Im Exklusivinterview mit JFB spricht Kramp-Karrenbauer erstmals Klartext

Von Axel Stöcker, Do. 14. Feb 2019

Seit gut zwei Monaten ist Annegret Kramp-Karrenbauer nun Bundesvorsitzende der CDU. Mit ihr soll alles anders werden, aber doch genau so weitergehen wie unter Merkel. Denn eine drastische Kursänderung würde ja bedeuten, dass zuvor jahrelang katastrophale Fehler begangen wurden, was sich keine Partei gerne eingesteht, noch weniger gerne gegenüber dem Wähler. Was soll man also tun? Bevorzugt wird dann meist die Strategie, das Eine zu sagen und was ganz Anderes zu tun. Denn dann kann man sich je nach Bedarf immer das herauspicken, was man gerade braucht „Aber wir haben doch viel getan“ bzw. „Aber wir haben doch gesagt, dass …“. Der Nachteil dabei: Kein Mensch weiß dann eigentlich noch genau, wofür eine Partei, die gänzlich anders redet als sie handelt, steht. JFB fühlte der neuen CDU-Vorsitzenden ein wenig auf den Zahn.

Wir als Sozialdemokraten stehen für Rechtsstaatlichkeit – Christdemokraten, Christdemokraten natürlich!

JFB: Frau Kramp-Karrenbauer, das Werkstattgespräch der CDU zum Thema Asyl und Migration ist vor wenigen Tagen zu Ende gegangen. Ein Resümee zogen sie auch mit dem Satz „Der Rechtsstaat darf sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen“, der spontanen Applaus auslöste. Warum muss die CDU das extra betonen? Wurde dem Rechtsstaat in den letzten Jahren auf der Nase herumgetanzt?

AKK: Nein. Also, wir als Sozialdemokraten, Verzeihung: wir als Christdemokraten meine ich natürlich, wir als Christdemokraten stehen ja gerade für Rechtsstaatlichkeit. Da kann es ja schon deshalb nicht sein, dass es unter einer CDU-geführten Regierung zu so etwas kommt. Das wäre ja in etwa so, als ob sich die SPD nicht mehr um die Arbeiter kümmern würde, verstehen Sie? Rechtsstaatlichkeit ist ein Erkennungsmerkmal unserer Partei, das uns ebenso klar von den anderen abhebt, wie die rhetorische Brillanz unserer Vorsitzenden. Denken sie nur an Kohl, Merkel oder nun an mich.

Natürlich sind Grenzschließungen möglich, wir haben nie etwas anderes behauptet!

JFB: Für Aufsehen sorgte auch Ihre Äußerung aus den Tagesthemen, dass Grenzschließungen als „Ultima Ratio denkbar“ seien. Nun fordert nicht einmal die AfD Grenzschließungen, sondern lediglich Grenzkontrollen und die Zurückweisung bestimmter Personengruppen. Wollen Sie mit dieser Wortwahl die politische Konkurrenz rechts überholen?

AKK: Die AfD ist eine rechtspopulistische, in Teilen rechtextreme Partei, mit der wir nichts gemein haben und auch nicht kooperieren. Wer, wie Herr Gauland die Nazizeit als Vogelschiss bezeichnet, mit dem haben wir nichts zu tun.

JFB: Die Frage zielte auf die Verwendung des Begriffs Grenzschließung bzw. der Formulierung „die deutsche Grenze dicht machen“, wie Herr Zamperoni das formulierte, der sie explizit zugestimmt haben.

AKK: Herr Höcke hat von einem Denkmal der Schande gesprochen. Mit so jemandem lassen wir uns nicht vergleichen!

JFB: Aber es ging um den Begriff der Grenzschl…

AKK: Höcke!!

Nur weil ich genau das Gegenteil von Merkel sage, heißt das noch lange nicht, dass wir nicht einer Meinung wären

JFB: Gut, kommen wir zur nächsten Frage. Was halten Sie von der Aussage „Sie können die Grenze nicht schließen. Es gibt den Aufnahmestopp nicht“?

AKK: Das ist Unsinn. Wer das sagt, hat von der Materie nicht viel Ahnung. Die Grenzschließung gehört in den Werkzeugkasten des Rechtsstaates, wenn auch nur als Ultima Ratio, das ist ein Ergebnis des Werkstattgesprächs. Ansonsten lassen wir uns wieder auf der Nase herumtanzen. Es geht um Humanität und Härte und als allerletzte Möglichkeit muss dann eben auch Härte mögliche sein.

JFB: Der Satz stammt übrigens von Angela Merkel. Sie sagte ihn im Oktober 2015 bei Anne Will. Stehen Sie im Widerspruch zur Kanzlerin?

AKK: Wer? Ich? Nein! „Grenzschließung als Ultima Ratio“ und „Sie können Grenzen nicht schließen“, das ist in meinen Augen ein völlig konstruierter Widerspruch. Wir sind uns in der großen Linie völlig einig.

Deutschland ist das einzige Land, das Menschen menschenwürdig aufnehmen kann

JFB: Aber die Kanzlerin hat ja ein gewichtiges Argument auf ihrer Seite. Die Zeit beschreibt es in einer ersten Reaktion auf Ihr Werkstattgespräch so: Es wäre „inhuman, Menschen mit Gewalt … am Überschreiten der Grenze zu hindern und sie mittel- und hilflos irgendwo im Niemandsland stranden zu lassen.“ Finden sie es moralisch vertretbar Österreich und andere europäische Länder als „Niemandsland“ zu bezeichnen?

AKK: Moralisch gesehen ist Deutschland natürlich das einzige Land der Welt, das in der Lage ist, Menschen wirklich adäquat aufzunehmen. Das ergibt sich direkt aus dem erweiterten Bauchgefühl der Kanzlerin. Und natürlich aus den Teddybär-Tsunamis an den Bahnhöfen. Trotzdem müssen wir realistisch bleiben und als Ultima Ratio die Grenzen schließen können.

JFB: Wie soll denn so eine Grenzschließung im Fall der Fälle aussehen?

AKK: Auch das habe ich im Interview mit den Tagesthemen schon erläutert und auch hier zeigt sich, wie die Kanzlerin und ich an einem Strang ziehen. Ich sagte wörtlich: „Wir haben auch seit dem vergangenen Sommer im Übrigen eine andere Situation. Die Kanzlerin hat ja in Europa verhandelt, dass man auch auf Grundlage von Vereinbarungen mit Nachbarstaaten darüber reden kann.“

JFB: Das klingt ja schon recht ausgefeilt…

AKK: … das meine ich auch!

Wir haben ja dank Merkels Verhandlungsgeschick schon sehr effektive Abkommen geschlossen, die es uns ermöglichen, ca. null Migranten pro Jahr zurückzuweisen

JFB: Trotzdem nochmal zum besseren Verständnis für unsere Leser: Meinen Sie zum Beispiel jene Vereinbarung mit Spanien, die besagt, dass ein dort registrierter Asylbewerber, der über Frankreich und Italien nach Österreich reist, um dann an der dortigen deutschen Grenze zufällig einen der drei kontrollierten Übergänge (von etwa 90) nach Deutschland zu nehmen, dass ein solcher und nur ein solcher Asylbewerber also, an der Grenze zurückgewiesen werden kann?

AKK: Exakt. Dieses Abkommen meine ich. Hier zeigt sich exemplarisch die Einstellung der CDU zu ihrem Markenkern, der Rechtstaatlichkeit, den ich vorher erwähnte. Law and Order sind für uns eben nicht nur Schlagworte, sondern wir handeln auch entsprechend. Die Kanzlerin hat hier ihr ganzes Verhandlungsgeschick in die Waagschale geworfen und die Spanier wirklich zu maximalen Zugeständnissen bewegt!

JFB: Können Sie uns sagen, wie viele Asylbewerber durch dieses Abkommen bisher an der Einreise gehindert wurden.

AKK: Ja. Stand letzten Oktober waren es genau Null. Das klingt jetzt vielleicht nach wenig, aber ich habe gehört, dass sich die Zahl inzwischen verdoppelt haben soll. Das ist allerdings noch nicht bestätigt. Außerdem muss man ja bedenken, dass die Kanzlerin ein ähnliches Abkommen mit Griechenland ausgehandelt hat. Und da waren es deutlich mehr, nämlich drei! Tendenz steigend!

Jeder weiß, dass wir als CDU die Partei sind, welcher der Schutz der eigenen Bevölkerung über alles geht – jedenfalls seit Montag

JFB: Beeindruckend, in der Tat! Darüber hinaus wollen sie ein „Frühwarnsystem“ installieren, das Migrationsbewegungen früh erkennt. Doch auch hier gibt es Kritik an Ihrer Wortwahl. Frühwarnsysteme gibt es für Tsunamis, aber hier kommen ja keine Wellen, sondern Menschen. Machen sie hier nicht die Sprache der AfD salonfähig?

AKK: Höcke!!

JFB: Gut, lassen Sie mich anders Fragen: Sie sind also einig mit Wolfgang Schäuble, der im November 2015 bezogen auf Flüchtlingskrise sagte: „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt.“ und der diesen Vergleich Flüchtlinge-Lawine auch später noch einmal explizit verteidigte?

AKK: Hier bin ich in der Tat völlig bei Wolfgang Schäuble. Wie gefährlich Lawinen sein können, haben wir ja gerade in diesem Winter wieder gesehen.

JFB: Ich möchte noch einmal auf die Grenzschließungen zurückkommen. Was soll daran eigentlich neu sein? Schließlich gab es schon im Juli 2017 anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg eine Grenzschließung bzw. strikte Grenzkontrollen?

AKK: Ja, aber das können Sie nicht vergleichen. Damals ging es um den Schutz der Staats- und Regierungschefs von 20 Industrienationen.

JFB: Demnach wäre das Neue bei Ihren Grenzschließungen, dass diesmal auch die deutsche Bevölkerung geschützt werden soll?

AKK: So ist es. Die Priorität meiner Partei, der Sozialdemokr…, pardon, der Christdemokraten, liegt ganz klar auf dem Schutz der einheimischen Bevölkerung. Das ist unsere moralische und rechtliche Pflicht als Regierungspartei. Jedenfalls ist das seit letztem Montag so.

Natürlich sind wir als Christen gegen einen Schießbefehl, notfalls muss aber halt geschossen werden, ist doch klar

JFB: Aber nochmal: wie soll der Grenzschutz im Fall der Fälle funktionieren? Die Grenze zu Österreich ist mehr als 800 Kilometer lang. Wie wollen Sie die durchgängig kontrollieren?

AKK: Ich weiß genau, dass Sie mich zur Schlagzeile „Kramp-Karrenbauer will Grenzzäune errichten“ provozieren wollen.

JFB: Wir wollen nur wissen, wie Ihr Plan aussieht. Wie sieht er aus?

AKK: Wir müssen natürlich genügend Bundespolizisten einsetzen und dürfen Zurückweisungen nicht scheuen. Dies muss notfalls auch mit Grenzsicherungsanlagen durchgesetzt werden.

JFB: Wie hoch sollen die Zäune sein?

AKK: Sie können es nicht lassen! Schauen Sie doch mal nach Spanien. Die haben auch hohe Zäune.

JFB: Was passiert, wenn ein Flüchtling über den Zaun klettert?

AKK: Dann muss die Polizei den Flüchtling daran hindern, dass er deutschen Boden betritt.

JFB: Und wenn er es trotzdem tut?

AKK: Sie wollen mich schon wieder in eine bestimmte Richtung treiben.

JFB: Noch mal: Wie soll ein Grenzpolizist in diesem Fall reagieren?

AKK: Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch…

Auch dazu kann ich Ihnen nichts sagen, unterhalten können wir uns aber schon

JFB: Bevor wir noch beim Schießbefehl landen, Frau Petry, pardon: Frau Kramp-Karrenbauer, noch eine letzte Frage: In der Ministeranweisung vom 5. September 2015 heißt es: „Drittstaatsangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens die Einreise zu gestatten ist“ Nun hat eine solche Anweisung ja überhaupt nur dann einen Sinn, wenn die Regelung vorher anders war. Wann wird diese Ministeranweisung aufgehoben?

AKK: Das muss ich aber jetzt hier nicht noch einmal erläutern, oder? Dazu hat sich doch schon Innenstaatsekretär Krings am 8. Oktober im Petitionsausschuss geäußert.

JFB: Achso? Und in welchem Sinne?

AKK: Er drückte sich, meine ich, so aus: „Dazu kann ich nichts sagen.“

JFB: Frau Kramp-Karrenbauer, wir danken Ihnen für dieses sehr aufschlussreiche Gespräch!

„Wir als Sozialdemokraten“

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Das Interview führte Axel Stöcker für JFB.

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Zum Interviewer: Axel Stöcker, Jg. 1967, hat Mathematik und Chemie studiert und ist Gymnasiallehrer. Auf seinem Blog, die-grossen-fragen.com, arbeitet er sich an den großen Fragen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie ab. Doch auch politische Verwerfungen stacheln ihn gelegentlich zu Kommentaren an.

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Titelbild: YouTube-Screenshot

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