Von Jürgen Fritz, Do. 06. Feb 2020, Titelbild: MDR-Screenshot
Es kam ganz anders als die meisten erwartet hätten. Dunkelrot-Rot-Grün war fest davon ausgegangen, dass es ihnen gelingen würde, den bis dahin amtierenden Ministerpräsidenten von Thüringen Bodo Ramelow spätestens im dritten Wahlgang durchzubekommen, so dass er eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung anführen könnte. Doch dann kam es im dritten Wahlgang zu einer fulminanten Wende und der thüringische Landtag wählte mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten, stürzte gleichsam mit vereinten Kräften Dunkelrot-Rot-Grün, was heftigste Reaktionen im ganzen Land auslöste.
Keine FDP-Parteipolitik, sondern Politik für die Menschen in Thüringen
Thomas Kemmerich sagte auf der Pressekonferenz nach seiner Wahl:
„Sie werden sehen, es wird keine FDP-Parteipolitik gemacht, es wird Politik für die Menschen in Thüringen gemacht werden.“
Björn Höcke meinte gegenüber n-tv. Ziel der AfD sei es gewesen,
„Bodo Ramelow in den wohlverdienten politischen Ruhestand zu schicken. Deshalb haben wir diese Wahl heute so getätigt, wie wir sie getätigt haben.“
Und auf Twitter schreibt er:
Der CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring sagte, seine Partei habe sich so verhalten, wie angekündigt: „Wir sind nicht verantwortlich für das Stimmverhalten anderer Parteien.“ Man wolle nun das Land einen. Es sei „folgerichtig“ gewesen, angesichts zweier Kandidaten von Linke und AfD für einen „Kandidaten der Mitte“ zu stimmen. Wenn Kemmerich zu Koalitionsgesprächen einlade, sei die CDU offen. Für ein Bündnis mit Beteiligung der AfD stehe die CDU allerdings nicht zu Verfügung.
Wie Linksradikale mit Wahlen umgehen, wenn ihnen das Ergebnis nicht gefällt
Götz Frömming (AfD) schreibt auf Twitter:
„Blumen vor die Füße… Die Linken ex SED demonstrieren einmal mehr, dass sie mit unserer Demokratie ein Problem haben.“
(Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei weigerte sich Thomas Kemmerich zur Wahl zu gratulieren und warf ihm, der ganz souverän blieb, die Blumen, die wohl schon Ramelow vorbereitet gewesen waren, dem neugewählten Ministerpräsidenten vor die Füße auf den Boden.)
Die Bundesvorsitzende der Grünen Annalena Baerbock sprach, wie einige andere auch, von einem „Dammbruch“:
„Das ist ein Dammbruch. #CDU und #FDP in #Thüringen haben bewusst einen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der #AfD gewählt. Niemand kann sagen, er habe das nicht gewusst. Wir sind entsetzt von der Ruchlosigkeit und Verantwortungslosigkeit von CDU und FDP in Thüringen. Ich erwarte von Thomas #Kemmerich, dass er das Amt niederlegt. Tut er das nicht, müssen #CDU und #FDP auf Bundesebene die Thüringer Landesverbände ausschließen. Sonst sind Unvereinbarkeitsbeschlüsse nichts mehr wert.“
Auch Bernd Reixinger, Parteivorsitzender DIE LINKE, echauffiert sich schrecklich:
„Wie weit sind wir gekommen, dass die FDP einen Ministerpräsidenten #Kemmerich wählen lässt mit den Stimmen des Faschisten #Höcke und der #AfD?Das ist ein #Tabubruch, der weitreichende Folgen haben wird. Die #FDP und #CDU müssen jetzt einiges erklären.“
Was Ralf Höcker, Professor für Medienrecht, CDU-WerteUnion, wie folgt kommentiert:
„… sagt der Chef der Mauermörderpartei. Dass die mehrfach unbenannte SED je wieder einen Ministerpräsidenten stellen konnte, DAS war der schlimmste Tabubruch seit der Wende. Herzlichen Glückwunsch an MP #Kemmerich.“
Tabubruch? Nein, das ist Demokratie!
Ein Twitterer bemerkt:
„Geheime Wahl. Zur Wahl stand ein Vertreter der Linksradikalen, einer der Rechtsradikalen und ein Liberaler. Jetzt steht Deutschland Kopf, redet von Weimar, weil der Vertreter der Linksradikalen nicht gewählt wurde, sondern der Liberale. Interviewt werden demonstrierende SEDler.“
Robin Alexander von der WELT schreibt:
„Anmerkung zu #Thüringen: Mohring wollte mit R2G ins Geschäft kommen, andere in ThüringenCDU mit AfD reden. BundesCDU untersagte beides, aber ohne Alternativplan. AKK spielte auf Zeit. Merkel riet intern, abzuwarten, was Ramelow ohne Mehrheit tun werde. Führungsversagen!“
Und ähnlich äußert sich Ralf Schuler, der Leiter des BILD-Parlamentsbüros:
„Wenn man nach mehr als elf Stunden Flug nach #Thueringen wieder landet, hat man bei manchen Reaktionen den Eindruck, Björn Höcke selbst sei gewählt worden. Das Szenario von Erfurt war seit Tagen im Umlauf. Wo war der Plan dagegen?“
Benedict Neff (Neue Zürcher Zeitung) stellt klar:
„Tabubruch, ein Skandal? Das ist Demokratie! Es gibt keinen Grund, die Wahl von Thüringen moralisch zu verurteilen. Die deutsche Demokratie hat keinen Schaden genommen. Dass sich der FDP-Kandidat auch von der AfD wählen liess, ist kein Makel.“
Lieber ein liberaler Ministerpräsident, der z.T. mit extremistischen Stimmen gewählt wurde als ein MP einer extremistischen Partei, der mit Stimmen der Mitte gewählt wurde
Und Boris Reitschuster kommentiert:
„Eine demokratische Wahl geht nicht so aus, wie sie es wollen – und die selbsternannten Gralshüter der Demokratie verfallen in Hysterie, akzeptieren die Wahl nicht. #Thüringen enthüllt, wie dünn der demokratische Lack ist. Darunter steckt totalitäres Denken. Als Haltung getarnt.“
Ein Twitterer bemerkt:
„#Kemmerich könnte jetzt genau das machen, was Ramelow geplant hat. Auf wechselnde Mehrheiten setzen für seine Vorlagen. Warum das bei der SED-Nachfolgepartei demokratisch sein soll, bei der FDP aber undemokratisch, das erschließt sich mir in keiner Weise.“
Und ein anderer Twitterer schreibt:
„Ich habe lieber einen MP einer liberalen Partei, welcher z.T. auch von einer extremistischen Partei mitgewählt wurde, als einen MP einer extremistischen Partei, welcher durch Stimmen der Mitte gewählt wurde.“
Der Schrei nach Neuwahlen
Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder äußerte sich auf Twitter dagegen wie folgt: Es sei
„ein inakzeptabler Dammbruch, sich mit Stimmen von AfD und vor allem von Herrn Höcke zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Die beste und ehrlichste Antwort wären Neuwahlen.“
Und sogar einer der führenden FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff fordert jetzt Neuwahlen:
„Man kann, ja soll in einer demokratischen #Wahl antreten. Aber man lässt sich nicht von AfD-Faschisten wählen. Wenn es doch passiert, nimmt man die Wahl nicht an. Am besten für Kemmerich, #Thüringen und FDP: Sofortiger #Rücktritt, schnelle #Neuwahlen.“
Ebenso Elisabeth Niejahr, bis Dezember 2019 Chefreporterin im Berliner Büro der Wirtschaftswoche, seit 2020 in der Geschäftsführung der Hertie-Stiftung, die meint, nun müsse es unbedingt Neuwahlen geben:
„In der Politik ist ja fast nie etwas alternativlos, diesmal schon: Neuwahlen. #Thüringen“
Neuwahlen: und dann?
… worauf ich mir erlaubte zurückzufragen:
„Und was erhoffen Sie sich, sollte dabei herauskommen? Und was passiert, wenn wieder nicht herauskommt, was Sie sich wünschen?“
Abschließend erlaube ich mir folgenden Kommentar:
„Ob es einem passt oder nicht: gewählt ist gewählt. Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, nicht wenige (die jetzt lauthals nach Neuwahlen schreien) müssen erst noch die Basics des Prinzips erlernen, welches man gemeinhin ‚Demokratie‘ nennt.“
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