Denkmalsturz: Wehret den Anfängen der Bilderstürmerei

Von Herwig Schafberg, So. 14. Jun 2020, Titelbild: CGTN-Screenshot

In den USA werden Statuen von konföderierten Generälen gestürzt. In Belgien werden an mehreren Orten Denkmäler von König Leopold II. beschädigt oder zerstört. In Bristol wurde die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston von Demonstranten vom Sockel gerissen und ins Hafenbecken geworfen. Aber selbst britische Nationalhelden wie der legendäre Premierminister Winston Churchill und der Entdecker James Cook sind nicht sicher vor dem Zorn der Antirassisten. In Richmond (Virginia) wurde inzwischen sogar eine Statue von Christoph Kolumbus in einen Teich geworfen. Der Historiker Herwig Schafberg warnt vor politischem Ikonoklasmus.

Kritische Auseinandersetzung mit dem Gedenken historischer Personen ja gerne, aber bitte keine Gewalt gegen Statuen

Ich bin zwar für die Errichtung von Denkmälern nur schwer zu begeistern, viel schwerer aber noch für deren Zerstörung, plädiere stattdessen für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gedenken historischer Ereignisse und Personen, beispielsweise durch das Anbringen von Texttafeln, auf denen Verdienste einer abgebildeten Person ebenso dargestellt werden wie Fehlleistungen. Damit könnte jedes Ehren- in ein Mahnmal umgewidmet werden, die Widmung aber auch wieder geändert werden, wenn im Laufe der Zeit eine neue geistige Mode es für angebracht hält. Was gestern noch an einer Persönlichkeit für ehrenwert gehalten wurde, kann heute Stoff für mahnende Worte bieten und morgen schon wieder anders eingeschätzt werden, sofern es dann noch etwas Dargestelltes zu besichtigen gibt und das Objekt nicht im Wasser versenkt oder im Sand verbuddelt wurde.

Die Zornesausbrüche nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd im amerikanischen Minnesota haben eine neue Qualitätsstufe erreicht. Waren die berechtigten Proteste gegen Polizeigewalt seit ihren Anfängen von Plünderungen und Brandschatzungen begleitet, wendet sich die Gewalt vieler Protestierenden jetzt zunehmend gegen Statuen, mit denen einst Männer geehrt werden sollten, auf deren Lebensweg manches zu finden ist, das sie als Akteure mehr oder weniger mit Rassismus oder gar mit Sklaverei in Verbindung bringt.

In unserer westlichen Zivilisation ist Sklaverei zwar längst abgeschafft, doch je länger das zurück liegt, desto mehr scheint der Kampf gegen Sklaverei sowie deren vermeintliche Folgen wieder an Auftrieb zu gewinnen und Menschen massenhaft zu bewegen. Da Sklavenhalter sowie –händler alten Typs in der westlichen Hemisphäre längst ausgestorben sind, hält die Masse sich nun an deren Abbildungen und zerstört diese, statt Zuhälter sowie ähnliche Menschenhändler gleich welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung anzugehen und versklavte Frauen aus deren Fängen zu befreien. Doch wenn eine aufgeregte Menschenmasse erst einmal in Bewegung ist, drängt es sie nicht so sehr nach Befreiung von Menschen, deren Gesichter nicht gerade auf Videos zu sehen sind, sondern viel mehr nach Entladung der Spannung und sucht diese häufig in der Zerstörung von Geschäften, Polizeiwagen oder auch Denkmälern, die sinnbildlich für eine verhasste Gesellschaftsordnung stehen.

Inzwischen muss in London selbst das Denkmal von Winston Churchill geschützt werden

Ob im englischen Bristol ein Denkmal für einen Mann stehen bleiben sollte, der sich zwar als Wohltäter für seine Gemeinde erwiesen hatte, zu seinem Wohlstand jedoch durch Sklavenhandel gekommen war, wurde dort lange diskutiert. Da die Diskussionen keine greifbaren Ergebnisse hervorgebracht hatten, entsorgen Unbefugte die Statue des Mannes in einem Fluss. Und dass sie im Schutz einer geschlossenen Masse eigenmächtig handelten, wurde in deutschen Kommentarspalten allen Ernstes als „ziviler Ungehorsam“ gefeiert.

Diese Aktion blieb kein Einzelfall, sondern war anscheinend beispielgebend für andere Bilderstürmer, von denen manche nicht einmal Winston Churchill für unumstößlich halten, so dass dessen Denkmal in London inzwischen von der Polizei geschützt werden muss. Er wäre „Rassist“ gewesen, heißt es in den Reihen erregter Antirassisten gleich welcher Herkunft und Hautfarbe. Das mag sein und wäre dem Zeitgeist ebenso geschuldet wie der Rassismus eines Karl Marx. Für diesen war Ferdinand Lassalle, sein politischer Konkurrent in der deutschen Arbeiterbewegung, „der jüdische Nigger Lassalle“ – und „Nigger“ waren aus seiner Sicht völlig ungeeignet zur Staatenbildung, wie seinem Briefwechsel mit Friedrich Engels unwiderlegbar zu entnehmen ist.

Einen Voltaire verhaftet man nicht

Ich weiß nicht, ob Churchill den Schwarzen das ebenfalls nicht zutraute und auch deswegen das britische Kolonialreich bewahren wollte; aber ich vermute, dass ohne ihn die Briten 1940 mit dem Deutschen Reich Frieden geschlossen und Europa dem Rassenwahn der Nationalsozialisten überlassen hätten. Vielleicht sollte man in Britannien mehr in die Schulbildung investieren, damit halbgebildete Antirassisten etwas mehr über die historische Bedeutung Churchills erfahren und diesen nicht bloß unter einem Nebenaspekt wahrnehmen.

Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte und es tatsächlich zu einem „Tausendjährigen Reich“ gekommen wäre, gäbe es heute in Europa keine Juden, aber auch kaum Schwarze – wahrscheinlich nicht einmal in Frankreich, wo heute schwarze Aktivisten die Beseitigung eines Denkmals für Jean-Baptiste Colbert in Paris fordern. Colbert, ein Vertreter des Merkantilismus, trug als Finanzminister König Ludwigs XIV. in hohem Maße zur Verbesserung der fiskalischen Einnahmen bei, förderte das heimische Manufakturwesen sowie den überseeischen Handel und war insofern mitverantwortlich für den transatlantischen Sklavenhandel.

Folgte man der Logik manch eines Anti-Rassisten in der um sich greifenden Spiegelfechterei gegen Sklaverei, könnte man auch zum Sturz von Statuen Voltaires (François-Marie Arouet) und John Lockes aufrufen; denn diese beiden Philosophen der  Aufklärung profitierten ebenfalls vom Sklavenhandel. Als während der Unruhen 1968 in Paris der linksradikale Philosoph Jean-Paul Sartre verhaftet werden sollte, lehnte der eher rechts gerichtete Staatspräsident Charles de Gaulle das mit den Worten ab: Einen Voltaire verhaftet man nicht! Ich hoffe, das Geschichtsbewusstsein der politischen Entscheidungsträger und Angehörigen der meinungsbildenden Eliten in Frankreich sowie Britannien ist immer noch stark genug ausgeprägt, um sich mit allen gebotenen Mitteln dafür einzusetzen, dass Colbert ebenso wie Churchill, aber auch Voltaire und Locke weiter unbeschädigt den Platz im öffentlichen Raum einnehmen, der ihrer historischen Bedeutung angemessen ist.

Es gab nicht bloß schwarze, sondern auch weiße Opfer im transatlantischen Sklavenhandel

Leute, die sich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus aller Welt in unserem Lande stark machen, weisen gerne auf das Vorbild des Großen Kurfürsten hin, der einst religiös Verfolgte aus Frankreich in der Mark Brandenburg aufnahm. Ich weiß allerdings nicht, ob sie sich schützend vor das Standbild des Kurfürsten in Berlin stellen, wenn Anti-Rassisten gleich welcher Herkunft und Hautfarbe herausfinden, dass er auch eine Kolonie in Afrika hatte, die am Sklavenhandel beteiligt war. Dabei handelte es sich zwar nur um eine Randerscheinung in der Geschichte Brandenburg-Preußens; doch es gehört zu den nachhaltigen Wirkungen des Hakenkreuz tragenden Furor Teutonicus, dass Anti-Rassisten auf der Straße wie im Parlament ein ziemlich gestörtes Verhältnis zur deutschen Geschichte haben und leichtsinnig dazu neigen, historische Ereignisse und Personen vorwiegend unter dem Aspekt der Betroffenheit von Gruppe zu beurteilen, die von ihnen protegiert werden.

In Amerika stürzt man inzwischen Standbilder von Generälen, die im Sezessionskrieg für die Sklavenhalter-Staaten im Süden kämpften, statt die Ehren- in Mahnmale umzuwidmen. Ich hoffe, dass umstürzlerischen Anti-Rassisten wenigstens vor Stauen von George Washington und Thomas Jefferson Einhalt geboten wird, obwohl diese beiden Gründungsväter der USA ebenfalls Sklavenhalter waren. Der Letztgenannte verkaufte sogar eine Tochter, die er mit einer Sklavin gezeugt hatte, und verhielt sich insofern kaum anders als Jean-Jacques Rousseau, der seine Kinder im Waisenhaus entsorgte, damit er sich nicht um sie kümmern musste. Waisenkinder wurden seinerzeit übrigens zur Arbeit  in Manufakturen oder Haushalten fremder Menschen gezwungen und aus England teilweise sogar zur Zwangsarbeit nach Amerika deportiert. Es gab also – wohlgemerkt – nicht bloß schwarze, sondern auch weiße Opfer im transatlantischen Sklavenhandel.

Mancher Leser mag meine Besorgnisse für übertrieben halten. Doch wenn Polizisten und Politiker auf die Knie gehen, ist das zweifellos ein nett gemeintes Zeichen der Demut, das allerdings auch den Übermut derer fördern kann, die durch solche Kniefälle den Eindruck der Gefahrlosigkeit gewinnen, wenn sie Hetzmassen auf das eine oder andere schnell erreichbare Ziel lenken. Warum sollte ich mich nicht um die Standfestigkeit von Jefferson und Washington sorgen, nachdem neulich schon Kolumbus vom Sockel gestoßen wurde?

Wer als weißer Amerikaner Kolumbus vom Sockel stößt, beseitigt ein Stück seiner eigenen Geschichte

Wenn Christoper Kolumbus nicht Amerika entdeckt hätte, wäre die indigene Bevölkerung nicht verfolgt und kein Schwarzafrikaner als Sklave nach Amerika gekommen, dachten sich einige dieser stoßwütigen Antirassisten. Ja, das wäre den Indios vermutlich vieles erspart. Ob es auch den Schwarzen gut getan hätte, ist nicht gewiss; denn die Versklavung von Schwarzen war keine Erfindung von Weißen. Sklaverei geht vor allem darauf zurück, dass Sieger Besiegte gefangen nahmen und diese entweder für sich als Arbeitssklaven behielten oder verkauften. Das war in Afrika ebenso üblich wie anderswo. Dass die Jagd auf Schwarze und der Handel mit ihnen zu einem gewinnbringenden Geschäftsmodell für schwarze Herrscher in Afrika und Händler aus der Ferne wurde, nahm nicht erst durch den transatlantischen Sklavenhandel an Fahrt auf, sondern schon 800 Jahre früher mit den Karawanenzügen, mit denen arabische Händler Schwarze im Laufe der Jahrhunderte nach Nordafrika, auf die arabische Halbinsel und darüber hinaus in die Sklaverei führten.

Unter denen, die am Sturz der Kolumbus-Statue beteiligt waren und sich darüber freuten, gab es übrigens auch Weiße, die es in Amerika gar nicht gäbe, wenn Kolumbus und andere Seefahrer und Entdecker zuhause geblieben wären. Wer als weißer Amerikaner den Blick auf Kolumbus nicht ertragen mag und ihn vom Sockel stößt, beseitigt ein Stück seiner eigenen Geschichte. Man entkommt der Geschichte aber nicht dadurch, dass man ein Stück von ihr entsorgt, sondern ist gut beraten, wenn man sie als gegeben annimmt und sich mit ihr kritisch auseinandersetzt. Und wenn ich den Amerikanern einen Rat geben darf, dann diesen: Stellt Kolumbus wieder auf und widmet sein Ehren- in ein Mahnmal um, das seiner Bedeutung für die Weltgeschichte angemessen ist.

George-Floyd-Proteste: Umstrittene Denkmäler in mehreren Ländern beschmiert und gestürzt

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Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.

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