Dokumentation, Fr. 06. Mär 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot
Als erster Redner der FDP sprach in der gestrigen Bundestagsdebatte über „Konsequenzen aus den rechtsterroristischen Morden“ vom 19. Februar der im Iran geborene Bijan Djir-Sarai, der in seinem zwölften Lebensjahr nach Deutschland kam und seit über 30 Jahren in unserem Lande lebt. Djir-Sarai fand sehr eindringliche Worte und warb dafür, die Gesellschaft nicht zu spalten, sondern zu versöhnen.
Bijan Djir-Sarais Bundestagsrede vom 05.03.2020
(Hervorhebungen durch JFB)
»Herr Bundespräsident! Herr Bundestagspräsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Normalerweise halte ich in diesem Haus außen- und sicherheitspolitische Reden. Es war mir aber ein persönliches Bedürfnis, in dieser wichtigen Debatte heute mitzuwirken. Wenn ich vor zehn Jahren eine Rede über Hass und Rechtsextremismus in Deutschland gehalten hätte, hätte ich eine andere Rede gehalten. Ich hätte hier gesagt, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist und Hass und Extremismus in unserem Land keinen Platz haben. Heute sage ich: Ja, wir sind ein weltoffenes und tolerantes Land, aber es gibt Entwicklungen in unserem Land, die mich beunruhigen und zutiefst schockieren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Die Tat von Hanau führt uns einmal mehr auf tragische Weise vor Augen, wohin Hass und rechtsextreme Hetze führen können. Für das, was in Hanau passiert ist, gibt es keine Rechtfertigung.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt kein „Ja, aber“. Menschen sind aufgrund rassistischer Motive gezielt getötet worden – Punkt. Unser tiefempfundenes Beileid gilt den Opfern dieser schrecklichen Tat und ihren Angehörigen. Jede Verharmlosung, jede Relativierung dieser Tat sind menschenverachtend und fügen den Angehörigen der Opfer nur weiteres Leid zu.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn unschuldigen Menschen aufgrund von Hass und Hetze ihr Leben genommen wird, dann können wir als Gesellschaft nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Jeder Mitbürger mit Migrationsbiografie wird Ihnen Geschichten von Alltagsrassismus erzählen können, von unterschwelligen Bemerkungen und direkten Beleidigungen bis hin zu offener Gewalt. Das ist sehr schmerzhaft. Gerade wir als Abgeordnete können als Personen der Öffentlichkeit nachvollziehen, was es heißt, auch unangenehme Diskussionen aushalten zu müssen. Aber die wenigsten von uns haben eine Vorstellung davon, was es heißt, Bürger mit Migrationshintergrund zu sein.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Was man inzwischen gelegentlich persönlich erfahren muss, ist zutiefst verstörend.
Meine Damen und Herren, ein Jahr vor der Abiturprüfung habe ich meine Eltern gefragt, was ich nach dem Abitur eigentlich studieren soll. Meine Eltern haben geantwortet: Medizin studieren, Arzt werden. – Da habe ich gefragt: Warum denn das? – Meine Eltern haben geantwortet: Sollten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland eines Tages verändern und du solltest dann das Land verlassen müssen, wirst du als Arzt überall im Ausland arbeiten können.
Ich habe mich über diesen Satz meiner Eltern immer wahnsinnig aufgeregt. Ich habe mit meinen Eltern immer darüber gestritten und gesagt: Das ist doch Unsinn. Warum sollten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland verändern? Warum sollte ich mir jemals Gedanken darüber machen, Deutschland zu verlassen?
Meine Damen und Herren, in den Tagen von NSU, Kassel, Halle und Hanau mache ich mir aber oft Gedanken über den Satz meiner Eltern. Selbstverständlich denke ich nicht darüber nach, Deutschland zu verlassen. Dafür bin ich zu sehr Rheinländer, dafür liebe ich dieses Land zu sehr. Das ist meine Heimat.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber ich spüre zum ersten Mal seit Langem, dass Menschen in diesem Land zu Recht Angst vor der Zukunft haben. In diesem Land, meine Damen und Herren, darf es keinen Platz für Hass und Rassismus geben. Das sage ich nicht als jemand, der nicht in Deutschland geboren wurde; das sage ich als Bürger dieses Landes.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Menschen muslimischen Glaubens angegriffen werden, dann ist das nicht nur ein Angriff auf Muslime, dann ist es ein Angriff auf uns alle.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn Menschen jüdischen Glaubens auf der Straße aufgrund ihrer Kippa angegriffen werden, dann ist das nicht nur ein Angriff auf Juden, es ist ein Angriff auf uns alle, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Genauso ist der Anschlag von Hanau ein Angriff auf unsere gesamte Gesellschaft. Er schürt Angst und sorgt für Unsicherheit.
Meine Damen und Herren, wir sind Demokraten. Es ist unsere Aufgabe als Demokraten, in dieser schwierigen Zeit die Gesellschaft zu versöhnen, und nicht, die Gesellschaft zu spalten. Es ist unsere Aufgabe als Demokraten, dafür zu sorgen, dass rassistischer Hass und Gewalt keinen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft haben.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bijan Djir-Sarais Rede in Bild und Ton
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