80. Jahrestag der Wannsee-Konferenz

Von Herwig Schafberg, Mi. 19. Jan 2022, Titelbild: YouTube-Screenshot

Am 20. Januar 1942 fand in einer Villa am Berliner Wannsee eine Konferenz von Staats- und Parteivertretern des nationalsozialistischen Deutschlands statt. Anders als manchmal zu lesen ist, wurde dort nicht die Vernichtung des Judentums beschlossen, sondern deren Effizienzsteigerung; denn mit der Vernichtung hatte man schon zu Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion im Sommer 1941 begonnen. Am Ende stand die Ermordung von nahezu sechs Millionen Juden, was indirekt zur Gründung des Staates Israel beitrug. Der Historiker Herwig Schafberg blickt zurück.

Endlösung der Judenfrage im Staate Israel?

Der deutsche Feldzug gegen die Sowjetunion war von Anfang an als Eroberungs- sowie Vernichtungskrieg konzipiert. Demnach fiel der Wehrmacht die Aufgabe zu, die sowjetischen Streitkräfte zu bekämpfen und auf dem Territorium der Sowjetunion „Lebensraum“ für Deutsche zu erobern, den Einsatzgruppen der SS (Schutzstaffel der Nationalsozialisten) sowie der Polizei hingegen die Unterdrückung und Vernichtung von Menschen in den eroberten Gebieten.

Letzteres bedeutete in erster Linie die Liquidierung von Parteifunktionären der sowjetischen Kommunisten, die in der Propaganda des nationalsozialistischen Regimes Bolschewisten genannt und als Agenten des Judentums ausgegeben wurden. Es bedeutete darüber hinaus, „das Ostjudentum“, so Reinhard Heydrich, „als Keimzelle des Weltjudentums zu vernichten“ und insofern massenhaft Männer, Frauen sowie Kinder zu töten, denen allein zur Last gelegt wurde, dass sie Juden waren.

Der Logik ihrer rassentheoretisch infiltrierten Ressentiments folgend machten die Nationalsozialisten keinen wesentlichen Unterschied zwischen bekennenden Juden und solchen, deren Familien längst assimiliert und teilweise nicht einmal wussten, dass sie jüdischer Herkunft waren.

Rudolf Heß: „In der Hingabe an den Führer, die nach dem Warum im Einzelfalle nicht fragt, in der stillschweigenden Ausführung seiner Befehle liegt unser aller Nationalsozialismus verankert“

Die nationalsozialistischen Machthaber hatten zwar Gesetze zur Diskriminierung von Menschen geschaffen und auch das Recht zur Verhängung der Todesstrafe für bestimmte Vergehen verschärft. Es gab jedoch kein Gesetz, das die massenhafte Vernichtung von Juden sowie anderen „nichtarischen“ Menschen gestattete. Der Führer Adolf Hitler stand allerdings über dem Gesetz. Er konnte anordnen, was er für rechtens hielt, und erwarten, dass seinen Befehlen kritiklos Folge geleistet wurde.

„Einer bleibt von aller Kritik ausgeschlossen, das ist der Führer“, verkündete dessen Stellvertreter in der nationalsozialistischen Parteiführung, Rudolf Heß, schwärmerisch in einer Rundfunkansprache:

„Das kommt daher, daß jeder fühlt und weiß: Er hatte immer recht und er wird immer recht haben. In der kritiklosen Treue, in der Hingabe an den Führer, die nach dem Warum im Einzelfalle nicht fragt, in der stillschweigenden Ausführung seiner Befehle liegt unser aller Nationalsozialismus verankert. Wir glauben daran, daß der Führer einer höheren Berufung zur Gestaltung des deutschen Schicksals folgt! An diesem Glauben gibt es keine Kritik…“

Es ist nicht gewiss, ob der Führer ausdrücklich den Befehl zur Ermordung der Juden gab oder es seinen Getreuen überließ, die angeordnete Endlösung der Judenfrage so zu verstehen und demgemäß zu handeln. Und diese hatten es damit eilig: Kaum hatten deutsche Truppen die Grenze zur UdSSR überschritten, kam es zur Ermordung zigtausender Juden. Soweit die Wehrmacht nicht daran beteiligt war, unternahm sie jedenfalls wenig, um solche Massaker an Zivilisten zu verhindern; denn die SS unterstand nicht dem Kommando der Wehrmachtsführung.

Befehle zum Massenmord befolgt, weil sie von der Staatsführung kamen

Den SS-Einsatzgruppen waren Polizeibataillone zugeordnet, die ebenso wie Hilfswillige aus den Reihen der Einheimischen in den besetzten Gebieten von Anfang an daran beteiligt waren, wenn Juden zusammengetrieben und zur Hinrichtung geführt wurden. Wer von den Zusammengetriebenen nicht sofort an der Reihe war, musste mit ansehen, wie andere vor ihm in eine zu dem Zweck ausgehobene Grube gestoßen und erschossen wurden, bevor ihn selbst dort dieses Schicksal traf. Manche von denen, die angeschossen in der Grube lagen, stöhnten noch und wurden lebendig begraben.

„Ich weiß zwar, daß die Polizei auch die Aufgabe hat, Unschuldige zu schützen, doch war ich damals der Überzeugung, daß die jüdischen Menschen nicht unschuldig, sondern schuldig seien. Ich habe der Propaganda, daß alle Juden Verbrecher und Untermenschen seien…, geglaubt“, sagte ein an solchen Massenmorden beteiligter Polizist später aus. „Mir ist also der Gedanke, daß man sich dem Befehl zur Mitwirkung an der Vernichtung der Juden widersetzen oder entziehen sollte, gar nicht gekommen. Ich habe diese Befehle befolgt, weil sie von der obersten Staatsführung kamen…“

Beschlüsse der Wannsee-Konferenz zur effizienteren „Lösung des Judenproblems“

Je tiefer die Wehrmacht auf sowjetischem Territorium vordrang, desto mehr häuften sich die Massaker. „Die größte dieser Aktionen fand unmittelbar nach der Einnahme Kiews statt; es wurden hierzu ausschließlich Juden mit ihrer gesamten Familie verwandt“, heißt es in der „Ereignismeldung“ eines SS-Einsatzkommandos vom November 1941: „Wenn auch bis jetzt auf diese Weise insgesamt etwa 75.000 Juden liquidiert worden sind, so besteht doch schon heute Klarheit darüber, daß damit eine Lösung des Judenproblems nicht möglich sein wird…“

Dass die Aktionen zur Lösung dieses „Problems“ nicht effektiv genug waren, sah man anscheinend auch an höherer Stelle so, zumal da es nicht bloß um die Ausrottung der Juden in Ost-, sondern letzten Endes in ganz Europa gehen sollte. Am 20. Januar 1942 fand in Berlin-Wannsee eine Konferenz statt, an der 15 Vertreter der SS, der NSDAP sowie der Reichsregierung teilnahmen.

Wie dem Protokoll dieser Konferenz zu entnehmen ist, teilte der „Chef der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Obergruppenführer Heydrich,… eingangs seine Bestallung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage… mit und wies darauf hin, daß zu dieser Besprechung geladen wurde, um Klarheit in grundsätzlichen Fragen zu schaffen…

Die Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage liege ohne Rücksicht auf geographische Grenzen zentral beim Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ – also bei Heinrich Himmler, unter dessen Federführung nun „als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten“ ist.

„Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen werden die Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird“, heißt es in dem Protokoll weiter.

„Der abfällig verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesen zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist. (Siehe die Erfahrung der Geschichte.)“

Diese Erfahrung hatte nach dem Verständnis der Nationalsozialisten gezeigt, dass die Vertreibung von Juden nicht ausreichend sein würde, um das „Problem“ zu lösen. Es wurde zwar nicht ausdrücklich gesagt; doch wenn Juden, die nicht „durch natürliche Verminderung ausfallen…, entsprechend behandelt werden müssen“, bedeutet das nichts anderes, als dass sie ausgerottet werden sollten, wie wir inzwischen wissen können, wenn wir es wollen.

Verlagerung von Vernichtungsaktionen nach Polen

Die ersten Erfahrungen mit der Ausrottung von Menschen hatten die nationalsozialistischen Machthaber nicht erst in den besetzten Gebieten, sondern im eigenen Land gemacht und daraus gelernt. Auf den Tag genau am 1. September 1939, mit dem der Krieg begann, hatte Adolf Hitler die Massentötung von Kranken befohlen und so darauf hingewirkt, dass in der Folgezeit rund 100.000 „unnütze Esser“ sowohl aus Konzentrationslagern als auch aus Heil- und Pflegeanstalten, ferner Sonderschüler und Fürsorgezöglinge getötet wurden. Doch die unter dem Tarnnamen T4 durchgeführte Aktion wurde abgebrochen, als sich dagegen Protest – vor allem in Kirchenkreisen – erhob und sich Unruhe in der Bevölkerung breit machte. Nicht zuletzt deswegen sollte die Vernichtung deutscher Juden nicht in Deutschland erfolgen, sondern weit weg – hauptsächlich in den besetzten Gebieten Polens.

Die „Endlösung der Judenfrage“ zu organisieren, übernahm im Großen und Ganzen der Leiter des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt der Reichsführung SS, Adolf Eichmann. Er sorgte mit bürokratischer Effizienz dafür, dass Juden in Deutschland und all den Gebieten Europas, die von deutschen Truppen besetzt waren, zusammen getrieben und in überfüllten Viehwaggons auf tagelangen Bahnfahrten zu den Konzentrationslagern in Auschwitz, Belzec, Chelmo (Kulmhof), Maidanek (Lublin), Sobibor und Treblinka deportiert wurden, wo die meisten von ihnen – nahezu sechs Millionen Menschen – getötet wurden.

Massenmorde durch Einsatz von Zyklon B

Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz war Rudolf Höß. Der beschrieb, wie Himmler ihm eröffnet hatte, dass „der Führer… die Endlösung der Judenfrage befohlen“ und der SS den Auftrag erteilt hätte, „diesen Befehl durchzuführen“. Da „die bestehenden Vernichtungsstellen im Osten… nicht in der Lage (wären), die beabsichtigten großen Aktionen durchzuführen“, hätte er – Himmler – „Auschwitz dafür bestimmt“ und ihn – Höß – dafür vorgesehen, die Aufgabe zu übernehmen. Einzelheiten würde er durch Sturmbannführer Eichmann erfahren.

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Rudolf Höß, Polska Agencja Prasowa (PAP), Public domain, via Wikimedia Commons

 „Kurze Zeit danach kam Eichmann zu mir nach Auschwitz“, schrieb Höß ferner: „Er weihte mich in die Pläne der Aktionen in den einzelnen Ländern ein… Zuerst sollte für Auschwitz Ostoberschlesien und die daran angrenzenden Teile des General-Gouvernements in Frage kommen. Gleichzeitig… die Juden aus Deutschland und der Tschechoslowakei. Anschließend der Westen: Frankreich, Belgien, Holland…

Wir besprachen weiter die Durchführung der Vernichtung. Es käme nur Gas in Frage, denn durch Erschießen die zu erwartenden Massen zu beseitigen, wäre schlechterdings unmöglich und auch eine zu große Belastung für die SS-Männer, die dies durchführen müßten, im Hinblick auf die Frauen und Kinder. Eichmann machte mich bekannt mit der Tötung durch die Motoren-Abgase in Lastwagen… Dies käme aber für die zu erwartenden Massen-Transporte in Auschwitz nicht in Frage.

Die Tötung durch Kohlenoxyd-Gas, durch Brausen in einem Baderaum, wie die Vernichtung der Geisteskranken an einigen Stellen im Reich durchgeführt wurde, erfordere zu viel Baulichkeiten, auch wäre die Beschaffung des Gases für die großen Massen sehr problematisch. Eichmann wollte sich nach einem Gas, das leicht zu beschaffen wäre und keine besonderen Anlagen erfordere, erkundigen und mir dann berichten…“

Es dauerte nicht lange, bis man sich für das Blausäuregas Zyklon B zur Massentötung von Menschen in Auschwitz-Birkenau wie auch in weiteren Lagern entschieden und die Infrastruktur dafür geschaffen hatte, so dass dort die Vernichtungsaktionen beginnen konnten. Wer von den Menschen, die aus diversen Ländern Europas dorthin gebracht wurden, nach der Ankunft nicht zur Zwangsarbeit in den dortigen Produktionsstätten des Chemiekonzerns IG Farben oder anderer Konzerne ausgesucht wurde und eine Überlebenschance bekam, solange er arbeitsfähig war, den ereilte sofort der Tod in den Gaskammern, in die man die Todgeweihten vorgeblich zum Duschen trieb.

Am Ende dieser Aktionen, die mit der Bezeichnung Holocaust in die Geschichte eingingen, waren allein in Auschwitz-Birkenau mehr als eine Million Menschen  – Männer, Frauen und Kinder – vergast.

Kindertransport nach Auschwitz

Zu denjenigen, die nach Auschwitz gebracht worden waren, gehörte Marina Wolff aus Warschau, die knapp überlebte und Augenzeugin war, als ein Kindertransport ankam: „Ein Transport war angekommen, und eine seltsame Kolonne marschierte auf der Straße: ungefähr 150 Kinder, die sich an den Händen hielten, eines trug das Jüngste mühsam auf den Armen, von stramm ausschreitenden SS-Aufseherinnen begleitet“, heißt es in ihrem Bericht.

„Mit ihrem Schäferhund an der Leine war die gutaussehende Irma Grese schon von weitem zu erkennen. Die Gruppe nahm sich aus wie ein großer Kindergarten auf einem Ausflug oder Spaziergang. Auf der Wiese gegenüber vom Krematorium hielten sie an. Eine Aufseherin belehrte die Kinder mit lauter Stimme: ‚Jetzt zieht euch schön aus und faltet eure Kleider ordentlich zusammen, damit jeder seine Sachen nachher wiederfindet. Und dann gehen wir gleich unter die Dusche.‘ Die Kinder fingen an, sich auszuziehen. Da warf ein fünfjähriges Mädchen plötzlich einen großen roten Ball. Die anderen liefen ihm nach, fingen ihn auf, warfen ihn in die Luft und spielten so eine Weile in der warmen Septembersonne. Es waren noch kleine Kinder, das älteste vielleicht zehn Jahre alt. Am Rande der Wiese saß ein ganz kleines Kind, zwei Jahre alt, jedenfalls zu klein, um schon mitzuspielen.

Wie eine Kindergärtnerin klatschte Irma Grese dann in die Hände: ‚Genug gespielt, laßt den Ball liegen. Jetzt beeilen wir uns, daß wir ins Bad kommen.‘ Die Kinder gehorchten und stürmten die Treppen ins Krematorium hinunter. Auch das Kleine kroch ihnen auf seinen unbeholfenen Beinchen nach. Irma Grese sah das, übergab ihren Hund einem SS-Wächter und nahm das Kind auf den Arm… Der kleine Mann spielte mit ihrem blonden Haar und streichelte das Zeichen an ihrer Mütze. Er fühlte sich sichtlich wohl auf dem Arm der gutaussehenden Pflegerin und lachte vor Vergnügen.

Noch einen Augenblick, dann waren die Feldmütze, das blonde Haar der Irma Grese und das kleine Köpfchen daneben unseren Blicken entzogen. Noch einmal sahen wir Irma Grese, als sie aus dem Krematorium herauskam, den Hund abholte und mit ihm ruhig ins Lager zurückging. Nach zwanzig Minuten heulten die Ventilatoren auf, die Aktion war beendet. Vor dem Krematorium lagen die Höschen, die schleifengeschmückten Kleidchen… und auch der rote Ball.“

Israel als Zufluchtsort für Juden aus aller Welt

Mit den Vernichtungsaktionen war erst Schluss, kurz bevor der Zweite Weltkrieg für das nationalsozialistische Deutschland verloren ging. Zu den vielen Millionen Menschen, die am Ende des Krieges und danach in den Ländern Europas auf der Flucht oder auf dem Weg nach Hause waren, zählte etwa eine Million Juden, die aus ihren Verstecken kamen oder aus Lagern, in denen sie überlebt hatten. Soweit sie in die Städte zurückkehrten, aus denen sie geflüchtet oder verschleppt worden waren, stellten manche fest, dass ihre Häuser entweder zerstört oder ihre Wohnungen im Besitz von anderen waren und ihre Rückkehr unerwünscht war. In Polen kam es mancherorts sogar zu neuen antisemitischen Ausschreitungen, in deren Verlauf Überlebende des Holocaust getötet wurden.

Nachdem Juden Jahrhunderte lang aus religiösen und dann auch noch aus rassistischen Motiven verfolgt worden waren, mochten viele sich nicht mehr auf staatlichen Schutz in Europa verlassen und emigrierten nach Palästina, wo sie sich an der Schaffung eines eigenständigen jüdischen Gemeinwesens beteiligten. 1949 lebten dort nahezu 350.000 Holocaust-Überlebende und stellten ungefähr ein Drittel der Bevölkerung des neu entstandenen Staates Israel, mit dessen Gründung „die Endlösung der Judenfrage“ eine andere Qualität als nach Hitlers Vorstellungen erhalten hatte.

Sie waren schwer gezeichnet von ihren Erfahrungen unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, unter der die meisten Familienangehörige verloren hatten. Insofern erschien es wie ein Wunder, was passierte, als Rivka Waxman in Haifa zum Einkaufen auf den Boulevard Herzl“ ging, berichtet Tom Segev in seinem Buch über Die siebte Million, in dem es um die eine Million europäischer Juden geht, die im Unterschied zu den anderen sechs Millionen den Holocaust überlebt hatten:

Rivka Waxman „war erst vor kurzem aus Polen gekommen… In der Nähe des Ora-Kinos fiel ihr plötzlich ein junger Soldat auf, der aus einem Jeep stieg und an die Kinokasse trat. Sie blieb wie angewurzelt stehen. ´Chaim?` rief sie ungläubig. Der Soldat drehte sich um, und die beiden starrten sich einige Sekunden lang an. Dann breitete die Frau, einer Ohnmacht nahe, die Arme aus und ließ sich an die Schulter des jungen Mannes sinken. Sie war seine Mutter. Acht Jahre zuvor, als er vierzehn war, hatten sie sich zum letzten Mal gesehen. Vor ihrer Begegnung auf der Straße hatte Rivka Waxman geglaubt, Chaim sei im Holocaust umgekommen.“

Doch der Junge war der Vernichtung entkommen und hatte es nach Palästina geschafft, wo er Soldat des dort neu gegründeten Staates Israel wurde und in Bereitschaft stand, um diesen Zufluchtsort für Juden aus aller Welt gegen diejenigen zu verteidigen, die sie auch von dort vertreiben oder gar töten wollten, wie auf Kundgebungen in den arabischen Nachbarländern jahrelang angedroht worden ist und von vielen Arabern bis heute gewünscht wird. Viele von denen machen keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für Adolf Hitler und das nationalsozialistische Deutschland.

Verantwortung für die Sicherheit unserer jüdischen Mitbürger

Man könnte nicht Millionen Juden töten und dann auch noch Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land lassen, empörte sich Karl Lagerfeld mit Blick auf den Holocaust und die Massenimmigration von Arabern. Ihn empörte, dass nicht nur in arabischen Ländern, sondern auch in Deutschland eingewanderte Araber immer wieder mit übler judenfeindlicher Hetze auffielen, es ungeniert bedauerten, dass „Hitler nicht alle Juden umgebracht“ hätte – und dass durch den Holocaust traumatisierte Juden Zeugen wurden, wie arabische Hetzmassen auf den Straßen unserer Städte skandierten: „Tod den Juden“ und „Hamas – Hamas – Juden in das Gas!“.

Daran hat sich bisher nichts geändert. Und solange Araber sowie andere – unter ihnen auch mancher Autochthone – sich nicht entblöden, deutsche Juden für die Existenz des Staates Israels und dessen Politik mitverantwortlich zu machen, unsere jüdischen Mitbürger anpöbeln, verprügeln oder gar umbringen, bewirken sie mit ihrer Aggressivität das, was sie am wenigsten wollen – nämlich, dass noch mehr Juden als bisher nach Israel auswandern und dort Zuflucht suchen, weil sie sich hier nicht sicher fühlen. Doch Einsicht in den Zusammenhang ist solchen Übeltätern wohl kaum zu vermitteln.

Am 27. Januar ist der Kalendertag, an dem 1945 sowjetische Truppen Auschwitz erreichten und an dem seit vielen Jahren in Deutschland offiziell des Holocaust gedacht wird. Man darf auf die Lippenbekenntnisse gespannt sein, mit denen politisch Verantwortliche uns am bevorstehenden Gedenktag wieder glauben machen wollen, dass zum Schutz von Juden so viel wie möglich getan werde.

Was davon bisher zu halten gewesen ist, konnte man beispielsweise erleben, als 2009 wild gewordene Araber, Türken und vielleicht auch andere in Duisburg ein Haus zu stürmen drohten, in dem ein Jude wohnte, der an einem Fenster seiner Wohnung eine Israel-Fahne angebracht hatte. Statt das Haus und dessen Bewohner zu schützen, stürmten Polizisten hinein, brachen die Wohnungstür auf und entfernten – begleitet vom Triumphgeheul des Straßenpöbels – die Fahne. Deutsche Polizisten verhielten sich damit ähnlich willfährig wie jene, die sich ab 1933 als Büttel der Nationalsozialisten und deren SA-Massenorganisation erwiesen hatten. Die Polizeiführung hält solch ein Verhalten im Resultat für eine Deeskalation; ich dagegen nenne es Kapitulation vor der Herrschaft des Pöbels.

Nachdem es in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu judenfeindlichen Aktionen in der Bundesrepublik Deutschland gekommen war, erklärte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer in einer Radioansprache, dass derartig agierende „Lümmel… eine Tracht Prügel… verdient“ hätten – und er versicherte seinen jüdischen Mitbürgern, dass die gesamte Staatsmacht hinter ihnen stände. Doch wo steht die Staatsmacht heute?

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Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.

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