20 Jahre 9/11: Verschwörungs-Verirrungen und Wirrungen amerikanischer Bündnispolitik

Von Herwig Schafberg, Sa. 11. Sep 2021, Titelbild: YouTube-Screenshot

Heute vor zwanzig Jahren wurden die Twin Towers des World Trade Center in New York zum Einsturz gebracht. Urheber waren augenscheinlich Flugzeugentführer, die ihre Maschinen in die Türme gelenkt hatten. Oder lag die Ursache für der Einsturz  woanders, wie mancher bis heute glaubt? Zu diesem Irrglauben hat die Bündnispolitik der US-Amerikaner in Afghanistan sowie anderswo möglicherweise beigetragen, wie Herwig Schafberg verdeutlicht.

Irrungen in Verschwörungsmythen und Wirrungen in der Praxis amerikanischer Bündnispolitik

Heute, am 11. September 2021, ist es zwanzig Jahre her, dass die Twin Towers des World Trade Center (WTC) in New York und damit ein Zentrum des amerikanischen Handelskapitals nach Anschlägen zusammenstürzten und mehr als 2.000 Menschen unter sich begruben. Urheber waren arabomuslimische Terroristen, die zuvor Passagierflugzeuge in ihre Gewalt gebracht und diese in die beiden Tower gesteuert hatten, wie kaum zu übersehen war.

Zweifel an der Urheberschaft hat es von Beginn an gegeben und werden durch die Mutmaßung genährt, dass die Türme nicht von außen durch Flugzeuge zum Einsturz gebracht wurden, sondern durch Sprengladungen im Innern; denn die Stahlgitterfassade der Türme wäre so konstruiert worden, dass sie dem Einschlag von Flugzeugen standhalten könnte. Wenn an dem Gerücht etwas wahr wäre, hätten Bombenspezialisten in mehreren der 110 Stockwerke dieser 400 Meter hohen Türme Sprengladungen anbringen müssen und dazu vermutlich mehrere Tage oder Nächte benötigt. Das wäre kaum möglich gewesen, ohne dass Büroangestellte, Beschäftigte im Security- sowie Facilitymanagement davon etwas bemerkt hätten. Solch ein Komplott hätte aber zu viele Mitwisser gehabt, um geheim bleiben zu können.

War der Hausherr des World Trade Center Urheber des Einsturzes?

Als Urheber verdächtigen Verschwörungsgläubige insbesondere den Eigentümer des WTC, Larry Silverstein, der den für 3,25 Milliarden Dollar gekauften Gebäudekomplex gegen Terroranschläge versichert haben und nach dem Einsturz mit 4,5 Milliarden Dollar entschädigt worden sein soll. Das mag ein verdächtig hoher Profit sein, ist es aber nicht; denn Silverstein mußte pro Jahr 102 Millionen Dollar Leasinggebühren an die New Yorker Hafenbehörde zahlen, auf deren Boden das World Trade Center gewinnträchtig gestanden hatte, nach dem 11. September jedoch nicht mehr.

Zu den antisemitisch grundierten Verschwörungsmythen gehört auch das Gerücht, dass die rund 4.000 im WTC beschäftigten Juden rechtzeitig davor gewarnt worden wären, am 11. September 2001 zur Arbeit zu gehen. Aber wie warnt man 4000 Menschen: Durch ein Rundschreiben per E-Mail oder SMS oder durch Telefonanrufe? Selbst wenn es so gewesen wäre, hätten sich vermutlich viele Gewarnte irritiert an den Sicherheitsdienst in den Gebäuden oder an die Polizei gewandt und die Warnung an andere dort Beschäftigte weitergeleitet: An nichtjüdische Kollegen, Freunde, Geschäfts- oder Lebenspartner. Wenn an diesem Gerücht irgendetwas gestimmt hätte, warum gingen dennoch die meisten Juden am 11. September wie gewohnt zur Arbeit ins WTC, wo dann viele von ihnen umkamen? Das Gerücht über die Warnungen wurde übrigens von der syrischen Staatszeitung „Al Thawra“ aufgebracht, die wegen ihrer amerika- sowie judenfeindlichen Propaganda bekannt war und kaum als seriöse Quelle einzuschätzen ist.

Folgt man der kruden Logik solcher Gerüchte weiter, ist noch eine Antwort auf die Frage zu suchen, welche Rolle in dem Zusammenhang die Flugzeugentführer spielten. Sollten sie die gekaperten Maschinen in die Türme steuern und mit einem derartigen Ablenkungsmanöver zur Vertuschung der Einsturzursachen beitragen? Handelten sie nicht im Auftrag von „Al Qaida“, sondern von Larry Silverstein oder von wem?

Wer soll denn Urheber für die Zerstörungen im Pentagon gewesen sein?

Bekanntlich steuerten Terroristen nicht bloß zwei Flugzeuge ins World Trade Center, sondern fast zur gleichen Zeit ein drittes ins Pentagon – das Hauptgebäude des amerikanischen Verteidigungsministeriums – und rissen dort ein paar hundert Menschen mit in den Tod. Soll das kein Anschlag gewesen sein, mit dem arabomuslimische „Glaubenskämpfer“ im Krieg gegen die Amerikaner bis in die Einsatzzentrale der US-Streitkräfte zerstörerisch vordringen wollten? War das – nach der Logik mancher Verschwörungsverbreiter – stattdessen ein weiteres Ablenkungsmanöver? Ging es bei den Anschlägen weniger (oder gar nicht) um Geschäftsinteressen von Silverstein als viel mehr um andere Interessen? Gab es Auftraggeber im militärisch-industriellen Komplex, in einem US-Geheimdienst oder sogar in Regierungskreisen, die mit den Anschlägen in New York sowie Washington militärische Gegenschläge der USA auslösen wollten und zur Tarnung nicht einmal davor zurückschreckten, den Amtssitz des Verteidigungsministers in Trümmern legen zu lassen?

Dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion oder Weltanschauung an solch eine Verschwörung glauben und manche vermuten, die arabischen Flugzeugattentäter hätten sich nicht im Dienste Allahs gewähnt, sondern im Dienste Amerikas gestanden, liegt vielleicht auch an der auf viele Beobachter verwirrend wirkenden Praxis der US-Bündnispolitik, aus der die eine oder andere Verschwörungserzählung abgeleitet ist; denn zur Verfolgung ihrer wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen gingen die USA – offen oder geheim – abenteuerlich anmutende Zweckbündnisse mit militanten Islamisten ein und suchten sich derer zu entledigen, wenn sie nicht länger zweckdienlich erschienen.

Mit welchen „Glaubenskämpfern“ ließen sich die USA offen oder insgeheim ein?

Schauen wir uns die Vorgänge in Afghanistan an, die für uns im thematischen Zusammenhang besonders interessant sind. Nach der Besetzung des Landes durch sowjetische Truppen (1979) hatten dort Stammeskrieger sowie andere Mudschaheddin den Kampf gegen die Besatzungsmacht aufgenommen. Daran beteiligt waren nicht bloß Einheimische, sondern auch muslimische „Glaubenskämpfer“ aus anderen Ländern wie beispielsweise Osama bin Laden, auf dessen Initiative die dschihadistische Organisation „Al Qaida“ gegründet wurde. Den Kampf gegen die  Sowjets sowie deren kommunistische Marionettenregime in Afghanistan unterstützte Saudi-Arabien finanziell und die USA lieferten Waffen.

Mit dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan (1989) und dem Sturz des kommunistischen Regimes in dem Land kehrte kein Frieden in Afghanistan ein, sondern begann ein jahrelanger Kampf zwischen Warlords um die Macht im Staate. Das lag nicht im Interesse der USA; denn nach der Auflösung der Sowjetunion (1991) hatten amerikanische Konsortien in den ehemals sowjetischen Unionsrepubliken Turkmenistan sowie Usbekistan Förderrechte für Erdöl erworben und wollten zum Transport des „schwarzen Goldes“ eine Pipeline durch Afghanistan und Pakistan an den Indischen Ozean bauen.

Dazu brauchten die Amerikaner politische Stabilität in Afghanistan und baten die pakistanische Armee, dafür zu sorgen. In Pakistan gab es Lager mit rund zwei Millionen afghanischen Kriegsflüchtlingen, unter denen die Pakistanis  „Koranschüler“ (Taliban) rekrutierten, sie militärisch ausbildeten und ihnen zudem Waffen der USA – vermutlich mit deren Billigung – überließen. Mit denen trugen die Taliban ab 1994 im Kampf gegen die Warlords in Afghanistan den Sieg davon, soweit Letztere nicht bestochen waren und daher auf Widerstand verzichteten. 1996 hatten die Taliban mit Ausnahme einiger Gebiete im Norden das Land unter ihrer Kontrolle und errichteten das Islamische Emirat Afghanistan.

Hat der Dritte Weltkrieg längst begonnen?

Dass die Taliban Bestimmungen des islamischen Rechts, der Scharia, ähnlich streng auslegten und anwandten wie die Wahhabiten in Saudi-Arabien, widersprach nicht den Interessen der USA und der  texanischen Ölfirma Unocal, die sich mit dem Taliban-Führer Mohammed Omar grundsätzlich auf den Bau einer Pipeline in Afghanistan verständigt hatte.

Doch Osama bin Laden, der in Afghanistan geblieben war und von dort aus weltweit agitierte, belastete zunehmend das Verhältnis zwischen den USA und den Taliban. Dass dieser arabische Geldgeber und „Glaubenskrieger“ mit Waffen aus den Händen der Amerikaner gekämpft hatte, hielt ihn nicht davon ab, die USA für den „großen Satan“ zu halten, der ebenso entschieden bekämpft werden müsste wie zuvor die „gottlosen Kommunisten. Er stand im Verdacht, Anstifter der Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Nairobi sowie Dar-es-Salam zu sein, auf die Amerika mit Angriffen auf Ausbildungslager der „Al Qaida“ in Afghanistan reagierte (1998).

Zum offenen Bruch zwischen den Amerikanern und den Taliban kam es erst, als Osama Bin Laden sich zu den Anschlägen am 11. September 2001 auf das World Trade Center sowie das Pentagon bekannte und die Taliban sich weigerten, den „Al-Qaida“-Führer an die USA auszuliefern. Daraufhin wirkten diese auf den Sturz des Taliban-Regimes hin, verbündeten sich mit Warlords, die ihre Stellungen im Norden des Landes gehalten hatten, und unterstützten diese mit Luftangriffen im Kampf gegen die Taliban. Nachdem Letztere in den meisten Gebieten Afghanistans zurückgedrängt worden waren, stationierten die Amerikaner gemeinsam mit Deutschen sowie anderen Verbündeten Bodentruppen im Land, um dort mit eigenen Kräften für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Aber wie die sowjetischen Truppen in Afghanistan nicht mit den Mudschahedin fertig geworden waren, konnten auch die US-Streitkräfte und ihre Bündnispartner nicht verhindern, dass die Taliban in vielen Regionen des Landes allmählich wieder die Oberhand gewannen, und zogen 2021 ebenso unverrichteter Dinge ab wie 1989 die Sowjets. Nach dem Abzug dauerte es nur wenige Wochen, bis die Truppen der afghanischen Regierung vor den Taliban das Feld räumten und Letztere erneut die Macht im Staate übernahmen, wie wir seit kurzem wissen.

Dass Al-Qaida durch den zeitweiligen Machtverlust der Taliban in Afghanistan seine Basis zur Anstiftung von Anschlägen verloren hatte und Osama bin Laden von US-Streitkräften liquidiert wurde, änderte nichts an der Effizienz islamischer „Glaubenskämpfer“, die teilweise von Al Qaida beeinflusst wurden und in vielen Ländern in Aktion getreten sind: Während sie etliche Länder zwischen Zentralasien und Nordafrika mit raumgreifenden Kriegszügen in größerer Mannschaftsstärke heimgesucht haben und dort sowohl auf einheimische Streitkräfte als auch – in Afghanistan, Syrien sowie im Irak, in Somalia und Mali – auf militärische Einheiten aus Amerika und Europa gestoßen sind, hat es an vielen Orten der Welt Bomben- sowie andere Attentate einzelner oder kleiner Gruppen gegeben: Nicht bloß in Dar-es-Salam und Nairobi,  New York und Washington, sondern zudem in Boston, London, Manchester, Madrid, Barcelona, Nizza, Paris, Brüssel, Berlin, Istanbul, Mumbai und auf Bali etc. Insofern kann man durchaus von einem Weltkrieg sprechen.

*

Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.

**

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB und ggf. welcher Artikel Sie besonders überzeugte. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR