Von Jürgen Fritz, Do. 02. Apr 2020, Titelbild: Worldometer-Screenshot
Bund und Länder haben sich darauf verständigt, die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen bis zum Ende der Osterferien am 19. April zu verlängern. In einer Telefonkonferenz erklärten die Innenminister von Bund und Länder übereinstimmend, dass die Maßnahmen in aller Konsequenz aufrechterhalten und durchgesetzt werden müssten. Bundesinnenminister Seehofer betonte, man sei erst am Anfang der Pandemie und dürfe nicht frühzeitig die notwendigen Maßnahmen zur Unterbrechung der Infektionsketten aufheben. Von Besuchen an den Osterfeiertagen rät Bundeskanzlerin Angela Merkel ab. Währenddessen steigen die Zahlen der weltweit Infizierten und Toten weiter exponentiell an.
Eine Million registriere Corona-Infizierte und über 50.000 Tote
Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz lehnte ein vorzeitiges Ende der Einschränkungen kategorisch ab. Die Wirtschaft dürfe man nicht über Menschenleben stellen. „Ich rate allen dringend davon ab, eine Lockerung an wirtschaftliche Fragen zu knüpfen“, sagte der SPD-Politiker und Vizekanzler.
Mehr als eine Million Menschen wurden heute, am 02.04.2020, als mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert registriert (über 1,014 Mio). Wie hoch die Dunkelziffer ist, kann nur geschätzt werden, zumal die Unterschiede hier von Land zu Land erheblich sind. In Südkorea, Australien und Deutschland ist die Dunkelziffer mit Sicherheit sehr viel geringer als in Italien, Spanien oder Großbritannien.
Und noch eine Grenze wurde heute überschritten. Über 50.000 an COVID-19 Verstorbene wurden heute im Verlaufe des Tages weltweit gemeldet, bis zum Ende des Tages über 53.000. Und auch diese Zahl wächst weiter exponentiell an, siehe Titelbild.
Epizentren sind derzeit vor allem Italien, Spanien und die Ostküste der USA
Zum Ende des Tages (02.04.2020) waren es laut cov-2019.com und laut Worldometer weltweit über 1,014 Millionen registrierte Infizierte und über 53.000 Corona-Tote. Von diesen entfielen über 24.200 (fast 46 %) alleine auf Italien und Spanien. Einen sowohl relativ als auch absolut extrem hohen Zuwachs an Todesfällen verzeichneten gestern, am 1. April, die USA mit mehr als tausend Toten innerhalb von 24 Stunden, heute wieder fast tausend Tote (968). Frankreich verzeichnet heute durch einen Sondereffekt über 1.350 Corona-Tote (zusätzliche Todesfälle, die sich in den vergangenen Tagen und Wochen in Pflegeheimen ereignet haben und die bisher in der Statistik noch nicht erfasst waren).
Frankreich hat damit nun insgesamt fast 5.400 Corona-Tote zu beklagen und hat damit China die letzten zwei Tage überholt und weit hinter sich gelassen. Einen enormen Zuwachs verzeichnet auch Großbritannien, wo gestern mehr als 560 Menschen an COVID-19 verstarben und heute ca. 570. Die kleine Niederlande mit nur 17,2 Millionen Einwohnern hat schon mehr Todesfälle (ca. 1.340) als das große Deutschland mit 83 Millionen Bevölkerung. Aber auch wir haben nun die Eintausendmarke überschritten (1.107). Und selbst das noch kleinere Belgien mit nur 11,4 Millionen Einwohnern hat schon fast so viele Todesfälle wie das sieben- bis achtmal so große Deutschland (1.011).
Diese zehn Länder haben die Tausend-Tote-Marke überschritten. Dabei hat Großbritannien hat mit ca. 66,5 Millionen Bevölkerung bereits 2,6 mal so viele Tote (über 2.900) zu verzeichnen wie die deutlich größere Bundesrepublik. Und Frankreich (67 Millionen) zählt sogar schon fast fünfmal so viele, Spanien mit knapp 47 Millionen Menschen sogar mehr als neunmal so viele und Italien (60,5 Millionen) 12 bis 13 mal so viele.
In Deutschland steigt die Zahl der Corona-Toten auf über tausend
Das heißt, Deutschland ist im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern bislang zumindest noch relativ glimpflich davongekommen. Dies könnte sich ändern, sobald das Virus in Alten- und Pflegeheime Einzug hält. Aber auch hier steigen die Todesfälle exponentiell an. Der Stand der Kalenderwoche 14 ist hier der zur Mitte der Woche, nicht am Ende.
COVID-19 ist kein Medien-Hype!
Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Dr. Lothar Wieler, hat diese Woche in Berlin betont, dass die Krankheit COVID-19 kein Medien-Hype sei. Es sei bedauerlich, dass es immer noch Personen gebe, die dies annähmen, sagte Wieler. Wer so denke, unterschätze die Erkrankung. Der RKI-Präsident betonte, dass man die Entwicklung der Infektionszahlen mindestens bis Ostern (12./13. April) beobachten müsse, um eine Aussage über den weiteren Verlauf treffen zu können. Die an COVID-19 Verstorbenen seien bisher im Schnitt ca. 80 Jahre alt. Die Sterberate, die bis vor einigen Tagen nur bei 0,5 bis 0,6 Prozent lag, werde sich wohl auch in Deutschland erhöhen.
Inzwischen liegt die Sterberate bei ca. 1,2 Prozent, was im Vergleich zu allen anderen Ländern nahezu weltweit extrem gering ist. Dies deutet darauf hin, dass bei uns mehr getestet und mehr Infizierte registriert wurden als in den allermeisten anderen Ländern. Auch dürfte die medizinische Versorgung in Deutschland mit eine der besten sein.
Bei den deutschen Todesfallzahlen sind einerseits zu viele, andererseits zu wenig Fälle erfasst, was sich zum Teil wieder ausgleicht
Dabei werden in Deutschland auch solche Fälle als Corona-Tote gezählt, bei denen nicht wirklich klar ist, ob sie an SARS-CoV2 verstorben sind. Lothar Wieler hatte am 20.03.2020 in seinem aktuellen Corona-Lagebericht gesagt: „Bei uns gilt jemand als Corona-Todesfall, bei dem eine Corona-Infektion nachgewiesen wurde.“ Dies wird in den Sozialen Medien teilweise aber falsch interpretiert. Das RKI zählt zwar laut Angaben einer Sprecherin als Corona-Todesfälle alle Menschen, die mit einer COVID-19-Erkrankung in Verbindung stehen, sofern sich bei ihnen nicht klar nachweisen lässt, was letzten Endes die Todesursache war. Es werden also keine Personen mitgezählt, die klar erkennbar an etwas anderem verstarben, zum Beispiel einem Unfall oder die einem Verbrechen zum Opfer fallen.
Als Corona-Todesfälle werden gezählt erstens Menschen, die direkt an der Erkrankung gestorben sind („gestorben an“) und zweitens Patienten mit Grundkrankheiten, die mit COVID-19 infiziert waren und bei denen sich nicht klar nachweisen lässt, was letzten Endes die Todesursache war („gestorben mit“). Das heißt, in Deutschland werden einerseits Fälle mitgezählt, die nicht eindeutig sind. Andererseits aber gibt es Personen, die an COVID-19 sterben, ohne dass dies überhaupt gemerkt und registriert wird, weil kein Text durchgeführt wurde und wird. Verstorbene, die zu Lebzeiten nicht auf COVID-19 getestet worden waren, aber in Verdacht stehen, an COVID-19 gestorben zu sein, können zwar post mortem, also nach ihrem Ableben, auf das Virus untersucht werden. Dies geschieht aber nicht in allen Fällen, insbesondere in Alten- und Pflegeheimen.
Das heißt, einerseits werden einige Fälle bei den Todeszahlen erfasst, die im Grunde nicht wirklich an COVID-19 gestorben sind, sondern mit, andererseits werden andere, die an dieser Krankheit gestorben sind, nicht erfasst.
In Italien dürfte die Zahl der Corona-Todesfälle sogar noch höher sein
Trotz den sehr viel höheren Todesfallzahlen und der viel höheren Sterberate gibt es in Italien gleichwohl Anzeichen dafür, dass diese Zahlen in Wahrheit sogar noch höher sind, denn viele Corona-Tote werden gar nicht erfasst. Das Gesundheitsministerium hat seit der Woche ab dem 8. März eine signifikant höhere Sterblichkeit bei den über 65-Jährigen in 19 Städten nachgewiesen.
Lokale Auswertungen zeigen nun, dass diese erhöhten Sterbezahlen sogar noch weit über der Zahl der offiziellen Coronavirus-Toten liegen. Dies wird besonders an dem Beispiel Bergamo deutlich: Im März 2019 waren dort 125 Menschen gestorben, im März 2020 aber 553. Dies entspricht einem Anstieg um 428 Todesfälle. Als offizielle Corona-Tote werden jedoch nur 201 Fälle geführt, also nicht mal halb so viele (47 Prozent). Die Zahl der tatsächlichen Corona-Todesfälle könnte hier also sogar mehr als doppelt so hoch sein.
Und dies scheint auch kein Bergamospezifikum zu sein. Die Zeitung L’Eco di Bergamo hat die Diskrepanz bei einer Auswertung an allen besonders betroffenen Orten nachgewiesen. Wie ist das zu erklären? Die Vermutung lautet: Bei vielen im eigenen Heim verstorbenen Menschen ist die Krankheit unentdeckt geblieben. An den Auswertungen beteiligte Experten sprechen davon, ein verlässliches Bild werde nach der Pandemie nur die Übersterblichkeit liefern, die sogenannte Exzessmortalität.
Das nationale Gesundheitsinstituts ISS weist ebenfalls darauf hin, dass die Zahl der Corona-Toten in Italien womöglich höher liegen dürfte als offiziell angegeben. Denn in den offiziellen Coronavirus-Daten seien keine Personen berücksichtigt, die zu Hause oder in Pflegeheimen sterben. Die überwiegende Zahl an Tests findet nur in Krankenhäusern statt. Menschen, die zuhause an COVID-19 sterben, sind also in den ohnehin schon sehr hohen italienischen Zahlen noch gar nicht erfasst.
In dem meisten Todesfällen mit Coronavirus ist dieses auch tatsächlich die Todesursache und manche Corona-Tote werden gar nicht erfasst
Bei der Corona-Pandemie geht es natürlich darum, sich möglichst schnell ein Bild zu verschaffen. Die Abgrenzung, was die tatsächliche Todesursache war, ist in manchen Fällen aber nicht einfach. Der erste Todesfall im Kreis Heinsberg, wo es in Deutschland loging, am 9. März war zum Beispiel ein 78-jähriger Mann, der an Herzversagen verstarb. Zu dem Herzversagen war es „durch seine ernsthaften Vorerkrankungen sowie die Anstrengungen beziehungsweise Folgen der Corona-Infektion“ gekommen, wie es vom Kreis hieß. Er ist demzufolge nicht einzig und allein an der Corona-Infektion selbst gestorben, ohne sie würde er aber wohl noch leben. Das heißt, die Corona-Infektion war durchaus mit kausal für den Tod.
Gerd Fätkenheuer, der Leiter der Infektiologie der Uniklinik Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie erklärt dies wie folgt: „Die exakte Zuordnung einer Todesursache ist umso schwieriger, je mehr und je schwerere Erkrankungen insgesamt vorliegen“. Fätkenheuer hat für das Science Media Center eine im Fachmagazin The Lancet veröffentlichte Studie aus Wuhan zu 191 Covid-19-Patienten ausgewertet. 54 davon starben in Krankenhäusern. Dort war es aber „hoch wahrscheinlich“, dass in den meisten Fällen die Lungenentzündung, verursacht durch SARS-CoV-2, tatsächlich die Todesursache war. Die Begleiterkrankungen der meisten Verstorbenen waren Bluthochdruck und Diabetes, welche in den meisten Fällen nicht unmittelbar tödlich gewesen sein dürften.
Fazit: Wir können also einerseits davon ausgehen, dass in den erfassten Corona-Todesfälle einige dabei sind, die quasi zu viel aufgenommen wurde. Die meisten der gezählten Fälle dürften aber durchaus richtig erfasst sein. Andererseits fehlen die Verstorbenen, die durch SARS-CoV-2 infiziert wurden, dann an COVID-19 erkrankten und tatsächlich daran starben, das aber zuhause oder in einem Heim, wo sie niemals auf das Virus getestet wurden.
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