Russlands Krieg gegen die Ukraine: eine militär-strategische Analyse

Von Jürgen Fritz, Mo. 21. Mrz 2022, Titelbild: Servus TV-Screenshot

Ziel des rus­si­schen Angriffs­krieges sei die Unter­wer­fung und Beset­zung des gesam­ten ukrai­ni­schen Staats­ge­bie­tes, die Aus­lö­schung der natio­na­len und kul­tu­rel­len Iden­ti­tät der Ukraine, inklusive der phy­si­schen Ver­nich­tung ihrer Eliten, soweit sie Wider­stand leisten, sagt der Militärstratege Gustav Gressel, der letzte Woche eine der tiefgehendsten Analysen vorlegte.

1. Zur Person

Gustav Gressel absolvierte die (mit akademischem Grad abschließende) Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, studierte dann Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Von 2003 bis 2006 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Beauftragten für Strategische Studien im Büro für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport in Wien und von 2006 bis 2014 dort Referent für Internationale Sicherheitspolitik und Strategie.

Im Dezember 2014 schloss Gustav Gressel sein Doktorat in Strategischen Studien an der Zrinyi Miklos National Defence University in Budapest (heute National University of Public Service) ab. Nebenbei nahm er Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Internationalen Institut für Liberale Politik Wien bei Erich Reiter wahr.

Gressel ist seit November 2014 Senior Policy Fellow im Wider Europe Programm des European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin. Von Juni bis Dezember 2019 leitete Gressel interimistisch das Wider Europe Programm. Er arbeitet auch mit anderen Berliner Think Tanks zusammen und publiziert für die Konrad-Adenauer Stiftung, das Zentrum Liberale Moderne (kurz LibMod), die Böll Stiftung oder der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Gustav Gressel ist Autor zahlreicher Beiträge zu Themen der Russlandpolitik, der Rüstungskontrolle, der Proliferation, des Militärwesens sowie der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik. Hier nun seine Analyse.

2. Was sind die rus­si­schen Kriegsziele?

Der rus­si­sche Angriffs­krieg gegen die Ukraine zielt nach Ansicht von Gressel auf die Unter­wer­fung und Beset­zung des gesam­ten ukrai­ni­schen Staats­ge­bie­tes. Primäre Absicht des Angriffskrieges sei „die Aus­lö­schung der natio­na­len und kul­tu­rel­len Iden­ti­tät der Ukraine.“ Dies schließe die phy­si­sche Ver­nich­tung ihrer poli­ti­schen, intel­lek­tu­el­len, jour­na­lis­ti­schen, kul­tu­rel­len und admi­nis­tra­ti­ven Eliten und ihrer Armee ein, soweit sie Wider­stand leisten.

In der anfangs offen pro­pa­gierten „Demi­li­ta­ri­sie­rung und Ent­na­zi­fi­zie­rung“ der Ukraine sieht der Politikwissenschaftler eine kaum ver­hüllte Ankün­di­gung dieser Ziele. Zahl­rei­che Ver­haf­tun­gen von ukrai­ni­schen Ver­tre­tern von Ver­wal­tung und Zivil­ge­sell­schaft in Cherson sowie die Werbung für die Aus­stel­lung rus­si­scher Pässe in besetz­ten Gebie­ten seien ein klarer Hinweis auf die impe­ria­len und kolo­nia­len Ziele Russlands.

„Das lang­fris­tige Ziel des Kremls, die ukrai­ni­sche geis­tige Elite flä­chen­de­ckend zu ver­nich­ten, ist nicht ohne die Ein­rich­tung von Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern zu errei­chen. Es sollte ins­be­son­dere deut­schen Ent­schei­dungs­trä­gern klar sein, was der ukrai­ni­schen Gesell­schaft im Falle der Nie­der­lage droht.“

Russ­land ver­suche durch blanken Terror die ukrai­ni­sche Gesell­schaft von der Unter­stüt­zung des Wider­stan­des abzu­brin­gen und zu einer Akzep­tanz rus­si­scher Herr­schaft zu zwingen. Dazu gehöre das gezielte Bom­bar­de­ment ziviler Ein­rich­tun­gen – Kin­der­gär­ten, Schulen, Kran­ken­häu­ser, Pfle­ge­heime – sowie Ver­haf­tun­gen, Erschie­ßun­gen und Ernied­ri­gun­gen ein­schließ­lich Ver­ge­wal­ti­gun­gen in den von rus­si­schen Truppen besetz­ten Gebie­ten. Der Angriff auf die beson­ders schwa­chen und unge­schütz­ten Teile der Gesell­schaft (Frauen, Kinder, Kranke, Alte) sei dabei gezielt gewählt, um zu demons­trie­ren, dass die ukrai­ni­sche Armee ihre Bürger nicht schüt­zen könne, so Gressel. Niemand solle im Irr­glau­ben sein, dass es sich beim Bom­bar­de­ment von Geburts­kli­ni­ken und Schulen um „Ver­se­hen“ handele.

Sollte Russ­land in diesem Krieg als mili­tä­ri­scher Sieger her­vor­ge­hen, sei nicht nur in der Ukraine mit einer Ter­ror­herr­schaft zu rechnen, wie sie es seit dem Vor­marsch der Wehr­macht in dieses Gebiet nicht mehr gegeben habe. Eine Flücht­lings­welle, die – wenn man die Zahlen aus dem Donbas auf die gesamte Ukraine hoch­rech­ne – weit über die 10 Mil­lio­nen gehen könne, sei dann noch das geringste Problem Europas.

Russ­land werde nicht nur in der Ukraine eine gegen die NATO gerich­tete Mili­tär­struk­tur auf­bauen. Putin werde jede Art des Wider­stan­des gegen ihn – seien es die Unab­hän­gig­keits­be­stre­bun­gen in Tsche­tsche­nen oder Bür­ger­pro­teste in rus­si­schen Groß­städ­ten – den USA und der NATO in die Schuhe schieben. Da man aber ange­sichts der rus­si­schen Bru­ta­li­tät mit wei­te­rem bewaff­ne­ten Wider­stand in der Ukraine rechnen müsse, sei davon aus­zu­ge­hen, dass Russ­land den Westen dafür ver­ant­wort­lich mache und ihn durch mili­tä­ri­schen Druck, inklu­si­ver nuklea­rer Dro­hun­gen, ein­zu­schüch­tern und abzu­schre­cken ver­suchen werde, sich nicht „in die inneren Ange­le­gen­hei­ten Russ­lands“ einzumischen.

Dass auch nach einem mili­tä­ri­schen Sieg in der Ukraine noch erheb­li­che Teile der rus­si­schen Armee, der Natio­nal­garde und des FSB in der Ukraine sta­tio­niert bleiben müssten, um die erober­ten Ter­ri­to­rien zu beherr­schen, sieht der Militärexperte als sicher an. Diese Teile würden dann sys­te­ma­tisch in Kriegs- und Mensch­heits­ver­bre­chen invol­viert. Damit würden sie wie­derum an das Regime gebun­den, da ihnen sonst der Prozess drohe.

Und: „Die rus­si­schen Truppen kehren verroht aus der Ukraine nach Russ­land zurück.“ Das wie­derum ziehe eine weitere Stei­ge­rung der inneren Repres­sion in Russ­land und eine Mili­ta­ri­sie­rung seiner Außen­po­li­tik nach sich.

Europa werde keinen „sta­bi­len“ Kalten Krieg ernten, „wie wir ihn aus den 1970er und 1980er Jahren in Erin­ne­rung haben“. Viel­mehr werde er den insta­bi­len 1940ern und 1950ern glei­chen, als Stalin die neu erober­ten Ter­ri­to­rien in das sowje­ti­sche Impe­rium zwang, jeden Wider­stand brach und mit der Berlin-Blo­ckade die Grenzen seiner Macht aus­tes­tete. Es sei dabei kei­nes­wegs sicher, dass sich alle daraus erfol­gen­den Krisen fried­lich lösen und ent­schär­fen lassen, so Gressel.

3. Nukleare Eskalation?

Moskaus Ankün­di­gung, seine Nukle­ar­streit­kräfte in erhöhte Ein­satz­be­reit­schaft zu ver­setz­ten, habe im Westen für einige Ver­un­si­che­rung gesorgt. Dabei handele es sich um nichts anderes als psy­cho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung. Es gebe kei­ner­lei Anzei­chen dafür, dass die rus­si­schen Nukle­ar­streit­kräfte Schritte unter­neh­men, die über den regu­lä­ren Übungs­be­trieb (in den letzten Wochen haben die „Grom 2022“-Übungen der Nukle­ar­streit­kräfte stattgefunden) hin­aus­ge­hen. Sowohl ein Einsatz von Atom­waf­fen in der Ukraine als auch gegen den Westen seien derzeit höchst unwahrscheinlich.

Zumal das rus­si­sche Militär in der Ukraine durch thermo­ba­ri­sche Waffen ähn­li­che Zer­stö­rungs- und Ein­schüch­te­rungs­wir­kung erzie­len könne, ohne sich das inter­na­tio­nale Stigma eines Atom­waf­fen­ein­sat­zes zuzu­zie­hen. Auf­grund der west­li­chen Sank­tio­nen sei Russ­land auf die neu­trale Haltung von Staaten im Rest der Welt (Indien, Vietnam, Israel, etc.) ange­wie­sen. Ein Atom­waf­fen­ein­satz würde das ohne zusätz­li­chen mili­tä­ri­schen Nutzen gefähr­den. Zudem ent­stehe das Problem der radio­ak­ti­ven Rück­wir­kun­gen auf Russland.

Auch den Einsatz nuklea­rer Waffen gegen die NATO hält Gressel für unwahr­schein­lich. Dieser hätte den sofor­ti­gen Ein­tritt des Bünd­nis­ses in den Krieg zu Folge. Das könne sich Russ­land mili­tä­risch nicht leisten, da seine Armee zurzeit in der Ukraine gebun­den sei. Weite Teile Russ­lands, beson­dere der fern­öst­li­che Mili­tär­be­zirk seien mili­tä­risch ent­blößt. Es müsste, um eine Erobe­rung des eigenen Staats­ge­bie­tes aus­zu­schlie­ßen sofort auf die Ebene des stra­te­gi­schen Nukle­ar­krie­ges eska­lie­ren, was einem Selbst­mord gleichkäme.

Putin und der rus­si­sche Mili­tär­ge­heim­dienst (GU, vormals GRU) fürch­ten nach der Einschätzung von Gustav Gressel die stra­te­gi­sche und nukleare Über­le­gen­heit der USA. Die Ein­satz­be­reit­schaft ame­ri­ka­ni­scher stra­te­gi­scher Atom­waf­fen­trä­ger sei in der Praxis um vieles höher als das rus­si­sche. Der Krieg in der Ukraine habe ein­drucks­voll unter Beweis gestellt, wie tief ame­ri­ka­ni­sche Nach­rich­ten­dienste Ein­blick in die ope­ra­tive Planung Russ­lands haben. „Russ­land könnte also die USA kaum mit einem nuklea­ren Angriff über­ra­schen. In der rus­si­schen Denke könnten die USA bei Anzei­chen rus­si­scher Vor­be­rei­tun­gen einen prä­ven­ti­ven Atom­schlag anord­nen, der das rus­si­sche Poten­tial weit­ge­hend aus­schal­tet. Das US-Rake­ten­ab­wehr­sys­tem würde dann ein­zelne rus­si­sche Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten abfangen.“

Dass dieses Sze­na­rio auf einer Über­schät­zung der ame­ri­ka­ni­schen Ent­schlos­sen­heit und der ame­ri­ka­ni­schen tech­ni­schen Fähig­kei­ten beruhe, tue hier wenig zur Sache. Denn solche Sze­na­rien seien mitt­ler­weile zur Glau­bens­welt im Kreml gewor­den, so wie man glaube, Ukrai­ner und Russen wären ein Volk. Gressel hälte es daher für „sehr unwahr­schein­lich, dass Russ­land hier zu nuklea­ren Mitteln greifen würde.“

Nach gel­ten­den rus­si­schen Prin­zi­pien der nuklea­ren Abschre­ckung und impli­zi­ten Erfah­run­gen aus rus­si­schen Manö­vern, Fach­ver­öf­fent­li­chun­gen und Dis­kus­sio­nen sei die Option der nuklea­ren Eska­la­tion vielmehr für den Fall einer direk­ten mili­tä­ri­schen Kon­fron­ta­tion Russ­lands mit der NATO vor­be­hal­ten. Waf­fen­lie­fe­run­gen, Sank­tio­nen und andere Formen der Unter­stüt­zung der Ukraine seien weit unter­halb der nuklea­ren Reiz­schwelle. „Nur wenn die NATO mit geschlos­se­nen mili­tä­ri­schen For­ma­tio­nen – etwa meh­re­ren Pan­zer­di­vi­sio­nen – in den Krieg ein­grei­fen würde und sich durch die daraus resul­tie­rende mili­tä­ri­sche Situa­tion eine erste Gefahr für Kern-Russ­land ent­wi­ckeln würde, wäre der Einsatz dieser Waffen eine rea­lis­ti­sche Option“, so Gressel.

Indes habe Russ­land erkannt, das die Furcht vor dem Atom­krieg das beste Mittel ist, die west­li­che Öffent­lich­keit von einer Unter­stüt­zung der Ukraine abzu­hal­ten, nachdem alle anderen Mittel der Infor­ma­ti­ons­kriegs­füh­rung und Mei­nungs­bein­flus­sung versagt hätten. 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges herrsche auch in den Reihen der poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger im Westen blanke Unwis­sen­heit über alle Fragen nuklea­rer Abschre­ckung vor. „In diese Lücke stoßen die rus­si­schen Dro­hun­gen und Ver­un­si­che­run­gen – in diesem Stadium rein als psy­cho­lo­gi­sches Druck­mit­tel, nicht in der Substanz.“

Der einzige Einsatz von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen, der derzeit rea­lis­tisch erscheine, wäre der Einsatz pri­mi­ti­ver che­mi­scher Kampf­stoffe (Chlor­gas etc.) oder radio­ak­ti­ver Sub­stan­zen (radio­lo­gi­sche Waffen), um der Ukraine einen Unfall im Bereich der Lage­rung solcher Sub­stan­zen oder einen Anschlag in die Schuhe zu schie­ben. „Ziel wäre die Dis­kre­di­tie­rung der ukrai­ni­schen Führung in der eigenen Bevöl­ke­rung und im Westen.“

4. Stand der Offensive zum 15.03.2022

Russ­land habe den Krieg als „spe­zi­elle mili­tä­ri­sche Ope­ra­tion“ begonnen mit dem Ziel, schnell die Haupt­stadt Kiew und andere wich­tige Städte ein­zu­neh­men und so eine Kapi­tu­la­tion der Ukraine zu erzwin­gen. Diese Phase des Krieges sei in den ersten Tagen des Krieges kläg­lich geschei­tert. Die Russen hätten den den ukrai­ni­schen Wider­stand kom­plett unterschätzt. Die Folgen dieser Fehl­ent­schei­dung wirkten sich bis heute mili­tä­risch aus.

Die innen­po­li­tisch umstrit­tene Ver­wen­dung von Grund­wehr­pflich­ti­gen und Reser­vis­ten sei bisher ver­mie­den worden. Das gehe auf Erfah­run­gen des Tsche­tsche­ni­en­krie­ges zurück. Das Problem sei nun aber, dass sich dieses System zwar für „show of force“ Ope­ra­tio­nen oder zur Gene­rie­rung von Truppen für kolo­niale Kon­flikte wie Tsche­tsche­nien oder Geor­gien eigne. Für den großen Krieg hoher Inten­si­tät wie in der Ukraine sei dieses System aber wenig geeignet.

Die Organisation der russischen Armee erachtet Gressel als zu umständ­lich in der tak­ti­schen Führung und Koor­di­na­tion. Wich­tige Lagein­for­ma­tio­nen oder Befehle würden dadurch über­se­hen oder zu spät gegeben. Schlechte Funk­ge­räte ver­stär­kten das Problem. Deswegen müssten kom­man­die­rende Gene­räle nach vorne, um sich selbst ein Bild der Lage zu machen. Damit aber würden sie ein leich­tes Ziel für Atta­cken des Gegners. Die Moral der Truppe und das Ver­trauen in die Führung habe unter den fal­schen Kriegs­vor­wän­den („vielen Sol­da­ten wurde nicht gesagt, dass sie in einen echten Krieg mar­schie­ren“) stark gelit­ten und werde durch das orga­ni­sa­to­ri­sche Chaos weiter verstärkt.

Die Koor­di­na­ti­ons­schwie­rig­kei­ten seien ins­be­son­dere bei der Flie­ger­ab­wehr groß. Ohne klare Kom­man­do­struk­tu­ren „wissen die rus­si­schen Flie­ger­ab­wehr­kräfte nicht, welche Flug­be­we­gun­gen eigene sind, und ver­hal­ten sich dem­entspre­chend zurück­hal­tend (und werden dann von ukrai­ni­schen Bay­raktar Drohnen ange­grif­fen)“. Die rus­si­sche Luft­waffe ihrer­seits könne kaum effek­tive Luft­nah­un­ter­stüt­zung fliegen aus Furcht, von eigenen Flie­ger­ab­wehr­sys­te­men abge­schos­sen zu werden. Da Russ­land und die Ukraine die­sel­ben Systeme mitt­le­rer Reich­weite ein­setz­ten, müsse sie auch bei Angrif­fen auf Radar- und Feu­er­leit­stel­lun­gen Vor­sicht walten lassen, um nicht die eigene Flie­ger­ab­wehr aus­zu­schal­ten. „All diese Schwä­chen kommen den ukrai­ni­schen Ver­tei­di­gern zugute, die sich tak­tisch sehr geschickt auf ihren Gegner einstellen.“

Der Zustand des Mate­ri­als (Räder, Ketten, Schmier­mit­tel in Motoren und Getrie­ben, etc.) sei schlecht und führe zu hohen tech­ni­schen Ausfällen bei den Russen. Hinzu komme, dass wohl viele zum Ver­trags­ab­schluss gezwun­gene „Frei­wil­lige“ nach Über­schrei­ten der Grenze deser­tiert seien. Selbst mit einem mas­si­ven Kräf­te­ein­satz „konnte die rus­si­sche Armee keines ihrer anfäng­lich gesteck­ten Ziele errei­chen“. Es reiche zur Fort­set­zung des Krieges, aber nicht um unmit­tel­bar eine stra­te­gi­sche Ent­schei­dung zu erzwingen.

5. Neue Kräfte?

Für Moskau ist es daher nach Gressels Einschätzung beson­ders wichtig, neue Kräfte auf­zu­bie­ten. Das Zufüh­ren von Wagner-Söld­nern (etwa 4.000) und ange­wor­be­nen Truppen aus dem Nahen Osten und Afrika könne die Lücken im rus­si­schen Kräf­te­dis­po­si­tiv nicht schlie­ßen. Dafür seien diese Kräfte ent­we­der zu wenig (Wagner) oder in Kampf­kraft, Aus­bil­dung und Moral der Aufgabe nicht gewach­sen (Kano­nen­fut­ter aus Syrien).

Die Kriegs­pro­pa­ganda und das Schüren von Begeis­te­rung für den Krieg liefen zwar auf Hoch­tou­ren. Das Regime sei aber, was den Einsatz von Grund­wehr­die­nern angehe, noch vor­sich­tig, da eine Kon­fron­ta­tion breiter gesell­schaft­li­cher Schich­ten mit der Rea­li­tät des Krieges in der Ukraine erheb­li­che innen­po­li­ti­sche Risiken berge. Inwie­weit die gegen­wär­tige Pro­pa­ganda hier für die ent­spre­chende Geschlos­sen­heit sorgen könne, sei noch nicht abzu­se­hen. Eine volle Mobil­ma­chung Russ­lands würde den Krieg zuun­guns­ten der Ukraine ent­schei­den, aber womög­lich auf Kosten der Regime­sta­bi­li­tät in Moskau.“ Diese Fragen wäge Putin und die Regime-Entou­rage gerade ab, Ausgang ungewiss.

Als ent­schei­dend für die Frage, ob Russ­land im gegen­wär­ti­gen Rahmen den Krieg wird fort­set­zen können, sieht der Militärexperte den 1. April 2022 an. Dann „rücken nicht nur hun­dert­tau­sende Wehr­pflich­tige in die Armee ein, sondern schei­den auch ebenso viele wieder aus“. Ab April sei also mit einer qua­li­ta­ti­ven und quan­ti­ta­ti­ven Ver­bes­se­rung der rus­si­schen Lage zu rechnen.

Das Ziel des Westens müsse es nach Gressners Expertise daher sein, in der noch ver­blie­be­nen Zeit die ukrai­ni­sche Armee soweit zu unter­stüt­zen, dass die diesem neuen Angriff stand­hal­ten könne und „durch schnelle, harte und breite Sank­tio­nen die rus­si­sche Wirt­schaft vor diesem Datum lahmzulegen“.

6. Ukrai­ni­sche Verteidigung: äußerst tapfer, taktisch und operativ versiert

Die ukrai­ni­schen Ver­tei­di­ger haben sich nicht nur nach Gressels Einschätzung nicht nur als äußerst tapfer, sondern auch als tak­tisch und ope­ra­tiv ver­siert und fle­xi­bel ver­tei­di­gend erwie­sen. Dass sie selbst nach 15 Tagen noch ein­satz­be­reite Kampf­flug­zeuge und funk­ti­ons­fä­hige Flie­ger­ab­wehr­sys­teme mitt­le­rer Reich­weite ver­fü­gen, über­treffe die posi­tivs­ten Erwar­tun­gen. Aber auch die Ukrai­ni­sche Armee habe natürlich Ver­luste hin­neh­men müssen und der Ver­brauch von Muni­tion werde mit zuneh­men­der Dauer des Krieges zum Problem.

Die ukrai­ni­sche Armee ver­fügte vor dem Krieg über etwa 70 Batail­lone an Kampf­trup­pen (Pan­zer­kräfte, Mecha­ni­sierte Infan­te­rie, Infan­te­rie). Diese bildeten nach wie vor den harten Kern der Ver­tei­di­gung an allen Front­ab­schnit­ten. Hinzu kamen etwa 50.000 Mann ein­be­ru­fene Reser­vis­ten und 100.000 Mann Ter­ri­to­ri­al­ver­tei­di­gung, hinzu Frei­wil­lige aus dem In- und Ausland. „Die ukrai­ni­schen Kräfte konnten also in den letzten Tagen stark anwach­sen“, aller­dings bestünden die fri­schen Kräfte aus leich­ter Infan­te­rie. Diese könne den mecha­ni­sier­ten Kräfte Russ­lands nur dann stand­hal­ten, wenn sie ver­tei­di­gungs­güns­ti­ges Gelände nützen könne und das heiße in diesem Fall Städte.

Die ukrai­ni­schen Ver­tei­di­ger hätten das Problem, dass es mehr Raum als Kräfte gebe, um diesen abzu­de­cken. Rus­si­sche Truppen fänden daher immer wieder Lücken zwi­schen den ukrai­ni­schen Ver­tei­di­gern, um an diesen vorbei in die Tiefe zu stoßen. Dann müssten die Ukrai­ner diesen den Nach­schub abschei­den, und die ein­ge­drun­ge­nen Spitzen mit mecha­ni­sier­ten Reser­ven ver­nich­ten. Dies sei ­be­son­ders um Kiew und Tscher­ni­hiw recht gut gelungen. Aller­dings koste es auch der Ukraine Kräfte und Mate­rial, ins­be­son­dere das ihrer mecha­ni­sier­ten Reserven.

So viele Pan­zer­ab­wehr­waf­fen die Ukraine auch bekom­men möge, allein auf­grund des Gelän­des sei eine rein infan­te­ris­ti­sche Ver­tei­di­gung auf Dauer nicht durch­halt­bar. Um die ukrai­ni­sche Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit zu erhal­ten, sei ein Nach­schub auch mit schwe­rem Gerät – Panzer, Artil­le­rie, Schüt­zen­pan­zer und der dazu­ge­hö­ri­gen Muni­tion – drin­gend notwendig.

Sel­bi­ges gelte für die Luft­ver­tei­di­gung. „In der ver­gan­ge­nen Woche konnte die Ukraine der rus­si­schen Luft­waffe die höchs­ten Ver­luste seit dem zweiten Welt­krieg zufügen“. Aller­dings habe das schlechte Wetter und die dicke Wol­ken­de­cke geholfen. Um Ziele iden­ti­fi­zie­ren und angrei­fen zu können, mussten die rus­si­schen Piloten die Wol­ken­de­cke unter­flie­gen und kamen so in den Bereich der ukrai­ni­schen Luft­ab­wehr, der es an schul­ter­ge­stütz­ten Raketen (Stinger, Igla, und pol­ni­sche Grom) nicht mangele. Nun mache sich aber ein Hoch­druck­ge­biet über der Ukraine breit, und rus­si­sche Flug­zeuge könnten größere Höhen für ihre Angriffe nutzen.

Die Ukraine verfüge noch über ein­satz­fä­hige Flie­ger­ab­wehr­ra­ke­ten­sys­teme mitt­le­rer und großer Reich­weite. Auch fliege die Luft­waffe Abfang­e­in­sätze. Solange diese Waf­fen­sys­teme eine Bedro­hung auch für hoch­flie­gende rus­si­sche Flug­zeuge dar­stel­lten, werde die rus­si­sche Luft­waffe ihrer­seits Systeme zurück­hal­ten, die sie keinem großen Risiko aus­set­zen wolle. Die weitere Ver­füg­bar­keit solcher Kampf­mit­tel habe einen ent­schei­den­den, unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf die huma­ni­täre Lage.

7. Militärhilfe: Was ist notwendig?

„Die ukrai­ni­sche Armee braucht unsere unmit­tel­bare Unter­stüt­zung: umfas­send, unbü­ro­kra­tisch und sofort“, so der Sicherheitsexperte.

Kurz­fris­tig imple­men­tier­bare Hilfe bestehe vor allem im Über­las­sen von Aus­rüs­tung, Gerät und Muni­tion, die in der Ukraine kei­ner­lei logis­ti­schen- oder Trai­nings­vor­lauf benö­ti­gten. Von Kalasch­ni­kow Sturm­ge­weh­ren über RPG‑7 und Muni­tion hinauf zu Kampf­pan­zern (T‑72, PT-91), Schüt­zen­pan­zern (BMP‑1/​2), Mann­schafts­trans­port­pan­zer (MT-LB, BTR) finde sich vor allem in den Armeen unserer öst­li­chen Ver­bün­de­ten vieles, was die Ukraine brau­chen und ver­wen­den könne. Auch MiG-29 Kampf­flug­zeuge gehören dazu, wie fin­ni­sche Buk-M1 und slo­wa­ki­sche und grie­chi­sche S‑300 und pol­ni­sche und grie­chi­sche 9K33 Osa Fliegerabwehrraketen.

Ins­be­son­dere Nach­schub an gepan­zer­ten Kampf- und Gefechts­fahr­zeu­gen sei für den Erhalt mecha­ni­sier­ter Reser­ven wichtig. In erster Linie seien hier die öst­li­chen Ver­bün­de­ten Deutsch­lands gefragt. Aller­dings müsse bei vielen Geräten aus NVA Bestand auch eine deut­sche Export­ge­neh­mi­gung ein­ge­holt werden. „Deutsch­land sollte den NATO-Part­nern, die ihre eigenen Armeen und Muni­ti­ons­be­stände durch diese Hilfs­lie­fe­run­gen ent­blö­ßen, direkt helfen, sowohl in der Nach­be­schaf­fung, als auch durch Sta­tio­nie­rung von Truppen zum Erhalt der ört­li­chen Sicherheit“ so Gressel,.

Weitere unmit­tel­bar nütz­li­che Aus­rüs­tungs­ge­gen­stände seien Win­ter­uni­for­men, Schutz­wes­ten, Helme, Nacht­sicht­ge­räte, Wär­me­bild­ge­räte, ver­schlüs­selte Funk­ge­räte, schwere Scharf­schüt­zen­ge­wehre, Pan­zer­ab­wehr­waf­fen aller Art, Flie­ger­f­äußte (MANPADS), Klein­droh­nen mit Wär­me­bild­ge­rä­ten, Dro­nen­stö­rer, Pan­zer­mi­nen, Pionier- und Baugerät.

Einen nicht zu unter­schät­zen­den Wert hätten die Wei­ter­gabe von Auf­klä­rungs­er­geb­nis­sen, ins­be­son­dere nach­rich­ten­dienst­li­che Erkennt­nisse, Lage­bild­in­for­ma­tio­nen aus Satel­li­ten­bil­dern, elek­tro­ni­scher Über­wa­chung der rus­si­schen Kom­mu­ni­ka­tion und Radar­si­gnale, der Luft­raum­da­ten ins­be­son­dere zu Früh­war­nung vor Luft­an­grif­fen. Eine dem­entspre­chende Ver­stär­kung der Auf­klä­rungs­tä­tig­kei­ten der NATO durch die Bun­des­wehr und den BND sei mit aller Kraft zu forcieren.

„Die Lie­fe­rung bewaff­ne­ter Drohnen und Muni­tion für diese, sowie selbst­ziel­su­chende Muni­tion (loi­te­ring muni­tion) wäre ein wir­kungs­vol­les Mittel, die Reich­weite der ukrai­ni­schen Artil­le­rie zu stei­gern und der Ukraine zu ermög­li­chen, hoch­wer­tige Ziele im Rücken des Feindes (Reser­ven, Gefechts­stände, Nach­schub, Bela­ge­rungs- und Rake­ten­ar­til­le­rie) anzu­grei­fen.“

Aller­dings habe Deutsch­land die ver­gan­ge­nen 20 Jahre mit frucht­lo­sen Debat­ten um ein Verbot solcher Waffen ver­geu­det. Solch ein Verbot sei von Anfang an unrea­lis­tisch gewesen und „fußte einzig und allein auf Wunsch­den­ken, dass durch ‚Frie­dens­for­scher‘, die Abrüs­tungs­lobby und Poli­ti­ker ohne mili­tä­ri­sche Kennt­nisse per­p­etu­iert wurde“. Deutsch­land habe hier nichts Ver­wert­ba­res anzu­bie­ten. Man könnte allen­falls Finanz­mit­tel für ihre Beschaf­fung aus anderen Quellen bereitstellen.

In schwe­di­scher Strix Gra­nat­wer­fer­mu­ni­tion zur Pan­zer­ab­wehr sieht Gressel eine wir­kungs­volle Unter­stüt­zung für die ukrai­ni­sche Infan­te­rie im Orts­kampf. Aller­dings ver­fü­gten nur Schwe­den und die Schweiz über diese Munition.

Mit­tel­fris­tig sei es mit alledem aber nicht getan. Der Krieg in der Ukraine werd deut­lich länger dauern als ursprüng­lich ange­nom­men, und eine mili­tä­ri­sche Beset­zung der west­lichs­ten Oblaste durch das rus­si­sche Militär scheine derzeit kaum möglich. Es bietee sich also sowohl die Zeit, als auch die Mög­lich­keit, die Ukraine in tech­nisch aus­ge­reif­tere Waf­fen­sys­teme ein­zu­schu­len und diese aus­zu­lie­fern. „In der Westukraine könnte man dafür auch die ent­spre­chende Infra­struk­tur zur Wartung auf­bauen. Würde man hierzu einmal die deut­sche Büro­kra­tie über Bord kippen“.

8. Was sollte die NATO tun?

Der Krieg in der Ukraine, der mili­tä­ri­sche Auf­marsch in Belarus und der Krim stellen nach der Einschätzung von Gressel auch eine direkte Bedro­hung für die Sicher­heit der öst­li­chen Nach­bar­staa­ten Deutsch­lands dar. Von Russ­land gebe es bereits Dro­hun­gen, auch Flüch­tende, Hilfs­lie­fe­run­gen oder Waf­fen­trans­porte anzu­grei­fen, und nicht nur im Grenz­ge­biet sondern auch auf NATO-Territorium.

„Hätte die NATO bereits im Oktober ange­fan­gen, den rus­si­schen Trup­pen­auf­marsch durch ent­spre­chende eigene Ver­le­gun­gen zu spie­geln, hätte man die rus­si­sche Furcht vor einem Ein­grei­fen des Westens als Druck­mit­tel nutzen und so die rus­si­sche ope­ra­tive Planung ver­kom­pli­zie­ren, wenn nicht sogar vor einem Angriff abschre­cken können“, so Gressel. Aber diese Chance sei verpasst worden.

Nun gelte es der Situa­tion hin­ter­her­zu­lau­fen und einen glaub­wür­di­gen, abschre­ckungs­fä­hi­gen Aufbau eigener Kräfte an der Ost­flanke ein­zu­lei­ten. Wichtig dabei: Es dürfe keine Grau­zone ent­ste­hen, in der Russ­land eine Pro­vo­ka­tion lan­cie­ren könnte, ohne dass die NATO reagie­ren könnte. Auch sei die Sicher­heit jener Staaten, die Waffen an die Ukraine liefern (siehe oben) und sich dadurch ent­blö­ßen, durch direkte Trup­pen­sta­tio­nie­run­gen aus­zu­glei­chen. Das müsse über das gegen­wär­tige Maß sym­bo­li­scher Sta­tio­nie­run­gen hin­aus­ge­hen. Die gesamte NRF (NATO Response Force) müsse jetzt vor­wärts sta­tio­niert werden. Das deut­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium habe lange ver­spro­chen, im Kri­sen­fall bis zu divi­si­ons­starke Kräfte bereit­stel­len zu können. Die Krise sei schon lange da.

Frank­reich habe eine Staffel Kampf­flug­zeuge nach Polen verlegt. Die Luft­waffe der Bun­des­wehr könne das Gleiche tun, ein Geschwa­der wäre frei­lich besser.

Erst wenn die Grenze der NATO ein abso­lu­tes und glaub­wür­di­ges Tabu für rus­si­sche Angriffe darstelle – und das könne man nicht mit Worten, sondern nur mit mili­tä­ri­schen Taten unter­strei­chen -, könne man die Tabu­zone auf Grenz­über­gänge und Flücht­lings­ko­lon­nen jen­seits der Grenze aus­deh­nen. Von da an kann man situa­tiv, Schritt für Schritt, durch Aus­rüs­tung und nach­rich­ten­dienst­li­che Unter­stüt­zung der Ukrai­ner die Hand­lungs­frei­heit der rus­si­schen Luft­waffe einschränken.

Über eine Flug­ver­bots­zone zum gegen­wär­ti­gen Stand zu dis­ku­tie­ren sei dagegen sinnlos. Es fehlten die Kräfte, um diese über­haupt durch­zu­set­zen. Auch poli­tisch sei nicht zu erwar­ten, dass ein solcher Beschluss in der NATO einfach durch­ginge. Und selbst wenn, hätte Russ­land genü­gend Mög­lich­kei­ten, Flug­zeuge der NATO vom Boden oder aus der Luft anzu­grei­fen und somit die NATO wieder vor die Wahl zu stellen, ent­we­der mili­tä­risch zu eska­lie­ren oder klein bei­zu­ge­ben.

Aus diesen Gründen – man schlit­tere nicht so schnell in einen Atom­krieg – würde Russ­land eher kon­ven­tio­nell eska­lie­ren. „Wenn man aber einmal ein mili­tä­risch ernst zu neh­men­des Streit­kräf­te­dis­po­sitv an der Ost­flanke auf­ge­stellt hätte, könnte man zumin­dest den öffent­li­chen Druck für eine Flug­ver­bots­zone bzw. ein Ein­grei­fen gegen Russ­land diplo­ma­tisch ins Felde führen, um die rus­si­sche Führung zu ver­un­si­chern und zu ernst­haf­ten Ver­hand­lun­gen zu bringen.“ Das Vor­han­den­sein starker Kräfte allein erwei­tere bereits den eigenen diplo­ma­ti­schen Handlungsspielraum.

9. Sank­tio­nen sollten die russische Wirtschaft so hart und so schnell wie möglich treffen und zum Erliegen bringen

Das rus­si­sche Kalkül folge gegen­wär­tig einzig und allein der mili­tä­ri­schen Logik. Wirt­schaft­li­che Zwangs­maß­nah­men müssten daher zeit­lich und in der Inten­si­tät an die mili­tä­ri­sche Zeit­leiste ange­passt werden. Das Pos­tu­lat, Sank­tio­nen müssten lang­fris­tig ange­legt sein und nach­hal­tige Wirkung ent­fal­ten ist aus Gressels Sicht fehl am Platz.  Es sei Putin egal, was in fünf Jahren mit der rus­si­schen Wirt­schaft pas­siere. Sein Ent­schei­dungs­ho­ri­zont gehe kaum über den ersten April hinaus.

Der Haupt­zweck von Sank­tio­nen müsse in dieser Situa­tion sein, die rus­si­sche Wirt­schaft so hart, so schnell und so breit wie möglich zum Erlie­gen zu bringen. „Ein vor dem ersten April ein­set­zen­der Zusam­men­bruch der rus­si­schen Wirt­schaft und der Staats­fi­nan­zen würde die oben beschrie­bene Aus­wei­tung des Krieges durch Russ­land schwer bis unmög­lich machen. Die innen­po­li­ti­schen Folgen wären zu hoch.“ Diesem Ziel seien alle anderen Maß­nah­men unterzuordnen.

Dafür müssten Sank­tio­nen nicht lang­fris­tig durch­halt­bar sein. Ein kom­plet­tes Öl und Gas­em­bargo gegen Russ­land könnte „für die Dauer der Kampf­hand­lun­gen“ ver­hängt werden. Öl und Gas­ex­porte seien die wich­tigs­ten Ein­nah­men und Devi­sen­quel­len des rus­si­schen Staates. Russ­land könne seine Ener­gie­ex­porte nicht so schnell diver­si­fi­zie­ren. Gemein­same Gas- und Ölein­käufe durch die Kom­mis­sion (ähn­li­che Instru­mente gibt es bei Kern­brenn­stä­ben) würden die Gas­be­schaf­fung für kauf­kraft­schwä­chere Staaten erschwing­lich machen.

Wichtig sei auch, dass alle bis­he­ri­gen Sank­tio­nen und Ein­schrän­kun­gen auf Russ­land und Belarus ausgedehnt werden, um ein Umgehen der Sank­tio­nen über die bela­rus­si­sche Kolonie zu verhindern.

Eine Aus­wei­tung und Ver­tie­fung der Ban­kensank­tio­nen, etwa das Verbot in Euro zu handeln und wech­sel­sei­tig Depen­den­zen zu unter­hal­ten, müsse rasch ergrif­fen werden. Ebenso sollten exter­ri­to­riale Sank­tio­nen, ins­be­son­dere Druck auf chi­ne­si­sche und indi­sche Banken, sich vom rus­si­schen Markt zurück­zu­zie­hen, aus­ge­wei­tet werden.

10. Fazit

Gustav Gressels Analyse mündet in dem Satz: „Wenn wir heute nicht alles tun, um den Abwehr­kampf der Ukraine zu unter­stüt­zen, werden wir morgen für uns kämpfen müssen.“

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Hier kann Gressels Analyse in voller Länger nachgelesen werden:

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