Religiöse Gewalt im Namen des eifersüchtigen Gottes

Von Jürgen Fritz, Sa. 20. Jun 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot aus Agora

In Teil eins der dreiteiligen Reihe zum Thema Monotheismus und die Sprache der Gewalt ging es darum, wie mit der monotheistischen Revolution eine völlig neue Pseudospeziation in die Welt kam, welche die Menschheit trennte in Rechtgläubige und Ketzer, Heiden bzw. Ungläubige, eine Unterscheidung, welche fortan zum wichtigsten Generator von Fremdheit und Feindschaft wurde. In Teil zwei erläutert Prof. Jan Assmann, dass mit dem Monotheismus zu den vier bestehenden Formen der Gewalt eine völlig neue fünfte hinzu kam: die religiöse Gewalt, welche erstmals im Namen des eifersüchtigen Gottes Menschen gegen Menschen aufbrachte.

Die fünf Formen der Gewalt

Natürlich hat der Monotheismus nicht die Gewalt per se in die Welt gebracht, sondern nur eine neue, bis dahin unbekannte Form, nämlich die religiöse Gewalt. Gewalt gab es natürlich auch zuvor in der antiken Welt, aber trat bis dahin nur in vier andere Formen auf, zu der nun eine fünfte, eine neue, ganz eigene dazu kam. Um dies zu genauer zu erläutern, unterscheidet Assmann fünf Formen von Gewalt,:

1. Rohe Gewalt (affektive: Gewalt in eigener Sache. Rohe Gewalt ist affektive Gewalt, beruhend auf den Affekten a) Zorn ==> Gewalt in Form von Rache, b) aus Angst ==> Gewalt als Notwehr oder Präventivschlag, c) aus Gier ==> z.B. als sexuelle Vergewaltigung oder Raubmord. Auf der politischen Ebene zeigt sich die rohe Gewalt als: Das Recht des Stärkeren.

2. Rechtsgewalt: Gewalt zum Ausschluss von roher Gewalt. Hier gibt es die Unterscheidung aus Recht und Unrecht. Ziel der Rechtsgewalt ist die Schaffung einer Rechtssphäre, in der die rohe Gewalt ausgeschlossen ist. In dieser Sphäre gilt: Gewalt darf niemals im eigenen Interesse eingesetzt werden. Gewalt ohne Recht wird kriminalisiert. Dazu aber muss sich das Recht mit der Gewalt verbünden. Recht ohne Gewalt wäre wirkungslos. (Siehe dazu meinen Artikel Das Verhältnis von Vernunft und Gewalt). Rechtsgewalt wird immer stellvertretend für den Kläger ausgeübt und ist daher von der affektiven Basis (Zorn, Angst, Gier) abgetrennt.

3. Staatsgewalt: Diese ist nach außen gewendet und unterscheidet somit nicht zwischen Recht und Unrecht, sondern zwischen Freund und Feind. Staatsgewalt kann aber auch die Grenzen zwischen roher und Rechtsgewalt wieder einreißen. Die Staatsgewalt ist auf Machterhalt nach außen und innen ausgerichtet (äußere und innere Feinde) und kennt auch nicht die Abkoppelung von der affektiven Basis.

4. Rituelle, insbesondere a) sakrifizielle Gewalt (Opfergewalt): Diese kommt heute kaum noch vor. In den frühen Religionen ist alle Gewalt im Namen der Religionen sakrifizielle Gewalt. Das Tötungsverbot wird hier eingeschränkt für religiöse Opfer, so Tiere, aber auch Menschen. Die Abkehr von Menschenopfern findet sich in den meisten Religionen der alten Welt und ist kein Spezifikum der monotheistischen Religion. In frühen Hellenismus (Heidentum) sehen wir sogar bereits eine Abwendung vom Tieropfer. Sakrifizielle Gewalt ist heute in fast allen Religionen weitgehend verschwunden. Reste davon finden sich noch in der jüdischem Ritus der Säuglingsbeschneidung, im Sinne einer symbolischen Kastration (Bezug zum Erstlingsopfer). b) Rituelle Gewalt im Sinne einer Initiationsgewalt.

5. Religiöse Gewalt: Gewalt gab es es natürlich auch vor dem Aufkommen der monotheistischen Religionen, nämliche 1. rohe Gewalt, 2. Rechtsgewalt, 3. Staatsgewalt und 4. Rituell-sakrifizielle oder rituelle Initiationsgewalt. Es gab aber keine religiöse Gewalt. Mit dem Aufkommen der neuen monotheistischen Religionen bildete sich erstmals eine transnationale, transkulturelle Identität, die im Judentum nur angelegt ist, sich dann erst im Christentum und Islam ausbildete.

Religiöse Gewalt

Religiöse Gewalt unterscheidet dabei zwischen Freund und Feind im religiösen Sinne. Diese Unterscheidung geht zurück auf die Unterscheidung zwischen wahr und falsch in Bezug auf metaphysische Spekulationen. Religiöse Gewalt richtet sich gegen Heiden und Ketzer, die sich entweder nicht zu der wahren metaphysischen Spekulation bekehren wollen oder von ihr abgefallen sind. Damit werden sie zu Feinden des einzig wahren spekulativ angenommenen Gottes. Dadurch kommt es zu einer Spaltung der gesamten Menschheit in Christen und Heiden, Rechtgläubige und Ketzer (Ungläubige), das Haus des Islam und das Haus des Krieges. Von da an ist es nur ein kleiner Schritt zu Religionskriegen, Kreuzzügen, Ketzerverbrennungen und Pogromen.

Der universelle Anspruch auf die einzig richtige metaphysische Spekulation (religiöse Wahrheit) entzieht allen anderen die Anerkennung, weil sie ja nicht den wahren Gott haben. Es kann nur eine universale Wahrheit geben, es gibt aber viele Religionen, die sie für sich in Anspruch nehmen, inbesondere Christentum und Islam, und zu ihrer Durchsetzung immer wieder zur Gewalt gegriffen haben.

Dabei ist festzustellen, dass zwar die Gewalt schon in der hebräischen Bibel verankert ist, dass aber die Juden die literarischen Gewalttexte nie in historische Gewalttaten umgesetzt haben. Vielmehr wurden hier schon sehr früh historisierende und humanisierende Interpretationshorizonte erschlossen, die eine entschärfende Wirkung hatten. Gleichwohl finden sich in den Texten drei Quellen der Gewalt:

  1. Eifersucht
  2. Gesetz
  3. Offenbarung.

Der eifersüchtige Gott: „Du sollst keine anderen Götter haben“

Der alttestamentliche Monotheismus in seiner ursprünglichen Form hat die anderen Götter durchaus nicht negiert. Aber es gibt nun einen Gott, der anders ist als die anderen Götter. Das Prinzip, das hier zu Grunde liegt, ist das der Unterscheidung. Das Volk Jahwes grenzt sich ab von allen anderen Völkern und schwört seinem Gott absolute Treue. Der biblische Monotheismus erkennt die anderen Religionen und Götter zunächst an, verweigert aber jede Übersetzbarkeit, wie es bis dahin unter den Polytheismen der alten Welt üblich war. Aus der hellenistischen Devise „Alle Götter sind eins“ wird im Monotheismus: „Kein Gott außer Gott“.

Das dazu verwendete Verb ist aber nicht „sein“ im Sinne von: „Es gibt keine anderen Götter“, sondern das Verb „haben“ im Sinne von: „Du sollst keine anderen Götter haben“. Dies ist das Gebot der Treue. Treue kann es aber nur geben, wo es andere Götter gibt, mit denen der Mensch untreu werden könnte. Insofern ist der Gott des Alten Testaments ein eifersüchtiger, ein unsichtbarer, bildloser Gott. Und die anderen Götter werden herabgesetzt zu „Götzen“, von denen die Menschen sich Bilder machen. So heißt es im Alten Testament:

„Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.“ (Exodus, 20, 5-6)

Zum ersten Mal verübten Menschen Gewalt an anderen im Namen Gottes

Der Gott Abrahams knüpft also sein Verbot, andere Götter zu haben bzw. sich Bilder von ihm zu machen, an seine Eifersucht (rohe, affektive Gewalt). Freund ist, wer ihm dient, Feind ist, wer anderen Göttern dient. Dies richtet sich zunächst an die Israeliten selbst, die zu anderen Göttern überlaufen, und an diejenigen, welche Israeliten zu ihren Göttern verführen wollen. Beide erregen Gottes Eifersucht und Zorn, welcher sich in exzessiver wütender Gewalt entlädt.

Das Besondere dabei: Die göttlichen Affekte der neuen Religion drängen nun erstmals auf menschlichen Nach- und Mitvollzug. Seine Anhänger sollen sich seinen Zorn zu eigen machen und für ihn strafend eintreten. So werden Menschen erstmals gegen andere Menschen im Namen Gottes aufgebracht. Die Treue zu Gott (Ideologie) bricht alle menschlichen Bindungen. Diese Spiegelbeziehung zwischen göttlichen und menschlichen Affekten gibt es in den heidnischen Religionen nicht. Diese Götter bedürfen nicht der Menschen als Vollstrecker, wenn sie rasen und zürnen. (Das zeigt natürlich, womit wir es bei den monotheistischen Religionen in Wahrheit zu tun haben: mit Projektionen der eigenen Affekte in eine erdachte Überfigur, in dessen Name dann die Gewalt ausgeübt werden kann, nach der man dürstet und die man so heiligen kann.)

Zum ersten Mal verübten Menschen Gewalt an anderen im Namen Gottes. Wer sich des einen Gottes beleidigten Zorn nicht zu eigen macht und für seine gekränkte Ehre nicht eintritt, der zieht nun Gottes Zorn auf sich selbst. Die Eifersucht (dieses imaginierten) Gottes verlangt von dem Gläubigen den Eifer für Gott. Es ist dieser Eifer, arabisch Hamas, mit dem wir von islamistischer Seite konfrontiert werden.

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Lesen Sie in Teil 3: Nach Überwindung der sakrifiziellen Gewalt ist es Zeit, auch die religiöse Gewalt hinter uns zu lassen

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