ursache hierfür liegt im Null-Eins-Denken. Das naive Bewusstsein kennt oftmals nur zwei Gruppen, in welche alles eingeordnet wird: Null oder Eins.

Der naive religiöse Christ kann es daher kaum ertragen, wenn man Schwächen seines Gottes oder von Jesus herausarbeitet. Der naive Muslim, genauer: Mohammedaner hält es nicht aus, wenn man Dinge an seinem Allah oder Mohammed aufdeckt, die diese in einem auch nur ansatzweise schlechteren Licht erscheinen lassen. Der naive AfD-Anhänger kann es kaum ertragen, wenn man solches bei der AfD tut usw. Warum? Weil dasjenige, welches er innerlich bereits als positiv beurteilt hat, dann nicht mehr in die Einser-Gruppe passen könnte und er ja sonst nur noch die Null-Gruppe hat.

Ein typisches Urteil des naiven Bewusstseins, welches wir oft hören können, lautet zum Beispiel: „Ach, die (Politiker, Männer, Frauen, Unternehmer , Banker …) sind doch alle gleich.“ – Wie kommt derjenige zu so einem undifferenzierten und auch ungerechten Urteil? Ganz einfach, er hat gemerkt, dass alle Genannten, beispielsweise alle Politiker, nicht in seine Einser-Gruppe passen und sonst hat er ja nur noch eine. Also sind für ihn alle gleich, landen somit durchweg im Null-Körbchen, da sie ja nicht in Eins gehören.

Alles ist 0,5

Wieder andere haben sogar nur noch ein Körbchen, in welchem alles landet, nach dem Motto „Jeder und alles hat Stärken und Schwächen“, was natürlich stimmt, aber noch undifferenzierter ist. Hier gibt es quasi nur noch die Gruppe 0,5.

Dieses Alles-ist-0,5-Denken hat einen großen Vorteil: es entlastet ungemein. Viele Menschen haben Angst vor Beurteilungen, weil sie ahnen, dass nicht wenige Urteile über sie selbst nicht sehr gut ausfallen könnten. Das erzeugt Angst oder Furcht, also eine unangenehme Emotion vor dem negativen Urteil. Und jemand, der viele negative, aber nur wenige positive Urteile erfährt, landet dann natürlich in einem schlechteren Körbchen als ein anderer, bei dem es genau umgekehrt ist. Das erzeugt keine angenehmen Gefühle und zudem wirkt es trennend. Viele Menschen haben aber eine starke Sehnsucht nach Verbundenheit. Alles Trennende beurteilen sie daher äußerst negativ.

Hinzu kommt, dass ein Beurteilt-Werden nicht wenige an ihre Schulzeit erinnert, als wir von unseren Lehrern ständig beurteilt wurden. Und die Erinnerung an unsere Schulzeit ist für viele von uns nicht sehr positiv besetzt. Man fühlt sich dann leicht in die Schülerrolle zurückversetzt, die negativ assoziiert und konnotiert ist. Auch daher das Ressentiment gegenüber dem Beurteilt-Werden. Und den scheinbaren Ausweg bietet hier das 0,5-Denken. Wenn alle im gleichen Körbchen sind, wenn alle eben ihre Stärken und Schwächen haben, dann sind ja letztlich alle irgendwie gleich gut. Welch eine Entlastung!

Überwindung des Null-Eins- und des Alles-ist-0,5-Denkens

Dass beide Konzepte, das Null-Eins- und das Alles-ist-0,5-Denken, keine adäquaten Muster sind, um die Welt zu erschließen und zu verstehen, liegt auf der Hand. Doch wie könnten diese überwunden werden?

Die Lösung und damit die Überwindung dieses schlichten Null-Eins- oder Alles-ist-0,5-Denkens ist eigentlich ganz einfach. Zwischen 0 und 1 befinden sich unendliche viele rationale (und noch mehr reelle) Zahlen. Bei der Beurteilung der Qualität von X wird man fast nie bei 0 oder 1 landen, wenn man etwas genauer hinschaut, sondern fast immer irgendwo dazwischen. Aber 0,9 ist eben etwas ganz anderes als 0,1. Jenes hat eine vollkommen andere Qualität als dieses.

Nicht so für das undifferenzierte Bewusstsein. Für dieses ist beides nicht 1 oder sogar alles 0,5. Etwas zwischen 0 und 1 oder etwas anderes als 0,5 kennen beide nicht. 0,6 und 0,4 oder gar 0,9 und 0,1 sind beiden fremd. Das heißt, was beiden auf ihre je eigene Art fehlt, ist das, was man Urteilskompetenz nennt. 

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