Next Generation is coming

Von Jürgen Fritz, Mi. 07. Okt 2020, Titelbild: Roland Garros-Screenshot

Die letzten 13 bis 17 Jahre haben drei Spieler die Tennisszene bei den Herren vollkommen beherrscht: Federer seit 2004, Nadal seit 2005 und Djokovic ab 2007. Lange Zeit war außer Murray und Wawrinka niemand in Sicht, der das Zeug dazu hatte, auch bei den Grand Slam-Turnieren mit den Big-Three mithalten zu können. Doch allmählich ist Licht am Horizont sichtbar.

Die absolute Dominanz der Top-Drei: Federer, Nadal, Djokovic (Ü33)

Die sogenannten Big Three, die übrigens zusammen in den letzten 16 Jahren zehnmal zum Weltsportler des Jahres gewählt wurden, Roger Federer (Jg. 1981) seit Anfang 2004, Rafael Nadal (Jg. 1986) seit 2005 und Novak Djokovic (Jg. 1987) ab 2007 haben eine einzigartige Ära geprägt, wie wohl kaum Spieler je zuvor. In ihrer Generation gab es nur zwei Spieler, die zumindest teilweise mithalten und auch mal ganz große Turniere gewinnen konnten: ab 2008 Andy Murray (Jg. 1987), der zwischen 2012 und 2016 auch drei Grand Slam-Turniere und beide Olympische Goldmedaillen gewann, und Stan Wawrinka (Jg. 1985), der einige Jahre Paroli bieten und zwischen 2014 und 2016 ebenfalls drei Grand Slam Turniere für sich entscheiden konnte.

Ansonsten schaffte dies kein anderer Spieler der Generation bis Jahrgang 1987. Und auch keiner der nächsten Generation ab Jahrgang 1988. Kein nach 1987 geborener Spieler konnte mehr als ein Grand Slam-Turnier gewinnen und bis vor einem Monat kein nach 1988 geborener Spieler auch nur eines. Seit 2017 schaffen es auch Murray und Wawrinka nicht mehr, die Big Three zu gefährden und diese waren bis zu den US Open vor einigen Wochen bei den Majors wieder unter sich, ganz so wie 2004 bis Mitte 2012, fast durchgehend. Nur Gaudio konnte 2004 einmal die French Open gewinnen, Safin 2005 einmal die Australian Open und Del Potro 2009 einmal die US Open. Die anderen 32 der 35 A-Titel teilten Federer (16), Nadal (11) und Djokovic (5) unter sich auf.

2012 brach dann Andy Murray in die Top-Three ein und machte daraus ein Top-Four. Ähnliches gelang Stan Wawrinka mit seinem Sieg bei den Australian Open 2014, so dass wir nun ein Top-Five hatten. Doch seit Anfang 2017 war diese Phase schon wieder vorbei und wir sahen wieder nur noch die Top-Three, die die nächsten 13 Grand Slam-Titel wieder unter sich aufteilten. Doch diese absolute Dominanz scheint sich nun zumindest langsam zu ändern.

Der mit Abstand beste Spieler der Medium-Generation (25 bis 32 Jahre): Dominic Thiem

In der Medium-Generation (Jg. 1988 – 1995), also bei den 25- bis 32-Jährigen gibt es auf diesem Planeten nur einen einzigen, der mit den Big Three, vor allem Djokovic und Nadal, bei den ganz großen Turnieren mithalten kann: Dominic Thiem (Jg. 1993). Der 27-Jährige schaffte mit seinem Sieg bei den US Open vor dreieinhalb Wochen endlich den ganz großen Durchbruch und darf sich nun Grand Slam-Sieger nennen. Sicherlich, Federer (verletzt) und Nadal (sagte wegen der Corona-Pandemie ab) fehlten in New York und Djokovic wurde im Achtelfinale disqualifiziert. So konnte Thiem allen Dreien aus dem Weg gehen. Gleichwohl ist der Österreicher mit den Big-Three inzwischen auf Augenhöhe und hat bei anderen Turnieren bewiesen, dass er sie schlagen kann, sogar Djokovic auf seinem Lieblingsbelag Hartplatz (bei den wichtigen ATP Finals 2019) und Rafa auf Sand (schon viermal, wenngleich noch nie in einem Best-of-Five-Match).

Dass Thiem gestern gegen den sehr starken Schwartzman, sicherlich einer der acht besten Sandspieler der Welt, nach 5:08 Stunden in fünf Sätzen ausschied und nicht wie die vier Jahre zuvor das Halbfinale von Roland Garros erreichte, war vor allem dem Umstand geschuldet, dass sein Energietank irgendwann einfach leer war. Man kann nicht die US Open zwei Wochen lang spielen bis zum Endspiel in fünf Sätzen, wo der fünfte Satz im Tiebreak entschieden wird, und nur zwei Wochen später bei den French Open in frischer Form antreten.

Außerdem hatte Thiem bereits ein ganz schweres Achtelfinale ebenfalls über fünf Sätze in den Knochen gegen den Newcomer Gaston. Da fehlte gestern gegen den starken Schwartzman am Ende einfach die Energie. Dass Dominic so kurz nach seinem US Open-Triumph überhaupt schon wieder so stark spielen konnte, ist die eigentliche Überraschung. Thiem ist inzwischen so stark, dass er die nächsten ein, zwei, drei Jahre auch gegen Djokovic und Nadal Grand Slam-Turniere gewinnen kann. Er kann sie auch bei den Majors schlagen. Sie können aber auch ihn noch immer schlagen, auch mit Mitte 30. Das könnte die nächsten zwei, drei Jahre also spannend werden.

Doch Thiem, der überragende Spieler der mittleren Generation der 25- bis 32-Jährigen, ist nicht der Einzige, der Djokovic, Nadal und Federer inzwischen gefährlich werden kann.

The Next Generation 1: Die besten U25-Spieler

Die Next Generation ist endlich da und es ist die Generation der Jahrgänge ab 1996. Da wären in dieser Generation fünf bis sieben Spieler zu nennen. Betrachten wir zunächst die weltbesten U25-Spieler:

1. Daniil Medvedev (Jg. 1996): Der Russe spielt dieses Jahr nicht so stark wie im Spätsommer und Herbst 2019, als er den großen Durchbruch schaffte, erstmals zwei B-Turniere (Masters 1000) gewann, ins Finale der US Open einzog und in die Top-Fünf der Weltrangliste vorstieß. Dieses Jahr gehört er bislang nicht zu den Top-Acht, liegt „nur“ auf Platz nun, wenn man ausschließlich die 2020er Ergebnisse betrachtet, wobei hier wegen der Corona-Pandemie quasi ein halbes Jahr fehlt. Aber Medvedev hat das Zeug, in den nächsten Jahren auch Grand Slam-Turniere zu gewinnen. Noch stärker als den 24-Jährigen schätze ich aber einige andere ein.

2. Alexander Zverev (Jg. 1997) spielt zwar noch immer etwas unstet, hat sich dieses Jahr bei den Grand Slam-Turnieren aber enorm verbessert. In Australien stand er im Halbfinale, bei den US Open im Endspiel und war dort in einem packenden Match gegen seinen Freund Thiem nur zwei Punkte vor dem großen Triumph entfernt. Auch in Roland Garros spielte er trotz der zu erkennenden Müdigkeit nach den US Open sehr gut und kam bis ins Achtelfinale. Dass er dort dem bärenstarken Jannik Sinner unterlag, gegen den er mit leichtem Fieber spielte und körperlich sichtlich nicht fit war, Sinner gleichwohl über vier Sätze und mehr als drei Stunden zwang, zeigt wie stark Zverev inzwischen ist. In Begegnungen, die über fünf Sätze gehen, scheint er nahezu unbesiegbar. Ihm sind in den nächsten zwei, drei Jahren definitiv Grand Slam-Titel zuzutrauen, und zwar auf allen Belägen!, ja es scheint bei ihm nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Er muss nur lernen, seinen Leistungen zu verstetigen.

3. Von vielen unterschätzt wird meines Erachtens der Russe Andrey Rublev (Jg. 1997). Der knapp 23-Jährige spielt eine hervorragende Saison. Rublev hat 2020 nicht nur drei Turniere gewonnen – mehr als jeder andere außer Djokovic – er ist auch punktemäßig dieses Jahr bislang der Fünftbeste, nach Djokovic, Thiem, Tsitsipas und Zverev. Die Weltrangliste spiegelt das bei ihm noch nicht wieder, weil sie bedingt durch die COVID-19-Pandemie zeitweise modifiziert ist und nicht nur die Ergebnisse der letzten 52 Wochen zählen, wie sonst üblich, sondern auch viele Resultate von 2019, die teilweise schon 18 Monate zurückliegen. In der Weltrangliste wird Rublev von 12 auf 10 steigen. Von seiner Spielstärke her gehört er aber derzeit auf jeden Fall schon jetzt zu den Top-Acht und könnte die nächsten Jahre auch A-Turniere gewinnen. Seine Entwicklung gilt es zu beobachten.

4. Damit sind wir bei seinem heutigen Viertelfinal-Gegner, dem Griechen Stefanos Tsitsipas (Jg. 1998). Er hat, wie ein Jahr zuvor Zverev (2018), 2019 die ATP Finals (B+) der acht Jahresbesten für sich entschieden. Bei den Grand Slam-Turnieren spielte er bislang – bis auf die Australian Open 2019, wo er nach einem Sieg gegen Federer das Halbfinale erreichte – noch nicht so stark, aber hier ist großes Entwicklunspotential zu erkennen. Heute spielte er im Viertelfinale gegen Rublev. Das war zugleich die Neuauflage des Hamburg-Endspiels vor zehn Tagen, als Tsitsipas mehrere Matchbälle nicht nutzen konnte und Rublev das C-Turnier dann für sich entschied. Heute aber gewann der junge Grieche überraschend klar in nicht einmal zwei Stunden glatt in drei Sätzen und rückt damit in der reinen 2020er-Rangliste gerechnet vom 01.01.2020 bis zum 12.10.2020, auf Platz 3 vor. In seinem zweiten Halbfinale eines Major-Turniers trifft er nun am Freitag auf Djokovic. Dieses Jahr traue ich Tsitsipas den Sieg in Roland Garros noch nicht zu, aber wenn der 22-Jährige sein Spiel die nächsten Jahre weiterentwickelt, kann er definitiv auch Grand Slam-Turniere gewinnen.

The Next Generation 2: Die besten U22-Spieler

5. Zu nennen wäre bei den Spielern unter 22 Jahren zunächst der Kanadier Denis Shapovalov (Jg. 1999). Der 21-Jährige scheint großes Potential zu haben, steht in der Weltrangliste bereits auf 11, konnte aber bislang bei großen Turnieren nicht so ganz überzeugen. Bei ihm bin ich nicht sicher, wo die Reise hingeht. Entwickelt er sein Spiel weiter, könnte er dauerhaft zu den Top-Acht gehören und auch Grand Slam-Siege feiern, aber bei ihm erscheint mir das weniger evident als bei anderen. Seine Entwicklung gilt es zu beobachten. Zu wünschen wäre es ihm und dem Tennissport, da er ein interessantes Spiel hat, aber da muss noch mehr kommen.

6. Nochmals gut ein Jahr jünger ist sein Landsmann Félix Auger-Aliassime (Jg. 2000). Der Kanadier ist gerade erst 20 geworden, ist ein Riesentalent, aber für mich noch schwer einzuschätzen, ob es in die absolute Weltspitze reichen wird. Das Potential ist allemal vorhanden, aber ich bin noch nicht sicher, ob er es ganz nach vorne schaffen wird. Für die Top-Ten sollte es auf jeden Fall reichen, vielleicht auch für Grand Slam-Siege. Mal sehen.

7. Nun zum für mich jüngsten und größten Talent von allen, dem Südtiroler Jannik Sinner (Jg. 2001), der mit Abstand beste Teenager der Welt. Er ist im August gerade erst 19 geworden und hat bereits eine Spielstärke, die einem schier den Atem verschlägt. In Roland Garros bezwang er, nachdem er in der ersten Runde schon die Nr. 13 der Welt, den Belgier Goffin, völlig mühelos geschlagen hatte, im Achtelfinale den zwar gesundheitlich und konditionell angeschlagenen Zverev, aber wie er das tat, war beeindruckend. Es war nicht allein die körperliche Schwäche Zverevs, sondern auch die enorme Spielstärke Sinners, die ihn ins Viertelfinale führte. Dort traf er heute Nacht auf den besten Sandspieler aller Zeiten, den zwöflfachen French Open-Champion und Titelverteidiger Rafael Nadal.

Der 19-Jährige war dem 34-Jährigen Superstar auf dessen Lieblingsbelang zwei Sätze lang nahezu vollkommen gleichwertig, bis zum 6:5 im ersten Satz und 4:4 im zweiten Satz zeitweise sogar leicht überlegen, weil in seinen Schlägen mehr Druck war als in denen von Nadal. Dieser schaffte es jedoch, in den entscheidenden Momenten dieser beiden Sätze sofort zurück zu breaken und dann noch eine Schippe draufzulegen. Im dritten Satz war Nadal dann völlig dominant. Gleichwohl haben die ersten zwei Sätze gezeigt, was für ein Riesenpotential in dem jungen Italiener stecken. Für mich das größte Talent von allen der Next Generation und definitiv ein kommender Grand Slam-Champion.

In der Weltrangliste wird Sinner von 75 erstmals in die Top-50 vorstoßen. Nächstes Jahr sehe ich ihn, sofern er verletzungsfrei bleibt, bereits in den Top-20. Mindestens! Vielleicht auch schon in den Top-15 oder sogar Top-Ten. Bei ihm scheint mir die Frage weniger zu sein, ob er das schaffen wird, sondern wie schnell. Das gilt auch für Grand Slam-Erfolge. Entwickelt sich der 19-Jährige so weiter, können sich die anderen die nächsten fünf bis zehn Jahre warm anziehen, nicht nur wegen der eisigen Temperaturen in Paris.

Ergebnisse in Roland Garros

Von den 128 in Paris angetretenen Herren schafften es ins Viertelfinale die folgenden acht. Die Spieler der Jahrgänge 1987 und älter (Ü33) sind rot, die Jahrgänge 1988 bis 1995 (25 bis 32 Jahre) gelb und die Jahrgänge ab 1996 (U25) sind grün markiert:

  1. DjokovicCarreno Busta: 4:6, 6:2, 6:3, 6:4
  2. TsitsipasRublev: 7:5, 6:2, 6:3
  3. SchwartzmanThiem: 7:6, 5:7, 6:7, 7:6, 6:2
  4. NadalSinner: 7:6, 6:4, 6:1

Wir sehen, dieses Jahr schafften es drei U25-Spieler unter die letzten acht, drei der mittleren Generation und die zwei Oldies Djokovic und Nadal, die zugleich die beiden großen Favoriten aufs Finale und den Turniersieg sind.

Am Freitag kommt es in Paris Roland Garros zu folgenden zwei Halbfinals:

  1. DjokovicTsitsipas: 6:3, 6:2, 5:7, 4:6, 6:1
  2. SchwartzmanNadal: 3:6, 3:6, 6:7

Endspiel: Djokovic – Nadal

Die bisher erfolgreichsten Spieler 2020

Und dies sind die im Jahr 2020 bisher erfolgreichsten Spieler. Dabei bedeutet das Sternchen*: Der Spieler ist bei den French Open noch im Turnier.

1. Novak Djokovic: 33,3 Jahre, 5 Turniersiege (CACBB), Matchbilanz: 37-1, 6.365 Punkte*
2. Dominic Thiem: 27,0 Jahre, 1 Turniersieg (A), Matchbilanz: 20-6, 3.725 Punkte
3. Rafael Nadal: 34,3 Jahre, 1 Turniersieg (C), Matchbilanz: 21-4, 2.490 Punkte*
4. Stefanos Tsitsipas: 22,1 Jahre, 1 Turniersieg (D), Matchbilanz: 27-10, 2.240 Punkte
5. Alexander Zverev: 23,4 Jahre, 0 Turniersiege, Matchbilanz: 15-8, 2.155 Punkte
6. Andrey Rublev: 22,9 Jahre, 3 Turniersiege (DDC), Matchbilanz: 29-7, 2.135 Punkte
7. Diego Schwartzman: 28,1 Jahre, 0 Turniersiege, Matchbilanz: 20-10, 1.890 Punkte
8. Pablo Carreño Busta: 29,2 Jahre, 0 Turniersiege, Matchbilanz: 16-9, 1.450 Punkte

Auch hier sehen wir, dass die Next Generation im Kommen ist. 2020 gehören bislang drei U25-Spieler zu den acht Besten der Welt. Medvedev, der in Roland Garros gleich in der ersten Runde ausschied, könnte es in den folgenden Wochen sicherlich noch schaffen, Carreno Busta zu überholen, dann wären es sogar vier. Ganz vorne dominieren allerdings nach wie vor die Oldies Djokovic und Nadal plus der 27-jährige Thiem.

9. Daniil Medvedev: 24,6 Jahre, 0 Turniersiege, Matchbilanz: 15-8, 1.390 Punkte
10. Gaël Monfils: 34,0 Jahre, 2 Turniersiege (DD), Matchbilanz: 16-6, 1.165 Punkte
11. Milos Raonic: 29,7 Jahre, 0 Turniersiege, Matchbilanz: 14-7, 1.140 Punkte
12. Roberto Bautista Agut: 32,4 Jahre, 0 Turniersiege, Matchbilanz: 18-6, 1.060 Punkte

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB. Oder über PayPal  5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 30 EUR – 50 EUR – 100 EUR