Von Jürgen Fritz, Mo. 23. Dez 2019, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons
Von klugen Mitstreitern wird mir immer wieder gesagt, sie halten es für falsch, das Christentum zu bekämpfen. Ihr Argument: Die meisten Menschen bräuchten nun einmal irgendwelche metaphysischen Spekulationen, sie könnten schlicht nicht ohne. Das müsse man akzeptieren oder zumindest hinnehmen. Und dann sei es besser, die Leute glaubten an die christlichen Mythen als an andere, die noch viel schlimmer seien. Die christlichen Konstrukte, Mythen und Morallehre seien quasi unter diesen ganzen Spekulationen noch das kleinste Übel. Daher solle man dies eher fördern, auf keinen Fall aber bekämpfen, denn sonst würden die Leute am Ende eher auf noch Schlimmeres ausweichen, wie man ja allenthalben sehen könne. Dazu folgende Anmerkungen.
1. Man sollte Menschen nicht wie Idioten behandeln, selbst dann nicht, wenn sie sich so verhalten, denn dann bleiben sie immer so
Dieses Argument läuft letztlich darauf hinaus zu sagen, die Menschen brauchen mehrheitlich irgendwas Idiotisches, also soll man ihnen doch das am wenigsten Schlimme Idiotische lassen, bevor sie auf noch Schlimmeres ausweichen. Dem liegt ein extrem negatives Menschenbild zu Grunde, welches aber zugegeben nicht ganz unrealistisch ist. Die Menschen sind zum Großteil ziemlich blöde, wobei solche Einschätzungen natürlich immer relativ sind. Selbst der Blödeste ist natürlich noch schlauer als eine individuelle Ameise, aber eine Ameise sollte vielleicht nicht unbedingt der Maßstab für uns sein.
Warum akzeptiere ich dieses extrem negative Menschenbild nicht? Weil ich anderen nicht vorne herum mit einem Lächeln begegnen möchte und dabei insgeheim denken, dass sie Idioten sind. Das nämlich würde heißen, man nimmt den anderen nicht als Erwachsenen, nicht als mündigen Menschen ernst. Man behandelt ihn letztlich wie ein Kind, das man permanent betrügen und an der Nase herum führen muss, weil man es für zu blöde hält, ihm seine Argumente offen und ehrlich ins Gesicht zu sagen, auch wenn man weiß, dass der andere das nicht hören möchte.
Genau das Gegenteilige, die Menschen wie Idioten behandeln, machen natürlich sehr, sehr viele Politiker und Machthaber und sie haben natürlich nicht ganz Unrecht, wenn sie sagen: die breite Masse will belogen werden (siehe dazu meine Ausführungen in: Irrtum, Lüge, Ideologie: Die drei Gestalten des irrenden und irreführenden Bewusstseins), also geben wir, was sie will. Damit mag man Erfolg haben, aber es ist natürlich verlogen und führt immer weiter und tiefer in den Sumpf der Verlogenheit und Heuchelei, verdirbt die Menschen innerlich auf beiden Seiten, die Lügner und die Belogenen, die nach solchen Lügen dürsten. Mein Gegenmodell ist sehr viel kontingenter und schwieriger, ja, aber es ist ehrlicher und aufrichtiger. Wir müssen uns gegenseitig mehr abverlangen, auch wenn es unbequem ist. Alles andere ist unwürdig.
2. Von wegen das Christentum wäre weniger schlimm als andere metaphysische Spekulationen
Bei diesen klugen Ratgebern stellt sich die Frage, was sie überhaupt über das Christentum wissen. Nach meiner Erfahrung wissen selbst die allermeisten Christen schon so gut wie gar nichts über die wahre Geschichte des Christentums, sondern kennen nur den Narrativ (die Lügen), den die christliche Kirche selbst kolportiert, welche über 1500 Jahre gewütet hat wie wahrscheinlich niemand anders in der Menschheitsgeschichte und welche an Verlogenheit schwerlich zu übertreffen sein dürfte.
Die klugen Ratgeber kennen genau wie die heutigen Christen nur moderne Christen, die zum Großteil durch die Aufklärung zumindest ein wenig geläutert sind. Europäische Christen verbrennen keine „Ketzer“ (andere Christen, die „falsch glauben“), „Heiden“, „Ungläubige“, „Juden“ und „Hexen“ mehr. Sie schlagen sie nicht mehr tot. Sie werfen sie nicht mehr in Kerker, wo sie sie tagelang foltern. Sie vernichten nicht mehr alle anderen Heiligtümer aller anderer Religionen. Sie segnen keine Kanonen mehr. Päpste führen keine Kriege mehr. Sie bläuen ihren Kindern den „richtigen Glauben“ nicht mehr mit Händen und Stöcken ein. All das ist aber eine sehr junge Entwicklung, gegen die die katholische und auch die evangelische Kirche sich mit Händen und Füßen wehrte. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein haben Christen gnadenlos und grausamst gemordet, wie moderne Menschen sich das gar nicht mehr vorstellen können.
Das Argument, das Christentum sei weniger schlimm als andere metaphysische spekulative Weltanschauungen, scheint mir also völlig verkehrt zu sein und auf enormer Unkenntnis zu beruhen. In Wahrheit ist es wohl eher genau umgekehrt: Keine andere metaphysisch spekulative Weltanschauung war so schlimm wie das Christentum, auch nicht der Islam, der – nicht von seinen „heiligen Schriften“ her, aber praktisch – über viele, viele Jahrhunderte sehr viel toleranter war gegen Andersgläubige als die Christenheit (siehe dazu beispielsweise diesen Film über die Muslime in Andalusien). Das ist kein Argument für den Islam, sondern eines gegen das Christentum. Ich werde, so man mich lässt und so ich die Kraft dazu finde, versuchen, dies in den kommenden Monaten zu belegen.
3. Wir können nicht von Muslimen Selbstkritik einfordern und das gegenüber dem Christentum aber nicht gleichermaßen verlangen
Wenn wir von den Muslimen erwarten und verlangen, dass sie sich offen, wahrhaftig und selbstkritisch der Geschichte ihrer metaphysisch spekulativen Weltanschauung stellen sollen, dann können wir das nicht für das christlich geprägte Europa ablehnen und uns selbst davor drücken.
Die Überlegenheit Europas und der westlichen Welt im 18., 19. und 20. Jahrhundert beruhte auf der Fähigkeit zur Selbstkritik, auf geistiger Offenheit (gute, fortschrittliche Dinge von anderen übernehmen, das geht zurück bis zu den antiken Griechen, der ersten Aufklärung der Menschheitsgeschichte, was den Aufstieg Europas grundlegte). Unsere Überlegenheit basierte auf der Aufklärung und dem wissenschaftlichen Denken, das so nur in Europa entwickelt und von anderen sukzessive zumindest zum Teil übernommen wurde.
All dies geschah immer gegen das Christentum, welches der Aufklärung, überhaupt der Ratio immer mit einem Ressentiment begegnete. Das geht zurück bis zu Paulus, den Erfinder des Christentums, der den Juden Jesus vollkommen instrumentalisierte und dessen jüdische Lehre völlig verdrehte und der schon starke Ressentiments gegen die Vernunft hatte, was bei christlich indoktrinierten und erzogenen Menschen bis heute nachwirkt. Warum metaphysische Spekulanten und Scharlatane die Vernunft immer fürchten, dürfte klar sein.
4. Europa braucht eine Klärung seiner Identität, das Christentum ist hier nichts Identitätsstiftendes, sondern etwas Spaltendes
All das spricht nicht gegen jegliche Religion oder gar gegen Meditation, Beten, eine kultivierte Innerlichkeit etc. Es spricht zum Beispiel auch nicht rundum gegen den Buddhismus, aber es spricht gegen das Christentum, welches das Böse in die Welt trug, Stichwort: die mosaische Unterscheidung (Jan Assmann): Moses ließ alle „Ungläubigen“, die eigenen Brüder und Väter von den Leviten erschlagen. Hier zeigte sich erstmalig eine Ideologie von ihrer ganzen Grausamkeit, ihrer absoluten Intoleranz, indem sie die eigenen Familienmitglieder einander umbringen lässt, nur weil diese die eigenen metaphysischen Spekulationen und Vorstellungen nicht teilen. Hier im Judentum (als Religion), der Mutter des Christentums, wurde wohl eine neue Qualität der Gewalt und Intoleranz in die Welt gebracht.
Was Europa und die westliche Welt brauchen, ist eine Klärung seiner Identität. Diese kann nicht auf dem Christentum beruhen, welches niemals, zu keinem Zeitpunkt ein angemessenes Verhältnis zur Gewaltfrage entwickelte (siehe dazu meine Erörterungen in: Das Verhältnis von Vernunft und Gewalt). Auf die größte Brutalität zur Durchsetzung der eigenen Ideologie (die mosaische Unterscheidung) folgte der völlige Pazifismus (bei dem völlig machtlosen Jesus), dann wieder die größtmögliche Grausamkeit zur Durchsetzung der eigenen Ideologie, sobald die Christen selbst am Drücker waren. Dieses völlige Missverhältnis zur Gewalt, sei es in die eine oder die andere Richtung, zeigt die tiefe seelische Erkrankung der vom Christentum innerlich Ergriffenen (Kontaminierten).
5. Das Christentum sollte in einem Selbstheilungsprozess endlich überwunden werden
Wäre das Christentum der Kristallisationspunkt der europäischen Identität, würde zudem rund die Hälfte der Europäer ausgeschlossen werden. Dies ist also ein völliger Irrweg. Vielmehr stellt sich die Frage, ob das Christentum – keine europäische Erfindung!, sondern genau wie das Judentum und der Islam eine aus dem Nahen Osten – überhaupt noch Teil der europäischen Identität sein kann oder ob es nicht ein endlich zu Überwindendes ist. Wir Europäer haben Einzigartiges hervorgebracht, wir sollten in einem Selbstheilungsprozess das Christentum vollends überwinden und gänzlich hinter uns lassen, stolz sein auf das, worauf wir zurecht stolz sein können, ohne alles zurecht zu biegen respektive uns die Welt ständig zusammen zu lügen, dass sich die Balken biegen.
Wie soll derjenige, der den Selbstlügen der anderen mit den eigenen Selbstlügen begegnet, besser sein als diese? Europäer aber können besser sein als alle anderen, indem sie wahrhaftiger sind und dieses einzigartige Territorium auf diesem Planeten, in der das möglich ist, schützen und bewahren. Wir können reflektierter, ehrlicher, selbstkritischer sein als alle anderen und zugleich moralischer (damit ist nicht die dümmlich-naive Christenmoral gemeint mit ihrem gestörten Verhältnis zur Sexualität und zur Frau) und wissenschaftlich-technologisch führend. Dazu müssen wir den technologischen Kampf mit China aufnehmen, welches hier enorm Tempo macht.
6. Die pazifisitsche Jesus-Moral macht die Welt nicht besser, sondern schadet ihr ungemein, weil so das Feld den anderen überlassen wird
Dazu brauchen wir eine andere als die undifferenzierte, naiv-pazifistische Jesus-Moral: „Wenn dir einer auf die rechte Backe haut, dann halte ihm deine Linke hin!“, „Wenn einer dir dein Hemd nehmen will, so gib ihm auch noch den Mantel!“. Nein, nix Hemd und Mantel hergeben, sondern den Ärmsten der Welt helfen, dass sie endlich lernen, sich selbst ihre Hemden und Mäntel herzustellen. Auch deswegen sollte das Christentum überwunden werden.
Eine Hochkultur muss nicht andere erobern und unterdrücken, aber sie muss sich schützen. Sie muss verteidigungsfähig sein, denn ansonsten geht sie unter. Auch davon wusste der jüdische Endzeitapokalyptiker aus Galiläa, die vorweggenommene Greta, nichts. Wir aber sollten das wissen. Auch hier hilft das Christentum also nicht, ganz im Gegenteil, es schadet ungemein, weil es entweder immer tiefer in die Verlogenheit und damit in die moralische Verkommenheit abdriftet und alles verdreht, wie wir das im Christentum seit der ersten Stunde an sehen, oder weil es, wenn es authentisch bei Jesus bleibt, den Menschen den jesuanischen Pazifismus einimpft, mit dem man in dieser Welt, so wie sie nun einmal ist, da müssen wir Realisten sein!, nicht bestehen kann.
7. Lasst uns den Fluch des Christentums endlich überwinden
Der sehr bekannte und renommierte Philosoph Herbert Schnädelbach, 1988 und 1990 Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland, schrieb dazu bereits vor knapp 20 Jahren (im Mai 2000) seinen berühmten Artikel: Der Fluch des Christentums, der mit den Worten endet:
„Erst in seinem Verlöschen könnte sich der Fluch des Christentums doch noch in Segen verwandeln.“
Lasst uns daran alle gemeinsam arbeiten und etwas Einzigartiges auf diesem Planeten erschaffen, was allen anderen als Vorbild dienen kann, so dass sie auf diesen Erdteil voller Bewunderung schauen und von uns zu lernen begehren und uns nicht als die Trottel der Welt ansehen, mit denen man alles machen kann. Lasst uns Deutschland und Europa nicht nach unten auf ein Mittelmaß zwischen afrikanischem, arabischen und europäischen Niveau nivellieren, dass keiner mehr zu uns kommen will, weil es überall auf der Welt gleich schlecht ist, sondern es besser machen als es jemals war, so gut, dass drei Viertel der Welt gerne zu uns kommen und mit uns leben würden, weil sie wissen, dass es hier am besten ist, am ehrlichsten und gerechtesten zugeht. Lasst uns das Christentum endlich überwinden!
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