Jesus: Vermenschlichter Gott oder vergotteter Mensch?

Von Jürgen Fritz, Do. 24. Dez 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot

Das Christentum, mit etwa 2,1 Milliarden Anhängern noch immer die größte Religionsgemeinschaft der Erde, nimmt seinen Anfang in einer Person: in Jesus. Das tun andere Religionen auch. Gleichwohl hebt sich Jesus von allen anderen Religionsstiftern markant ab. Denn er gilt den Christen als der menschgewordene Sohn Gottes, als die höchste Erscheinungsform des Heiligen in der Welt, ja als Gott. Wie diese Vorstellung entstanden ist, soll im folgenden erläutert werden.

Kein vermenschlichter Gott, sondern wohl eher ein vergotteter Mensch

Die Verneiner der Historizität Jesu (Friedrich der Große, Napoleon, Lessing, der junge Goethe, Schelling, Hegel, Schopenhauer, der Theologe Bruno Bauer, der Bremer Pastor Albert Kalthoff, der Karlsruher Philosoph Arthur Drews …) erblickten in der biblischen Christusgestalt keinen vergöttlichten Menschen, sondern einen vermenschlichten Gott. Sie alle sehen in Jesus keine historische Person, sondern die Umformung eines Mythos in einen (pseudo)geschichtlichen Bericht, mithin die spätere Personifizierung einer religiösen Idee.

Die moderne historisch-kritische Forschung der letzten etwa 250 Jahre kommt jedoch eher zu einem anderen Ergebnis. Sie nimmt einen geschichtlichen Jesus an, dessen Leben nach seiner Hinrichtung nachträglich in phantasievollen Wunderberichten und Legenden verklärt wurde, wobei nachweislich meist Mythen aus viel älteren Überlieferungen übernommen und einfach umgeformt, umgeschrieben und auf Jesus zugeschnitten wurden.

Es spricht also deutlich mehr dafür, dass nicht die religiöse Idee des einen und einzigen Gottes in Jesus vermenschlicht und der Eine damit auf geheimnisvolle Weise gedoppelt, dann sogar gedreifacht wurde (Trinitätslehre), sondern dass der historische Mensch Jesus im Nachhinein – gegen seinen Willen übrigens, zumindest aber ohne diesen – zu Jesus Christus vergottet wurde.

Wenn ich also von Jesus oder Jesus von Nazareth spreche, so meine ich in der Regel die historische Person, und wenn ich die literarisch-mythischen Figur meine, so spreche ich in der Regel von Jesus Christus.

Paulus benutzt Jesus als Projektionsfläche für seine eigenen Vorstellungen und die Evangelisten erschaffen einen Jesus-Mythos

Diese Ex-post-Vergottung des Jesus von Nazareth begann wohl schon mit der Schlüsselfigur Paulus, dann aber vor allem etwa 40 bis 90 Jahre nach dem Tod Jesu durch die Evangelisten, die diese historische Person alle nie kennengelernt haben, die Jesus nie begegneten.

Diese Autoren haben also viele Jahrzehnte, fast ein halbes bis ein ganzes Jahrhundert nach dem Tod Jesu zum Teil sehr viel ältere Mythen und Legenden, zum Beispiel aus dem Asklepios-Kult, aus der Herakles-Religion, der Dionysos-Religion, dem Mithras-Kult, dem Pythagoras-Mythos, dem Herrscherkult, insbesondere dem Augustuskult usw., die in der alten Welt virulent waren, einfach etwas umgeschrieben, manchmal fast nur die Namen ersetzt haben. Der Zeitgenosse von Jesus Paulus, der eigentliche Gründer des Christentums, der Jesus wohl auch nie begegnete und der die bis dahin rein jüdische Religion für die Nichtjuden öffnete, schweigt dagegen fast vollständig über das Leben Jesu. Ja, es darf wohlbegründet angenommen werden, dass Paulus die Figur des Jesus wohl rein als Projektionsfläche für seine eigenen Vorstellungen benutzte.

Die historische Person und die literarisch-mythische Figur sind zweierlei und essentiell verschieden

Auf diese Weise wurde also aus der historischen menschlichen Person eine literarisch-mythische menschlich-göttliche Figur. Diese beiden haben zwar miteinander zu tun, die literarische Figur ist nicht völlig losgelöst von der historischen Person, aber sie sind doch zweierlei, sie sind deutlich und essentiell verschieden.

Die christlichen Kirchen und ihre Anhänger interessieren sich quasi vornehmlich, wenn nicht ausschließlich für die literarisch-mythische menschlich-göttliche Figur, weniger oder gar nicht für die faktische historische Person, über welche ich die nächsten Tage ein wenig zu berichten versuche.

Literaturempfehlungen

Diese zwei absoluten Meisterwerke können jedem, der sich für das Thema interessiert, nur dringend anempfohlen werden. Zum einen der vielleicht versierteste Katholizismuskritiker überhaupt: Karlheinz Deschner, der sich jahrzehntelang intensivst mit der Geschichte des Christentums beschäftigte und ein nahezu einzigartiges Gesamtwerk vorlegt. Bereits 1962 veröffentlichte er sein vielleicht wichtigstes Buch überhaupt, das tausendseitige Werk Abermals krähte der Hahn. Es folgten unter anderem zehn dicke Bände zur Kriminalgeschichte des Christentums.

Als Fürsprecher für das Christentum sei Jörg Lausters Verzauberung der Welt empfohlen. Lauster ist Professor für evangelische Theologe und hat in München einen Lehrstuhl inne für Dogmatik, Religionsphilosophie und Ökumene. Seine Kulturgeschichte des Christentums ist ein sehr gut geschriebenes Mammutwerk von ebenfalls über 700 Seiten, die sich ebenso wirklich lohnen, wenngleich der sicherlich nicht unkritische Theologe natürlich eine gewisse Tendenz hat, die Dinge ein wenig schön zu reden, was aber bei fast jedem Theologen so sein dürfte und insofern ein gutes Contra zu Deschner darstellt.

          

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