Von Jürgen Fritz, Mi. 25. Mär 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot
Zwei der wichtigsten Beobachtungsgrößen bei Epidemien sind die Inzidenz und die Prävalenz. Beide sind Maße für das Auftreten und die Verbreitung von Krankheiten in einer Population. Weitere wichtige Kennzahlen sind die Mortalität und die Letalität. Was drücken diese Begriffe aus und wie hängen sie zusammen? Vor allem aber: Inwiefern helfen sie das derzeitige Geschehen besser zu verstehen?
I. Die Prävalenz
Die Prävalenz gibt den Anteil der erkrankten oder infizierten Individuen in der betrachteten Population an, also wie stark eine Bevölkerung bereits durchseucht ist. Wenn wir eine Million Menschen haben und 100.000 sind infiziert bzw. erkrankt, dann haben wir eine Prävalenz von 10 Prozent.
Die Definition der Prävalenz, so man sie als Prozentwert (Hundertstel) angibt, lautet:
Die Prävalenz ist wie die Beschreibung eines Gruppenfotos, das zu einem bestimmten Zeitpunkt t aufgenommen wird. Sie ergibt sich aus zwei Zahlen:
- Es wird erstens ermittelt, wie viele Personen auf dem Bild insgesamt zu sehen sind. Diese Zahl entspricht der Bevölkerungsgruppe und steht im Nenner.
- Und es wird zweitens ermittelt, wie viele Personen auf dem Foto eine gemeinsame Eigenschaft aufweisen, zum Beispiel wie viele eine Brille tragen. Diese Zahl entspricht der Anzahl der Fälle und steht im Zähler.
Teilt man nun die zweite Zahl durch die erste, so erhält man den Anteil derer, die diese Eigenschaft besitzen. Sind auf dem Bild zum Beispiel insgesamt 100 Personen zu sehen und 30 tragen eine Brille, so beträgt die Prävalenz 30/100 = 0,3 oder 30 Prozent.
Bei Epidemien steht im Zähler die Anzahl der Fälle, die sich zum Zeitpunkt t bereits infiziert haben oder wie viele bereits erkrankt sind.
II. Die Inzidenz (Neuerkrankungsziffer)
Die Inzidenzrate oder kurz Inzidenz gibt die Anzahl der Neuerkrankungen bzw. Neuinfizierten dividiert durch die unter dem Risiko einer Erkrankung / Infektion stehende Personenzahl in einer Bevölkerung an. Die Inzidenzrate gibt also an, wie viel dazu kommt und setzt diese Zahl ins Verhältnis zur Größe der Population, zur Größe der Gesamtbevölkerung. Je mehr jeden Tag in einer bestimmten Population dazukommt, desto schneller breitet sich die Seuche aus.
Man kann sich diese beiden Kennzahlen gut als einen Brunnen vorstellen. Der tägliche Zufluss in den Brunnentrog ist die Inzidenzrate der Erkrankung bzw. Infektion. Und der Inhalt des Brunnentrogs ist die Prävalenz, also die Zahl wie viele bereits infiziert bzw. erkrankt sind. Ist die Prävalenz hoch, die Inzidenzrate aber klein, so sind viele schon infiziert (oder krank), es steigt aber nur noch langsam weiter an. Ist umgekehrt die Inzidenzrate hoch, die Prävalenz aber klein, so sind noch nicht viele infiziert (oder krank), aber die Infektion (Erkrankung) verbreitet sich sehr schnell.
Die Spanische Grippe kam zwischen 1918 und 1920 zum Beispiel in drei Wellen. Dabei zeigte die erste Ausbreitungswelle im Frühjahr 1918 keine merklich erhöhte Todesrate. Erst die Herbstwelle 1918 und die spätere, dritte Welle im Frühjahr 1919 waren mit einer außergewöhnlich hohen Letalität (Tödlichkeit) verbunden. Die Justinianische Pest kam ab 541 sogar in 15 bis 17 Wellen.
Das ist dieses Mal bei der COVID-19-Pandemie nicht zu erwarten. Wichtig wird insbesondere die Entwicklung eines Impfstoffes sein. Dann dürfte die Inzidenzrate und somit die weitere Verbreitung des Virus endgültig gebrochen sein. Wichtiger als die registrierten Infektionen sind aber die Todesfälle, da hier die Dunkelziffer deutlich geringer ist.
III. Mortalität (Sterberate) und Letalität (Tödlichkeit)
Was versteht man nun unter der sogenannten Mortalität?
Mortalität = Anzahl der Todesfälle / Gesamtbevölkerung
Die Mortalität setzt die Zahl der Todesfälle also ins Verhältnis zu der gesamten Population, sprich der gesamten Bevölkerung, nicht ins Verhältnis zu den Infizierten. Im Nenner stünden also bei Deutschland hier 83 Millionen. Die Mortalität ist somit abhängig: a) wie viele schon infiziert sind (Prävalenz) und b) wie hoch die Letalität bei den Infizierten ist. Eine hohe Prävalenz und eine hohe Sterblichkeit der Infizierten erhöhen beide die Anzahl der Todesfälle in einer Population. Damit sind wir auch schon beim Begriff der Letalität.
Die Letalität gibt an, wie das Verhältnis der Todesfälle insgesamt (Total Deaths) zur Anzahl der Erkrankten bzw. Infizierten insgesamt (Total Cases) ist.
Das Problem mit der Berechnung der Letalität lässt sich gut mit der Bruchrechnung erklären. Im Zähler steht die Zahl der infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 Verstorbenen. Im Nenner steht die Zahl der Infizierten. Man teilt Zähler durch Nenner und kommt so auf die Sterberate oder Letalität.
IV. Warum das frühe Gegensteuern und Brechen der Inzidenz so wichtig ist
Hinzu kommt, dass die Letalität tatsächlich enorm ansteigen kann, wenn die schwer Erkrankten nicht mehr intensiv behandelt und beatmet werden können. Dann kann bei SARS-CoV-2 die Letalität von ca. 0,5 bei optimaler Behandlung auf bis zu ca. 4,5 Prozent steigen, wenn die meisten Schwerkranken gar nicht behandelt werden können.
Daher ist es bei Epidemien und Pandemien (weltweite Epidemien), die sich so schnell verbreiten, so wichtig, die Wachstumskurve zu brechen, also die Inzidenzrate deutlich zu senken, weil das Virus (oder die Seuche) sich sonst exponentiell ausbreitet und die Schwererkrankten dann zum Großteil gar nicht mehr behandelt werden können, weil es zu viele sind und die Kapazitäten in den Kliniken dafür nicht annähernd ausreichen.
Das heißt, wenn das Virus mal Fahrt aufgenommen hat, ist es kaum noch zu stoppen. Man muss also versuchen, so früh wie möglich gegenzusteuern und die Inzidenzrate drosseln, das aber nicht auf Null. Denn das Virus soll sich weiter ausbreiten, um ganz allmählich eine Herdenimmunität aufzubauen.
Die Kunst ist also, durch entsprechende Maßnahmen die Verbreitungsgeschwindigkeit möglichst so zu steuern, dass a) die Belastungsgrenze an Krankenhausplätzen, Betten auf der Intensivstation und Beatmungsgeräte nie massiv überschritten wird, zugleich aber b) möglichst schnell eine Herdenimmunität erzielt wird, so dass die Epidemie ausgestanden ist. Dies genau so hinzubekommen, ist aber bei solch enorm dynamischen Prozessen extrem schwierig, da im Vorhinein nie alles genau vorausberechnet werden kann. Daher ist es sinnvoll und notwendig, die Verbreitungsgeschwindigkeit so sehr zu drosseln, dass die Kontrolle nie verloren geht, sprich jedes aufkeimende Feuer schnellstmöglich zu löschen, um so die Entstehung eines nicht mehr unter Kontrolle zu bringenden Großbrandes zu vermeiden.
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