Von Jürgen Fritz, Di. 08. Jun 2021, Titelbild: ZDF-Screenshot
Selbst bei Neomarxistinnen gibt es zumindest ansatzweise so etwas wie Selbstreflexionsvermögen. Die Autorin der sehr weit marxaußen stehenden taz, Silke Mertens, schrieb schon im April: „Frauen vorzuziehen, weil sie Frauen sind, kann aus feministischer Sicht kontraproduktiv sein, wenn ihnen die Qualifikation fehlt.“ Inzwischen ist aber einiges dazugekommen bei Baerbock, das weit über die Qualifikationsfrage hinausgeht: die Charakterfrage.
Silke Mertens: „Die Frage ist also, ob Habeck und Baerbock gleich gut qualifiziert sind“
Neue Linke tun sich mit Selbstreflexion meist eher schwer. Gleichwohl gibt es aber auch bei ihnen teilweise zumindest Ansätze, die der Erwähnung verdienen. So schrieb Silke Mertens im April in der taz, die auf jeden Fall sehr weit marxaußen steht, folgendes:
„Frauen vorzuziehen, weil sie Frauen sind, kann aus feministischer Sicht kontraproduktiv sein, wenn ihnen die Qualifikation fehlt. Es wäre so, als würde man eine Chirurgin kurz nach ihrer Fachärztinausbildung gleich zur Chefärztin befördern oder eine junge Pilotin zur Lufthansa-Chefin. Die Wahrscheinlichkeit, dass es schiefgeht, ist überproportional groß. Diejenigen, die Frauen ohnehin weniger zutrauen, können sich im wahrscheinlichen Fall eines Scheiterns bestätigt fühlen. Bei Frauenförderung geht es darum, dass Bewerberinnen bei gleicher oder nahezu gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Die Frage ist also, ob Habeck und Baerbock gleich gut qualifiziert sind.“
Geschlechtergerechtigkeit ist etwas völlig anderes als Privilegierung des früher benachteiligten Geschlechts – Man kann altes Unrecht nicht durch neues Unrecht heilen
Altlinken und Feministen der ersten und zweiten Welle geht es, anders als denen der dritten Welle (Der Feminismus der dritten Welle ist ein sophistischer Existenzialismus, wie die Philosophin Dr. Claudia Simone Dorchain zeigte), nicht um Frauenförderung – der ganze Grundansatz ist schon völlig falsch –, sondern um Geschlechtergerechtigkeit. Das ist etwas völlig anderes.
Gerechtigkeit heißt, nicht den Einen auf Grund äußerer Merkmale, die nichts mit der Sache, nichts mit seiner Qualifikation für die Aufgabe zu tun haben, zu privilegieren, sei es weil er derselben Geschlechtergruppe angehört wie man selbst oder sei es weil er einer Gruppe angehört, die früher benachteiligt wurde. Dieses Unrecht kann man nicht nachträglich durch inverses Unrecht heilen, sondern man begeht dann eben neue Ungerechtigkeiten.
Gerechtigkeit bedeutet hier vielmehr: von solchen äußerlichen Dingen völlig zu abstrahieren. Sie dürfen schlicht gar keine Rolle spielen. Den einen Sexismus durch einen inversen solchen zu ersetzen, dreht das ganze nur um, stellt aber das Grundübel nicht ab, sondern verlängert es gerade, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen.
Von der Qualifikations- zur Charakterfrage
Doch zurück zu Silke Mertens, die nach Auflistung der jeweiligen Qualifikationen zu dem Ergebnis kommt:
„Kurzum: Habeck ist der qualifiziertere Bewerber. Es ist kein Verrat am Feminismus, nicht von einer Frau regiert werden zu wollen, die so etwas noch nie gemacht hat.“ (Habeck hat unter anderem sechs Jahre Erfahrung als Landesminister und stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig Holstein.)
Inzwischen aber ist einiges dazugekommen bei Baerbock, was über das keinerlei Regierungserfahrung und geringere Qualifikation hinausgeht, nämlich die Charakterfrage. Ich erlaube mir zu zitieren, was ich am 22. Mai schrieb:
Es geht um Glaubwürdigkeit: Frau Baerbock, ziehen Sie Ihre Kandidatur zurück!
Dieses charakterliche Muster war bereits Ende Mai für jeden erkennbar, der etwas genauer und unbefangen hinschaute. Und seither verdichten sich die Belege für dieses Muster beinahe täglich. Inzwischen merken sogar SPIEGEL-Journalisten, dass dies das eigentliche Thema ist, um das es hier geht:
Frau Baerbock, Sie sollten in ihrem eigenen Interesse, im Interesse Ihrer Partei, auf welche das alles ja abfärbt, und im Interesse dieses Landes und seiner 83 Millionen Bürger von ihrer Kanzlerkandidatur zurücktreten respektive diese selbst zurückziehen. Dazu gehört eine gewisse innerliche Größe, das weiß jeder. Genau das aber wäre ein erster Ansatz, um das wiederzuerlangen, was Ihnen ansonsten droht, immer mehr verloren zu gehen: Glaubwürdigkeit.
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