Kauder abgewählt – Merkels Machtimperium bröckelt immer mehr

Von Jürgen Fritz, Mi. 26. Sep 2018

Er war Merkels wichtigste Machtstütze im Parlament: Volker Kauder. Fast 13 Jahre lang war er Fraktionschef der Union und hat sich unter den eigenen Leuten als Merkels Einpeitscher viele Feinde gemacht. Gestern stellte er sich zur Wiederwahl. Erstmals seit 1973 gab es mehrere Kandidaten zur Auswahl. Erstmals musste sich Merkels Mann einem Herausforderer stellen: dem 50-jährigen Ralph Brinkhaus (CDU). Ein Sieg wurde diesem im Vorfeld nicht zugetraut, allenfalls ein Achtungserfolg. Vor der Wahl war aber klar: Jede Stimme für Brinkhaus ist ein Statement für einen Neubeginn der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und zugleich ein Statement gegen Merkel. Doch dann geschah das nicht für möglich Gehaltene.

Alle Oberen waren für Kauder

Kanzlerin Angela Merkel hatte vor der Kampfabstimmung für Volker Kauder geworben: „Ich schlage ihn aus vollem Herzen vor“, sagte sie nach Angaben von Sitzungsteilnehmern. Sogar CSU-Chef Horst Seehofer warb für ihn. „Ich schließe mich Angela an“, sagte er knapp. Auf Kauder (69) sei Verlass. Kurz vor der immens wichtigen Bayernwahl wollte die CDU nicht als Merkelputschtruppe wahrgenommen werden. Und so sprach sich auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor der Sitzung wiederholt für den Amtsinhaber aus. Brinkhaus konnte dagegen keinen prominenten Fürsprecher für sich gewinnen. Keine Landesgruppe, keine Seilschaft. Nichts. Die merkelkritischen Abgeordneten ums Jens Spahn würden sich über eine Niederlage Kauders zwar freuen, das war klar, wollten aber ihr Pulver für Brinkhaus nicht verschießen. Doch wer ist dieser Ralph Brinkhaus?

Brinkhaus ist kein Rechter innerhalb der CDU, kein lauter Ego-Karrierist. Medienauftritte scheut er fast eher. In der Fraktion gilt er als Teamplayer und Finanzexperte, ist hoch respektiert und sehr beliebt. Bei der Wahl als Fraktionsvize bekam der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vor einigen Monaten bemerkenswerte 99,5 Prozent der Stimmen. Genau deshalb aber war seine Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz so gefährlich für Merkel-Kauder-Machtkartell. Denn Brinkhaus ist ein Indiz dafür, dass der innerparteiliche Widerstand gegen Merkel nun auch in der Mitte der CDU angekommen ist. Und damit wurde die Kampfabstimmung noch spannender.

„Inzwischen ist es sogar ein Risiko, wenn du als Merkels Kandidat giltst“

Brinkhaus könne eigentlich nicht gewinnen, Kauder aber verlieren, meinte ein CDU-Abgeordneter. Selbst eine Wiederwahl mit 60 zu 40 Prozent hätte für ihn eine schwere Niederlage und Schwächung seiner Macht dargestellt. Doch es kam noch viel schlimmer. Dazu gleich mehr. Denn insbesondere Konservative, Wirtschaftsliberale und Migrationskritiker wähnten in Kauders Abwahl einen Hebel, Merkel zu einer politischen Wende zu zwingen und das neue Selbstbewusstsein des Parlaments zu demonstrieren.

Bereits die Tatsache, dass es überhaupt einen Gegenkandidaten zu Kauder gab, zeigte, wie groß die Risse im Machtsystem der Kanzlerin bereits sind. Immer öfter werden Personalien gegen ihren Willen entschieden: Spahn setzte sich gegen den Willen der Kanzlerin bei der Präsidiumswahl durch, ebenso Norbert Lammert beim Kampf um den Vorsitz der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Inzwischen ist es sogar ein Risiko, wenn du als Merkels Kandidat giltst“, sagte ein Funktionär der Jungen Union. Merkels politische Tage seien gezählt, die Abgeordneten emanzipierten sich zusehends.

Kauder: 112, Brinkhaus: 125 Stimmen

Und dass Brinkhaus ein gutes Gespür für die Lage hat und über die Fähigkeit verfügt, zumindest mal andere Töne innerhalb der CDU anzuschlagen, das zeigte er, als er zum Beispiel in der Migrationsfrage folgendes sagte: “Wir müssen weg von dem Schubladendenken. Wer sich gegen mehr Migration ausspricht, ist nicht automatisch ein Rassist. Wir brauchen deshalb eine neue Debattenkultur, damit wir diejenigen, die sich mit ihren Ängsten nicht ernst genommen fühlen, nicht in die Arme von populistischen Parteien treiben.”

Gestern fand sie nun also statt die Wahl des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden, Merkels wichtigstem Mann im Parlament, eine ungeheuer wichtige Stütze ihrer Macht. Die Wahl wurde geheim abgehalten. Damit hatte jeder, der wollte, die Gelegenheit sein ganz persönliches Hühnchen mit Kauder und/oder Merkel zu rupfen. Und dann geschah die Sensation: Nicht Kauder, nicht Merkels Mann, nicht der alte Haudegen und Einpeitscher gewann die Wahl, sondern der Herausforderer. 125 Abgeordnete stimmten für den Ostwestfalen, nur 112 für Kauder, bei zwei Enthaltungen.

Vertrauensfrage und Neuwahlen?

Nach Kauders überraschender Abwahl forderte FDP-Chef Christian Lindner Merkel dazu auf, die Vertrauensfrage zu stellen. „Eine instabile Regierung, die nur mit sich selbst streitet und keine Richtung vorgibt, hat das Land nicht verdient“, sagte Lindner am Dienstagabend. „Deshalb empfehle ich Frau Merkel, die Vertrauensfrage zu stellen. Dadurch kann sie entweder die Stabilität wiederherstellen oder die Führung an andere abgeben. Andere Bundeskanzler vor ihr haben dieses Instrument auch genutzt.“

Die Verfassung sieht den Weg der Vertrauensfrage ausdrücklich vor, um eine Neuwahl zu ermöglichen: „Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen“, heißt es in Artikel 68 des Grundgesetzes. Doch dies wird wohl kaum passieren. Warum nicht? Weil Merkel und die Union dabei noch mehr verlieren würden, siehe hier: Union auf neuem historischem Tief.

Was die Bevölkerung sich wünschen würde

Dabei wünschen sich laut Civey insgesamt schon fast 64 Prozent (49,5 + 14,1), dass die Kanzlerin die Vertrauensfrage im Parlament stellen solle und nur 30 Prozent dass nicht (16,2 + 13,9).

Vertrauensfrage

Für eine Fortsetzung der schwarz-roten Koaliton sind ebenfalls nur noch ca. 30 Prozent der Wähler. Fast 50 Prozent dagegen sprechen sich für Neuwahlen aus.

Neuwahlen (2)

Merkeldämmerung

Und wie schätzen die Deutschen die Führungsstärke von Merkel inzwischen ein?

Führungsstärke (2)

Über 76 Prozent sehen Merkel inzwischen als führungsschwach an. Das heißt, Führungsstärke ist inzwischen nach Meinung der Bevölkerung bei Merkel kaum noch zu erkennen.

Fazit: Nie war die Kanzlerin so schwach wie heute. Ihr Ende, darauf deuten immer mehr Indizien hin, ist nahe. Doch vergessen wir nicht: Nicht nur Merkel muss weg, den gesamten Zeitgeist gilt es zu modifizieren. Wenn die „böse Hexe“ aber mal weg wäre, wäre zumindest ein erster sehr großer Schritt getan.

P.S.: Die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat den Parteivorstand gebeten, sich den 4. und 5. November – das ist genau einer Woche nach der Hessenwahl, drei Wochen nach der Bayernwahl – für eine außerplanmäßige Klausurtagung freizuhalten. Offizielles Thema: Grundsatzprogramm. Nachtigall …

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Titelbild: YouTube-Screenshot

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