Weshalb kam es eigentlich zum Hammelsprung im Bundestag?

Von Jürgen Fritz, Mo. 17. Dez 2018

„AfD will Bundestag vorführen und blamiert sich“ titelte die Schmierenpresse. Oder: Wie die AfD die anderen Parteien vorführen wollte – sich aber am Ende nur selbst blamierte“ oder: „AfD will Bundestag vorführen – und scheitert peinlich“  usw. usf. Tatsächlich scheint einer beim anderen abzuschreiben und fast alle deuten das Geschehen ähnlich, wenn nicht fast gleich. Dabei geht in den M-Medien kaum jemand auf den eigentlichen Skandal ein. JFB tut genau dies.

Die Regeln des Spiels

„Jede Fraktion des Deutschen Bundestages ist durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten“so steht es in Parlamentsgeschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Jede Fraktion. Diese Position ist durchaus nicht zu unterschätzen. Denn die Mitglieder des Bundestagspräsidiums wechseln sich in der Leitung der Bundestagssitzungen ab. Nur bei sehr wichtigen Sitzungen führt der Bundestagspräsident tatsächlich für die gesamte Dauer der Sitzung den Vorsitz. Ansonsten übernimmt einer der Vizepräsidenten und das natürlich nicht immer der gleiche, sondern reihum.

Der Bundestagspräsident hat das Hausrecht und die Polizeigewalt im Bundestag. Er ist oberster Dienstvorgesetzter für die Polizei beim Deutschen Bundestag, welche Teil der Bundestagsverwaltung ist. Auch trifft er die wichtigsten Personalentscheidungen in der Bundestagsverwaltung. Formal werden alle Anschreiben von anderen Verfassungsorganen und auch Gesetzentwürfe aus dem Bundestag an ihn gerichtet. Er vertritt ferner den Bundestag nach außen und steht wegen der Direktwahl des Bundestages protokollarisch direkt hinter dem Bundespräsidenten an zweiter Stelle, noch vor dem Kanzler. Und seit 1994 gilt die Regelung, dass jede Fraktion den Anspruch darauf hat, einen der Vizepräsidenten zu stellen. Eine solche Fraktion ist seit 2017 die AfD.

Fast 14 Monate lang Bruch der Regeln durch fünf der sechs Player

Nach der Wahl am 24. September letzten Jahres hat sich der 19. Deutsche Bundestag in der Sitzung am 24. Oktober 2017, also vor fast 14 Monaten, konstituiert. Und nun raten Sie bitte, wie viele Bundestagsvizepräsidenten die AfD seither stellt. Nein anders, raten Sie bitte wie viele Fraktionen seither einen Bundestagsvizepräsidenten stellen und wie viele Fraktionen keinen.  Vermutlich wissen oder ahnen Sie die richtigen Antworten: Fünf Fraktionen stellen den Präsidenten oder einen Vizepräsidenten (1. CDU/CSU, 2. SPD, 3. FDP, 4. DIE LINKE und 5. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), eine Fraktion, und zwar die drittgrößte von den Sechsen, stellt keinen.

Offensichtlich wird hier also seit fast 14 Monaten massiv gegen den Gleichheitsgrundsatz, das Demokratie- und gegen das Fairnessprinzip verstoßen, ja es werden diese Grundsätze mit Füßen getreten. Dies ist der Grund gewesen, warum die AfD-Fraktion letzte Woche dann ebenfalls die Füße sprechen ließ, dies aber nicht in der Form, dass Prinzipien der Fairness mit diesen getreten wurden, sondern in der Form, dass man die Kollegen ein wenig ab- und aufmarschieren ließ, sprich ihnen Bewegung verschaffte und ihren Feierabend etwas nach hinten verschob. Ist das fair und gerecht, auf die zuvor erwähnte Verweigerung, demokratische Spielregeln einzuhalten, so zu reagieren? Urteilen Sie selbst.

Spielregeln hin, Spielregeln her, wir lehnen jeden AfD-ler ab – Was wollt ihr denn dagegen machen?

Zunächst hatten die Altparteien (CDU, CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und DIE GRÜNEN) sich bereits mehrfach geweigert, den AfD-Kandidaten Albrecht Glaser zum Vizepräsidenten des Parlamentes zu wählen. Die AfD hatten ihn dreimal nominiert und die anderen haben ihn dreimal abgelehnt. Nun nominierte die AfD mit Mariana Harder-Kühnel eine neue Kandidatin, aber auch ihre Wahl wurde letzte Woche schon zum zweiten Mal sabotiert. Harder-Kühnel ist eine Volljuristin mit erstem und zweitem Staatsexamen (Prädikatsexamen), verheiratet und hat drei Kinder.

Das Einzige, was aus der Sicht der Altparteien gegen sie zu sprechen scheint, ist, dass sie AfD-Mitglied ist. Bei der Wahl wäre eine Mehrheit der 709 Bundestagsabgeordneten nötig gewesen, also mindestens 355 Stimmten. Normalerweise geht das bei allen Kandidaten völlig problemlos durch. Claudia Roth (B’90/Grüne) wurde mit 489 Stimmen gewählt, Petra Pau (Die Linke) mit 456 Stimmten. Für Mariana Harder-Kühnel stimmten aber auch im zweiten Wahlgang lediglich 241 Abgeordnete. (Bei Albrecht Glaser waren es sogar nur 115, 123 bzw. 114, dabei stellt ja die AfD alleine schon über 90 Abgeordnete.) Das heißt, bei den anderen Parteien weigern sich bei jedem Wahlgang und bei jedem Kandidaten mindestens 75 Prozent der Parlamentarier, teilweise sogar fast alle, den AfD-Kandidaten zu wählen.

Mit Petra Pau (SED) haben wir dagegen keinerlei Probleme, die wählen wir direkt zur Vizepräsidentinnen

Dies war also der Grund für den durch die AfD erzwungenen Hammelsprung, weil diese damit zeigen wollte, dass sie nicht gewillt ist, dauerhaft so mit sich umspringen zu lassen und sich ihre parlamentarischen und demokratischen Rechte von den anderen rauben zu lassen. Und bedenken Sie bitte: Dies sind dieselben Leute, die für die Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland zuständig sind und welche die Bundesregierung kontrollieren sollen.

Die erneute Nichtwahl von Mariana Harder-Kühnel verkündete übrigens die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Diese wurde, wie oben schon erwähnt, gleich im ersten Wahlgang letztes Jahr mit 456 Stimmen gewählt. Petra Pau ist Jahrgang 1963 und in der DDR aufgewachsen. Sie studierte am Zentralinstitut der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und schloss dieses 1983 als Freundschaftspionierleiterin und als Unterstufenlehrerin für Deutsch und Kunsterziehung ab. Später studierte sie dann an der Parteihochschule Karl Marx in Berlin bis 1988 Diplom-Gesellschaftswissenschaften. Bis 1990 war sie Mitarbeiterin beim Zentralrat der FDJ. Schon ab 1983 war sie SED-Mitglied.

Und mit Claudia Roth haben wir auch keine Probleme

Eine SED-lerin zur Bundestagsvizepräsidentin zu wählen, damit haben also zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten überhaupt keine Probleme, bei jedem AfD-Abgeordneten aber schon. Petra Pau ist übrigens schon seit über zwölf Jahren in diesem Amt.

Ähnliches gilt für Claudia Roth, die schon seit mehr als fünf Jahren Bundestagsvizepräsidentin ist. Claudia Roth, Sie erinnern sich, das die Frau, die ein Studium der Theaterwissenschaft, Geschichte und Germanistik begann, dieses nach zwei Semestern abbrach und niemals irgendeinen Beruf erlernte, die Frau, die unser Grundgesetz nicht kennt, was aber keinen Hinderungsgrund darstellt, Bundestagsvizepräsidentin zu werden, sofern man in der „richtigen Partei“ ist.

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Titelbild: YouTube-Screenshot

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