Von Jürgen Fritz, Mi. 29. Jan 2020, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons
Die Einfältigkeit, um nicht zu sagen fast schon kindliche Naivität des Herrn Götz Kubitschek, des ethnopluralistischen Spiritus rector der Neuen Rechten, man könne sich aus dem Weltgeschehen zurückziehen und als Gesellschaft quasi wie ein Einsiedler leben, in der Hoffnung, alle anderen werden einen dann schon in Ruhe lassen, wenn man nur versichere, dass man es umgekehrt genauso mache, hat schon etwas Niedliches. Ebenso das rein machiavellische, völlig von moralischen Aspekten befreite Denken, gleichsam ein ethikfreier Autismus, der dann aber natürlich doch nicht ohne Bewertungen auskommt – „Imperialismus und Hegemonie, also die USA sind böse!“ -, mithin sofort in sich widersprüchlich wird, ohne es selbst auch nur zu bemerken (mangelhafte Selbstreflexion der eigenen Position und ihrer philosophischen Grundlage?).
Die autistische Argumentation der Ethnopluralisten: Jeder soll doch bei sich machen dürfen, was er will – egal was es ist
Bemerkenswert auch diese autistische Argumentation, was in anderen Ländern und Kulturen geschehe, was dort mit Frauen (von Genitalverstümmelungen über Zwangsheiraten, Ehrenmorde und vieles mehr), mit Kindern (weltanschauliche Indoktrinierung und Abrichtung, Misshandlung, Kinderehen etc.), mit homosexuellen Männern und Frauen, mit Tieren, mit Regime- und Religionskritikern, mit „Ungläubigen“ und Apostaten sowie allen möglichen Minderheiten gemacht werde, interessiere einen selbst überhaupt nicht und all das gehe einen auch gar nichts an, weil es ja dort und nicht hier sei.
Ja mehr noch, das könne gar nicht falsch sein, wenn es dort der Kultur und Tradition entspreche – egal was es ist! -, nach dem Motto, wenn man es dort schon immer, genauer: schon sehr lange so macht und die Mehrheit das so will, dann könne es ja nicht verkehrt sein, auch das Steinigen von Menschen, wenn sie außerehelichen sexuellen Kontakt haben, das öffentliche Auspeitschen von Menschen, das Foltern oder massenweise Verschwindenlassen von Kritikern usw. usf.
Denn keine Kultur habe ja das Recht, über eine andere zu urteilen, weil es ja angeblich keinen neutralen Wertmaßstab gäbe. Niemand habe daher eine Berechtigung, sich von außen einzumischen. Niemals! Als ob das nicht seinerseits eine universale Regel wäre, dass keiner sich bei dem anderen einmischen darf, die woraus abgeleitet werden soll, wenn es keine universale Moral gibt? Also auch hier wieder der innere Widerspruch respektive die Unausgegorenheit der Position des Ethnopluralismus.
Ethnopluralismus und Multikulturalismus sind Zwillingsemanationen des argumentativ gar nicht haltbaren ethischen und kulturellen Relativismus
Was aber, wenn eine Kultur sich darauf beruft, dass ihre gewaltsame Expansion schon seit ihrer Geburtsstunde ganz fest zu ihrem Wesen gehört? Ja, wenn sie über 1300 Jahre eben darauf aufbaute, andere Gesellschaften zu erobern, zu unterwerfen und dann teilweise zu versklaven und auszuplündern. Gäbe es keinen übergeordneten Maßstab, könnte ja auch das nicht verurteilt werden und jeder Imperialismus, auch der menschenrechtsfeindlichste, der nicht primär Kultur bringt, sondern Sklaven holt, könnte in keiner Weise verurteilt werden.
Wir sehen hier die gleiche Anbetung des in sich völlig widersprüchlichen Gleichheitsfetischs genau wie bei den Neuen Linken. Ethnopluralismus und Multikulturalismus sind mithin Zwillingsemanationen des argumentativ gar nicht haltbaren ethischen und kulturellen Relativismus.
Für Ethnopluralisten sind genau wie für Multikulturalisten alle Kulturen gleichwertig – also auch die Nazi-Kultur!, solange die Nazis einen nicht selbst überfallen, was sie mit anderen machen, ist dagegen egal – respektive können gar nicht beurteilt werden, weil es ja angeblich keinen übergeordneten Standpunkt und Maßstab gibt. Daher könne man auch mit jedem Geschäfte machen oder Bündnisse eingehen, dem Iran genauso wie mit Israel oder den USA, je nachdem, wie es einem selbst gerade am meisten nutzt. Oder man hält sich aus allem raus und zieht sich als Gesellschaft gleichsam zurück auf den Bauernhof.
Ethnopluralistische Träumereien haben keine Möglichkeit auf Realisierung, sobald es nur einen einzigen Universalismus gibt
Herr Kubitschek, sind Sie noch nie auf die Idee gekommen, dass die Menschheit sich stets im Krieg befindet und zwar in einem Krieg der Weltanschauungen und Lebenskonzepte, und dass es hier – schon gar nicht im 21. Jahrhundert und in dieser völlig vernetzten, globalisierten, klein gewordenen Welt, in der jede Nachricht binnen Sekunden um die ganze Erde zu gehen vermag – keinen Rückzug in die pazifistische Provinz geben kann?
Ethnopluralistische romantisierende Träumereien hätten nur dann überhaupt auch nur eine Möglichkeit auf Realisierung, wenn es keinen einzigen Universalismus gäbe. Sobald aber nur ein einziger solcher vorhanden ist – und es gibt derer mehrere, nicht nur den aufklärerischen, vernunftgeleiteten, sondern unter anderem zwei monotheistische, von denen der ältere der beiden inzwischen quasi recht zahm wurde, der jüngere aber wieder am expandieren ist (während der älteste der drei bekanntesten Monotheismen, quasi die Mutter der beiden anderen, nicht universalistisch angelegt ist) -, gibt es diese Möglichkeit des Rückzugs nicht und es gilt Farbe zu bekennen und nicht sich vom Schlachtfeld der Weltanschauungen wegzuschleichen auf den Bauernhof oder das Rittergut.
Wer in dem großen Spiel, das sich Weltpolitik nennt, nicht mitspielt, der kann auch keinen Einfluss nehmen auf die Entwicklung der Menschheit und des Angesichts unseres Planeten. Think big mag viele überfordern, die sich als Gesellschaft gerne biedermeierartig in ihr Dorf oder in die warme Stube zurückziehen würden, aber dann werden andere Player diesen Part übernehmen. Die Frage lautet mithin, ob das gewollt werden kann, dass andere das übernehmen, vor allem wenn es sich dabei um solche handelt, die das wesentlich schlechter machen als man es selbst machen könnte, weil sie geistig und kulturell eben nicht auf der gleichen Stufe stehen, was zu erkennen freilich ein Denken in drei statt in zwei Dimensionen voraussetzt, mithin ein Denken auch in der Vertikalen mit einem Oben und Unten, einem Besser und Schlechter.
Sich vom großen Schlachtfeld zu schleichen, ist keine Option für Erwachsene
Das dumpfe rechts- wie linksradikale Aufbegehren gegen den (noch, aber wohl nicht mehr lange) großen Hegemon USA, auch das hat irgendwie etwas Niedliches und im höchsten Grade Provinzielles. In diesem Punkt unterscheiden sich übrigens sogenannte „Konservative“ zumeist fundamental von Neuen Rechten und Rechtsextremisten. Letztere gehen auch in diesem Punkt mit Linksradikalen und Linksextremisten sowie Islamisten konform, die alle das gleiche Feindbild pflegen: die bösen Vereinigten Staaten von Amerika, der böse Kapitalismus und Liberalismus. Die Frage kann hier aber nicht lauten, ob die USA diese Rolle des Weltpolizisten sehr gut, gut genug oder gar perfekt ausfüllen – das wäre doch allzu romantisierend und naiv, so zu fragen -, sondern die realistische Frage muss natürlich lauten, wer das ansonsten besser machen, wer diese Rolle eher ausfüllen könnte.
Und auch hier ist sich vom Schlachtfeld schleichen, keine erwachsene Option, sondern es gilt, sich zu entscheiden, mit wem man sich verbünden will, weil er zumindest ähnliche Werte und Ideale hat, auch wenn man keinen Partner rundherum in seinem So-Sein absolut nur bejahen kann. Das nennt man: Ankommen in der Realität, was natürlich etwas anderes ist als Biedermeier und Romantik.
Wenn Sie also, Herr Kubitschek, klipp und klar sagen: „Mir ist das rückständige, autoritäre Russland (oder das autoritäre China, der Weltmeister im Exekutieren eigener Staatsbürger, oder der autoritäre sunnitische Islam oder der schiitische oder was auch immer) lieber als die USA; mit liberaler Demokratie und ‚Kapitalismus‘, genauer: freiem Wirtschaften, habe ich es sowieso nicht so sehr“, dann, wäre das eine klare Position, so dass jeder sich ein Bild machen könnte, wo Sie im großen Spiel der Kräfte stehen. Sich vom Spielfeld schleichen respektive sich gar nicht erst trauen, dieses zu betreten, sich in eine Ecke abseits des Spielfeldes zurückzuziehen und gar nicht mitspielen wollen, ist dagegen keine wirkliche Option, sondern nichts anderes als eine Fluchtbewegung. Das erscheint mir nicht nur irgendwie realitätsfern, sondern auch – ich will nicht sagen feige, aber doch – zumindest in diesem Punkt profillos.
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