Von Jürgen Fritz, Mo. 31. Aug 2020, Titelbild: Twitter-Screenshot
Mit seinem Cincy-Sieg hat Djokovic aufgeschlossen zu Nadal. Beide haben inzwischen jeweils sage und schreibe 35 Master 1000-Turniersiege auf ihrem Konto. Die Super 9-Turnierserie wird seit 1990 ausgespielt. Doch Djokovic möchte vor allem einen anderen Rekord brechen. Und der hat mit den heute beginnenden US Open zu tun.
Nole holt sich seinen 35. Master 1000-Titel und stellt damit den Rekord von Nadal ein
Mit seinem Finalsieg über Milos Raonic am Samstag (1:6, 6:3, 6:4) hat die aktuelle Nr. 1 der Weltrangliste, der Serbe Novak Djokovic den Allzeitrekord von Rafael Nadal eingestellt. Beide bringen es nunmehr auf 35 Siege bei den Master 1000-Turnieren. 35 B-Titel bedeutet fast zwölf Jahre lang jedes Jahr im Schnitt drei der neun Master 1000-Turniere zu gewinnen. Und die beiden spielen ja in der gleichen Ära und das wiederum zusammen mit Federer! Das heißt, wenn jeder von beiden zwölf Jahre lang jede Saison drei der neun großen Titel holt, bleibt für den Rest der Welt – inkl. Federer – nur drei der Super 9-Turniere übrig. Mit diesen 35 B-Titeln haben Nadal und Djokovic Roger Federer, bisher noch The Greatest Of All Time, in dieser Rubrik lange schon hinter sich gelassen:
1. Djokovic: 35
1. Nadal: 35
3. Federer: 28
4. Agassi: 17
5. Murray: 14
6. Sampras: 11
Vor zwei Jahren gelang es dem Serben mit seinem ersten Cincy-Titel als erstem Spieler überhaupt, alle neun Master 1000-Turniere mindestens einmal zu gewinnen und damit den Career Golden Masters zu gewinnen. Das schaffte bis heute kein anderer. Nun hat er sogar jedes der Super 9-Turniere mindestens zweimal gewonnen.
Bei den A-Turnieren liegt Djokovic historisch (noch) auf Rang drei, doch damit ist er nicht zufrieden
Wichtiger als die B-Turniersiege sind aber natürlich die A-Titel, Erfolge bei den vier Grand Slam-Turnieren. Sampras konzentrierte sich fast ausschließlich hierauf und überflügelte hier mit seinen 14 Siegen von 1990 bis 2002 alle. Doch dann kamen ab 2003 (Federer), 2005 (Nadal) bzw. 2008 (Djokovic) die Big Three und überholten ihn alle drei.
Die Grand Slam-Erfolge sind das wichtigste Kriterium überhaupt bei der Frage nach dem GOAT. So wichtig die Master 1000-Turniere sind, aber in 50 oder 100 Jahren wird kaum jemand danach fragen, wer wie viele B-Turniere gewonnen hat. Man wird zuallererst immer nach den A-Titeln fragen, nach den Grand Slam-Siegen. Und hier liegen Federer und Nadal noch knapp vor Djokovic:
- Roger Federer: 20
- Rafael Nadal: 19
- Novak Djokovic: 17
- Pete Sampras: 14
- (Roy Emerson: 12*)
- Rod Laver: 11**
- Björn Borg: 11
- Bill Tilden: 10
Die 12 Titel von Emerson zählen maximal halb, wenn überhaupt – ein anderer fehlt dagegen in der Liste
Ein Spieler fehlt in dieser Liste der erfolgreichsten Grand Slam-Spieler aller Zeiten: der überragende Spieler der 1950er Jahre Pancho Gonzales (Jahrg. Mai 1928). Der aus sehr einfachen Verhältnissen stammende US-Amerikaner (seine Eltern waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Mexiko in die USA eingewandert), brachte sich selbst das Tennisspielen bei, ohne Unterstützung der weißen Oberklasse.
1948 und 1949 gewann er mit 20 bzw. 21 Jahren als völlig unbekannter Nachwuchsspieler die US-amerikanischen Meisterschaften (heute US Open). Dann wechselte er Ende 1949, da er auf die Einnahmen aus seinem Sport angewiesen war, mit nur 21 Jahren bereits ins Profi-Lager und war damit bis April 1968 mehr als 18 Jahre lang bei den Grand Slam-Turnieren nicht spielberechtigt.
Bei den wesentlich spielstärkeren Profis holte er 1950 mit 22 Jahren bereits den Wembley Pro-Titel, den er bis 1956 insgesamt viermal errang. Das für ihn wichtigste Turnier waren aber die US Pro, die er von 1953 bis 1961 achtmal gewann. Als die Grand Slam-Turniere ab April 1968 endlich für Profis freigegeben wurden, erreichte Gonzales bei den French Open auf Sand, dem Belag, den er am wenigsten mochte, mit inzwischen 40 Jahren direkt das Halbfinale. Im Viertelfinale rang er den achteinhalb Jahre jüngeren Roy Emerson, der von 1963 bis 1967 der weltbeste Spieler bei den Amateuren gewesen war, in fünf Sätzen nieder.
*Roy Emerson (Jahrg. November 1936) errang alle sein 12 Grand Slam-Titel nur bei den Amateuren und zwar in den Jahren 1961 bis 1967, als Profis vor Beginn der Open Era nicht zugelassen waren. Ab dem Moment, da auch Profis ab April 1968 bei den Turnieren antreten durften und Emerson Anfang 1968 selbst ins Profi-Lager wechselte, sich nun mit den besten der Welt messen musste, gewann er nie wieder ein ganz großes Turnier.
Beim ersten Grand Slam, das für alle Spieler geöffnet war, den French Open im Mai, Juni 1968 verlor der 31-jährige Emerson im Viertelfinale sogar gegen den 40-jährigen Pancho Gonzales, der seinen Höhepunkt in den 1950er Jahren hatte und 20 Jahre zuvor die US-Meisterschaften gewonnen hatte.
Rod Laver hätte es sicherlich auf mindestens 13, eher 15 bis 16 A-Titel gebracht
**Rod Laver (Jahrg. August 1938) gewann dagegen 6 seiner 11 Titel als Amateur zwischen 1960 und 1962, ohne Konkurrenz von Profis, und 5 als Profi ab 1968. Dazwischen war er von Januar 1663 bis April 1968 über fünf Jahre lang als Professionell nicht zugelassen. In diesen fünf Jahren war er drei bis vier Jahre die Nr. 1 der Welt, gewann 8 der 15 größten Profi-Turniere. Hätte es vor 1968 bereits eine Open Era gegeben, wären also er und mit ihm alle Profis zu den Grand Slam-Turnieren zugelassen worden, hätte Laver mit Sicherheit mehr als 11 A-Titel geholt.
Seine ersten 6 Titel von 1960 bis 1962 zählen quasi nicht wirklich, da er diese ohne Konkurrenz der besten Spieler der Welt holte und in diesen Jahren auch noch nicht die Spielstärke besaß, die besten der Welt alle zu schlagen. Aber von 1963 bis 1967 hätte er mit Sicherheit mehr als diese 6 Titel geholt, mindestens 8, wahrscheinlich eher 10 bis 11, hätte er spielen dürfen. Denn in diesen fünf Jahren wurden bei den Profis nicht vier, sondern bloß drei sogenannte Pro Slam-Turniere pro Jahr ausgespielt. Von diesen 15 Pro Slams von 1963 bis 1967 gewann Laver 8, also gut die Hälfte. Rechnen wir diese 8 Pro Slams zu seinen 5 Grand Slam-Titeln ab 1968 hinzu, kommen wir auf 13.
Pro Slams wurden aber nur drei, nicht vier pro Jahr gespielt. Ein Pendant zu den Australian Open gab es im Profi-Tennis in dieser Zeit nicht. Hätte Laver von 1963 bis 1967 auch noch fünf oder sechs A-Turniere in Australien spielen können, so wären hier sicher nochmals zusätzliche zwei bis drei Titel für ihn möglich und wahrscheinlich gewesen. Dann käme er insgesamt nicht auf 13 A-Titel (8 Pro Slam + 5 in der Open Era), sondern wahrscheinlich eher auf 15 bis 16.
Damit wäre Laver auf jeden Fall vor Emerson (so man dessen Amateur-Siege überhaupt zählen möchte), wahrscheinlich auch vor Sampras, aber hinter Federer, Nadal und Djokovic. Aber zurück zu Nole.
Djokovic ist der Top-Favorit bei den heute beginnenden US Open
Djokovic ist der absolute Top-Favorit auf den Turniersieg bei den heute beginnenden US Open (A). Federer und Nadal treten beide nicht an, Federer verletzungsbedingt, Nadal wegen Corona. Sollte der Djoker in dieser Form weiterspielen, die er im Januar, Februar und nun auch bei den Western & Southern Open in New York an den Tag legte, wird es für alle anderen enorm schwer, ihn zu schlagen. Das sehen auch die Buchmacher so:
- Djokovic: 55,5 %
- Medvedev: 15,4 %
- Thiem: 11,1 %
- Tsitsipas: 11,1 %
- Raonic: 4,8 %
Das heißt, die Chancen stehen gut für Nole, seinen 18. Grand Slam-Titel zu holen. Damit hätte er die nächsten ein, zwei Jahre die Chance, auch bei den A-Titeln an Nadal und Federer vorbeizuziehen. Ich bin sicher, er wird alles versuchen, dies zu schaffen, und wird seine Karriere vorher nicht beenden. Djokovic ist jetzt 33 Jahre alt, ist spielerisch noch immer absolut on top und er will 21 A-Titel, um Nadal und Federer hinter sich zu lassen. Dann wird er eindeutig der GOAT sein, denn zu seinen jetzt schon 17 A- und 35 B-Titeln kommen noch zwei weitere Faktoren dazu:
Nur Federer hat mehr ATP Finals-Titel als Nole
Djokovic hat die ATP Finals (B+), die (früher unter anderem Namen) seit 1970 jedes Jahr am Saisonende ausgetragen werden und die in der Wertigkeit zwischen den Grand Slam-Turnieren (A) und den Masters 1000 (B) angesiedelt sind, wie Ivan Lendl und Pete Sampras fünfmal mal gewonnen. Nur Federer hat mehr ATP Finals-Titel, nämlich 6. Nadal hat dieses fünftwichtigste Turnier der Saison dagegen noch nie gewonnen. Das Turnier wird in der Halle ausgetragen, was Nadal weniger liegt. Zudem findet es immer zum Abschluss der Saison statt, wenn Rafa oft verletzt oder nicht mehr in Top-Form ist.
- Federer: 6
- Lendl: 5
- Djokovic: 5
- Sampras: 5
- Năstase: 4
- Becker: 3
- McEnroe: 3
Umgekehrt fehlt Federer und Djokovic die Goldmedaille im Herreneinzel bei den Olympischen Spielen, die Nadal wiederum vorweisen kann (plus Goldmedaille im Doppel) und fünf Erfolgen mit Spanien im Davis Cup gegenüber jeweils einem Davis Cup-Gewinn von Federer und Djokovic.
Auf bestem Wege zum sechsten Mal am Jahresende die Nr. 1 zu sein
Noch wichtiger ist aber eine andere Kategorie, die wichtigste überhaupt nach den Grand Slam-Titeln: Wer ist am Jahresende die Nr. 1 der Welt, der Spieler des Jahres? Sowohl Federer als auch Nadal und Djokovic gelang das jeweils fünfmal. Und das, obschon die drei Größten aller Zeiten gleichzeitig spielten und sich die Titel und die Nr. 1-Position seit ca. 15 Jahren gegenseitig wegschnappen. Djokovic war bisher fünfmal am Jahresende die Nr. 1 und in sechs weiteren Jahren standen immer nur Federer und/oder Nadal vor ihm.
Diese Saison wird Nole mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das sechste Mal als Nr. 1 abschließen und damit den Rekord von Pete Sampras einstellen, der in seiner Ära keine vergleichbare Konkurrenz hatte. Man kann darüber streiten, ob man die Saison 2020 wegen der langen Pause von fast 25 Wochen werten kann. Aber selbst wenn man sie nur halb wertet, wird Nole hier am Jahresende mit dann 5,5 mal Spieler des Jahres hier bereits vor seinen beiden schärfsten Konkurrenten, Federer und Nadal, um den GOAT liegen:
- Pancho Gonzales (1952-1960): 7*
- William Renshaw (1881-1889): 6,5*
- Bill Tilden (1920-1931): 6,5*
- Rod Laver (1964-1970): 6*
- Pete Sampras (1993-1998): 6
- Jack Kramer (1947-1953): 5*
- Roger Federer (2003-2009): 5
- Rafael Nadal (2008-2019): 5
- Novak Djokovic (2011-2018): 5
- Ken Rosewall (1960-1970): 4,5
*Jahre, in denen zum Saisonende zwei Spieler zugleich als Nr. 1 im Ranking eingestuft wurden, wurden für beide Spieler mit je 0,5 Punkte gewertet.
Federer und Nadal waren zudem beide jeweils sechsmal am Jahresende die Nr. 2, Djokovic „nur“ dreimal (plus viermal die Nr. 3, immer hinter Federer und Nadal).
80. Turniersieg für den Djoker
Der Sieg bei den von Cincinnati nach New York verlegten Western & Southern Open am Samstag war Noles 80. Turniersieg bei einem Grand Slam (A) oder einem ATP-Turnier (B, C, D-Kategorie). Die ATP (Association of Tennis Professionals) wurde 1972 gegründet. Bei den Turniersiegen insgesamt rückt Djokovic damit zumindest näher an Nadal heran:
Grand Slam (A) und ATP-Turniersiege (B, C, D)
- Jimmy Connors: 109
- Roger Federer: 103
- Ivan Lendl: 94
- Rafael Nadal: 85
- Novak Djokovic: 80
- John McEnroe: 75
- Björn Borg: 64
- Pete Sampras: 64
- Guillermo Vilas: 62
- Andre Agassi: 60
Die C- und D-Turniersiege zählen aber natürlich maximal ein Viertel bzw. ein Achtel so viel wie die A-Titel. Diese sind bei der Frage nach dem GOAT letztlich das wichtigste Kritierium von allen, noch wichtiger als am Jahresende die Nr. 1 zu sein.
Djokovic will die 21
Hier nochmals die erfolgreichsten Grand Slam-Sieger aller Zeiten (Australian Open, French Open, Wimbledon, US Open):
- Roger Federer: 6 + 1 + 8 + 5 = 20
- Rafael Nadal: 1 + 12 + 2 + 4 = 19
- Novak Djokovic: 8 + 1 + 5 + 3 = 17
- Pete Sampras: 2 + 0 + 7 + 5 = 14
- (Roy Emerson: 6 + 2 + 2 + 2 = 12*)
- Rod Laver: 3 + 2 + 4 + 2 = 11**
- Björn Borg: 0 + 6 + 5 + 0 = 11
- Bill Tilden: 0 + 0 + 3 + 7 = 10
Das Einzige, was Djokovic wirklich noch fehlt zum The Greatest Of All Time, sind die 21 Grand Slam-Titel respektive wenn Federer oder Nadal auch noch ein beziehungsweise zwei A-Turniere gewinnen sollten, dann braucht Nole 22. Und er wird alles daran setzen, dies zu erreichen. Vorher wird er, so er gesund bleibt, seine Karriere nicht beenden. Sein Ziel sind die 21. Und die heute beginnenden US Open könnten ihn diesem Ziel einen von vier Schritten näher bringen.
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