Körper und Geist (Seele): Vom Substanz- zum Eigenschaftsdualismus

Von Jürgen Fritz, Do. 16. Mai 2019, Titelbild: Jerzy GóreckiPixabay, CC0 Creative Commons

Viele Menschen meinen noch immer, es gäbe nicht nur zwei völlig unterschiedliche Klassen von Eigenschaften, physische und mentale (seelische), sie meinen, es gäbe neben unserem Körper noch eine zweite immaterielle Substanz, welche fühlt, denkt und entscheidet, welche Träger aller mentalen Eigenschaften sei. Diese zweite Substanz nennen sie Seele und sehen diese als etwas völlig Eigenständiges. Diese Vorstellung von einem zweiten Ding, das den Menschen zerteilt, nennt man Substanzdualismus und sie geht sehr weit zurück. Wir finden sie schon bei Platon, dann natürlich im von ihm stark beeinflussten Christentum, aber auch noch beim Vater der neuzeitlichen Philosophie René Descartes. Doch inwiefern ist diese Beschreibung der Natur des Menschen schlüssig und überzeugend? Sind wir wirklich zwei oder haben wir nur zweierlei grundverschiedene Eigenschaften: physische und geistige?

Substanzdualismus: Der Mensch ist zweigeteilt in Körper und Geist (Seele)

Menschen sind zum einen biologische Wesen: Sie atmen, nehmen Nahrung zu sich, sie wachsen, reifen und altern, sie paaren sich und pflanzen sich fort, schließlich sterben sie. All das ist äußerlich beschreibbar. Auf der anderen Seite haben sie aber auch ein Innenleben, ein mentales Leben: Sie nehmen ihre Umgebung und auch ihr eigenes Innenleben wahr, sie können sich an Erlebtes und Gelerntes erinnern, sie denken nach und fällen Entscheidungen, sie haben bestimmte Haltungen und Überzeugungen usw. All dies kann man nicht direkt von außen beobachten, sondern höchstens versuchen aus Handlungen zu erschließen. Aber man kann niemand hinter die Stirn schauen. Offensichtlich gibt es also zwei Sphären: a) eine körperliche und b) eine geistige, seelische oder mentale.

Dabei meinen Substanzdualisten wie Platon oder auch Descartes der Körper (Leib, body) hätte eine Ausdehnung in Raum und Zeit, eine Masse, befände sich an einem bestimmten Ort im Raum-Zeit-Kontinuum und unterliege den Naturgesetzen. Nicht so aber die Seele oder der Geist. Ein Gedanke hat ja kein Gewicht und keine Ausdehnung, die in Zentimeter oder Meter angegeben werden könnte. Ebenso ein Gefühl, ein Wunsch, eine Haltung etc. Wenn Sie jemand fragt, wie groß Ihre Haltung oder der Gedanke, den sie gerade haben, exakt in Metern sei und die Frage nicht metaphorisch, sondern ganz ernst und direkt meint, so werden Sie wohl in einige Verlegenheit geraten, wenn Sie die Frage beantworten sollen. Diese Vorstellung von zwei völlig eigenständigen Substanzen nennt man also Substanzdualismus.

Die Seele wird dabei oft – das muss nicht sein, schwingt aber meist mit – als unsterblich angesehen im Gegensatz zum Körper. Substanzdualisten stellen sich den Menschen also wie folgt zusammengesetzt vor: 1. Jeder Mensch hat nicht nur einen Körper, sondern darüber hinaus auch einen Geist, eine Seele, die etwas kategorial anderes darstellt. 2. Meist meinen Substanzdualisten auch, die Seele mache das eigentliche Selbst jedes Menschen aus. Sein Wesen sei also sein Inneres. 3. Die Seele eines Menschen (sein Selbst) ist eine von seinem Körper verschiedene Substanz und kann daher auch ohne diesen Körper existieren, also aus ihm heraustreten und wieder hinein, ebenso wie der Körper auch ohne die Seele existieren kann. Dann allerdings ist er tot. So also diese enorm wirkmächtige Vorstellung.

Ein Substanzdualist müsste dann aber eigentlich wie folgt reden: „Der Körper, in dem meine Seele sich (im Moment gerade) befindet oder wohnt, ist 1,78 m groß“. Er dürfte nicht sagen: „Ich bin 1,78 m groß“. So spricht aber kein Mensch, was im Grunde schon anzeigt, dass diese Vorstellung des Substanzdualismus nicht so ganz schlüssig zu sein scheint und schon unserer Intuition irgendwie widerspricht. Sind wir wirklich zwei oder sind wir nicht Eines? Wir merken zwar, dass es da zweierlei gibt, Materielles und Seelisch-Geistiges, welches irgendwie kategorial anders zu sein scheint, aber die Vorstellung von zwei völlig getrennten Substanzen trifft es wohl irgendwie nicht so richtig.

Die Abkehr nahezu aller modernen Denker vom Substanzdualismus

Ein großer Anhänger des Substanzdualismus war, wie erwähnt, Platon (427 – 347 v. Chr.). Für Platon, den Schüler des Sokrates und Lehrer des Aristoteles, den wahrscheinlich wirkmächtigsten Denker mindestens in der abendländischen Geistesgeschichte, wenn nicht überhaupt, war dieser Dualismus vollkommen klar, so klar, dass er hierfür gar keine eigenen Argumente suchte. Platon dachte in etwa wie folgt:

  1. Der Mensch besteht aus zwei eigenständigen Substanzen, einem Körper und einer Seele.
  2. Die Seele macht das eigentliche Selbst eines Menschen, sein Wesen aus und sie ist für ihre Existenz auf keinen Körper angewiesen, also eine eigenständige Substanz.
  3. Körper und Seele sind nur während des irdischen Daseins fest verschränkt. Im Tod löst sich die Seele vom Körper, die zwei Substanzen trennen sich.
  4. Während der Körper vergänglich ist, ist die Seele unsterblich.

Interessant ist nun, dass Platon, wie viele nach ihm, für die eigentlich interessanten ersten beiden Thesen gar keine Argumente liefert, sondern nur für die vierte, die Unsterblichkeitsthese. Offensichtlich waren die Grundannahmen 1 und 2 für ihn so klar, dass er gar nicht länger über sie nachdachte. Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich später zeigen sollte. Für die vierte These führte er hingegen fünf wunderschöne Beweise oder Argumentationen. Diese fünf großartigen Beweise für die Unsterblichkeit der Seele haben nur einen Schönheitsfehler: Sie sind alle fehlerhaft und wurden x-fach widerlegt, jeder einzelne Beweis sogar mehrfach. Sie stecken, wie im Laufe der Zeit sehr detailliert aufgezeigt werden konnte, voller Denkfehler, was die Größe Platons, der ganz am Beginn der philosophischen Reflexion stand, gleichwohl nicht schmälern soll. Ganz im Gegenteil, seine fehlerhaften, aber sehr geistreichen Beweise halfen gerade ungemein herauszufinden, wo hier die Fehlvorstellungen genau stecken.

Platons Substanzdualismus fand auch sehr starken Eingang in das christliche Menschenbild, während ich mir nicht sicher bin, ob das jüdische Menschenbild bis hin mindestens zu Jesus überhaupt einem solchen Dualismus aus Körper und Seele anhing. Auch das islamische Menschenbild scheint diese Auftrennung von Körper und Geist nicht zu kennen. Bei Auferstehung dachte man wohl in der jüdischen Welt wie auch in der islamischen noch immer tatsächlich an eine leibliche Auferstehung, nahm also keine Trennung in body and mind, in Körper und Seele vor.

Moderne Philosophen des Geistes sind fast kaum noch Anhänger des Substanzdualismus und das hat gute Gründe. Diese Vorstellung ist wenig überzeugend und das merkt man, wenn man sich ausgiebig mit ihr beschäftigt und hier helfen die fünf platonische Beweise sehr viel weiter, weil sie deutlich machen, wo die Schwächen sind in diesem Menschenbild.

Vom Substanz- zum Eigenschaftsdualismus

Gleichwohl spricht nach wie vor vieles dafür, dass es ja doch zwei Sphären gibt, die irgendwie grundverschieden sind, nämlich Körperliches und Geistiges. Wie kann das aber gedacht werden ohne einem schwerlich haltbaren Substanzdualismus anheim zu fallen? Fast alle modernen Denker neigen entweder zu einem Eigenschaftsdualimus oder gar zu einem Monismus. Monisten vertreten die Auffassung: es gibt nicht zwei, sondern nur ein einziges Grundprinzip, auf das sich alles zurückführen lässt, so zum Beispiel den Physikalismus. Physikalisten glauben, dass es letztlich nur  physische Körper gibt. Alles Geistige sei vollständig auf Vorgänge im Körper, genauer: auf Vorgänge im Gehirn reduzierbar, so die Auffassung der Physikalisten.

Für einen Eigenschaftsdualisten gibt es ebenfalls nur eine Substanz, in meinem Falle mich, Jürgen Fritz, in Ihrem Falle Sie. Diese eine Substanz hat aber im Gegensatz zum Stein oder zum Stock zweierlei Eigenschaften: a) physikalische (materielle), wie Größe, Masse etc., und b) psychische (seelische, geistige): Empfindungen, Gefühle, Emotionen, Stimmungen, Gedanken, Überzeugungen, Haltungen/Gesinnungen usw.

Es gibt also im Eigenschaftsdualismus keine Seele als eigenständige, als separate Substanz, die irgendwie aus dem Körper heraustreten könnte und dann losgelöst von diesem Angst oder Freude empfinden oder Gedanken entwickeln könnte, ohne dass sich im Gehirn und im sonstigen Körper etwas tut. Aber in der beseelten Materie selbst gibt es – aufgespannt quasi über unser Gehirn und seine lebendigen neuronalen Verknüpfungen – etwas wie einen Innenraum, den man physikalisch oder biologisch nicht beschreiben kann. Eine solche rein naturwissenschaftliche Beschreibung würde immer äußerlich bleiben und nicht das Eigentliche erfassen.

Dieses Innere kann aus Sicht des Eigenschaftsdualisten nur mit geistigen, mentalen Begriffen oder Prädikaten beschrieben werden, wie a) Empfindungen, z.B. Wahrnehmungseindrücken, Wärme-/Kälte-Empfindungen, b) Körpergefühlen, z.B. Sättigungs-, Hunger-, Durst-, Hitzegefühl, c) Emotionen, wie z.B. Lust – Unlust, Freude/Glück – Leid, Hoffnung – Furcht/Angst, Befriedigung – Enttäuschung, Mitfreude – Missgunst/Neid, Liebe – Hass, d) Stimmungen (Gemütsverfassungen), z.B. gute Laune, Langeweile, Euphorie, Melancholie, Verzweiflung, Zuversichtlichkeit, Hoffnungslosigkeit etc. e) Erinnerungen, f) Wünsche und Absichten, g) Gedanken, z.B. „Es gibt unendliche viele Primzahlen“, „Irgendwann werde ich tot sein“,  h) Haltungen/Gesinnungen: Grundhaltungen in Bezug auf Wert- und Moralvorstellungen, i) Überzeugungen: fest glauben, dass etwas der Fall ist usw.

Wenn wir so denken, also eigenschaftsdualistisch, dann können wir sagen: „Ich bin 1,78 m groß“. Denn unser Körper ist dann nicht eine Substanz von zweien, vielleicht sogar die Unwichtigere, in der eine Seele im Moment gerade wohnt, die solche mentalen Eigenschaften oder Zustände hat, sondern dieser Körper ist Ich, wobei mein und Ihr Körper in dieser ontologischen Position in seinem Innern etwas enthält (geistige, seelische, mentale Eigenschaften), was der Stein und der Stock nicht enthalten. Das unterscheidet uns mithin kategorial von der nicht-geistigen Welt, von der unbeseelten Materie. Gleichwohl bin ich nur einer und nicht zwei, freilich ein solcher, der über zwei Dimensionen verfügt, a) äußere, physikalische Eigenschaften und Zustände, welche die Naturwissenschaften beschreiben können, und b) innere, mentale Eigenschaften und Zustände, denen man sich nicht über Aufschneiden und Reinschauen annähern kann, sondern nur über einen ganz andere Weg.

Literaturempfehlungen

Grundkurs Philosophie / Philosophie des Geistes und der Sprache          Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes als Buch

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