Warum ausgerechnet Höcke?

Von Jürgen Fritz, Fr. 20. Dez 2024, Titelbild: Kanal Schnellroda-Screenshot

Die Neuen Rechten (Radikale und Extremisten) um Götz Kubitschek setzen voll auf Höcke, wie in Teil eins herausgearbeitet. Das ist ihr Mann. Kubitschek und Höcke sind ganz eng. Aber warum setzen die Neuen Rechten ausgerechnet auf ihn? Höcke hat einige Stärken, die ihn von anderen abheben.

Was Höcke auszeichnet

Die Neuen Rechten (Radikale und Extremisten) um Götz Kubitschek setzen voll auf Höcke, wie in Teil eins herausgearbeitet. Das ist ihr Mann. Kubitschek und Höcke sind ganz eng. Aber warum setzen die Neuen Rechten ausgerechnet auf Höcke? Höcke hat einige Stärken, die ihn von anderen abheben.

  • Er will wie die Neuen Rechte (Rechtsradikale, -extremisten) eine vollkommen andere Republik, keine parlamentarische Demokratie! Und er denkt dabei in langen Bahnen, in langen Zeiträumen. Höcke hat ein Vision von einem vollkommen anderen Deutschland.
  • Und er hat einen langfristigen Plan, wie man dort hingelangen kann. Alles, was er tut, muss immer vor diesem Hintergrund gesehen werden.
  • Er ist fest entschlossen, diesen Plan mit viel Ausdauer in die Wirklichkeit umzusetzen, hat einen mächtigen Willen, an dem bisher alle zerbrochen sind.
  • Und er verfügt wie kaum ein anderer, vergleichbar wahrscheinlich nur mit Wagenknecht, über die Fähigkeit, Menschen in seinen Bann zu ziehen, die sich quasi schützend um ihn stellen und ihm blind folgen. Wenn Sie einen Höcke-Anhänger ganz sachlich angreifen, werden Sie das sofort spüren. Seine Anhänger würden für Höcke förmlich durchs Feuer gehen. Ich vermute, das hängt damit zusammen, dass Höcke diese Vision hat, also weit über den Tag hinaus denkt und den Menschen etwas aufzeigen kann, wo die Reise hingehen könnte. Das geht weit über das Klein-Klein der Tagespolitik, wie wir sie von den allermeisten Politikern kennen, hinaus. Und das vermag zu faszinieren.

Der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende fährt mehrere hundert Kilometer, nur um Höcke zu sehen und zu hören

Ich hab das vor etlichen Jahren (2017) mal in einem persönlichen Gespräch mit AfD-Politikern aus der höchsten Führungsebene des Landesverbandes Schleswig-Holstein erlebt. Eine damalige Bekannte von mir, die gerade promovierte und sich nebenbei für die AfD engagierte, hielt in Kiel einen wissenschaftlichen Vortrag und anschließend unterhielten wir uns mit mehreren AfD-Spitzenpolitikern aus Schleswig-Holstein in kleiner, sehr vertraulicher Runde. Ich hatte die überhaupt nicht als radikal wahrgenommen. Null. Die machten alle einen ganz normalen, zivilisierten, nicht unsympathischen Eindruck. Aber dann sagte einer der AfD-Politiker (ich glaube, es war der stellvertretende Landesvorsitzende Volker Schnurrbusch), er will noch zu einem Treffen fahren etliche hunderte Kilometer entfernt, nur um Björn Höcke zu sehen und zu hören. Das tue so unglaublich gut, gebe so viel Kraft und sei so motivierend, ihn zu hören. Andere gaben zu erkennen, dass sie das ähnlich empfinden. Die Landesvorsitzende Doris von Seyn-Wittgenstein war auch dabei, die dann im Dezember 2017 vom Höcke-Flügel als AfD-Bundesvorsitzende nominiert und 2019 aus der Partei ausgeschlossen wurde.

Ich konnte Höcke damals noch nicht einschätzen, weil ich zu wenig über ihn wusste (den weit links ausgerichteten M-Medien vertraue ich in solchen Dingen nicht, zumal die vieles verdrehen, verzerren, aus dem Zusammenhang reißen etc., versuche mir, wenn immer möglich, ein eigenes fundiertes Urteil zu bilden). Diese Bemerkung des stellvertretenden Landesvorsitzenden, ein sehr gebildeter Mann, den ich damals als sehr sympathisch wahrgenommen hatte, habe ich aber nie vergessen. Und ihre Bedeutung wurde mir erst Jahre später klar.

Höcke ist die wichtigste Person in der AfD, weil er in vielen etwas tief in ihrem Innern anzusprechen vermag, alle anderen sind austauschbar

Auf mich hat Höcke diese Wirkung nicht, bei mir und den meisten Menschen in Deutschland verpufft seine Rhetorik, sein Gehabe und sein Auftreten völlig oder stößt sogar ab. Aber bei sehr vielen in der AfD, nicht bei allen, aber bei sehr vielen spricht Höcke etwas ganz tief in ihnen an. Das kann niemand sonst in der AfD und diese Fähigkeit hat auch sonst wohl niemand in der deutschen Politik, höchstens vielleicht Wagenknecht. Und das macht Höcke so stark: der Fanatismus und das unbedingte zu ihm stehen seiner Anhänger. Trump hat das auch.

Höcke ist meines Erachtens die wichtigste Person in der AfD. Alle anderen sind im Grunde austauschbar. Die drei größten Verluste waren wahrscheinlich Prof. Bernd Lucke, Frauke Petry und Prof. Jörg Meuthen. Dadurch hat Höcke wichtige Gegenspieler verloren. Aber auch durch ihre Abgänge wurde die AfD kaum geschwächt, wenn überhaupt, während die neuen politischen Projekte dieser Drei sehr schnell vollkommen im Sande verliefen. Selbst diese drei ehemals herausragenden AfD-Politiker spielen heute in der deutschen Politik überhaupt keine Rolle mehr. Man nimmt einmal wahr, was sie sagen und denken. Die AfD aber ist stärker denn je und Höcke dominiert sie noch stärker als die Jahre zuvor. Auch die Abgänge von AfD-Politikern aus dem Höcke-Flügel, wie André Poggenburg (2019), einem der Verfasser der Erfurter Resolution (2015), der Gründungsurkunde des rechtsradikalen/-extremistischen „Flügels“, 2014 bis 2018 Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, oder Andreas Kalbitz, 2017 bis 2020 Landesvorsitzender der AfD Brandenburg und Mitglied des Bundesvorstandes, spielte letztlich überhaupt keine Rolle.

Weidel hat sich dem Höcke-Flügel und Kubitschek sichtlich angenähert

Die zweitwichtigste Person in der Partei dürfte im Moment Alice Weidel sein, die jetzt zur Kanzlerkandidatin ausgerufen wurde. Weidel hat sich rhetorisch im Lauf der Jahre weiter entwickelt, ist extrem bissig, teilweise aggressiv geworden, was mir aus AfD-Sicht sinnvoll zu sein scheint angesichts der grün-rot-dunkelroten Dominanz unter den Journalisten in den Massenmedien, die natürlich die Politiker der verschiedenen Parteien nicht selten entsprechend fragen und diese entsprechend der eigenen Präferenzen in Szene setzen. Weidel hatte anfangs nach meiner Beobachtung nichts zu tun mit den Neuen Rechten um Kubitschek und dem „Institut für Staatspolitik“. Sie war eher eine Gegnerin von Höcke, befürwortete auch das Parteiausschlussverfahren gegen ihn. Teilweise ist sogar zu lesen, dass Weidel die treibende Kraft des Parteiausschlussverfahrens gegen Höcke gewesen sei. Bei ihr scheint sich aber 2018/19 ein Wandel vollzogen zu haben. Sie hat, weil sie erkannte, dass man gegen Höcke und sein Netzwerk nicht ankommt in der AfD, so meine Vermutung, sich mit dem Höcke-Flügel arrangiert. Man hat wohl zunächst einen Nichtangriffspakt geschlossen und sich dann wahrscheinlich auch inhaltlich angenähert, genauer: Weidel dürfte sich Höcke angenähert haben. DER SPIEGEL berichtete im Juli 2019:

»Vermittelt wurde die Einigung durch … Götz Kubitschek, der Weidel als „kluge, offene, belesene Frau“ bezeichnet, die stets bereit sei, angelesene Vorurteile abzubauen. (…)Weidel wisse längst, „dass die Partei Björn Höcke und sein Netzwerk nicht abschütteln kann, ohne Schaden zu nehmen“, sagte Kubitschek dem SPIEGEL. Bei den Treffen mit ihr sei es um Strategiefragen gegangen. Sein Fazit: „Alle Beteiligten sind sich einig darin, dass die Befriedung der Partei eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt ist.“ – Für Weidel bedeutet die Allianz mit Höcke und dem Flügel eine drastische Kehrtwende. Weidel sagt, es sei ihr um Dialog gegangen: „Als Fraktionsvorsitzende verlangt man von mir zu Recht, dass ich ein gewisses Neutralitätsgebot einhalte.“«

Ob diese Annäherung von Weidel an den rechten Rand aus innerer Überzeugung erfolgte oder einfach weil sie merkte, welch großen Einfluss die Neuen Rechten haben und dass man dagegen in der AfD nicht ankommt, ist schwer zu sagen. Ich vermute beides, zuerst aus Opportunismus und Karriereambitionen heraus und daraus wurde dann vermutlich mit der Zeit Überzeugung. Damit hat sie sich auch Höcke angenähert, weil es für sie anders auch gar nicht gegangen wäre, wenn sie in der AfD respektive überhaupt in der Politik weiter Karriere machen will. 

Alice Weidel scheint mir die Person zu sein, die am schwersten zu ersetzen wäre in der AfD, abgesehen von Höcke. Aber selbst ihren Abgang würde die Partei wahrscheinlich ohne ganz große Mühe verkraften. Tino Chrupalla dagegen, einer der beiden Bundessprecher und Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, scheint mir ohne Not von heute auf morgen austauschbar zu sein. Ob es irgendwann zum Machtkampf zwischen Höcke und Weidel um die Führung der Partei kommen wird, ist schwer einzuschätzen. Wenn ja, vermute ich, dass sie seine bisher stärkste und gefährlichste Gegnerin werden würde, aber ich würde auch dann auf Höcke setzen, im Sinne von vermuten, dass Björn Höcke auch diesen Machtkampf gewinnen würde. Dabei ist ein klares Muster erkennbar, wie Höcke (und Kubitschek) diese Auseinandersetzungen angehen.

Höcke operiert meist aus dem Hintergrund und hinter ihm wiederum steht Kubitschek

Höcke bleibt meist etwas im Hintergrund. Er operiert quasi von hinten, aus der Deckung heraus. Er geht nie in eine offene demokratische Feldschlacht. Warum nicht? Weil er nie eine Abstimmung innerhalb der AfD verlieren will. Das würde seinem Nimbus als Führer schaden.

Prof. Jörg Meuthen hatte ihn mehrfach aufgefordert, Höcke soll doch für den Bundesvorstand kandidieren und sich den Delegierten aus ganz Deutschland zur Wahl stellen. Immer wieder versuchte er, Höcke zu stellen. Der ging darauf aber nie ein, weil ihm das zu unsicher war. Und weil er wusste, Meuthen werde ich anders los, da lasse ich meine Netzwerke spielen. Irgendwann gab Meuthen dann auf, weil er merkte, dass ihm die Unterstützung in der Partei immer mehr wegbröckelt. Genau so hatte es Höcke zuvor mit Frauke Petry und Prof. Bernd Lucke gemacht. Höcke war noch nie Bundesvorsitzender, aber er kontrolliert, wer in diese Positionen kommt und verhindert die, die er nicht will. Chrupalla ist zum Beispiel nur eine Schachfigur, die jederzeit vom Feld genommen werden kann, wenn es angesagt ist.

Höcke hat natürlich nicht mit allem, was er sagt, Unrecht, entscheidend ist eine andere Frage: Wo wollen er und die Neuen Rechten hin?

Und noch eines ist wichtig: Es ist nicht so, dass alles falsch ist, was Höcke sagt. Viele einzelne Kritikpunkte haben ihre Berechtigung. Dasselbe gilt für Sahra Wagenknecht. Auch sie kritisiert vieles völlig zurecht. Die entscheidende Frage bei den beiden ist eine völlig andere, nicht ob sie in einzelnen Punkten recht haben oder nicht, sondern: Wo wollen die beiden hin? Was schwebt ihnen vor? Und da ist bei beiden klar erkennbar, die wollen etwas völlig anderes als eine freiheitliche, menschenrechtsbasierte Demokratie, die fest im Westen verankert ist. Die wollen weg von der Westbindung, die die Bundesrepublik seit Konrad Adenauer hat, die von Ehrhardt, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder und Merkel weitergeführt wurde. Die suchen beide die Nähe zu Russland.

Wenn also Höcke die Schlüsselfigur ist, dann muss man ihn genauer analysieren, wenn man wissen will, wie die AfD einzuschätzen ist. Das heißt nicht, dass alle AfD-ler Höckeinaner wären, aber er ist die wichtigste Figur in der Partei und dürfte im Hintergrund viele Strippen ziehen, nicht alle, aber viele. Es scheint mir vor allen Dingen sinnvoll, sich Höckes Buch Nie zweimal in denselben Fluß genauer anzuschauen, weil wir hier seine Gedanken und Vorstellungen ausgebreitet sehen. Das soll im nächsten Teil geschehen.

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