Ahrtal-Katastrophe: Umweltministerin Anne Spiegel war nicht erreichbar

Von Jürgen Fritz, Fr. 11 Mrz 2022, Titelbild: SPIEGEL TV-Screenshot

Mittwoch, der 14. Juli 2021: Die Umweltministerin von Rheinland-Pfalz Anne Spiegel (Die Grünen), seit Dezember Bundesfamilienministerin im Kabinett Scholz, erhält eine Meldung bezüglich Hochwasser. Um 15.56 Uhr schreibt sie ihren Mitarbeitern: „Konnte nur kurz draufschauen, bitte noch gendern Campingplatzbetreiber-Innen, ansonsten Freigabe …

Es droht kein Extremhochwasser

… Wir sollten die PM erst nach der jetzt begonnenen Debatte herausgeben. Danke.“

14. Juli um 16.26 Uhr gibt Anne Spiegel die folgende Mitteilung frei: Angespannte Hochwasserlage in Rheinland-Pfalz – Wasserstände an Rhein, Mosel und kleineren Flüssen und Bächen werden weiter ansteigen. In der Mitteilung heißt es: „Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht.“

Staatssekretär Manz war laut FAZ E-Mail-Protokollen zufolge schon kurz danach klar, dass der Inhalt der E-Mail falsch war. Er schrieb an Mitarbeiter der Pressestelle, die Pressemitteilung sei „überholt“, es gebe ein „Extremereignis an der Ahr“. Dort sei ein Campingplatz aus der Luft evakuiert worden. Auf die Frage einer Pressesprecherin, ob deswegen nun etwas zu tun sei, antwortete er: „Heute nicht.“ Eine berichtigende Pressemitteilung – dann mit warnendem Inhalt – wurde danach nicht versandt.

Monumentales Systemversagen

Dabei gab es schon ab dem 10. Juli mehrere Warnungen vor den schweren Unwettern, zunächst aus dem Ausland, dann von Kachelmannwetter. Schon am Samstag, den 10. Juli, gut vier Tage vor der verheerenden Hochwasserkatatrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, hat das europäische Hochwasser-Warnsystem EFAS eine Warnung an deutsche Behörden abgegeben.

Die Professorin für Hydrologie, Hannah Cloke sagte später: Germany knew the floods were coming, but the warnings didn’t work (Deutschland wusste, dass die Fluten kommen würden, aber die Warnungen haben nicht funktioniert). Die Wissenschaftlerin sprach von einem „monumentalen Systemversagen“. Es sei unglaublich frustrierend. Schon mehrere Tage vorher konnte man sehen, was bevorsteht.“

Die für Hochwasser zuständige Umweltministerin geht mitten in der Katastrophe weder am Mittwochabend noch am Donnerstagmorgen ans Telefon

Mittwoch, 14. Juli um 20:15 Uhr: Die Landrätin Julia Gieseking ruft den Katastrophenfall aus, auch um so die Unterstützung durch die Bundeswehr zu ermöglichen.

14. Juli gegen 21 Uhr: Gieseking teilt bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz mit, dass es viele überschwemmte Straßen und Ortschaften gebe, die nicht mehr erreichbar seien. Gieseking sagt: „Ich appelliere an die Bevölkerung, dass alle zuhause bleiben und sich schützen vor den Wassermassen.“

14. Juli, 22.24 Uhr: Staatssekretär Erwin Manz versucht, seine damalige Vorgesetzte Anne Spiegel zu erreichen. Die geht nicht ans Telefon. Während des Jahrhunderthochwassers! Sie ist die Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, wo die Lage am schlimmsten ist. Das Umweltministerium ist für Hochwasser zuständig. Weil der Anruf erfolglos bleibt, legt Manz eine Notiz an: „Versuch Telefonat.“

Donnerstag, der 15. Juli, 07:52 Uhr: Am nächsten Morgen versucht Staatssekretär Manz um 07.52 Uhr erneut, Anne Spiegel zu erreichen. Wieder ohne Erfolg. Spiegel geht erneut nicht ans Telefon.

Wir brauchen ein Wording

15. Juli: Als Anne Spiegel dann später das Ausmaß der Katastrophe schließlich erfährt, sind dies ihre erste Gedanken: Sie schreibt zunächst an ihre Mitarbeiter:

„Das Blame Game (Schuldzuweisungen) könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“

In Deutschland starben in dieser Flutkatastrophe am 14./15. Juli über 180 Menschen, 134 davon in Rheinland-Pfalz. Womöglich hätten viele, vielleicht sogar alle gerettet werden können, hätte man die Warnungen seit dem 10. Juli zur Kenntnis genommen, bewertet und frühzeitig Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet, vor allen Dingen die Bevölkerung gewarnt. Dafür war die Pressemitteilung vom späten Nachmittag des 14. Juli, in welcher behauptet wurde, es drohe „kein Extremhochwasser“ gegendert. Darauf legte die Ministerin ganz besonderen Wert.

Heute Abend muss sich Anne Spiegel im Landtag in Mainz nun endlich in einem Untersuchungsausschuss erklären.

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