Dokumentation, Sa. 30. Okt 2021, Titelbild: Die Vereinten Nationen-Screenshot
Am Montag dieser Woche wurde die IS-Kriegsverbrecherin Jennifer W. vom OLG München zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Amal Clooney, die zusammen mit Natalie von Wistinghausen und Wolfgang Bendler die Mutter des getöteten jesidischen Kindes als Nebenklägerin vertrat, gab zu dem Urteil folgende Presseerklärung ab.
Fünfte Verurteilung eines IS-Mitgliedes in Deutschland wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Jesiden
München, 25. Oktober 2021
Amal Clooney und die deutschen Rechtsanwälte Natalie von Wistinghausen und Wolfgang Bendler vertreten das jesidische Opfer, das sich dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen hat.
Das Oberlandesgericht München hat heute ein deutsches IS-Mitglied wegen ihrer Beteiligung an der Versklavung, der Misshandlung und der Tötung eines fünfjährigen jesidischen Mädchens sowie der Versklavung und der Misshandlung der Mutter des Kindes in Falludscha, Irak, verurteilt. Die 30-jährige Jennifer W. wurde wegen
- durch Unterlassen begangener Beihilfe zu einem versuchten Mord,
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
- Kriegsverbrechen sowie
- wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
schuldig gesprochen. Der mit fünf Richtern besetzte Strafsenat verurteilte die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren.
Nach den Feststellungen des Gerichts reiste die Angeklagte Ende August 2014 nach Syrien, wo sie später den irakischen Staatsangehörigen Taha A.-J. heiratete. Gemeinsam zog das Paar sodann nach Falludscha, wo es eine jesidische Frau und ihre fünfjährige Tochter Rania etwa sechs Wochen lang als Haussklavinnen gefangen hielten.
Die Jesidinnen waren fast täglich Schlägen ausgesetzt, zu denen die Angeklagte häufig den Anstoß gab. Die Angeklagte und ihr Ehemann zwangen die jesidische Mutter Hausarbeit zu verrichten und sowohl sie als auch ihre Tochter wurden zum Beten nach islamischen Regeln gezwungen, obwohl das Paar wusste, dass es sich um Jesiden handelte.
Im Sommer 2015 bestrafte der Ehemann der Angeklagten Rania, weil sie sich auf der Matratze eingenässt hatte, und fesselte sie bei 45 Grad Celsius im Hof an das Gitter des Außenfensters. Die Angeklagte und ihr Ehemann ließen Rania dort in der sengenden Sommersonne hängen und sie starb. Obwohl die Angeklagte erkannt hatte, dass sich Rania in einer lebensbedrohlichen Situation befand und, obwohl es ihr möglich und zumutbar war, unternahm sie nichts, um das Kind zu retten.
Ende Juni 2018 beabsichtige die Angeklagte – die mittlerweile zurück in Deutschland war – die erneute Ausreise nach Syrien. Sie wurde von einer Vertrauensperson der Ermittlungsbehörden auf der versuchten Ausreise abgehört, als sie unter anderem über den Tod ihrer „Sabiya“ – also ihrer Sklavin – sprach. Dies führte zu weiteren Ermittlungen und 2019 schließlich zum Strafprozess.
Jennifer W. ist das erste IS-Mitglied, das weltweit wegen internationaler Straftaten gegen jesidische Opfer vor Gericht gestellt wurde. Mitarbeiter der jesidischen Nichtregierungsorganisation Yazda identifizierten die Mutter des Kindes, die sich dem Verfahren als Nebenklägerin anschloss und von den Rechtsanwälten Natalie von Wistinghausen, Amal Clooney und Wolfgang Bendler vertreten wurde. Sie war die Hauptzeugin in diesem Prozess und sagte an 11 Verhandlungstagen vor Gericht aus. Zu den weiteren relevanten Beweismitteln, auf die das Gericht sein Urteil gestützt hat, gehörten belastende Aussagen der Angeklagten gegenüber der Vertrauensperson, ein gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten zum Tod des Kindes sowie die Angaben weiterer Sachverständiger, die bestätigen, dass das Ziel des IS war, die jesidische Bevölkerung auszurotten.
Die Mutter des Kindes war im Gerichtssaal anwesend, als das Urteil schließlich verkündet wurde. In Reaktion auf das Urteil sagte sie:
„Es war sehr schwer für mich, das Urteil heute entgegenzunehmen. All die Erinnerungen kamen wieder hoch. Ich bin froh, dass das deutsche Gericht nach sechs Jahren festgestellt hat, dass die Angeklagte für den Tod meiner Tochter verantwortlich ist, aber keine Strafe der Welt wird sie je zurückbringen.“
Die Anwältin des Opfers, Amal Clooney, kommentierte:
„Dieses Urteil ist die fünfte Verurteilung eines IS-Mitglieds vor einem deutschen Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die an jesidischen Opfern begangen wurden. Es ist ein wichtiger Meilenstein für unsere Mandantin, eine bemerkenswert tapfere Frau, die ihr Kind unter brutalen Bedingungen verloren hat. Es ist auch ein Sieg für alle, die an Gerechtigkeit glauben. Ich bin der deutschen Generalstaatsanwaltschaft dankbar, dass sie diesen Fall vor Gericht gebracht hat, und ich hoffe, dass wir weltweit konzertierte Anstrengungen unternehmen werden, um den IS vor Gericht zu bringen.“
Natalie von Wistinghausen, die das Opfer bei der Gerichtsverhandlung in München vertrat, fügte hinzu:
„Dieses Urteil trägt auch dazu bei, dass deutsche Staatsangehörige vor ihren eigenen Gerichten für Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, die im Irak im Zuge des IS-Feldzuges gegen die Jesiden begangen wurden und an denen sie sich bereitwillig beteiligt haben. Niemand sollte sich der strafrechtlichen Verantwortung für solch schwere Verbrechen entziehen können, auch wenn sie im Ausland begangen wurden.“
Natia Navrouzov, Legal Advocacy Director bei der weltweit tätigen jesidischen Nichtregierungsorganisation Yazda, die ebenfalls von Rechtsanwältin Clooney vertreten wird und in mehreren Strafverfahren in verschiedenen Gerichtsbarkeiten bei der Identifizierung von Opfern geholfen hat, sagte:
„Diese Verurteilung wird den Überlebenden des IS viel bedeuten, vor allem denjenigen, die uns ihre Geschichte anvertraut haben, in der Hoffnung, dass sie eines Tages Gerechtigkeit erfahren werden. Es ist auch sehr ermutigend für unsere Organisation, die seit den ersten Monaten des Völkermords an den Jesiden unermüdlich Beweise sammelt, unter anderem durch die Befragung von bisher mehr als 2.000 jesidischen Überlebenden. Wir loben Deutschland für seine Führungsrolle bei der Verfolgung von IS-Verbrechen und fordern andere Staaten auf, demselben Beispiel zu folgen, denn die Überlebende in diesem Fall ist eine von vielen anderen, die ebenfalls gelitten haben. Sie wünschen sich, ihren Tätern eines Tages im Gerichtssaal gegenüberzustehen, und es liegt in unserer Verantwortung, sie nicht zu enttäuschen. Heute sind unsere Gedanken bei der Überlebenden in diesem Fall, und wir hoffen, dass das Urteil ihr zeigen wird, dass die Welt sich für ihr Leid interessiert. Der Weg zur Heilung ist lang, aber wir hoffen, dass er für sie heute irgendwie beginnen kann“.
Hinweise
Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt steht der Ehemann von Jennifer W., Taha A.-J., im ersten Völkermordprozess gegen ein mutmaßliches IS-Mitglied vor Gericht. Die Hauptzeugin und Nebenklägerin im Verfahren gegen Jennifer W. ist auch Nebenklägerin im Prozess gegen Taha A.-J., wo sie von Amal Clooney, Natalie von Wistinghausen und Jörg Oesterle vertreten
wird. Das Verfahren gegen Taha A.-J. läuft noch. Ein Urteil wird derzeit Ende November 2021 erwartet.
Deutsche Gerichte haben zuvor auch die IS-Rückkehrerinnen Nurten J., Sarah O. und Omaima A. wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Jesiden verurteilt. Amal Clooney, Natalie von Wistinghausen und Sonka Mehner vertraten die Opfer, die sich den Verfahren als Nebenklägerinnen abgeschlossen hatten. Opfer schwerer Straftaten haben nach der deutschen Strafprozessordnung das Recht, sich neben der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung als Nebenkläger am Strafverfahren zu beteiligen.
Die Opferzeugin wird im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms betreut. Zu ihrer Sicherheit wird ihre Identität nicht preisgegeben.
Nach dem deutschen Recht ist es grundsätzlich nicht zulässig, die vollständigen Namen der mutmaßlichen Täter zu veröffentlichen.
Anmerkungen von JFB
Hervorhebungen in der Presseerklärung sowie redaktionelle Gestaltung durch JFB.
Quelle der Preseerklärung: im englischen Original, in Deutsch
P.S.: Generalbundesanwalt will das Urteil anfechten
Gegen das Urteil des OLG München von lediglich zehn Jahren Freiheitsstrafe, wovon ca. 3,3 Jahre bereits abgesessen sind durch die Untersuchungshaft und die letzten 3,3 Jahre wahrscheinlich zur Bewährung ausgesetzt werden würden, so dass die heute 30-jährige Kriegsverbrecherin Jennifer W. in etwa 3,4 Jahren wieder auf freiem Fuß wäre, wurde gestern, am Freitag, den 29.10.2021, von der Generalbundesanwaltschaft, die das Urteil anfechten will, Revision eingelegt.
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