Die historische Niederlage in Afghanistan: Wie es dazu kam

Von Rainer Thesen, Mi. 25. Aug 2021, Titelbild: Sky News-Screenshot

In Afghanistan hat sich die gesamte westliche Welt blamiert. Weshalb? Der Oberst der Reserve Rainer Thesen findet dazu klare Worte: weil man sich von Anfang an Traumvorstellungen einer Friedensmission hingab. Der Einsatz war nie auf die notwendige militärische Eroberung des Landes angelegt. Dazu hätte man freilich hunderttausende schwer bewaffnete Soldaten entsenden müssen und dazu war kein westliches Land bereit.

Die Traumvorstellung von der Friedensmission

Das Ganze begann schon mit dem Engagement in diesem Lande. Zunächst machte die Politik uns weis, es gehe um Brunnen bohren und das Bauen von Mädchenschulen. Damit werde das Land an westliche Werte herangeführt und reif für die Demokratie werden. Dazu schicke man eben eine Art bewaffnete Entwicklungshelfer dorthin, ausgerüstet nur mit leichter Bewaffnung, ohne Kampfpanzer, Artillerie und Luftwaffe.

Im Laufe der Jahre stellte sich schnell heraus, dass dies Traumtänzerei war. Der Einsatz wurde robuster, also militärischer. Indessen war weder der Einsatz der USA, noch ihrer Verbündeten einschließlich Deutschlands auf die militärische Eroberung des Landes angelegt. Nur das hätte – möglicherweise – einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel dieser mittelalterlich-archaischen Kultur möglich machen können.

Der Krieg, den niemand führen wollte

Allerdings hätte man dazu hunderttausende von Soldaten mit all ihrer technisch hochwertigen Ausrüstung in diesen Krieg entsenden müssen. Auch Deutschland hätte sich wenigstens in Divisionsstärke zuzüglich Luftwaffe, selbstverständlich mit schweren Waffen und Kampfauftrag, beteiligen müssen.

Das war natürlich politisch nicht denkbar. Weder wären die Bürger der westlichen Staaten bereit gewesen, den Tod vieler tausender ihrer jungen Soldaten hinzunehmen, noch wären sie bereit gewesen, die immensen Kosten eines solchen Krieges zu tragen. Tatsächlich blieb es dabei, dass die westlichen Verbündeten Stützpunkte, allenfalls überschaubare Landstriche, militärisch beherrschten, den Rest des Landes beherrschten nach wie vor die Taliban. Natürlich waren diese Krieger trotz all ihrer Tapferkeit den westlichen Soldaten in offenen Gefechten hoffnungslos unterlegen. Sie verfügten über keine schweren Waffen, von fehlender Luftwaffe oder gar Raketen ganz zu schweigen. Doch das tat im Ergebnis nichts zur Sache. Zu keinem Zeitpunkt beherrschten die westlichen Verbündeten das Land auch nur zu größeren Teilen. Nicht umsonst nannte man den afghanischen Präsidenten spöttisch den Bürgermeister von Kabul.

Versagen bis zum bitteren Ende

Nachdem man dann endlich erkannt hatte, dass man jedenfalls auf diese Art und Weise Afghanistan nicht würde befrieden können, ganz zu schweigen davon, dass weder die USA noch Deutschland am Hindukusch verteidigt werden konnten, trat man den Rückzug an. Aber auch hier handelte man allenfalls nach der Devise: avanti dilettanti. Eine seriöse militärische Lagebeurteilung hat offensichtlich nicht stattgefunden.

Monatelang hörte man, dass die afghanische Armee letztendlich Kabul und die großen Städte halten würde, sodass den Taliban nichts anderes übrig bleiben würde, als Friedensverhandlungen zu führen. Noch vor Tagen tönte der deutsche Außenminister Heiko Maas, die Kampfhandlungen würden eher noch zunehmen, sodass ernsthafte Verhandlungen der afghanischen Regierung mit den Taliban möglich würden, und auch die Evakuierung der Ausländer geordnet vonstatten gehen könne.

Wir wollen einmal zugunsten der zuständigen Offiziere im Einsatzführungskommando unterstellen, dass sie die Lage durchaus realistisch beurteilt haben, aber wie so häufig, das Schicksal aller Militärs teilen mussten, die der Politik fachlich fundierten Rat geben, der jedoch regelmäßig in den Wind gesprochen ist.

Wer auf Deutschland vertraute, wird jetzt dafür bezahlen müssen und auch nach der Bundestagswahl wird nichts besser werden

Es ist auch zu befürchten, dass nicht wenige Afghanen, die für die Bundeswehr und deutsche Dienststellen gearbeitet haben (sogenannte Ortskräfte) wegen der erheblich verspäteten Evakuierung nicht mehr gerettet werden können. Mag sein, dass die Taliban offiziell erklären, keine Rache üben zu wollen. Fanatische Glaubenskämpfer wie sie gehören jedoch nicht zu denen, die großzügig vergeben und gemeinsam mit ihren ehemaligen Gegnern nach vorne schauen können. Da sind schon die Lehren des Korans vor.

Das Ergebnis ist insgesamt ernüchternd. Wenn wir etwas daraus lernen können, dann dies: Wir werden miserabel regiert, auch was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht. Doch auch nach dem 26. September 2021 wird es heißen: avanti dilettanti.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Autors und erscheint hier mit seiner freundlichen Genehmigung.

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Zum Autor: Rainer Thesen, Jg. 1946, wurde nach dem Abitur zunächst Soldat auf Zeit und Reserveoffizier. An der Ludwig-Maximilians-Universität zu München studierte er Rechts- und Staatswissenschaften, legte das erste und zweite Staatsexamen ab und trat dann 1976 in eine Nürnberger Anwaltskanzlei ein. Seither ist er als Rechtsanwalt in Nürnberg tätig und absolvierte eine Reihe von Wehrübungen und Dienstlichen Veranstaltungen, zumeist in Führungsverwendungen. Seit 1997 ist sein Dienstgrad Oberst der Reserve.

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