Deshalb gab Söder nach: Laschet drohte ihm, man werde dafür sorgen, dass er die Wahl verliert

Von Jürgen Fritz, Do. 22. Apr 2020, Titelbild: WELT-Screenshot

In der Nacht von Montag auf Dienstag erzwang Armin Laschet in der CDU-Bundesvorstandssitzung mit massiver Unterstützung von Wolfgang Schäuble die Entscheidung, wer der Kanzlerkandidat der Union werden soll, zu seinen Gunsten. Wie nun bekannt wurde, fiel die eigentliche Entscheidung aber bereits am frühen Montagmorgen. Im Berliner Reichstag drohte Laschet Söder, die CDU werde einen CSU-Kanzlerkandidaten nicht unterstützen, so dass er die Wahl verlieren werde.

Wie kam es zu dieser plötzlichen Wende in der Entwicklung der Dinge?

Armin Laschet erweckt vor Kameras immer gerne den Eindruck eines netten, freundlichen älteren Herrn, dem besonders viel an Versöhnung liege. Besonders gerne spricht er von Fairness. Wie weit Schein und Sein bisweilen auseinanderklaffen können, wie alle wissen. Wie genau hat es Armin Laschet tatsächlich geschafft, doch noch Kanzlerkandidat der Union zu werden, wo doch über mehr als eine Woche lang alles gegen ihn zu laufen schien? Wie kam es zu dieser plötzlichen Wende? Was steckt da tatsächlich dahinter?

Bis Montagmorgen sprach eigentlich von Tag zu Tag immer mehr für einen Kanzlerkandidaten Markus Söder. Spitzenpolitiker um Spitzenpolitiker, CDU-Kreisverband um Kreisverband sprach sich für Söder aus. Mehr als die Hälfte der CDU-Ministerpräsidenten (Haseloff, Hans, Kretschmer) wechselte ins Söder-Lager, dann sprachen sich 14 der 18 Landesverbände der Jungen Union klar für Söder aus, drei enthielten sich eines klaren Votums und nur der Landesverband aus NRW, Laschets Heimatland, stimmte noch für den CDU-Vorsitzenden. Alles schien immer mehr auf Söder zuzulaufen. Doch dann plötzlich kam es am Montag zu einer überraschenden Wende.

Er werde eine eindeutige Entscheidung der größeren Schwester CDU akzeptieren, hatte der CDU-Vorsitzende Markus Söder schon eine Woche zuvor verlautbaren lassen. „Der CDU“ hatte Söder gesagt, nicht „des CDU-Bundesvorstandes“, der lediglich aus ca. 45 Personen besteht. Die CDU aber besteht aus 400.000 Personen nicht nur aus diesen 45. Und durch die CDU geht ein tiefer Riss. Und zwar ein Riss zwischen der großen Parteibasis und der kleinen Gruppe von Spitzenfunktionären. Diese wollen schon lange teilweise deutlich anderes als die Parteibasis (und die Unionswähler). Bereits die 400 CDU-Bundestagsabgeordneten hatten, was die Wortmeldungen anbelangte, zu etwa zwei Drittel nicht für ihren eigenen Parteivorsitzenden gesprochen, sondern für den der kleinen Schwester. Und von Tag zu Tag fielen immer mehr CDU-Mitglieder von Laschet ab, von dem sehr viele Bürger eher wenig halten. Eigentlich musste Söder jetzt nur noch warten. Die Zeit spielte für ihn. Mit jedem Tag wurde seine Position stärker, die von Laschet schwächer.

Wieso beging Söder, der bis dahin alles richtig gemacht hatte, plötzlich solch katastrophale taktische Fehler?

Doch dann machte Söder, der Meistertaktiker, am Montag plötzlich einen großen taktischen Fehler. In einer Pressekonferenz sagte er, die Zeit sei nun reif, um die Personalentscheidung der Union zu treffen. Irgendwann seien alle Argumente vorgetragen und alles sei gesagt „und es muss dann auch entschieden werden. Armin Laschet und ich hatten mehrere Gespräche, gute, freundschaftliche Gespräche, ohne ein abschließendes Ergebnis.“ Ganz so freundschaftlich waren diese Gespräche aber wohl doch nicht, wie nun bekannt wurde. Dazu gleich mehr.

Er selbst sei dazu bereit, Verantwortung zu übernehmen und sich „zu hundert Prozent in den Dienst unseres Landes und der Menschen zu stellen“, wenn „eine breite Mehrheit der CDU dies will und trägt“. Es würde eh ein schwerer Wahlkampf und um erfolgreich sein zu können in diesen schweren Zeiten brauche es den „vollen Rückhalt aller“. Doch genau diesen Rückhalt hatten ihm Laschet und Schäuble kurz zuvor nicht zugesagt. Ja mehr als das. Laschet hatte Söder angedroht, ihm den Rückhalt der CDU zu entziehen, sollte er der Unionskanzlerkandidat werden. Die Details dazu kommen gleich. Aber bleiben wir noch bei den Worten von Söder vom Montag, die mit dem Wissen, was einige Stunden zuvor passierte, hoch interessant sind.

Es handle sich bei dieser Personalentscheidung nicht um einen Streit zwischen CDU und CSU, sondern es gehe um eine Entscheidung innerhalb der CDU, betonte Söder nochmals. Deswegen sei von der CSU die letzten acht Tage auch kein einziges böses Wort aus den Reichen der kleinen Schwester gefallen. Ihm persönlich gehe es auch nicht nur um das Ergebnis, sondern auch um Stil und Anstand. (Das war wohl eine versteckte Spitze, denn einige in der CDU haben das durchaus anders gesehen und auch anders agiert, wie wir gleich sehen werden.)

Söder: Wichtig sei auch Respekt und Interesse für die Mitglieder, die Abgeordneten und vor allem für die Bevölkerung

Er habe das schon die Woche zuvor in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt und das gelte weiterhin: Breite Unterstützung aus der CDU bedeute für ihn, wenn a) Bundesvorstand, b) Fraktion und c) Basis dies gemeinschaftlich wollen, dass er der Unions-Kanzlerkandidat werden soll. Dies habe sogar der CDU-Bundesvorstand am 14.09.2020 sogar selbst so beschlossen, dass in der K-Frage die Parteimitglieder eingebunden sein sollen in den Entscheidungsprozess. Er selbst empfinde das als Teil der Demokratie. (Einige führende CDU-Politiker aber offensichtlich nur dann, wenn sie zu der Einschätzung kommen, dass die Parteibasis zu dem von ihnen gewünschten Ergebnis gebracht werden kann. JFB)

Respekt vor den gewählten Gremien sei für ihn selbstverständlich. Dies gehöre essentiell zur repräsentativen Demokratie, die er immer schützen werde. Wichtig sei aber auch Respekt und Interesse für die Mitglieder, die Abgeordneten und vor allem für die Bevölkerung, „die uns letztlich trägt“. Eine moderne repräsentative Demokratie vereine beides, die Gremien, aber auch die Mitglieder und die Bevölkerung, die diese tragen (von den zwei Letztgenannten hat die CDU-Führung sich seit Jahren aber immer mehr abgekoppelt und führt quasi ein völlig eigenständiges Dasein mit ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, JFB). Deswegen wurde jetzt eine Woche diskutiert, so Söder.

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Die drei schweren taktischen Fehler von Söder

Dann macht Söder überraschenderweise einen schweren taktischen Fehler, bei dem man sich fragte: Warum passiert ihm das jetzt? (Das wissen wir nun wohl.) Alle Argumente seien nun auf dem Tisch. Es habe viel Zuspruch für ihn selbst gegeben a) aus den Landesverbänden der CDU, b) aus der gemeinsamen Fraktion von CDU und CSU im Deutschen Bundestag (die zu über 80 Prozent von der großen Schwester CDU dominiert wird). Und es gebe auch c) Zuspruch aus der Bevölkerung. Umfragen seien einer der wenigen Maßstäbe, „die wir haben, um Entscheidungen zu hinterfragen. Wir sind als Union in den Umfragen sogar etwas gestiegen“, betonte Söder, was stimmt, siehe hier. Und dann bittet Söder die CDU (das ist sein erster taktischer Fehler), diesen Diskussionsprozess, der ja gerade von Tag zu Tag immer mehr zu seinem Vor- und zu Laschets Nachteil verlief, abzuschließen. Das ist, als ob eine Mannschaft, die gerade einen Lauf hat und Treffer um Treffer erzielt, plötzlich das Spiel abbricht, weil der Gegner, der natürlich nicht noch mehr Treffer kassieren will, dies so möchte. Und dann wörtlich:

Wo und wie das geschieht, entscheidet die CDU allein. Und auch welches Gremium das ist. Wenn der Bundesvorstand das ist, dann werden wir das respektieren, genauso wie jede andere Entscheidung.“

Damit (zweiter taktischer Fehler) legte Söder alle Entscheidungsbefugnis in die Hände des CDU-Bundesvorstandes, machte also genau das, was Laschet wollte. Denn dieser hatte sowohl in der Bundestagsfraktion als auch der CDU-Basis – und natürlich in der CSU, dort sowohl in den Gremien, bei den Abgeordneten und der Parteibasis – eher weniger Rückhalt als Söder, teilweise sehr viel weniger. Nur im CDU-Bundesvorstand hatte Laschet noch gute Chancen auf eine Mehrheit. Und ausgerechnet hier sollte nun also die Entscheidung hin delegiert werden. Dem stimmte Söder nun ganz explizit zu. Wieso tat er das?

Ja mehr noch. Direkt anschließend sagte er (dritter taktischer Fehler), er werde an der für den Montagabend, also nur wenige Stunden später von Laschet schon anberaumten CDU-Bundesvorstandssitzung überhaupt nicht teilnehmen, wolle sich da mit keinem Wort einmischen. Das heißt, Söder überließ das Feld vollkommen seinem Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur der Union. Warum machte er das?

Fassen wir zusammen, was Söder sagte: Wenn die CDU-Führung sich entscheidet, dass dort in diesem kleinen Gremium von rund 45 Personen die Entscheidung fallen soll, wer der gemeinsame Kanzlerkandidat von CDU mit 400.000 Mitgliedern und CSU mit 140.000 Mitgliedern sein soll, dann werde er das akzeptieren und er wolle sich in die Diskussion dort gar nicht mehr einmischen.

Damit hatte Laschet völlig freies Feld für seine Agitation. Und Laschet würde den CDU-Bundesvorstand noch an diesem Abend (zusammen mit Schäuble) massiv bedrängen, dass die Entscheidung noch an diesem Abend jetzt fallen müsse, sieh hier: So verlief die Sitzung. Laschets Begründung hierbei: Söder selbst hat uns dazu ja „ermächtigt“. Und wieder die Frage: Warum um alles in der Welt machte Söder das? Warum überließ er plötzlich das gesamte Terrain der Auseinandersetzung dem CDU-Bundesvorstand und Armin Laschet? Wieso dieser riesige taktische Fehler, der ihn die Kanzlerkandidatur kostete?

Was war da im Hintergrund passiert?

„Wir als CDU und auch ich respektieren jede Entscheidung“, sagte Söder am Montagmittag. Seine Bereitschaft sei nur ein Angebot gewesen. „Ein Angebot zur Unterstützung, ein Angebot für unser Land, für die Union einen wichtigen, vielleicht den zentralen Beitrag zu leisten, um am Ende erfolgreich zu sein. Aber die Entscheidung darüber, ob dieses Angebot angenommen werden kann“ , das könne nur die CDU treffen. Sie sei die größere Schwester. Egal wie die CDU entscheide, bei ihm bleibe kein Groll. Und dann wörtlich:

„Wird es Armin, hat er meine volle Unterstützung, die Rückendeckung der CSU. Und dann kann er sich zu hundert Prozent darauf verlassen – im Wahlkampf. Sollte es umgekehrt sein … dann hoffe ich das genauso.“

Doch genau dies war umgekehrt eben nicht der Fall, wie wir gleich sehen werden. „Also Fazit“, so Söder weiter, die Zeit zur Entscheidung sei da.

Warum wollte Söder das Spiel, das gerade so sehr zu seinen Gunsten und zu Ungunsten seines Konkurrenten verlief, plötzlich abbrechen? Warum übergab er der CDU ganz alleine die „Ermächtigung“, wie Laschet dann sagen würde, zur Entscheidung, wer der gemeinsamen Kanzlerkandidat werden soll? Warum sagte er sogar explizit, wenn dies im kleinen 46-köpfigen CDU-Bundesvorstand entschieden werde, dann werde er das akzeptieren und deren Entscheidung mittragen? Warum hielt er sich aus dieser entscheidenden Sitzung vollkommen heraus? Warum überließ er Laschet vollkommen das entscheidende Feld? Was war da im Hintergrund passiert?

Laschet hatte Söder in Absprache mit und im Beisein von Schäuble, Ziemiak und Bouffier massiv gedroht: Wir werden dafür sorgen, dass du die Wahl verlierst

Es war etwas geschehen und inzwischen wissen wir auch, was passiert war. Wie die BILD berichtet, geschah das Entscheidende nämlich bereits am frühen Montagmorgen. In einer kurzfristig angesetzten Nachtsitzung im Berliner Reichstag trafen sich von CDU-Seite Armin Laschet, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und von CSU-Seite Markus Söder, CSU-Generalsekretär Markus Blume und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

In dieser Sitzung sagte Laschet zu Söder unmissverständlich, die Union werde die Bundestagswahl mit ihm, Söder, als Kanzlerkandidat verlieren. Denn die CDU werde keine Entscheidungen akzeptieren, in der Söder zum Kanzlerkandidaten der Union gewählt werde, egal von wem. Söder war wohl sofort klar, was dies bedeutet: Er werde, im Falle er Kanzlerkandidat würde, keine Unterstützung der gesamten CDU erhalten. Kräfte in der CDU, der großen Schwester, würden dann gezielt den eigenen gemeinsamen Kandidaten sabotieren, um zu verhindern, dass er Kanzler werde. (Nicht weil man grundsätzlich etwas gegen Söder hätte, sondern weil das die CDU in eine tiefe Krise stürzen würde, Laschet als frischgewählter Parteivorsitzender jede Autorität verloren hätte und die CDU im Grunde schon wieder führungslos wäre.)

Das heißt, Laschet drohte Söder ganz massiv. Im Grunde deutete er ihm an, dass dies sein politisches Ende auf der großen Bühne der Bundespolitik bedeuten könnte. Denn wenn Söder als Kanzlerkandidat anträte und die Wahl verlöre – und dafür würde man sorgen, eröffnete ihm Laschet hier direkt ins Gesicht -, dann wäre er für alle Zeiten politisch verbrannt und könne froh sein, wenn er noch bayerischer Ministerpräsident bleiben könne. Das war die natürlich nicht explizit ausformulierte, aber die klare Botschaft.

Söder: Ihr würdet mich also als Kanzlerkandidat nicht unterstützen? Laschet: Nein!

Söder dürfte sofort klar gewesen sein, was Laschet ihm hier offensichtlich in Absprache mit Schäuble, Ziemiak und Bouffier eröffnete. Er fragte aber noch einmal explizit nach, ob die CDU ihn unterstützen werde, wenn die Wahl auf ihn, Söder, falle. Darauf habe Laschet mit einem klaren „Nein“ geantwortet. Begründung: „Die CDU könne, dürfe und werde sich die Kanzlerkandidatur nicht aus den Händen reißen lassen.“

Das war mehr als eine Kampfansage. Das war die konkrete Drohung: Solltest du es werden, werden wir dafür sorgen, dass du nicht die Unterstützung aus der CDU erhältst, die du brauchst, um die Wahl gegen die Grünen zu gewinnen. Dann wirst du die Wahl verlieren und wirst mit wehenden Fahnen untergehen. Das kann dein politisches Ende bedeuten, wenn du gegen Baerbock verlierst.

Daraufhin sagte Söder am Montagmittag, die Entscheidung müsse jetzt fallen (das Spiel, das gerade so gut für ihn lief, müsse jetzt sofort beendet werden), die CDU solle ganz alleine entscheiden, er werde jede Entscheidung akzeptieren. Und wenn die CDU nur in ihrem Bundesvorstand darüber entscheiden wolle, dann sei das völlig in Ordnung. Zudem werde er sich dort nicht einmischen, nicht auftreten, nicht teilnehmen und nichts dazu sagen. Söder überließ Laschet vollkommen das Spielfeld, weil Laschet zusammen mit Schäuble, Ziemiak und Bouffier ihm zuvor gedroht hatten, dafür zu sorgen, dass er die Wahl verlieren würde.

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