Verwaltungsgericht untersagt dem Verfassungsschutz vorerst die Beobachtung der AfD

Von Jürgen Fritz, Fr. 05. März 2021, Titelbild: phoenix-Screenshot

Schwere Schlappe für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Behörde darf die AfD vorerst nicht als Rechtsextremismus-Verdachtsfall einstufen. Dies hat das Verwaltungsgericht Köln heute entschieden. Die Entscheidung gilt bis zum Abschluss eines Eilverfahrens. Der Bundesvorsitzende der AfD Jörg Meuthen bezeichnete dies als „erneute komplette Blamage“ für Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang und forderte dessen sofortigen Rücktritt.

Gericht: Das Bundesamt habe den Umstand der Einstufung der AfD als Verdachtsfall in „missachtender Weise ‘durchgestochen’“

Mitte der Woche war über mehrere Medien bekannt geworden, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang den Landesämtern mitgeteilt habe, die AfD sei vom Bundesamt seit dem 25. Februar als Rechtsextremismus-Verdachtsfall eingestuft, obschon der Verfassungsschutz zugesagt hatte, bis auf Weiteres stillzuhalten. Die Behörde hatte den Richtern versichert, eine eventuelle Bewertung der AfD als Verdachtsfall nicht publik zu machen, ehe das Eilverfahren beendet sei.

Das Verwaltungsgericht Köln begründete das Urteil nun mit dem noch nicht abgeschlossenen Eilverfahren. Für die Dauer dieses Verfahrens könne eine solche Zwischenregelung in Betracht gezogen werden, „wenn ohne sie bereits vor der gerichtlichen Eilentscheidung in unumkehrbarer Weise vollendete Tatsachen zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden geschaffen würden“.

Laut dem Verwaltungsgericht stehe nunmehr aber fest, „dass in dem Bundesamt zurechenbarer Weise der Umstand der Einstufung der Antragstellerin als Verdachtsfall“ in „mißachtender Weise ‘durchgestochen’ worden ist“. Als Beweis werden in dem Urteil auch Medienberichte angeführt. Verantwortlich zu machen für das Informationsleck sei das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), befand das Gericht. Die Behörde habe mindestens „nicht hinreichend dafür Sorge getragen“, dass die Beobachtung nach außen drang.

Vertrauensgrundlage zerstört, da der Verfassungsschutz seine Zusagen nicht eingehalten habe, zudem bestehe Wiederholungsgefahr

Der Verfassungschutz wird nun verpflichtet, „es zu unterlassen“, die Antragstellerin als „Verdachtsfall“ einzuordnen. Ferner wird untersagt, die AfD „zu beobachten“ und die Führung der AfD als „Verdachtsfall“ erneut „öffentlich oder nicht öffentlich“ bekanntzugeben.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz habe Sillhaltezusagen abgegeben, doch „diese Vertrauensgrundlage, auf der die vorhergehenden Entscheidungen beruhten, ist nunmehr zerstört“. Es bestehe „angesichts des Gangs der Ereignisse“ in Bezug auf das Durchstechen von Informationen „auch eine konkrete Wiederholungsgefahr.

Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung unter Verweis auf Artikel 21 GG, das den Parteien eine besondere Stellung im politischen System gibt, auch mit den bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie die Bundestagswahl im Herbst.

„Durch das Bekanntwerden der Einstufung der Antragstellerin als ‘Verdachtsfall’ durch bundesweite Medienberichterstattung ist bereits derart in die durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Chancengleichheit politischer Parteien eingegriffen worden, dass eine weitere Beeinträchtigung derselben dadurch, dass Mitglieder der Antragstellerin mit nicht gänzlich unerheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit nachrichtendienstlich überwacht zu werden oder von solchen Maßnahmen jedenfalls mittelbar betroffen zu sein – insbesondere im Hinblick auf die am 14. März 2021 anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz –, nicht hinnehmbar ist.“

Verwaltungsgericht gibt einem Antrag der AfD auf einen Hängebeschluss statt

Der daraus drohende Nachteil für die AfD sei

„schwerwiegender als die möglichen Folgen für den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung für den Fall, dass eine Beobachtung auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zunächst unterbleiben müsste, der Erlass der einstweiligen Verfügung aber später abgelehnt würde“.

Das Verwaltungsgericht gab damit einem erneuten Antrag der AfD auf Erlass einer Zwischenentscheidung, eines sogenannten Hängebeschlusses, statt. Eine Prüfung in der Sache selbst habe für diesen Beschluss keine Rolle gespielt, teilte das Gericht mit.

Die AfD hatte dem Verfassungsschutz vorgeworfen, eine Einstufung als Rechtsextremismus-Verdachtsfall und das Durchsickern der Information sei politisch motiviert. Nun fühlt sich die Parteispitze bestätigt.

Meuthen fordert sofortigen Rücktritt von Haldenwang

Der erste Bundesvorsitzende der AfD Jörg Meuthen bezeichnete die Entscheidung als „erneute komplette Blamage“ für Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang. „Ein Inlandsgeheimdienst, der nichts geheim halten kann, mit Einstufungen, die keine 48 Stunden später per Gerichtsbeschluss Makulatur sind. Peinlicher geht es wirklich kaum mehr.“ Meuthen forderte gar den sofortigen Rücktritt Haldenwangs.

Das Gericht habe die Behörde „abgewatscht“. Der Verfassungsschutz unter seinem Präsidenten Thomas Haldenwang müsse sich nun überlegen, ob er sich weiterhin politisch instrumentalisieren lassen wolle. Die AfD werde auch weiterhin alle Rechtsmittel ausschöpfen, um gegen den „rechtswidrigen Umgang“ des Bundesamtes mit der AfD vorzugehen. „Dass unsere Erfolgsaussichten dabei gut sind, hat der heutige Tag bewiesen“, so Meuthen.

Der zweite Bundesvorsitzende Tino Chrupalla sprach davon, die Nachricht über die Einstufung sei ein „gezielter Eingriff in den Parteienwettbewerb mit staatlichen Mitteln unmittelbar vor einer Landtagswahl“ gewesen. Das sei ein „unglaublicher und in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang mit dem Ziel, die AfD als größte Oppositionspartei im Wahlkampf entscheidend zu benachteiligen.“ Auf Twitter schrieb er, die sei eine „Klatsche für den Verfassungsschutz“.

Wollte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD kurz vor den Landtagswahlen gezielt schädigen?

Am Sonntag, den 14. März, also heute in neun Tagen, finden die wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz statt, zu denen die AfD einen direkten Zusammenhang vermutet, dergestalt man sie kurz vor diesen Wahlen mit solchen Einstufungen schwächen wolle. Der Beschluss des Kölner Verwaltungsgerichts ist anfechtbar. Über eine Beschwerde müsste das Oberverwaltungsgericht Münster entscheiden.

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