Von Jürgen Fritz, Mo. 15. Jun 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot
Nach der AfD Thüringen wird nun auch die gesamte AfD Brandenburg als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall eingestuft. Damit wird auch dieser Landesverband ab sofort mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. Die AfD Brandenburg wurde bis zur Annullierung seiner Parteimitgliedschaft Mitte Mai von dem mutmaßlichen Neonazi Andreas Kalbitz angeführt, dessen Parteimitgliedschaft der Bundesvorstand vor einem Monat mit knapper Mehrheit aufhob, woraufhin die brandenburgische AfD-Landtagsfraktion zu 86 Prozent dafür stimmte, dass Kalbitz gleichwohl weiter Teil der Parlamentsfraktion bleiben soll.
Zunächst gerieten die AfD Thüringen, dei Junge Alternative und Der Flügel ins Visier des Verfassungsschutzes
Bereits Anfang September 2018 hatte das Amt für Verfassungsschutz Thüringen den Thüringer AfD-Landesverband von Björn Höcke zum rechtsextremistischen Prüffall erklärt. Eine Klage der AfD gegen diese öffentliche Einstufung wurde im November 2018 vom Verfassungsgerichtshof in Thüringen als unzulässig abgelehnt.
Im Januar 2019 folgte dann die Einstufung 1. der Junge Alternative, der Jugendorganisation der AfD, und 2. auch des völkisch-nationalistischen Der Flügel um a) den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke, b) den damaligen AfD-Vorsitzenden Brandenburg Andreas Kalbitz und c) Hans-Thomas Tillschneider als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall. Dem „Flügel“ stand auch der AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag und AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland nahe, der die „Gründungsurkunde“ des „Flügel“, die Erfurter Resolution von 2015, die sich gegen den Kurs des damaligen ersten Bundesvorsitzenden Bernd Lucke und dessen eher liberalen Kurs der Partei richtete, mit unterschrieben hatte.
Seit März 2020 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz dann den Höcke-Kalbitz-Flügel als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ ein und beobachtete ihn nun mit verschärften nachrichtendienstlichen Mitteln.
Außerdem wurde nun auch der AfD-Landesverband Thüringen von der Landesbehörde für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall eingestuft. Begründung: Es lägen auch bezüglich des gesamten Höcke-Landesverbandes „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ vor.
Der Flügel muss sich auflösen und Meuthen schlägt Abspaltung der Rechtsextremisten von der AfD vor
Daraufhin forderte der AfD-Bundesvorstand auf Antrag von Jörg Meuthen im März den völkisch-nationalistischen „Flügel“ auf, sich bis spätestens Ende April 2020 aufzulösen. Dem kamen die Rechtsextremisten und Nationalisten zwar nach, Höcke, der Kopf dieser Gruppierung in der AfD, verkündete aber zugleich frech, dass dieser Geist in der AfD erhalten bleibe, auch wenn es den „Flügel“ offiziell und formal nicht mehr gebe. Dass diese extremistische Gruppierung tatsächlich nicht nur formal autgelöst wurde, darüber liegen dem Verfassungsschutz aber bis heute keine gesicherten Erkenntnisse vor.
Am 1. April schlug der erste Bundesvorsitzende der AfD Jörg Meuthen dann sogar eine Spaltung der AfD in a) eine quasi national-liberale AfD und b) einen „sozial-patriotischen“ Flügel mit Höcke, Kalbitz und Co. vor, kassierte aber seinen eigenen Vorschlag innerhalb einer Woche selbst wieder ein und entschuldigte sich sogar öffentlich, dass er es überhaupt gewagt hatte, das zu öffentlich zu thematisieren, nachdem ihm der Gegenwind aus der eigenen Partei zu heftig wurde, die sich fast komplett gegen seinen Abtrennungsvorschlag stellte, ihrem eigenen ersten Bundesvorsitzenden mithin in den Rücken fiel, genau wie früher schon den Parteivorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry, als diese sich mit den Rechtsextremisten, Chauvinisten, Neonazis und Faschisten in der eigenen Partei angelegt hatten, was beide politisch nicht überlebten.
Wie sehr die AfD bereits „verflügelt“ ist, sprich sich radikalisiert und ins Extremistische abgedriftet ist, zeigt folgende Aussage des AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier, der selbst dem „Flügel“ nahe stand bzw. steht, und der schon 2019 sagte, dass sich schätzungsweise 70 Prozent der sächsischen AfD, also zwei Drittel bis drei Viertel, zu der rechtsextremistischen Gruppierung bekennen würden.
Hinreichende Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen der AfD Brandenburg gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung
Geführt wurde der brandenburgische Landesverband seit November 2017 bis Mitte Mai 2020 von dem mutmaßlichen Neonazi Andreas Kalbitz. Nachdem der AfD-Bundesvorstand mit sieben zu fünf Stimmen bei einer Enthaltung dessen AfD-Mitgliedschaft am 15. Mai 2020 für nichtig erklärte, weil Kalbitz bei seinem Parteieintritt unter anderem seine frühere Mitgliedschaft in der Neonazi-Organisation Heimattreue Deutsche Jugend und seine frühere Parteimitgliedschaft bei den Republikanern verschwiegen hatte, beschloss die AfD-Landtagsfraktion Brandenburg gleichwohl mit einer fast 90 Prozent-Mehrheit Kalbitz in ihrer Fraktion zu behalten, obschon er gar kein Parteimitglied mehr ist, änderte dafür sogar ihre extra ihre Satzung, was wohl ein zusätzliches Indiz darstellen dürfte, wie diese brandenburgischen AfD-ler zum Thema Rechtsextremismus stehen. Fraktion und Landespartei werden nun von Kalbitz-Vertrauten angeführt. Für den Verfassungsschutz sind das weitere klare Hinweise darauf, wie stramm die AfD Brandenburg Kalbitz und dessen rechtsextremistischen Einstellungen verbunden ist.
Nun wurde also nach dem Thüringer Landesverband mit ihrem Vorsitzenden Björn Höcke auch die AfD Brandenburg als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall eingestuft. Damit kann der Verfassungsschutz jetzt Funktionäre und Gremien des Landesverbandes beobachten. Dafür stehen ihm eine Reihe von nachrichtendienstlichen Mitteln zur Verfügung, so etwa das Sammeln personenbezogener Daten, ja auch verdeckte Ermittlungen. Für Abhörmaßnahmen muss allerdings die Zustimmung der G10-Kommission des Landtags eingeholt werden. Der Einstufung der AfD Brandenburg als rechtsextremistischer Verdachtsfall hatte die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags in Potsdam bereits am Freitag, den 12. Juni zugestimmt.
Landesinnenminister Michael Stübgen (CDU) und der Abteilungsleiter für Verfassungsschutz Jörg Müller machten heute auf einer Pressekonferenz deutlich, dass die Brandenburger AfD bereits mehrere Kriterien erfüllt habe, um auch als absoluter Beobachtungsfall und damit als gesicherte rechtsextremistische Bestrebung eingestuft hätte werden können. Man wolle hier aber lieber vorsichtig agieren, um die Sache vor Gericht auch wirklich wasserdicht zu machen. Die schon jetzt gesammelten Informationen begründen auf jeden Fall hinreichende Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen der Brandenburger AfD gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Nähe der AfD Brandenburg zur IB und zur Zukunft Heimat
Der Landesverband Brandenburg wurde zunächst bis 2017 von dem jetzigen AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und „Ehrenvorsitzenden“ der AfD Alexander Gauland geführt, der auch als Freund des Rechtsextremisten Björn Höcke gilt. Von November 2017 bis Mai 2020 war dann Andreas Kalbitz der Kopf des Landesverbandes, der von Gauland selbst als Kronprinz aufgebaut und als sein Nachfolger in Brandenburg installiert worden war. Alexander Gauland stimmt im Bundesvorstand auch gegen die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Kalbitz, kritisierte dies sogar öffentlich, machte sich also für den Verbleib des mutmaßlichen Neonazis und Rechtsextremisten in der AfD stark.
Als weiterer Hinweis für die Verfassungsfeindlichkeit des Landesverbandes kommen personelle Verflechtungen der Brandenburger AfD mit der als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Identitären Bewegung (IB) hinzu. So wurden schon seit geraumer Zeit die Mitarbeit von Aktivisten der Identitären Bewegung in der Landtagsfraktion registriert. In den vergangenen Jahren sind gleich mehrere solcher Fälle durch die Presse enthüllt worden. Der Verfassungsschutz sprach schon im Sommer 2019 mit Blick auf die IB und ihre Rolle im Landtag in Potsdam von der „Möglichkeit einer mittelbaren und damit verdeckten Beteiligung von extremistischen Personenzusammenschlüssen an Willensbildungsprozessen“ gewählter Volksvertreter. Dies sei „besorgniserregend“.
Als weiterer Beleg für die rechtsextremistische Durchseuchung des Landesverbandes dürfte auch der Verein Zukunft Heimat eine Rolle spielen, einer etwa 100 Mitglieder starken Bürgerinitiative aus Golßen mit nationalistisch-flüchtlingsfeindlicher Ausrichtung. Vorsitzender des Vereins ist Hans-Christoph Berndt, der bei der Landtagswahl 2019 zugleich auf Platz zwei der AfD-Landesliste direkt hinter Kalbitz geführt wurde. Zukunft Heimat habe „organisatorische und personelle Überschneidungen“ vor allem mit der rechtsextremistischen Identitären Bewegung, stellte der Verfassungsschutz bereits 2018 fest. Außerdem fand der Nachrichtendienst Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit von Zukunft Heimat mit dem 2012 verbotenen Neonazi-Netzwerk Aktionsbündnis Südbrandenburg, auch bekannt als Spreelichter.
Zukunft Heimat pflegt Kontakte zu Jürgen, Elsässer, Götz Kubitschek, NPD-Mitgliedern und Neonazis
Bei den Demonstrationen von Zukunft Heimat traten unter anderem Andreas Kalbitz und die stellvertretende Landesvorsitzende der AfD Brandenburg Birgit Bessin als Sprecher auf. Andere Sprecher, die dort auftragen waren Jürgen Elsässer, der Chefredakteur des Compact-Magazins. Compact gilt als Querfront-Magazin, als rechtspopulistisches Magazin mit Hang zu Verschwörungsmythen, manche bezeichnen es sogar als „Zentralorgan für Verschwörungstheorien“. Das Magazin von Elsässer wird seit März 2020 vom Bundesverfassungsschutz ebenfalls als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall eingestuft.
Ein weiterer Redner auf den Zukunft Heimat-Demos war der Vordenker der Neuen Rechten Götz Kubitschek, Mitbegründer der neurechten Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ (IfS) und enger Vertrauter von Björn Höcke. Kubitschek wird von einigen als „Salonfaschist“ bezeichnet. Das IfS wurde im April 2020 vom Bundesamt für Verfassungsschutz ebenfalls zum Rechtsextremismus–Verdachtsfall erklärt.
Bei den Demonstrationen von Zukunft Heimat stellte der Verfassungsschutz ferner NPD-Mitglieder, Neonazis aus der Kameradschaftsszene, Personen aus der rechtsextremen Hooligan-, Kampfsport- und Musikszene fest, aber keinerlei erkennbare Distanzierung des Vereins von Extremisten. Auf einer Demonstration im Mai wurden die Anti-Corona-Maßnahmen mit Hitlers Ermächtigungsgesetz gleichgesetzt. Derlei Äußerungen zielten „tatsächlich darauf ab, unsere Demokratie verächtlich zu machen. Es ist die Rhetorik von Extremisten“, stellte der Verfassungsschutz danach fest.
Der Vereinsvorsitzende von Zukunft Heimat Hans-Christoph Berndt, der wie gesagt zugleich AfD-Landtagsabgeordneter ist, habe sich davon nicht distanziert. Auf der Demo war sogar der gelbe Judenstern mit der Aufschrift „nicht geimpft“ zu sehen. Der Brandenburger Verfassungsschutz spricht daher seit kurzem bei diesem Verein von einem „entgrenzten Rechtsextremismus“, der sich „im Vorhof des herkömmlichen Rechtsextremismus eine weit ausgreifende, durchlässige neu-rechte Grauzone gebildet hat“.
Droht nun bald der gesamten Bundes-AfD eine Einstufung als verfassungsfeindlicher Boebachtungsfall?
Der Obmann der FDP-Fraktion im Innenausschuss des Deutschen Bundestages Benjamin Strasser begrüßte die neue Einstufung. Das sei nur konsequent, erklärte Strasser. Die AfD Brandenburg werde maßgeblich von Anhängern des rechtsnationalen „Flügels“ gesteuert: „Die Partei radikalisiert sich weiter“. Diesen Trend gebe es auch in anderen Bundesländern. Die Beobachtung der Bundespartei dürfte der nächste logische Schritt sein und sei wohl nur noch eine Frage der Zeit, so der FDP-Politiker.
Der Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes Jörg Müller hatte bereits Mitte Mai im RBB gesagt, dass die Beobachtung einer Partei in einer liberalen Demokratie an genaue rechtsstaatliche Voraussetzungen gebunden und ein schwerer Eingriff sei, aber: „Wenn sich diese erkennbare ‚Verflügelung‘ weiter fortsetzt und zeigt, dann wird sich diese Frage immer mehr aufdrängen.“
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