Die Troerinnen – der Tag nach der Schlacht

Von Jürgen Fritz, Do. 12. Jul 2018

Troja liegt in Schutt und Asche. Der Tag nach seiner Zerstörung: Die gefangenen Trojanerinnen werden bei den Schiffen ihrer Feinde gesammelt und als Sklavinnen an die Heerführer der Achäer verteilt. Tragischer Höhepunkt: die Tötung des letzten potentiellen Thronfolgers. Astyanax, der kleine Sohn Andromaches und Hektors, muss sterben, damit Troja auf keinen Fall wieder zu alter Macht gelangen kann, wie einst nach der Einnahme durch Herakles, der Priamos am Leben ließ. Das eherne Gesetz: Wer den neuen Machthabern gefährlich werden kann, muss ausgeschaltet werden.

Des Menschen Verhängnis

Die Troerinnen ist der Titel der berühmten Tragödie des Euripides, die vermutlich im März 415 v. Chr. erstmals aufgeführt wurde. Der Prolog des Dramas beginnt mit einer Rede Poseidons, der bei der schlafenden Hekabe erscheint. Er besingt das Schicksal der von Apoll und ihm selbst aufgebauten Stadt. Er erwähnt die Ermordung des Priamos’, des letzten Königs von Troja, auf den Stufen des Altars des Zeus, die Plünderungen der einst so reichen und ruhmreichen Stadt und die Auslosung der Frauen, die fortan ihr Dasein als Sklavinnen der Sieger, als Dienerinnen der Mörder ihr Männer zu fristen haben. Die Göttinnen Hera und Athene werden als Feinde Trojas beschrieben, die die Achaier unterstützt hätten.

 

Euripides‘ Tragödie ist hauptsächlich eine Darstellung des Unglücks Besiegter. Die Hauptpersonen agieren nicht, sie werden herumgeschoben und erleiden ihr Schicksal, über welches sie selbst nicht mehr Herr sind. Anderes bleibt ihnen nicht mehr übrig.

Aus dem Prolog des Stückes

POSEIDON: Ich, der Gott Poseidon,
bin hierher gekommen aus dem Meer,
den salzigen Tiefen der Ägäis,
wo Meeresnymphen
anmutig ihre Reigen tanzen.

Denn seit Apoll und ich
die Erde Troias hier
mit Mauern und Türmen
rings bebauten,
ganz wie die Regel es verlangt,
ging mir die Stadt der Troer
nicht mehr aus dem Sinn.
Die jetzt in Rauch aufgeht,
vom Heer der Griechen
verwüstet und zerstört.

Epeios vom Parnass gelang es,
weil ihm die List Athenes half,
ein Ross zu fertigen,
das voll von Waffen stak.
Dies Unheilswerk aus Holz
schickte er ins Innere der Mauern.

Die heiligen Stätten sind verödet,
wo einst die Götter wohnten,
fließt das Blut.
An den Stufen des Altars,
den man Zeus, dem Hausbeschützer, weihte,
fand Priamos sein Ende.

Gold in Mengen und auch andere Troerbeute
wird auf die Schiffe der Griechen geschleppt.
Die warten sehr auf günstigen Wind.
Denn nach zehn Jahren Krieg um diese Stadt
ist es der größte Wunsch der Griechen,
Frauen und Kinder wieder zu sehen.

Auch ich, besiegt
von Hera und Athene, den Göttinnen,
die sich zusammentaten,
Troia zu vernichten,
verlasse die berühmte Stadt
und meine Altäre.
Wenn nämlich eine Stadt zur Wüste wird,
so leidet auch das Göttliche.
Denn niemand ist mehr da, der es verehrt.

Durch das Flusstal des Skamander
hallt laut die Klage
kriegsgefangener Frauen.
Das Los entscheidet,
wer über sie verfügen darf.

Die da sind Kriegern aus Arkadien zugefallen,
die da den Thessaliern
und die da Theseus‘ Söhnen, den Herrschern von Athen.
Noch unverlost
sind die Troerinnen hier in diesen Zelten:
sie sind den Heerführern zur Wahl bestimmt.
Bei ihnen Helena, die Frau aus Sparta,
Gefangene auch sie, und das mit Recht.

Ein Bild des Jammers,
wenn es einer sehen will,
ist sie jedoch, die Frau
die dort am Eingang liegt: Hekabe.
Sie weint viele Tränen,
und viel ist, was sie zu beweinen hat.

Am Grab Achills
starb ihre Tochter Polyxena
einen beklagenswerten, jammervollen Tod.
Dahin sind Priamos, die Söhne.

Und sie, die Apollon
unangetastet lassen musste,
dafür in Raserei versetzte,
Kassandra,
die will Agamemnon haben.
Ohne Ehrfurcht vor dem Gott und seinem Willen
schleppt er sie in sein finsteres Bett.

So lebt denn wohl,
du einst so glückliche Stadt,
du glattgefügtes Mauerwerk.
Hätte dich Pallas, das Kind des Zeus,
nicht bis auf den Grund zerstört,
du stündest fest wie eh und je.

Filmszene aus The Trojan Women  (Die Troerinnen) von Michael Cacoyannis aus dem Jahre 1971

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Titelbild: YouTube-Screenshot aus The Trojan Women (Die Troerinnen)

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