Trotz steigender Inzidenz: Mehrheit für Lockerungen

Von Jürgen Fritz, Di. 02. März 2021, Titelbild: WELT-Screenshot

Nach einem Jahr Coronakrise sind die Deutschen pandemiemüde. Die Akzeptanz für die Maßnahmen sinkt seit Wochen. Der Kanzlerin scheint die Kontrolle immer mehr zu entgleiten und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dem seit über einem Jahr eine ganze Palette von Fehlern unterlief, gerät immer tiefer in die Kritik. So kommen die Regierungschefs trotz wieder steigender Fallzahlen kaum um Lockerungen herum, wollen sie die Bevölkerung nicht verlieren.

Fast zwei Drittel der Deutschen für weniger Kontaktbeschränkungen

Laut Civey sagten bereits letzte Woche 64 Prozent der Deutschen, sie seien der Ansicht, dass sich wieder zwei Haushalte mit bis zu fünf Personen im Privatbereich treffen dürfen sollten. Dies würden die Anhänger aller Parteien mehrheitlich vertreten. Die größte Unterstützung für mehr Lockerungen käme hierbei von den Wählern der AfD (90%), der FDP (89%) und der Linkspartei (67%). Selbst die Anhänger der Grünen seien inzwischen mit rund 55 Prozent ebenfalls mehrheitlich für eine Lockerung der privaten Kontaktbeschränkungen auf zwei Haushalte.

Der Vorschlag war unter anderem vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Die Grünen) gekommen. Aber auch Malu Dreyer, die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sprach sich für eine neue Regel aus. Bislang dürften sich Personen aus einem Haushalt nur mit einer weiteren Person treffen.

Klare Mehrheit für schnelle Lockerungen

Auch im ZDF-Politbarometer (Forschungsgruppe Wahlen) sprachen sich letzte Woche bereits 56 Prozent für schnelle Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen aus:

Lockerungen-Politbarometer

ZDF-Politbarometer

Und die Gruppe derer, welche die aktuell geltenden Corona-Maßnahmen für übertrieben hält, wuchs um 9 Punkte von 14 auf 23 Prozent an. Die Bunds- und Landesregierungen drohen also bereits jetzt fast jeden Vierten zu verlieren und werden daher an Lockerungen kaum vorbei kommen, auch wenn viele Experten das sehr kritisch sehen.

Corona-Maßnahmen übertrieben

ZDF-Politbarometer

Sieben-Tage-Inzidenz steigt seit ca. zehn Tage wieder leicht an

Etliche Experten warnen nämlich vor zu frühen Lockerungen, insbesondere wegen der neuartigen Mutanten von SARS-CoV-2, die das neuartige Coronavirus nochmals um einiges ansteckender und damit für die Gesamtbevölkerung wesentlich gefährlicher machen, da die Verbreitung hierdurch wesentlich schneller vonstatten geht.

Dabei ist die Sieben-Tage-Inzidenz, die Mitte Dezember 2020 noch bei ca. 200 lag und dann bis Mitte Februar kontinuierlich fiel, aber nie unter den Maximalwert von 50, geschweige denn unter den Zielwert von 35 gefallen, steigt seit ca. zehn Tagen sogar wieder leicht an auf jetzt über 65.

7-Tage-Inzidenz-Dt.

WELT

Nur acht Länder auf der Erde verzeichnen mehr COVID-19-Tote als Deutschland

Mit inzwischen ca. 71.000 COVID-Todesfällen (70.924 zum Stand gestern laut Worldometer) liegt Deutschland weltweit auf Rang neun. Nur acht Länder verzeichneten also seit Beginn der Pandemie mehr Todesfälle im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus als Deutschland.

Total Deaths-Top-Ten

Worldometer

Selbst bezogen auf die Einwohner liegt Deutschland unter allen Ländern der Erde mit mindestens einer Million Einwohner mit 845 inzwischen auf Rang 37, was die Zahl der COVID-19-Todesfälle pro eine Million Einwohner anbelangt.

Europa ist Weltmeister im Sterben an COVID-19

Weltweit die meisten #COVID-19-Todesfälle pro Einwohner verzeichnet unser direkter Nachbar Tschechien mit 1.922 pro eine Million = 0,19 Prozent. Tschechien hat inzwischen sogar Belgien (1.899) überholt, das lange Zeit die meisten Toten pro Bewohner verzeichnete. Auch Slowenien (1.854) und Großbritannien (1.804) zählen inzwischen über 1.800 Todesfälle pro Million Einwohner.

  1. Tschechien: 1.922
  2. Belgien: 1.899
  3. Slowenien: 1.854
  4. Großbritannien: 1.804
  5. Italien: 1.622
  6. Portugal: 1.607
  7. USA: 1.587
  8. Ungarn: 1.561
  9. Bosnien und Herzegowina: 1.522
  10. Nord-Mazedonien: 1.509

Besonders erschreckend: Unter den zwölf Ländern, die weltweit die meisten COVID-19-Todesfälle pro Einwohner zählen, sind elf aus Europa. Dazwischen schiebt sich nur die USA auf Position sieben mit fast 1.600 Todesfällen pro Million Bewohnern.

Gleichwohl werden sich die deutschen Regierungschefs diese Woche wohl dafür entscheiden, Lockerungen bezüglich der Corona-Maßnahmen durchzuführen, aus dem einfachen Grund, weil man sonst große Teile der Bevölkerung verlieren würde, die einfach pandemiemüde sind. All die Pannen der Bundes- und der Länderregierungen, die wir seit mehr als einem Jahr sehen, haben dabei natürlich das Vertrauen in die Verantwortlichen nicht gerade gestärkt, was die Situation noch erschwert.

70 als neuer Grenzwert für Lockerungen?

Daher überlegt man nun – da wir es in Deutschland landesweit nicht schaffen, die Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 zu bringen, auch nicht unter 50 -, als neuen Grenzwert für mögliche Lockerungen 70 einzuführen, einfach um der Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, dass der Lockdown nicht ewig andauert, und natürlich vor allem auch um Geschäfte und Unternehmen nicht jetzt schon reihenweise Pleite gehen zu lassen.

7-Tage-Inzidenz unter 70

WELT

Einen Lockerungs-Grenzwert bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 70 würden derzeit 11 der 16 Bundesländer erfüllen, nämlich alle außer den beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie den drei östlichen Bundesländern: Sachsen, das ähnlich wie Bayern mit der Grenznähe zum Corona-Weltmeister Tschechien zu kämpfen haben dürfte, Sachsen-Anhalt und dem absoluten Schlusslicht Thüringen.

Sieben-Tages-Inzidenzen der 16 Bundesländer: Thüringen absolutes Schlusslicht

Unter 35 liegt kein einziges Bundesland, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein aber zumindest ganz knapp unter 50. Acht weitere Bundesländer liegen im Moment unter 70. Sachsen-Anhalt liegt dagegen über 90 und Thüringen (Ramelow-Land) sogar über 125.

  1. Rheinland-Pfalz 49,6
  2. Schleswig-Holstein: 49,7
  3. Baden-Württemberg: 51,9
  4. Berlin: 62,7
  5. Nordrhein-Westfalen: 64,3
  6. Hessen: 64,7
  7. Brandenburg: 65,3
  8. Bayern: 65,6
  9. Niedersachsen: 66,2
  10. Mecklenburg-Vorpommern: 66,2
  11. Saarland: 69,1
  12. Hamburg: 74,2
  13. Sachsen: 81,2
  14. Bremen: 81,3
  15. Sachsen-Anhalt: 92,6
  16. Thüringen: 125,2
Dt.-Karte

RKI

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