Von Jürgen Fritz, Fr. 19. Mrz 2021, Titelbild: Screenshot aus A Star Is Born
„Der Mensch gibt ebenso schwer eine Furcht auf als eine Hoffnung“, meinte Otto Ludwig in „Zwischen Himmel und Erde“. Was aber genau ist Hoffnung? Hoffnung ist zunächst einmal eine Emotion. Und zwar ist sie wie die Furcht oder Angst eine solche, die auf die Zukunft gerichtet ist, also eine Erwartungsemotion. Doch wie hängt die Hoffnung mit dem Sinn des Lebens zusammen?
Körpergefühle und Emotionen
Alle Emotionen sind auf etwas in der Welt gerichtet, das unterscheidet sie von einfachen Körpergefühlen, wie Hunger (-), Durst (-) versus das Gefühl der Sättigung (+), des gestillten Durstes (+). Körpergefühle sind auch Frieren (-), das Gefühl, dass es einem zu warm/heiß ist (-) versus das Gefühl der thermischen Behaglichkeit (+) oder der körperlicher Schmerz (-) versus nachlassender Schmerz (+) und Schmerzfreiheit (+). Gefühle gehen im Grunde immer mit zwei möglichen Evaluationen (Bewertungen) einher: entweder sie sind mit Wohlbehagen respektive Lust (+) verbunden oder mit Unbehagen beziehungsweise Unlust (-).
Körpergefühle sind auf nichts gerichtet, sie können höchstens örtlich lokalisiert werden, zum Beispiel der Schmerz im rechten Bein oberhalb des Knies. Aber sie haben keinen Bezug zu etwas, keinen Inhalt, der sich in einem Dass-Satz formulieren ließe. Der Inhalt zum Beispiel der Hoffnung oder auch der Furcht kann dagegen in einem Dass-Satz zum Ausdruck gebracht werden, zum Beispiel: „Ich hoffe (fürchte), dass Bayern München die Champions League gewinnt“. Körpergefühle dagegen stellen sich einfach ein und zeigen uns quasi an, was mit unserem Körper los ist, geben dem Gehirn eine Rückmeldung über den Zustand des Leibes, ganz unabhängig von unserer Gedankenwelt. Sie resultieren nicht aus dieser.
Unsere Gedanken können uns sagen, wie wir mit dem Körpergefühl umgehen sollen, ob wir es quasi größer werden lassen in unserem Geist oder ob wir es klein zu halten versuchen. Aber das Einstellen des Körpergefühls entsteht nicht erst durch unsere Gedanken und Vorstellungen. Wenn einem ein Finger ohne Betäubung abgeschnitten wird oder man sich mit voller Wucht am Schienbein stößt, dann tut das weh, völlig unabhängig davon, was für eine Weltanschauung und welche Wertvorstellungen man hat. Dieses Gefühl entsteht nicht auf Grund unserer Gedanken, sondern ganz direkt über das physikalische Einwirken auf einen Körperteil, was über das Nervensystem ans Gehirn weitergeleitet, dort registriert und verarbeitet wird.
Das kann bei Emotionen, wie beispielsweise beim Neid, der Missgunst oder auch der Hoffnung durchaus anders sein. Hier wirkt kein Gegenstand physikalisch auf unseren Körper ein und verursacht so ganz direkt ein Schmerzgefühl. Wenn ich auf Grund meiner Ansichten (Gedanken, Vorstellungen) der Meinung bin, dass nicht A, sondern B eigentlich einen Preis oder schlicht Anerkennung verdient hätte, dann entsteht das Gefühl der Missgunst in mir aus der Bewertung dieser, aus meiner Sicht fehlerhaften Anerkennung von A, was in mir die Vorstellung einer Ungerechtigkeit hervorruft. Diese Bewertung als ungerecht kommt zustande auf Grund meiner vorherigen Bewertung, dass B den Preis oder die Anerkennung verdient hätte und nicht A. Emotionen haben also sehr viel mit unserer Gedanken-, mit unserer Vorstellungswelt und unseren Wertvorstellungen zu tun.
Intentionalität als zweites Merkmal des Geistigen (Seelischen)
So auch bei der Hoffnung. Wir erhoffen natürlich das, was wir als wertvoll erachten und was wir als wertvoll ansehen ergibt sich aus unserer Gedanken- und Vorstellungswelt. Während Körpergefühle also anzeigen, was mit dem eigenen Leib ist, und dessen Erhaltung dienen – das ist gleichsam ihre Funktion in der Evolution des Lebens -, schaffen Emotionen, in die immer Gedanken und Vorstellungen stark mit hinein spielen, einen Bezug zur Welt.
Emotionen sind immer auf etwas gerichtet, sie haben immer einen Inhalt. Philosophen bezeichnen das spätestens seit Franz Brentano (1838-1917) mit dem Terminus Intentionalität. Nicht zu verwechseln mit der Intention = Absicht oder der Intension = Begriffsinhalt als Gegensatz zur Extension, dem Begriffsumfang. Intentionalität bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, sich auf etwas zu beziehen, sei es auf reale oder nur vorgestellte Gegenstände, Eigenschaften oder Sachverhalte.
Intentionalität gilt in der modernen Philosophie des Geistes neben dem phänomenalen Bewusstsein (dass Dinge sich für uns irgendwie anfühlen, was nur der Innenperspektive zugänglich ist) meist als das zweite spezifische Merkmal des Mentalen, des Geistig-Seelischen. Einen Geist (oder eine Seele) zu haben bedeutet demnach,
- über ein phänomenales Bewusstsein zu verfügen (die Dinge fühlen sich für uns irgendwie an, was aus der Außenperspektive nicht direkt zugänglich ist) und
- über Intentionalität, also dem Bezug auf etwas, dem Inhalt eines Gefühls oder Gedankens, was beides naturwissenschaftlich nicht fassbar ist.
Dadurch kommt eine neue Dimension in die Welt: das Geistige (Seelische), das über das rein Physikalische (früher enger gefasst als: das Materielle) hinausgeht. Was genau ist mit Intentionalität gemeint?
Emotionen erschließen uns über ihre intentionale Struktur die Welt
Der Liebende liebt jemanden oder etwas, der Hassende hasst jemanden oder etwas, der Fürchtende fürchtet sich vor etwas, man erfreut sich an oder über etwas, man ist stolz oder schämt sich für etwas, der Hoffende hofft auf etwas. Man kann nicht einfach hoffen ohne einen Inhalt. Die Hoffnung bezieht sich immer auf etwas, auf ein X, zum Beispiel, dass einem etwas gelingen werde, was man gerade macht, dass man ein Ziel erreichen wird, das man sich gesteckt hat, dass einem Gutes widerfahren wird, dass die Liebe, die man für einen anderen empfindet, erwidert wird, dass aus den Kindern etwas wird und sie glücklich werden usw.
In der logischen Analyse: P hofft auf X. Hoffen ist wie lieben oder hassen oder fürchten oder bewundern oder beneiden ein zweistelliger Prädikator, so wie „ist größer als“ oder „ist verwandt mit“, kein einstelliger Prädikator. Die Sätze „P ist größer als“ oder „P ist verwandt mit“ sind keine vollständigen Sätze. Da fehlt etwas. „P ist größer als was?“, möchte man zurückfragen bzw. „Mit wem ist P verwandt?“. So ergeben diese Sätze gar keinen Sinn, wenn diese Angabe fehlt.
„Hunger haben“ oder „Durst haben“ oder „sich wohl fühlen“ sind dagegen einstellige Prädikatoren: „P hat Hunger“ oder „P ist schmerzfrei“ sind vollständige, sinnvolle Sätze. Da fehlt nichts. Da muss keine Angabe ergänzt werden, damit klar ist, worauf sich der Hunger oder die Schmerzfreiheit beziehen. Sie beziehen sich auf nichts, sie sind einfach da. Anders die intentionalen Emotionen. Diese haben immer einen Bezug auf etwas. Dergestalt erschließen uns Emotionen auf ihre Weise die Welt, indem sie uns zu bestimmten Dingen, zu Entitäten (inklusive andere Personen) in bestimmte gefühlsmäßige Beziehungen setzen, was zu einer Wertzuschreibung und damit zu einer Ausrichtung in der Welt führt, so auch die Hoffnung.
Gefühle geben den Dingen eine Bedeutung und erzeugen eine Sinndimension
Durch diese Wertzuschreibungen, welche auf den Körpergefühlen und den Emotionen aufbauen, hören die Dinge auf, gleichgültig für uns zu sein. Über die Gefühle und Emotionen als spezielle intentionale Gefühle erhalten die Dinge, die Welt und das Leben für uns eine Bedeutung, einen Sinn.
Daraus ergibt sich eine erste allgemeine Sinndimension des Daseins: positive Gefühle suchen, negative meiden und sein je eigenes Lebensgefäß mit möglichst vielen schönen, angenehmen, für einen selbst wertvollen Dingen, Erlebnissen und Erinnerungen anfüllen. Was für jeden Einzelnen als angenehm und wertvoll angesehen wird, mag – je nach persönlichem Geschmack, je nach Weltbild und Wertvorstellungen – differieren, aber das Streben nach solch individuell als wertvoll Erachtetem ist wohl allgemeingültig. Dies kann übrigens leicht auf fühlende Tiere erweitert werden. Jedes Lebensgefäß soll mithin mit Positivem, nicht mit Negativem oder Unwichtigem gefüllt werden. In diesem Prinzip dürfte sich alle mit Geist ausgestattete Wesen einig sein. Die Unterschiede bestehen nur darin, was als positiv angesehen wird.
Der erste Sinn des Daseins ist also auf jeden Fall, das Lebensgefäß mit Positivem füllen. Sollte dem so sein, so hätten wir damit gleichsam einen ersten allgemeinen Lebenssinn. Zwei weitere ließen sich nach meiner Analyse ergänzen. Aber bleiben wir bei dieser ersten Sinndimension. Wenn dies jemandem gelingt, sprechen wir dann oft auch von einem erfüllten Leben. Damit meinen wir, diesem Menschen ist es gelungen und es war ihm vergönnt, sein Lebensgefäß mit vielem für ihn Wertvollen zu füllen, was wir als etwas Sinnvolles und Gutes ansehen, während es uns traurig macht, wenn dies einem anderen gar nicht vergönnt war, insbesondere wenn Kinder sterben. Denn ihnen wird dann gleichsam ihr Lebensgefäß weggenommen, noch ehe sie überhaupt die Möglichkeit hatten, es zu füllen. Das empfinden wir als unfair, ja tragisch und es schmerzt uns oft zutiefst.
Hoffnung ist eine positive Erwartungsemotion, also auf die Zukunft gerichtet
Doch zurück zur Hoffnung als eine von ca. 23, 24 möglichen Emotionen. Der Hoffende hat nun eine positive Erwartung, dass etwas, das er als wünschenswert (angenehm) einstuft, in der Zukunft eintreten oder Bestand haben wird. Insofern ist die Hoffnung eine Erwartungsemotion. Der hoffende Mensch verhält sich optimistisch zur Zeitlichkeit seiner Existenz, während er sich in der Furcht beziehungsweise in der Angst pessimistisch zu seiner eigenen Zeitlichkeit verhält (pessimistische Erwartungsemotion).
Geht die Hoffnung, also die Zuversicht in die Zukunft gänzlich verloren, gibt es nichts mehr, was jemandem wichtig ist und woran er glauben kann, dass es eintreten wird, so kann dies in die Hoffnungslosigkeit, in die Verzweiflung, die Resignation, im Extremfall in die Depression führen.
Im altgriechischen Pandora-Mythos sind in der von Zeus aus Rache für den Diebstahl des Feuers gesendeten Büchse der Pandora nicht nur alle Übel der Welt enthalten, sondern ganz unten auch die Hoffnung, die freilich zunächst nicht entweicht, weil Pandora die Büchse schnell verschließt, bevor auch die Hoffnung entschlüpfen kann. Von da an erobert das Schlechte die Welt. Die Erde wird zu einem trostlosen Ort. Erst als Pandora, die von den Göttern Allbeschenkte, nach langer Zeit ein Einsehen hat und die Büchse erneut öffnet, kann endlich auch die Hoffnung entweichen und die Trostlosigkeit auf der Erde findet ein Ende.
Hoffnung und der Sinn des Lebens
Die Hoffnung scheint mithin etwas ganz Essentielles für unser Leben zu sein, ohne welches wir kaum auskommen, welches wir brauchen, denn sonst gäbe ja all unser Tun kaum einen Sinn, wenn wir nicht hoffen dürften, dass es etwas Positives bewirken kann. Etwas Positives in Bezug auf unser Lebensgefäß, welches mit angenehmen Gefühlen, Emotionen, Erlebnissen, Erinnerungen angefüllt wird, oder auch etwas Positives in Bezug auf die Entwicklung unserer Fähigkeiten und Talente, die in uns angelegt sind.
Dies könnte dann eine zweite Sinndimension sein, die über angenehme Emotionen hinausgeht. Und schließlich, dann gleichsam als dritte Sinndimension des menschlichen Daseins, Positives nicht nur in Bezug auf uns selbst, sondern – das Ich transzendierend – Positives in Bezug auf andere und in Bezug auf die Welt. Das zu erläutern, wäre aber Stoff für eine eigene Abhandlung.
Literaturempfehlungen
- Grundkurs Philosophie, Band 3: Philosophie des Geistes und der Sprache von Wolfgang Detel, Reclam, 3. Aufl. 2015, EUR 6,00
- Ansgar Beckermann: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes, de Gruyter, 3. überarb. Aufl. 2008, EUR 29,95
- Philosophie der Gefühle – Von Achtung bis Zorn von Christoph Demmerling und Hilge Landweer, J.B. Metzler-Verlag 2007, EUR 29,95
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