Peter Sloterdijk: Querdenker sind für mich Menschen, die die Erdrotation leugnen

Von Jürgen Fritz, Sa. 28. Nov 2020, Titelbild: DER SPIEGEL-YouTube-Screenshot

Eines vorab: Weder sollte man Andersdenkende Idioten noch sollte man Idioten Andersdenkende nennen. Das Eine ist so ungenau wie das Andere. Nun zu Peter Sloterdijk, einem der größten, berühmtesten, wirkungsmächtigsten Denker unserer Zeit, wie ihn Volker Weidermann in der Büchershow „Spitzentitel“ ankündigte. Sloterdijk äußerte sich in dem anregenden Gespräch zu vielen Themen, so auch zur aktuellen Pandemie und den Querdenkern.

Brett vor dem Kopf: „Originell sind Leugner von Tatsachen eigentlich nur auf eine perverse Art“

„Ich sah bei dem Ausdruck eigentlich immer ein Brett vor dem Kopf. Sobald es quer ist, ist es ja mehr breit als hoch“, beschreibt der Meisterdenker die Assoziationen, die sich bei ihm einstellen, wenn er das WortQuerdenker‘ hört. Und das, ein Brett vor dem Kopf zu haben, könne ja schwerlich ein ästhetisches Ideal sein, weder für ihn noch für sonst jemanden, sagt er lachend.

Das Querdenken sei im Grunde eine misslungene Metapher für: innovativ oder originell. Originell seien Leugner von Tatsachen aber höchstens auf eine perverse Art. Denn Tatsachen seien ja dazu da, dass sie anerkannt und nicht dass sie geleugnet werden.

„Querdenker sind für mich Menschen, die die Erdrotation leugnen, weil sie das Gefühl haben, es passt nicht in ihr Weltbild“

„Und dass viele Millionen Menschen schwere Schäden durch diese Infektion davon tragen, kann ja als Tatsache gelten“, so Sloterdijk weiter. Dass einige gut davon kämen, sollte kein Grund dafür sein, „dass einige sich unbetroffen glauben“.

Solche Menschen erinnern Sloterdijk, der hier wie so oft einen sehr guten Vergleich, eine sehr gute Metapher findet, an die Kleriker des 17. Jahrhunderts, die nicht glauben wollten, dass die Erde um die Sonne rotiert und dass die Erde sich auch um die eigene Achse dreht. „Querdenker sind für mich Menschen“, fasst er seine Beschreibung prägnant zusammen, „die die Erdrotation leugnen, weil sie das Gefühl haben, es passt nicht in ihr Weltbild“.

Reflexionen zur Angst

Die Angst spiele auch in dieser Pandemie die Rolle, wie sie seit Jahrtausenden eine Rolle spiele. „Die Menschen sind Nachkommen von fluchtorientierten Säugetieren“, so Sloterdijk. Das heißt, „sie verfügen über die große Stressreaktion, die ihnen in Gefahrensituationen sagt, in welche Richtung sie fliehen sollen.“ Insofern sei die Angst unser engster Verbündeter, was die Selbsterhaltung angehe. Siehe dazu auch meinen Essay über die Philosophie der Angst.

„Aber“, merkt der inzwischen 73-Jährige an, „sie wird seit fünftausend Jahren politisch missbraucht, indem man Menschen im Fall von Ungehorsam Strafen androht.“ Insofern könne man sagen, „Demokratie ist der erste große Versuch, das Regieren durch Angst durch das Regieren durch Einsicht zu ersetzen.“ 

Sloterdijk zur Conditio humana: Wache zumindest als ein minimal anderer auf als der, der eingeschlafen ist

Sloterdijks Ideal als begeisterter Fahrradfahrer, so beschrieb er es einmal, sei dieses: als jemand zurückzukehren, der nicht identisch ist mit dem, der weggefahren war. Man solle immer wieder das Gewohnte selbst fallen lassen oder als Fahrradfahrer schneller sein als das Alter Ego, das mit seinen Sorgen hinter einem herlaufe.

Oder das tun, was ohnehin zur Conditio humana gehöre, nachdem man geschlafen habe, zumindest minimal anders zu sein als der, der eingeschlafen ist.

Peter Sloterdijk im Gespräch mit Volker Weidermann

Sehen und hören Sie hier das komplette Gespräch, in dem Sloterdijk sich unter anderem auch zum Umgang mit und Leben in der Pandemie äußert, zu dem Begriff Immunität, der einen Schlüsselbegriff seiner Philosophie darstellt, über das Wesen der Demokratie als System, in dem die Freiheit besteht, die Wahrheit respektive das, was man dafür hält, aussprechen zu dürfen, natürlich sein neues Buch Den Himmel zum Sprechen bringen: Über Theopoesie, über einen klimaneutralen Lebensstil und unschädliches Leben, die Spaltung der Gesellschaft, über den Eingriff ins Erbgut, Klimaflüchtlinge, den Kapitalismus, das Umdenken in Bezug auf Steuern, indem diese als Spenden der Bürger an den Staat verstanden werden, über soziale Medien, den zukünftigen CDU-Vorsitzenden, den Gedanken einer Doppel-Kanzlerschaft, die Zukunft Jogi Löws, seine Feindschaft zu Jürgen Habermas, einem kurzen Rückblick auf sein Leben und anderes mehr:

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