Von Jürgen Fritz, Mi. 31. Okt 2018
Am Montagnachmittag kurz nach 13 Uhr kündigte Angela Merkel öffentlich an, den CDU-Parteivorsitz Anfang Dezember abzugeben, nicht aber die Kanzlerschaft. Bundeskanzlerin wolle sie bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben. Damit hat sie die Reißleine gezogen, denn ihr war klar, wenn sie nun nicht schnell agiert, wird man ihr in der eigenen Partei das Heft des Handelns aus der Hand nehmen. Doch mit diesem Schritt hat sie sich selbst ihrer Machtbasis beraubt. Spätestens im Mai werde sie auch als Kanzlerin zurücktreten (müssen), prophezeit Sigmar Gabriel, und ich glaube, er liegt mit seiner Einschätzung vollkommen richtig. Es wird ihr gar keine andere Wahl bleiben, weil …
Rücktritt als Parteivorsitzende
Seit vielen, vielen Monaten war die CDU eine unglaublich geduldige Partei. Ich hatte schon vor 14 Monaten prognostiziert, dass Merkel nur aus der CDU heraus gestürzt werden könne und diese wiederum nur geschehen werde, wenn die Union miserable Wahl- und Umfrageergebnisse erzielt. Im Grunde ist es eher verwunderlich, dass die Schmerzgrenze in der CDU so groß war und sie so lange all die Pein aushielt, bis die Union insgesamt auf 24 bis 27 Prozent gestürzt ist.
Ich hätte vermutet, dass dies schon bei dauerhaft unter 30 Prozent geschehen würde. Insofern ist diese Entwicklung insgesamt nicht wirklich verwunderlich, wenngleich man den genauen Zeitpunkt ja nie wirklich wissen kann, wann etwas passieren wird – dazu gibt es immer viel zu viele Faktoren, die mit rein spielen und die man nicht alle im Detail voraussehen kann – und dann doch ein wenig überrascht ist, wenn das passiert, von dem man eigentlich wusste, dass es geschehen wird, ja geschehen muss. Am Montagnachmittag war es nun also so weit: Die CDU-Vorsitzende gab bekannt, dass sie nach 18 Jahren an der Parteispitze dieses Amt abgeben wird. Was hat das zu bedeuten?
Merkels Machtbasis bröckelte immer mehr
Nun, die Sitzung im Adenauerhaus am Montagvormittag dürfte einer der letzten Momente gewesen sein, in denen Merkel noch die Gelegenheit hatte, sich einigermaßen selbstbestimmt zurückzuziehen, wenngleich das natürlich zunächst nur ein halber, ein Teilrückzug war. Schon in einer Woche hätte es anders aussehen können. Seit Wochen steht nämlich fest, dass am kommenden Sonntag und Montag der CDU-Vorstand zu einer Klausur in Berlin zusammenkommt. Spätestens da hätte es eng werden können für die CDU-Vorsitzende und bereits da hätte man ihr das Heft des Handelns aus der Hand nehmen können. Dem kam sie nun zuvor.
Nach dem Wahlergebnis in Hessen, welches der CDU Verluste von fast 11,4 Punkten einbrachte und dem bundesweiten Einbrechen der Union auf inzwischen ca. 25 Prozent – und das zusammen mit der CSU!, ohne diese also auf rund 20 Prozent -, war klar, dass der Druck aus der Partei heraus nun immer stärker werden würde. Dass Merkels Machtbasis immer mehr bröckelt, zeigte sich schon Ende September, als die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag Merkels wichtigste Machtstütze im Parlament, den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, Merkels Einpeitscher, nach fast 13 Jahren im Amt und gegen Merkels ausdrücklichen Wunsch abwählte. Dieser Schuss hatte gesessen.
Der Machtkampf um die Merkel-Nachfolge ist innerhalb von Minuten entbrannt
Nun hat die ehemalige ewige Kanzlerin also einen Ausstieg auf Raten gewählt. Zunächst will sie noch in diesem Jahr den Parteivorsitz abgeben. Auch will sie, so gab sie bekannt, 2021 nicht mehr für den Bundestag und auch sonst kein politisches Amt mehr kandidieren. Dabei hatte Merkel seit Jahren immer wieder betont, wie wichtig es sei, Kanzleramt und Parteivorsitz in einer Hand zu behalten. Schon Helmut Schmidt hatte das im Nachgang seiner Kanzlerschaft und ihrer Beendigung immer wieder betont und auch Gerhard Schröder musste das 2005 schmerzhaft spüren. Wegen der damaligen Debatte über die Hartz-Reformen der „Agenda 2010“ trat Schröder vom SPD-Parteivorsitz zurück und später war allen klar, dass damit gleichsam der Anfang vom Ende seiner Kanzlerschaft eingeläutet war.
Ob nun die Noch-Kanzlerin die von ihr selbst angestoßene Erneuerung an der Parteispitze tatsächlich wie erhofft personell und inhaltlich mitbestimmen kann, ob sie ihre Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer durchdrücken können wird, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Der Machtkampf um die Nachfolge ist jedenfalls schon Minuten nach ihrer Rückzugs-Ankündigung ausgebrochen. Die Nachricht, dass Merkel nicht mehr zur Wahl des CDU-Vorsitzes antreten werde, war noch nicht einmal öffentlich bestätigt, da machte schon die Runde, dass ihr einstiger Vorgänger als Unionsfraktionschef, Friedrich Merz, seinen Hut in den Ring werfen und sich um den Parteivorsitz bewerben wolle. Kurz darauf hat auch Annegret Kramp-Karrenbauer, Merkels Liebling (Kammerzofe) ihre Kandidatur angekündigt, wie auch Jens Spahn. Der Kampf um die Nachfolge und auch um die weitere Ausrichtung der CDU ist damit seit Montagnachmittag eröffnet. Doch gilt das nur für den CDU-Vorsitz oder auch für die Kanzlerschaft?
Sigmar Gabriel: Spätestens im Mai 2019 wird Merkel auch als Kanzlerin zurücktreten, um den Weg nach Jamaika freizumachen
Sigmar Gabriel, der ehemalige SPD-Parteivorsitzende, Wirtschafts- und Außenminister, rechnet mit einem baldigen Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel – ebenso mit einem baldigen Ende der schwarz-roten Koalition. In einem Gastbeitrag in der Zeit nennt er sogar einen konkreten Zeitpunkt. „Spätestens nach der Europawahl im Mai 2019“ werde Schluss sein, denn: „Angela Merkel weiß, was sie ihrer CDU schuldet.“
Neuwahlen hält Gabriel auch im Falle eines Rücktritts der Noch-Kanzlerin für unwahrscheinlich. Merkels Verzicht auf den CDU-Vorsitz sei vielmehr wahrscheinlich nur der erste Schritt, um am Ende den Weg zu einer Jamaika-Koalition (CDU + CSU + Grüne + FDP) frei zu machen, schreibt Gabriel weiter. Dafür sei es notwendig, dass Merkel auch das Kanzleramt abgebe. Denn FDP-Chef Christian Lindner hatte Merkel für den Ausstieg der Liberalen aus dem Jamaika-Sondierungen im November 2017 verantwortlich gemacht und wiederholt erklärt, dass die FDP in keine Koalition unter Merkel eintreten werde.
Diese Einschätzung des ehemaligen SPD-Vorsitzenden halte ich für sehr realistisch und zutreffend und denke: Genau so wird es wahrscheinlich kommen.
Die SPD braucht einen sozialdemokratisch geprägten radikalen Realismus
Nachdem die Jamaika-Sondierungen geplatzt waren ließ sich schließlich die SPD unter großem Ächzen der Basis noch einmal dazu bewegen, in eine große Koalition einzutreten – eine Entscheidung, die in der Partei bis heute zu Kontroversen führe. Für die SPD sei die Situation momentan besonders vertrackt, erläutert Gabriel. Während sich die CDU nun langsam auf den Weg der personellen und programmatischen Erneuerung mache, müsse die SPD die Regierung stabil halten, um dem politischen Wettbewerber die Zeit zur Erneuerung zu verschaffen – um danach wahrscheinlich als Koalitionspartner ausgetauscht zu werden. Gabriel wörtlich: „Das ist so ziemlich die undankbarste und unbequemste Situation, in die man in der Politik geraten kann“.
Gabriel, der die Geschicke der SPD selbst über sieben Jahre lang lenkte, rief seine eigene Partei zu einem umfassenden Neubeginn auf. Ein programmatischer Neuanfang allein werde nicht reichen – die Programme der Parteien kenne ohnehin kaum noch jemand im Detail. „Die Inhalte sind im Augenblick eher Nebensache“, so Gabriel, denn alles Reden und gutes Regieren in der Koalition in Sachen Rente, Mieten, Pflege, Vollzeit, Arbeit, Weiterbildung, Schule, Kitas hätten der Sozialdemokratie leider nicht geholfen. Gabriel empfiehlt seiner Partei einen „sozialdemokratisch geprägten radikalen Realismus“. Dafür müsse die SPD auch ihre Parteiarbeit grundlegend neu strukturieren:
„Mit hundert jungen Influencern, die Tag und Nacht die sozialen Netzwerke bedienen, wären wir besser aufgestellt als mit einer doppelt so hohen Zahl von Mitarbeitern, die nur die Gruppeninteressen in der SPD austarieren und verwalten.“
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Titelbild: YouTube-Screenshot
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