Plagiatsaffäre: Franziska Giffey wird der Doktortitel entzogen

Von Jürgen Fritz, Do. 10. Jun 2021, Titelbild:  tagesschau-Screenshot

Nun ist es offiziell: Die Freie Universität Berlin entzieht Franziska Giffey den Doktortitel. Das entschied die Hochschule am Donnerstag, nachdem externe Gutachter zuvor zum Schluss gekommen waren, dass eine Rüge nur in einem „minderschweren Fall“ des Plagiats möglich sei. Gleichwohl will Giffey (SPD), die der massiven objektiven Täuschung überführt wurde, sich nicht zurückziehen, sondern noch in diesem Jahr Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden.

„Täuschung über die Eigenständigkeit ihrer wissenschaftlichen Leistung“ – Giffey hat ihre Promotionsurkunde innerhalb eines Monats zurückzugeben

Nun fiel also die Entscheidung. Der Giffey verliehene Doktorgrad sei „durch Täuschung über die Eigenständigkeit ihrer wissenschaftlichen Leistung erworben worden“, heißt es. Getäuscht worden seien die Gutachter im Promotionsverfahren sowie die Mitglieder der Promotionskommission, die angesichts der unterbliebenen Kennzeichnung von Formulierungen und Literaturnachweisen nicht hätten erkennen können, in welchem Maße die Doktorarbeit allein die geistige Leistung der Autorin wiedergegeben habe. Das Hochschulpräsidium war dem Vorschlag des zweiten Prüfgremiums einstimmig gefolgt.

Die am 30.Oktober 2019 erteilte Rüge wird zurückgenommen, ihre Promotionsurkunde hat Giffey innerhalb eines Monats nach Bestandskraft der Entziehung zurückzugeben.

In einem ersten Prüfverfahren hatte ein Gremium der FU, an dessen Zusammensetzung Giffeys eigene Doktormutter Tanja Börzel beteiligt gewesen war, entschieden, den Doktorgrad nicht zu entziehen, sondern eine Rüge zu erteilen. Das von der FU in Auftrag gegebene Gutachten des Rechtswissenschaftlers Ulrich Battis verwies hinterher darauf, dass eine Rüge aber nur in einem minderschweren Fall einer Täuschung verhängt werden könne, der hier aber offensichtlich nicht vorliegt.

In seinem Bericht wies das Prüfgremium darauf hin, dass Flüchtigkeitsfehler und Zahlendreher bei der Bewertung der Arbeit nicht weiter berücksichtigt wurden. Insgesamt 69 problematischen Stellen seien „eindeutige Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis“. Damit seien die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Doktorgrades gegeben.

Die FU müsse jetzt klären, welche Verantwortung Giffeys Doktormutter zukommt und ob sie als Vorsitzende des Promotionsausschusses des Otto-Suhr-Instituts an der FU „noch länger tragbar“ sei, sagte der CDU-Abgeordnete Adrian Grasse am Donnerstag. Das Institut habe den „Ruf der FU aufs Spiel gesetzt und der Exzellenzuniversität schweren Schaden zugefügt“.

Der vorsätzlichen objektiven Täuschung überführt

Im Mai war bereits durchgesickert, dass das Prüfgremium in dem neuen Verfahren auf eine Aberkennung des Doktortitel plädieren würde. Franziska Giffey war daraufhin von ihrem Amt als Familienministerin zurückgetreten. Als Landesvorsitzende der Berliner SPD und als Spitzenkandidatin der SPD für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin in Berlin hält sich Giffey und hält auch die SPD die überführte Plagiatorin durchaus für gut genug.

Schon seit 2019 lagen Plagiatsvorwürfe gegen die SPD-Politikerin und damalige Bundesfamilienministern vor. Über hundert Stellen in ihrer Doktorarbeit wurden moniert. Auf ca. jeder dritten Seite wurden Verstöße gegen wissenschaftliche Regeln festgestellt. Eine Prüfung durch die Freie Universität (FU) in Berlin, wo Giffey einst promovierte, ergab, dass mindestens an 27 Stellen sogar eine „objektive Täuschung“ vorliege. Gleichwohl erteilte die FU Berlin der SPD-Politikerin lediglich eine Rüge, wollte ihr den Doktortitel nicht aberkennen. In Berlin regiert Rot-Dunkelrot-Grün, ob das eine Rolle spielt, darüber kann aber nur spekuliert werden.

Ein Rechtsgutachten stellte dann aber fest, dass eine Rüge allenfalls in einem minderschweren Fall  zulässig sei. Daraufhin kündigte die FU Berlin an, Giffeys Doktorarbeit noch einmal prüfen zu wollen, ob wirklich nur ein minderschwerer Fall vorliege.

Kann es sein, dass Giffey aus Versehen, ohne Absicht, ohne Versatz bei anderen abgeschrieben hat, ohne das kenntlich zu machen? Wenn es um eine Doktorarbeit geht, ist unbewusstes Abschreiben nicht glaubhaft. Als Doktorand, der ein Studium absolviert hat, weiß man, was erlaubt ist und was nicht“sagt die Rechtsanwältin Bettina Trojan, Expertin für urheber­recht­liche Frage­stel­lungen, nicht speziell auf Giffey bezogen, sondern ganz allgemein. Das aber heißt, auch Giffey, so viel Kompetenz darf ihr unterstellt werden, wusste, was erlaubt ist und was nicht. Sie hat sicherlich nicht unbewusst aus Versehen abgeschrieben, ohne es anzugeben.

Giffey wollte dann auf die Führung ihres Titels verzichten, als ob eine Doktortitel etwas wäre, was man nach Belieben sich nehmen und weglegen könnte, ganz wie man es gerade braucht

Nachdem klar war, dass die Angelegenheit nach dem Rechtsgutachten erneut aufgerollt wird, um zu prüfen, ob eine Rüge in diesem Falle wirklich ausreicht oder ob die Verfehlungen und Täuschungen nicht so massiv sind, dass sogar der Doktortitel aberkannt werden müsse, hatte Giffey schnell die FU angeschrieben und klar gestellt, dass sie auf den Titel fortan „verzichten“ wolle. Als Begründung gab sie an: um Schaden von ihrer Partei, ihrer politischen Arbeit und ihrer Familie abzuhalten. Zugleich versicherte sie weiterhin, die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verfasst und eingereicht zu haben.

Dabei unterschrieb Giffey wie jeder Doktorand aber eine eidesstattliche Erklärung, dass sie nirgends abgeschrieben habe, ohne das kenntlich zu machen und anzugeben. Ihr Amt wollte Giffey gleichwohl behalten, dann eben nur noch als Frau Giffey und nicht mehr als Frau Dr. Giffey.

Das Prüfverfahren lief nun aber und konnte von der SPD-Politikerin nicht eigenhändig gestoppt werden, denn den Doktortitel aberkennen kann nur die Hochschule. Somit war klar, dass Giffey aus der Nummer so billig nicht herauskommen würde. Sie hatte schließlich, wie erläutert, eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, nirgends abgeschrieben zu haben, ohne das kenntlich zu machen.

Als Bundesfamilienministerin trat Giffey dann Mitte Mai zurück, als ihr klar war, was auf sie zukommt. Dieses Amt hätte sie aber nach der Bundestagswahl ohnehin noch dieses Jahr abgeben müssen, hat dies also nur einige Monate vorgezogen.

Wie verfuhr man in anderen, ähnlichen Fällen von Plagiatsvorwürfen von Spitzenpolitikern und Ministern?

Wie war das eigentlich im Falle von Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der 2011 ebenfalls des Plagiats bei der Erstellung seiner Doktorarbeit überführt wurde? Gab der sein Ministeramt nicht erst kurz vor der Bundestagswahl auf und zog sich ganz aus der Politik zurück?

„Hier geht es um die Glaubwürdigkeit der Politik“, sagte damals Dr. Karl Lauterbach (SPD) im Deutschen Bundestag in Richtung Guttenberg und Union, dass es sich nur um handwerkliche Fehler gehandelt habe. Und Lauterbach weiter: „Ich hätte Herrn zu Guttenberg die Geste der Demut und des Bedauerns abgekauft, wenn er heute konsequent seinen Rücktritt erklärt hätte.“ Dabei habe Guttenberg jede Glaubwürdigkeit verloren, denn „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn der dann die Wahrheit spricht.“

Und der SPD-Politiker fuhr fort: Guttenberg habe an die Universität geschrieben, er habe zu keinem Zeitpunkt vorsätzlich oder absichtlich getäuscht. Und dann wörtlich: „Ja was ist denn das, wenn nicht eine weitere Lüge ?!“, woraufhin die SPD-Fraktion im Bundestag applaudierte, inklusive dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier übrigens. Das Problem sei nicht, dass der Verteidigungsminister betrogen und gelogen habe, das Problem sei, dass er es weiter tue und trotzdem glaube, im Amt bleiben zu können.

Und Lauterbach setzte noch einen drauf: „Er lügt fortwährend … Wir lassen uns doch hier nicht zum Narren halten. Jeder Richter, jeder Bürgermeister, jeder Lehrer, jeder Siemensmitarbeiter hätte nach so einem unglaublichen Betrug sofort seine Kündigung gesehen, aber für den Minister sollen hier Sonderregelungen. … Ich kann doch niemals wieder einem Studenten etwas vorwerfen, wenn wir das hier durchgehen lassen. (…)

Der einzige Arbeitsplatz, wo man trotz Abschreiben, trotz Plagiat, trotz wissenschaftlicher Fehlversuche seinen Arbeitsplatz nicht verliert, ist im Kabinett von Frau Merkel. Überall sonst fliegt man raus“, sagte Lauterbach (SPD). Und er hatte ja Recht. Doch was ist nun mit Giffey?

Beansprucht Giffey für sich Sonderregelungen und will sogar politisch noch weiter Karriere machen, noch weiter aufsteigen?

Sie ist jetzt kurz vor der Bundestagswahl von ihrem Amt als Bundesministerin zurückgetreten, möchte aber noch dieses Jahr Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Giffey will also weiter Karriere machen in der SPD und in der Politik. – und das ohne jede größere Pause. Doch wie ist das in anderen Parteien gewesen?

Auch Silvana Koch-Mehrin, damalige Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament, wurde überführt, großflächig abgeschrieben zu haben, ohne das kenntlich zu machen, ohne die Quellen anzugeben. Der Titel wurde ihr 2011 entzogen. Die Hoffnungsträgerin der FDP legte daraufhin sämtliche politischen Ämter nieder.

Annette Schavan (CDU), damals Bundesbildungsministerin wurde der Doktortitel 2013 ebenfalls wegen Plagiats aberkannt. Daraufhin trat sie als Bundesbildungsministerin zurück. Sie ging wegen der Aberkennung vor Gericht und verlor. Das Gericht bestätigte, dass der Doktortitel nicht zu Unrecht aberkannt wurde. Dann nahm der Vatikan Schavan als deutsche Botschafterin auf. Annette Schavan hatte Theologie studiert, war aber nach Aberkennung des Doktortitels sogar ganz ohne Hochschulabschluss, weil sie auch nie einen Magister und kein Examen abgelegt hatte. Den Vatikan störte das gleichwohl nicht, dieser hat ja seit jeher seine ganz eigene Moral, die er anwendet, wie ihm beliebt. Und die SPD?

SPD und moralische Prinzipien?

Dabei war Dr. Karl Lauterbach nicht der Einzige in der SPD, der sehr deutliche Worte für den damaligen Verteidigungsminister Guttenberg fand. Der heutige Bundespräsident und damalige SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier sagte: „Die Kanzlerin hat sich hinter ihn gestellt, als seien das Kleinigkeiten, die Herrn Guttenberg vorgeworfen wurden. Tatsächlich war es eine Demütigung der gesamten Wissenschaftslandschaft in Deutschland.“

Und der kürzlich verstorbene, damalige parlamentarische Geschäftsführer der SPD Thomas Oppermann bezeichnete Guttenberg als „Hochstapler und Lügner“. Die SPD bezeichnete Guttenbergs Rücktritt als „überfällig und unausweichlich“. Für Kanzlerin Angela Merkel komme dieser Rücktritt aber zu spät, denn: „Sie hat sich kräftig blamiert, ihre Glaubwürdigkeit ist beschädigt, sie hat dem Ruf der Politik Schaden zugefügt“, so Thomas Oppermann (SPD).

Parallelen tun sich auf zwischen Giffey, Guttenberg, Koch-Mehrin, Schavan und weiteren Spitzenpolitikern, aber die Folgen scheinen nun andere zu sein. Wie kommt’s? Wandel des Zeitgeists mit Warp-Geschwindigkeit oder gelten für SPD-Politiker andere Prinzipien als für solche der Union und der FDP oder sogar gar keine?

Karl Lauterbachs Rede im Deutschen Bundestag in der Causa Guttenberg

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