Universalistisches Nationalstaatsdenken und gruppenegoistischer Nationalismus

Von Jürgen Fritz, Di. 21. Jun 2022, Titelbild: Elionas, Pixabay, CC0 Creative Commons

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist eines der Grundrechte des Völkerrechts. Es besagt, dass jedes Volk das Recht hat, frei über sich selbst zu entscheiden, frei zu sein von Fremdherrschaft. Dieses Recht ermöglicht es einem Volk, einen eigenen nationalen Staat zu bilden. Das universalistische Nationalstaatsdenken ist etwas grundsätzlich anderes als ein rein gruppenegoistischer Nationalismus.

Staat – Staatsvolk – Nation

Ein Staat besteht bekanntlich aus einem Staatsgebiet plus einem Staatsvolk plus einer Staatsgewalt. Das Staatsvolk ist die Summe aller Staatsangehörigen, manchmal auch als Volk im rechtlichen Sinne bezeichnet. Darüber hinaus gibt es das Volk im natürlichen Sinne, die Nation.

Eine Nation ist die Summe aller Menschen, die durch eine gemeinsame Abstammung, Tradition, Sprache, Kultur, durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ein Nationalbewusstsein eine Einheit bilden.

Nationalstaat

Sind Staatsvolk und Nation weitgehend deckungsgleich, spricht man von einem Nationalstaat. Finden sich dagegen viele Nationen innerhalb eines Staates, dann von einem Vielvölkerstaat, so etwa in der ehemaligen UDSSR, im früheren Jugoslawien oder heute in China und Russland.

In Mehr- oder Vielvölkerstaaten sehen wir nicht selten, dass diese aufgrund der geringeren inneren Homogenität und Solidarität weniger stabil sind und dass es bisweilen zur Unterdrückung einzelner Nationen und Ethnien kommt. Der Nationalstaat ist ein Staatsmodell, das auf der Idee und Souveränität der Nation beruht.

Universalistisches Nationalstaatsdenken

Einem universalistischen Nationalstaatsdenken muss es darum gehen, dass jede Nation ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen kann, dass kein Land von einem mächtigeren, größeren, stärkeren, brutaleren, rücksichts- und hemmungsloseren in imperialistischer Manier überfallen, niedergemetzelt oder unterjocht bzw. sich einverleibt werden darf.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist eines der Grundrechte des Völkerrechts. Für dieses kämpft derzeit die Ukraine, welche sich einem völkerrechtswidrigen, verbrecherischen Angriffskrieg durch die Russische Föderation, ein Vielvölkerstaat, ausgesetzt sieht, der die Souveränität des ukrainischen Staates und die ukrainische Nation negiert, der gänzlich unhistorisch und faktenwidrig bestreitet, dass es so etwas wie eine ukrainische Nation überhaupt gäbe. 

Gruppenegoistischer Nationalismus

Einem rein egoistischen Nationalismus, den nur die eigene Nation interessiert oder deren Interessen und deren Wohl vollkommen über das aller anderen gestellt wird, andere mithin tendenziell nie als gleichberechtigte Partner einer allgemeinen Weltordnung, sondern eher als reines Mittel zum Zweck für das eigene Wohl gesehen werden (Gruppenegoismus), ist unter Umständen egal, was mit anderen Nationen gemacht wird, solange es nur die eigene nicht betrifft und sie nicht direkt darunter leidet.

Ja, er kann solche Überfälle, Angriffskriege, Massaker und Vernichtungen der Souveränität anderer sogar selbst ausführen oder die Überfälle anderer befürworten, mittragen und unterstützen, wenn er sich davon Vorteile für das eigene Land verspricht, indem zum Beispiel dann bessere Geschäfte mit der imperialen Macht gemacht werden können oder er etwas von der Beute abbekommt.

AfD

Moralisch stehen also der gruppenegoistische, primär ichbezogene Nationalismus und der universalistische Nationalismus auf völlig unterschiedlichen Stufen. Ich hoffe, dass ich der AfD (Alternative für Deutschland) kein Unrecht tue, aber nach meiner Beobachtung bewegt diese sich auf der Ebene des reinen Gruppenegoismus. Universalistisches Denken, das die eigenen egoistischen Interessen transzendiert, scheint dort vielen vollkommen fremd zu sein.

Universalismus und Unparteilichkeit

In der Ethik (Moralphilosophie) unterscheidet man zwischen Universalismus und Unparteilichkeit. Diese dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Moralischer Universalismus bedeutet: Moralische Normen konstituieren sich in allgemeinen Prinzipien oder auch konkreten Einzelfallurteilen, die Allgemeingültigkeit (Universalität) beanspruchen, die also für alle moralischen Subjekte gültig sind. Moralischer Universalismus bedeutet mithin, dass die Normen für alle Menschen gleichermaßen verbindlich sind.

Parteilichkeit und Unparteilichkeit beziehen sich dagegen nicht auf den Subjekt-, sondern auf den Objektkreis, also auf die Frage, wem gegenüber jene formulierten Normen zu beachten sind. Damit gibt es alle vier Möglichkeiten aus der Verbindung dieser beiden Normtypen:

  1. Eine Norm oder eine gesamte Moral kann universalistisch und unparteilich sein, z.B. „Keiner soll einem anderen unnötig Leid zufügen“ oder „Jeder soll die Würde eines jeden anderen achten“ oder „Jede Nation hat die moralische Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht aller anderen Nationen anzuerkennen und zu achten.“ Auch die goldene Regel „Behandle jeden anderen so, wie du selbst von ihm behandelt werden möchtest“ (oder: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu“) und Kants kategorischer Imperativ „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“, gehört hierher.
  2. Eine moralische Norm und eine Moral insgesamt kann aber auch universalistisch und parteilich sein: „Jeder soll sich nur um sich selbst und seine Familie kümmern“ oder „Jede Regierung soll sich ausschließlich am Wohl des eigenes Volkes orientieren“ (allgemeiner Gruppenegoismus, der auch allen anderen zugestanden wird).
  3. Sie kann ferner nichtuniversalistisch, sondern nur auf eine spezielle Gruppe bezogen und unparteiisch sein: „Christen / Buddhisten sollen jedem Menschen mit Wohlwollen (Nächstenliebe) begegnen“ oder „Europäer haben alle anderen Kulturräume genau so zu achten, wie ihren eigenen“, „Weiße dürfen niemanden diskriminieren“. Hier kann dann leicht eine schiefe Ebene entstehen, wenn andere diese Normen umgekehrt nicht teilen und man selbst auch gar nicht den Anspruch an sie erhebt, dass sie diese Normen umgekehrt auch beherzigen sollten. Man selbst ist dann unparteiisch und gestattet es anderen aber, parteiisch zu sein, und findet das in Ordnung oder beurteilt es überhaupt nicht.
  4. Und eine Moral und moralsiche Normen können schließlich auch nichtuniversalistisch und parteiisch sein: „Anhänger von X sollen ihren Glaubensbrüdern beistehen und zusammenhalten“ (spezieller Gruppenegoismus). Womöglich zusätzlich: „Alle anderen, die nicht zu X gehören, haben die Pflicht, sich den X-Anhängern unterzuordnen.“ Oder aber: „Weiße dürfen Farbige nicht diskriminieren“, „Männer haben in Konkurrenzsituationen Frauen stets den Vortritt zu lassen“.

Die Regeln im Sport sind normalerweise universalistisch und unparteilich (1). Ebenso universalistisches Nationalstaatsdenken.

Allgemeiner gruppenegoistischer Nationalismus dürfte dagegen in Rubrik (2) passen, rücksichtsloser Imperialismus, sofern er anderen nicht zugesteht, das Gleiche anzustreben, sondern eine eigene natürliche Überlegenheit / Höherwertigkeit postuliert, aus welcher er ein besonderes Recht ableitet, andere zu unterdrücken, in Rubrik (4). 

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